vonMario Zehe 18.04.2019

[ˈkɒmik_blɔg]

Der Comic – einst das Schreckgespenst des Bildungsbürgers, heute dagegen der (heimliche) Liebling des Föjetong.

Mehr über diesen Blog

Vor einiger Zeit schenkte mir ein guter Freund einen Sachcomic über den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan. Die Bezeichnung ›Sachcomic‹ trug das kleine Büchlein jedenfalls im Untertitel, doch dessen Inneres hatte mit einem Comic eigentlich kaum etwas zu tun: Auf bis zu vier Seiten wurden nacheinander einzelne Grundbegriffe der lacanschen Psychoanalyse (das Spiegelstadium, das Reale, der kleine und der große Andere etc.) in Blocktexten bzw. Sprechblasen verbal erläutert, immer durch strenge, oft recht langweilig wirkende Schwarz-Weiß-Illustrationen begleitet, die entweder den erläuterten Sachverhalt visualisierten oder Monsieur Lacan in nachdenklicher Pose zeigten. Das was Comics im Grunde ausmacht, nämlich die – wie der Meister wohl sagen würde – ›inhaltsschwangere‹ Lücke zwischen Bildern einer Sequenz, die Lust an der Übertreibung bzw. Zuspitzung sowie das spielerische Verhältnis zwischen den Elementen Schrift und Bild gab es hier jedenfalls nicht zu sehen.

Ganz anders kommen dagegen die Bände der von David Vandermeulen herausgegebenen Comicbibliothek des Wissens (im frz. Original: La Petite Bédéthèque des savoirs) daher: Nicht nur optisch ansprechend, weil farbig, gut gezeichnet und alle kombinatorischen Möglichkeiten von Schrift und Bild nutzend, sondern (meist) auch ein echtes Lektüreerlebnis. Natürlich fallen die Bücher, die in den bisher auf deutsch erschienen Ausgaben solche Themen wie Künstliche Intelligenz, Tattoos, das Universum, das Internet oder den Israel-Palästina-Konflikt behandeln, aufgrund ihrer Anlage als Wissensvermittlerinnen oft recht textlastig aus. Aber der entscheidende und meiner Meinung nach richtige Punkt, der bei Konzeption der Reihe gemacht wurde, ist der Verzicht auf eine rein belehrende, erläuternde oder argumentierende Kommunikationsform.

Stattdessen wird in den Wissenscomics fröhlich interagiert. Mal ist es ein von Kopf bis Fuß tätowierter Gefängnisdirektor (Tattoos), mal ein »zelebraler Guide-USB-Stick« (Künstliche Intelligenz), ein zum Leben erwachtes Stück Glasfaserkabel (Internet) oder schlicht der Doppelgängeravatar des Autors (Das Universum), welche den Platz des/der scheinbar allwissenden und stets neunmalklugen Dozierenden einnehmen und in persona ausfüllen. Diese*r wendet sich nicht einfach an den/die Leser*n, sondern richtet sich meist an eine zweite Figur, die man gewissermaßen als Leser*innenavatar bezeichnen könnte: z.B. ein Gefängnisinsasse, ein humanoider Roboter oder eine georgische Bäuerin. Der ist mal neugierig und aufgeschlossen, mal ungläubig und starrköpfig, ein*e mal mehr oder mal weniger gute Zuhörer*in. Die Dynamik und Unterhaltsamkeit der Comics lebt jedenfalls von der nicht immer konfliktfreien Beziehung zwischen diesen beiden Figurentypen und verhindert die ewige Monologisierung, die gerade Sachcomics manchmal so trist werden lässt.

Reeves/Casanave © Jacoby & Stuart 2018
Lafargue/Burniat © Jacoby & Stuart 2018
Lafargue/Montaigne © Jacoby & Stuart 2018

Doch es ist nicht nur die theatral-dialogische Form der Darstellung, die quasi einen gesellschaftlichen Resonanzboden einzieht, sondern auch der cartoonhafte, antinaturalistische Zeichenstil, der die meisten Bände prägt und ein weiteres Gegengewicht zum heiligen Ernst der Ausführungen bildet. Herausgeber Vandermeulen hat bei der Auswahl der Zeichner*innen ein recht gutes Gespür bewiesen, indem er z.B. mit Marion Montaigne, Daniel Casanave oder Mathieu Burniat solche Zeichner*innen gewinnen konnte, die nicht nur ausgewiesene Cartoonisten sind, sondern bereits auch Erfahrungen im Metier der Wissenscomics gesammelt haben. Den tief schürfenden und nüchternen Erklärungen der Autoren, die wie Jean-Noël Lafargue oder Hubert Reeves selbst auf jahrzehntelange Erfahrungen im Bereich der Populärwissenschaften zurückblicken können, stellen sie ihr Gespür für das Unernste und Humorige an die Seite. Darüber hinaus verstehen sie es, die abstrakten Überlegungen und komplexen Zusammenhänge bestens zu ver(sinn)bildlichen. Wie es z.B. Burniat in Das Internet gelingt, in drei aufeinander folgenden Panels den Unterschied zwischen den Suchmaschinen Yahoo, Altavista und Google rein grafisch, d.h. ohne weitere Worte auszudrücken, ist ein kleines Meisterstück, von denen es in den meisten Comics noch weitere zu entdecken gibt.

Während beim belgischen Verlag Lombard, dem Verleger der französischsprachigen Originale, bereits annähernd 30 Bände erschienen sind, hinkt der für die deutschsprachigen Ausgaben zuständige Verlag Jacoby & Stuart mit bisher sieben Bänden noch etwas hinterher. Es ist aber zu hoffen, das die Übersetzung der Wissenscomics zum Minimalismus (»Moins c’est plus«), Situationismus (»la révolution de la vie quotidienne«) oder zur Politischen Kommunikation (»l’art de séduire pour convaincre«) nur eine Frage der Zeit bleibt. Mit letzterem Comic würde sich übrigens ein Kreis schließen: Denn der hier im deutschsprachigen Raum so gern verwendete Begriff ›Sachcomic‹ trügt etwas über die Tatsache hinweg, dass derlei Comics freilich nicht nur eine Sachdimension, sondern auch eine soziale Dimension aufweisen. In den USA wurde deren Überzeugungskraft nämlich bereits in den 1940er Jahren entdeckt und für Wahlwerbung sowie Kriegspropaganda eingesetzt. Und in den 1960er/70er Jahren drehte der mexikanische Marxist, Zeichner und Autor Rius den Spieß einfach um und schuf zahlreiche Comics, die aus einer gegenhegemonialen Perspektive politische, gesellschaftliche und ökonomische Zusammenhänge zu erklären suchten. Ganz nebenbei war er führend daran beteiligt, das epistemische Comicgenre auf der ganzen Welt zu popularisieren. Mal sehen, ob die Macher des Bandes zur Politischen Kommunikation dabei auch die Rolle ihres eigenen Mediums in den Blick genommen haben.


Folgende Bände sind bisher im Verlagshaus Jacoby & Stuart erschienen:

Jean-Noël Lafargue/Marion Montaigne: Künstliche Intelligenz. Fantasie und Realität, Berlin 2018.

Vladimir Grigorieff/Abdell de Bruxelles: Israel und Palästina. Zwei Völker, die miteinander leben müssen, Berlin 2018.

Yves Le Conte/Jean Solé: Die Bienen. Verstehen, um sie zu schützen, Berlin 2018.

Hubert Reeves/Daniel Casanave: Das Universum. Kreativität im Kosmos und in der Kunst, Berlin 2018.

Jean-Noël Lafargue/Mathieu Burniat: Das Internet. Nicht nur virtuell, Berlin 2018.

Jérôme Pierrat/Alfred: Tattoos. Geschichte einer uralten Kulturpraktik, Berlin 2019.

Gérald Bronner/Jean-Paul Krassinsky: Fake News & Verschwörungstheorien, Berlin 2019.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/comicblog/2019/04/18/more-than-education/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert