DER PROZESS. Ferdinand erschien am 10. Juli 1522 mit zwölf Richtern auf dem Marktplatz von Wiener Neustadt. Das Gericht tagte unter freiem Himmel, Schaulustige aus allen Teilen des Landes strömten herbei. Gerechtigkeit aber lag nicht in der Luft! Der rachdurstige Erzherzog hatte vielmehr ein Richterkollegium aus landfremden Personen zusammengesetzt, das die inneren Zustände der Erblande, ihre Rechte und Freiheiten nicht kannte.
Mehr als eine Woche lang wurden die prominentesten der politisch selbstbewusste Wiener Bürgermeister einem Verhör unterzogen. Dabei kam Siebenbürgers Charakter klar zum Ausdruck. Er war im Grunde seines Herzens kein Politiker, sondern ein Intellektueller, der blind entschlossen an die Kraft des besseren Arguments glaubte. Mehrfach ergriff er die Gelegenheit, auf sein untadeliges Verhalten in der Lauffner-Affaire hinzuweisen.
Der Mann redete um seinen Kopf! Mehrfach versuchte Siebenbürger das Gremium von der mangelnden Glaubwürdigkeit einiger führender Regimentsräte zu überzeugen. Im Namen der Stadt Wien legte er nicht weniger als 23 Gravamina, Beschuldigungen, gegen das alte Regiment vor. Selbst als bereits alles dafür sprach, dass Ferdinand und seine Lakaien der Anklage grösseres Vertrauen schenken würde als ihm, war Siebenbürger immer noch davon überzeugt, es werde zu einem Freispruch oder einem milden Urteil kommen.
Ein fataler Trugschluss! Bis zur Urteilverkündung wurde allerdings niemand arrestiert, was bei den Angeklagten als gutes Zeichen gedeutet wurde.
DAS URTEIL. Der Schiedsspruch vom 23. Juli setzte dem Machtkampf zwischen den Ständen und dem Landesfürsten ein grausames Ende. Das alte Regiment wurde in all seinen Aktivitäten ausnahmslos bestätigt, die Ständevertreter unter der Enns der Rebellion für schuldig befunden. Die Anhänger der neuen Landordnung, hiess es, seien nicht befugt gewesen, das Regiment aus Wien zu vertreiben, es sei ihnen nicht erlaubt gewesen, selbst Regierungstätigkeiten auszuüben und unwissende Mitbürger gegen Regimentsangehörige aufzuhetzen.
Wien hatte widerrechtlich hoheitliche Beamten vertrieben und sich die Artillerie angeeignet. – Das »unerfahrene und unverständige Volk« aber wurde von der Tat freigesprochen, da es durch die radikalen politische Elemente zur bösen Tat verführt worden sei.
Jeder wusste, dass mit diesem Spruch das Todesurteil gegen die Angeklagten ausgesprochen war. Einer der Männer versuchte sich noch der Verhaftung zu entziehen. Vergeblich. Am 9. August dann – die ersten beiden Enthauptungen. Dem Stand entsprechend ohne Fesseln. Die nächsten sechs Köpfe rollten zwei Tage später in den Korb: am 11. August 1522. Darunter das Haupt Martin Siebenbürgers.
Erzherzog Ferdinand I soll der Exekution halb verborgen hinter dem Vorhang eines Fenster im Rathauses beigewohnt haben. Einige Kommentatoren behaupten, er hätte bis zum letzten Augenblick nur darauf gewartet, dass die Häftlinge um Gnade fehlen würden. Doch die Rebellen gingen ohne Reue in den Tod. Was hatten sie falsch gemacht? – Die Leichen der Hingerichteten wurden nach Wien überstellt, wo sie standesgemäss beigesetzt wurden.
Die herzoglichen Häscher liess nach dem Blutbad vor der versammelten Menge das besagte Fenster, durch das der Herzog dem Spektakel bewohnte, zumauern. Und derart zugemauert ist es noch heute zu sehen.
Mehrere Jahrhunderte blieb das Wiener Neustädter Blutgericht im kollektiven Gedächtnis präsent. Die himmelschreiende Ungerechtigkeit und die Härte des Urteils über die Aufrührer markierte den ersten grausamen Höhepunkt gegen eine politische Emanzipationsbewegung der Stadt, deren Schwung nun nicht mehr verloren ging.
Der vollständige Urteilsspruch und der Prozessablauf wurden in zahlreichen Publikationen abgedruckt und in allen Schichten der Bevölkerung gelesen. Als erste Reaktion tat der Wiener Adel seinem Unmut kund, indem viele seiner Angehörigen demonstrativ zum Protestantismus wechselten.
© Wolfgang Koch 2006
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