vonMario Zehe 20.11.2025

[ˈkɒmik_blɔg]

Der Comic – einst das Schreckgespenst des Bildungsbürgers, heute dagegen der (heimliche) Liebling des Föjetong.

Mehr über diesen Blog

Im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhundert erschütterte ein Korruptionsskandal die spanische Nation, der unter der Bezeichnung „Caso Gürtel“ (nach dem Hauptbeschuldigten Francisco Correa) firmierte und – nachdem er Jahr für Jahr mehrere Politiker*innen mindestens das Amt, wenn nicht gar die Freiheit kostete – schließlich im Jahr 2018 die konservative Regierung stürzte. Es ging dabei um Subventionsbetrug und die Veruntreuung öffentlicher Gelder im ganz großen Stil, insbesondere in den Regionen Valencia und Madrid. Infolge dieses und weiterer bis heute andauernder Skandale hat das politische System Spaniens enormen Schaden genommen, aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass zwischen 80 und 90 % der spanischen Bürger*innen den politischen Parteien und ihren Akteuren zutiefst misstrauen.

Ein Politthriller aus der Schreib- bzw. Zeichenfeder von Antonio Altarriba (Szenario) und Keko (Illustration) hat sich des Themas angenommen, wenn auch mit viel künstlerischer Freiheit. Im Stile einer Graphic Noir erkundet ICH, DER LÜGNER die wahrhaft dunklen Abgründe des Politischen und offenbart ein Netz aus Abhängigkeiten und Lügen, getragen vom unbedingten Willen zur Macht aller Beteiligten. Im Mittelpunkt der Erzählung steht der Kommunikationschef der regierenden konservativen Partei Spaniens (realiter PP, hier PDP) Adrián Cuadrado. Sein Job besteht darin, genehme Informationen über seine Partei und die von ihr geführte Regierung zu verbreiten und von denjenigen Nachrichten abzulenken, die diesen schaden könnten.

Die Handlung setzt ein, als die abgetrennten Köpfe mehrerer Provinzpolitiker*innen der Konservativen aufgefunden werden, auf mysteriöse Weise in Glasflaschen eingefasst, in denen noch eine Botschaft steckt, in der sich eine tiefe Verachtung für die politische Klasse ausdrückt. Wichtiger noch als die Frage, wie die Köpfe dort hineingeraten sein könnten, ist natürlich die nach dem Täter. Zumindest dessen Motiv scheint ja geklärt. Aber gerade diesbezüglich plagen Cuadrado, der zunächst mit der Geheimhaltung der Morde beschäftigt ist, einige Zweifel. Schließlich waren die Opfer zu umfassenden Aussagen im Korruptionsprozess bereit. Sollte die Parteiführung hier ein warnendes Exempel statuiert haben? Während er dieser Frage nachgeht und weitere Morde geschehen, gelingt es dem Protagonisten durch geschicktes Lavieren, einerseits nicht selbst zur Zielscheibe zu werden und andererseits seine eigenen politischen Ambitionen voranzutreiben.

ICH, DER LÜGNER bildet nach ICH, DER MÖRDER und ICH, DER VERRÜCKTE den Abschlussband des literarisch-grafischen Triptychons über das individuelle wie auch gesellschaftliche Böse. Wie schon in den beiden Vorgängern zieht sich durch den gesamten Band in den Zeichnungen Kekos ein strenger Schwarz-Weiß-Kontrast, der kaum Raum für Nuancen lässt und dabei eindeutig dem Dunklen zuneigt. In diesem Sinne korrespondiert das Grafische mit der Erzählung, denn dem Autor Altarriba zufolge erscheinen alle (spanischen) Politiker machtbesessen, korrupt, verlogen und bereit, im wahrsten Wortsinne über Leichen zu gehen. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. Dabei sollte dem an der Universität des Baskenlandes lehrenden Literaturprofessor klar sein, dass damit genau jenes „Narrativ“ bedient wird, mit dem Rechtspopulisten mittlerweile weltweit der „politischen Klasse“ den Kampf ansagen. Vielleicht möchte er aber auch einfach davor warnen, dass das Unterordnen von Fakten gegenüber eigenen Machtansprüchen und Überzeugungen denjenigen politischen Kräften den Weg bereitet, denen Wahrheit schon längst nichts mehr gilt. Die grünen Farbtupfer, die sich stellenweise vom dominanten Schwarz-Weiß der Zeichnungen abheben, stehen dann möglicherweise für das Letzte was angesichts der Misere noch übrig bleibt und weiterhin Anlass zum Standhalten gibt: Hoffnung.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/comicblog/2025/11/20/dem-dunklen-zugeneigt/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert