Begrüßungsrede anläßlich der Buchpräsentation von ‚Der Geldkomplex‘ im Münzsalon in Berlin Mitte gestern abend:
„Liebe Freunde und Gäste, mein Name ist Joachim Lottmann, ich bin der Autor des Romans ‚Der Geldkomplex‘, der heute der deutschsprachigen Öffentlichkeit präsentiert wird. Dies ist erst jetzt möglich, da ich bis kurz vor Weihnachten letzten Jahres in Indien war, davon die meiste Zeit in einem hermetisch abgeriegelten Ashram, und der Verlag Kiepenheuer & Witsch nicht wußte, wie er mich erreichen sollte, um einen Präsentationstermin mit mir abzusprechen, ja, ob er mich überhaupt noch jemals erreichen würde, physisch und/oder psychisch. Ich habe die diversen Foltermethoden im Ashram dann aber doch ohne erkennbaren geistigen Schaden überlebt, etwa so wie der amerikanische Bomberpilot und spätere Präsidentschaftskandidat John McCain die Gefangenschaft in einem Lager des Vietcong. McCain bekam dafür später einen hohen Orden, während ich von meinem Verlag Kiepenheuer & Witsch diese kleine heutige Ehrung bekomme, oder sogar große Ehrung, nämlich daß vier namhafte deutsche Autoren und sogar ein namhafter echter Verleger aus meinem Buch lesen werden. Für mich persönlich ist es auch eine kleine nachgeholte Geburtstagsehrung, denn ich bin am 6. Dezember, noch im Lager in Bangalore in Indien, 50 Jahre alt geworden. Damit habe ich das Alter erreicht, in dem Knut Hamsun sein Jugendwerk beendete, geheiratet hat, leider eine viel zu junge Frau, die später Parteigängerin der norwegischen Nationalsozialisten wurde, und dem Nobelpreis entgegenschrieb. Hamsun selbst war niemals Nazi, auch wenn Daniel Kehlmann das diese Woche im Fernsehen behauptete. Kehlmann weiß das natürlich, aber man muß beim Thema Nazis immer etwas ruppig sein. Ich hätte das nicht anders gemacht. Kehlmann hat es mir anschließend genau erklärt, er ist ein guter Freund, und uns verbindet die Liebe zum alten Illusionstheater. Er hätte gern auch heute gelesen, muß jedoch einen familiären Termin im Rheinland wahrnehmen. Seine Lieblingsnichte hat Geburtstag. Ich verstehe das, ich habe selbst eine Nichte, sie heißt Hase, und sie hält sich heute in Paris auf, wo sie studiert. Auch sie wäre gern gekommen, zumal sie in dem Roman vorkommt, aber das Geld reicht in unseren Tagen nicht mehr für Studenten, um zu reisen. Wir leben nicht mehr in den üppigen Zeiten Alexander von Humboldts.
Ich will unsere heute lesenden Autoren kurz vorstellen und ihre Beziehung zum Buch ‚Der Geldkomplex‘ darlegen. Ich beginne mit einem Autor, der auf der Einladungskarte stand, aber krankheitsbedingt leider nicht kommen kann, nämlich Peter Glaser. Das monatelange strenge Winterwetter, also der kältste und schneereichste Berliner Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, hatte Glaser schließlich und ganz am Ende gefällt und ans Bett gefesselt. Er läßt uns alle grüßen. Ich grüße ihn zurück und wünsche gute Besserung sowie demnächst weniger kalte Winter, damit er, sollten wir uns noch einmal in einem so exklusiven kleinen Kreis versammeln, dann mitmachen kann. Die rigide Anti-Erderwärmungspolitik der Bundesregierung läßt allerdings befürchten, daß die Winter nun immer kälter werden könnten.
Als erstes liest heute Maxim Biller. Er beginnt mit der ersten Seite. Die nachfolgend Lesenden werden einfach weiterlesen, bis die ersten 50 Seiten zuende gelesen sind. Maxim Biller kenne ich aus Hamburg, wo wir in derselben Straße, nämlich der Hartungstraße, aufgewachsen sind. Wir haben vor den Stufen der Hamburger Kammerspiele gesessen und mit Ida Ehre, der Prinzipalin des Hauses, Limonade getrunken. Maxims Eltern waren echte Juden, während meine dem NDR angehörten, einer damals bedeutenden Glaubensgemeinschaft, die heute nur noch in einigen Stadtvierteln besteht, etwa Lokstedt und Rotherbaum. Später sind wir nach München gegangen, haben dort studiert. Ich habilitierte unter Diedrich Diederichsen über Thomas Mann, Maxim bei einem anderen Professor über das gleiche Thema – nachzulesen in seinem neuen äußerst geglückten Buch ‚Der gebrauchte Jude . ein Selbstportrait‘. Maxim und ich wohnen seit den späten 60er Jahren in denselben Städten. Wir haben es nie länger als sechs Wochen ohne den anderen in einer fremden Stadt ausgehalten. Dennoch taucht er in ‚Der Geldkomplex‘ nur als Gerücht auf und nicht als agierende Romanfigur. Das hat ihn gekränkt und daran erinnert, daß wir auch Phasen der Feindschaft gekannt hatten, Phasen, in denen wir uns als Kinder vor der Talmud Thora Schule beschimpften, oder später als Erwachsene vor Gericht. Das war aber nie so gemeint.
Nach Maxim Biller liest Heike-Melba Fendel. Ich lernte sie in den 80er Jahren kennen, als Ko-Autorin einer von Peter Glaser herausgegebenen Anthologie. Sie war damals so alt wie Helene Hegemann heute. Die Männer waren hinter ihr her, was ich nicht verstehen konnte, denn sie war körperlich ein totaler Spätstarter. Sie sah damals keineswegs so toll aus wie jetzt, sondern war pummelig, rothaarig und unsicher. Ihre viel zu langen Beine schienen ihr nur im Wege zu stehen, und sie stolperte oft darüber. Ihre Geschichte in der Anthologie war aber dafür umso besser. Vor kurzem hat sie ein Buch mit 99 Kurzgeschichten veröffentlicht. Es heißt ‚Nur DIE‘ und ist wirklich außergewöhnlich. Die allgemein übliche Pornographie, die sich in alle Medien- und Lebensbereiche eingeschlichen hat, wird dort ins Menschliche zurückgeführt und zugleich ins Positive, Helle. Es ist wahrlich ein letztes spätes, zu spätes Werk der europäischen Aufklärung, das dazu noch hinreißend kenntnishaft die Innenwelt der Medienberufe beschreibt. Jeden Suizidgefährdeten würde es ins Leben zurückbringen!
Heike Melba Fendel betreibt seit 20 Jahren die in Deutschland erfolgreichste Schauspieleragentur ‚Barbarella‘. Im Buch ‚Der Geldkomplex‘ gibt es eine längere Partyszene, in der ‚die Melba‘ an den hungerleidenden Ich-Erzähler gerät, der zu dem Zeitpunkt bereits arg von der Finanz- und Wirtschaftskrise gebeutelt ist.
Danach liest Sascha Lobo. Ihn muß ich nicht vorstellen, denn er ist gerade von der Financiel Times Deutschland zum bekanntesten Deutschen Europas gewählt worden. Im Buch spielt er den letzten echten Freund und einzigen Vertrauten des Ich-Erzählers, wobei diese Verbindung dem Druck der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht standhält. Geld und schneller Sex sind Sascha Lobo am Ende wichtiger, als dem untergehenden Freunde seelisch beizustehen. Heute ist Lobo aber auf der Bühne hier, um diesen Eindruck zu korrigieren. Vielleicht sagt er nachher selbst noch ein paar Sätze zu der fatalen Szene aus dem Buch.
Es folgt Thomas Meinecke. Auch über ihn haben die Medien schon tausendfach berichtet, sodaß ich mich auf biographische Details beschränke. Thomas Meinecke holte mich einst zum Journalismus. Als Schriftsteller muß man entweder Preise gewinnen, also völlig wertloses, langweiliges Zeug nach dem Geschmack der immer steinalten und mediokren Jury Mitglieder schreiben, oder man muß nebenbei journalistisch arbeiten. Dank Meinecke stand mir letzterer Weg offen. Eines Tages, es war später Vormittag und die alte Bundesrepublik bestand noch, rief er mich an und machte mich zum Mitarbeiter einer Zeitgeist Illustrierten, die er gerade in München mit Thomas Peichl gegründet hatte. Ich werde nie die freundliche Telefonstimme dieses typischen Hamburger Emigranten vergessen. Ich freue mich ganz besonders, daß er heute hier ist!
Schließlich liest Helge Malchow, den die Branche unlängst zum ‚Verleger des Jahres‘ wählte. Er ist mindestens so bekannt wie die lesenden Autoren, mit Ausnahme Sascha Lobos. Jeder kennt den großen Verleger Helge Malchow, aber keiner kennt ihn so lange wie ich. Er war schon mein Deutsch- und Geschichtslehrer am Apostelngymnasium in Köln, wo ich vorübergehend lebte, nämlich als mein Vater beruflich im nahen Bonn zu tun hatte. Er war dort Bundestagsabgeordneter für die Freie Demokratische Partei geworden. Malchow attestierte meinen Aufsätzen großes schreiberisches Talent und empfahl mir bei der Berufsberatung, die dem Klassenlehrer gegenüber den angehenden Abiturienten oblag, doch später den Beruf des Schriftstellers zu ergreifen. Ich sagte ihm, das täte ich gern, nur fehlte mir dazu ein Lektor. Malchow meinte, ich solle mir darüber keine Gedanken machen, er fände schon einen Weg. Er hat dann ein Kölner Mädchen geheiratet, das aus einer der reichsten und ältesten Familien der Domstadt kam, der Familie Dumont, und diese überredete ihren Vater, den Verlag Kiepenheuer & Witsch zu kaufen, in dem Helge Malchow Lektor wurde und ich sein erster Autor. Den Lehrerberuf hängte er an den Nagel, allerdings unter Schmerzen. Er hatte gern unterrichtet. Die Ehe mit dem reichen Kölner Mädchen wurde bald aufgelöst, aber nicht, weil der angehende Lektor das wollte, sondern die Frau, die sich an Karneval in einen kraftstrotzenden Macho verliebte. Mit gebrochenem Herzen und fraglich gewordenen Lebensperspektiven blieb der Ehemann zurück, der sich nun erst und ausschließlich dem Verlagswesen widmete. Erst ein Vierteljahrhundert später heiratete er erneut – und Neven Dumont verkaufte prompt Kiepenheuer & Witsch -, aber da war der Verlag der erste in Deutschland geworden, noch vor Suhrkamp, und viele seiner Autoren durchgesetzt, sogar ich. Es ist mir eine ganz große Ehre, daß er nun heute zum ersten- und einzigenmal die Seiten wechselt und an den Tisch der Autoren kommt, um wie sie zu lesen, aus einem Buch, das so aussieht, als wäre es von ihm, das er auch erfunden und begleitet hat, das aber ich geschrieben habe, nämlich ‚Der Geldkomplex‘. Einen größeren Anteil am Gelingen und Glücken dieses meines sicherlich besten Romans hat nun nur noch ein Mensch, den ich ganz am Ende meiner Begrüßungsrede erwähnen, ehren und hochleben lassen will: meinen Lektor der letzten fünf Jahre, Marco Verhuelsdonk! Ihm verdanke ich nicht nur die Bücher ‚Die Jugend von heute‘, ‚Zombie Nation / Der Roman einer alternden Gesellschaft‘ und ‚Auf der Borderline nachts um halb eins‘, sondern auch die einzigartige Romanfigur ‚Marco Van Huelsen‘ in dem heute vorgestellten Buch. Lieber Herr Verhuelsdonk, haben Sie für alldas meinen größten Dank, und auch dafür, daß wir bereits jetzt an unserem nächsten Buch arbeiten, das ‚Unter Ärzten‘ heißen wird. Ich freue mich nun auf den heutigen Abend, und ich bin froh, daß Sie heute gekommen sind, Sie, Herr Verhuelsdonk, und Sie, die Autoren samt dem Verleger, und Sie, die Gäste dieser charmanten kleinen Großveranstaltung. Vielen Dank, herzlich Willkommen, und viel Spaß!“
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