vonClaudia Mussotter 30.11.2009

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Ein voller Erfolg für das renommierte Gastronomie-Event „La Mejor de la Gastronomía“, das in seiner elften Ausgabe vom 7. bis 11. November zum ersten Mal nicht wie bisher im Kursaal von San Sebastián, sondern in der Messehalle IFA in Alicante abgehalten wurde. Auf 18.000 Quadratmetern tummelten sich 70.000 statt der erwarteten 50.000 Besucher, mehr als 3.000 teilnehmende Köche aus aller Welt und über 300 Aussteller – das hat neue Maßstäbe gesetzt.
Und genau das war von dem Ausrichter des Kongresses, einem der wohl berühmtesten Gastrokritiker Spaniens, Rafael García Santos, angestrebt. Neuer Ort, neues Konzept – die Abhängigkeit der Gastronomie von den bestehenden Realitäten in Kultur, Gesellschaft und nicht zuletzt der Wirtschaft erfordert nach seiner Meinung ein Umdenken in den Luxusrestaurants und der avantgardistischen Küche, deren Markt sich immer mehr reduziere, sowohl aus der Sicht der Profis wie der Kunden. Laut Santos könnte sich diese Tendenz aufgrund der Konjunkturkrise noch zuspitzen, am Ende blieben vielleicht nur noch sehr wenige der gehobenen Etablissements übrig – für eine Elite.
Deshalb hat man sich dieses Jahr von der Zurschaustellung hochkomplizierter technischer Spektakel verabschiedet und für jeden etwas geboten. Als „Ciudad de la Gastronomía“ (Stadt der Gastronomie) wurden die über 200 Plätze in der Messe bezeichnet, die den Bürgern offen standen, um zu probieren, zu entdecken, zu trinken und zu essen, zu plaudern, zu diskutieren oder auch etwa zu kaufen. Zu leben wie ein Gourmet, aber zu ganz zivilen Preisen. Die besten Kartoffeltortillas, Fideuàs, Pizzen und Cocas, Designer-Pintxos, Reisgerichte waren auf langen Tischen, so genannten Tunneln,  zur Verkostung präsentiert.
Einen anderen Schwerpunkt bildeten die „Talleres“, genau übersetzt Werkstätten, gemeint ist aber wohl ein Workshop, die ein Vis-à-vis mit  Spitzenköchen wie Ferran Adrià, Pedro Subijana, Quique Dacosta, dem Dänen Rene Redzepi, Joan Roca oder Martín Berasategui, um nur ein paar zu nennen, ermöglichten. Dafür mussten die auf jeweils eine Zahl von 60 begrenzten Teilnehmer aber wenigstens 100 Euro hinlegen. Von wegen Workshop: Mitmachen konnte man nicht, nur den großen Meistern auf die Finger schauen – wenn man denn in der ersten Reihe war.
Ferran Adrià zeigte beispielsweise sein Rezept „Haifischflosse“, für das kein Tier getötet werden muss. Hergestellt aus Kürbis, den er konfitiert wie das hierzulande so beliebte Cabello de Ángel, Engelshaar, schlicht eine Art Kürbsimarmelade. Und stellte bei der Gelegenheit gleich seine Karte für die kommende Saison vor. „Karamellisierte Mango mit der Leber vom Seeteufel“ ist da unter anderem vorgesehen – ein Gericht aus der neuen Sparte Trash Cooking –, weiterhin „Linsen ohne Linsen mit Sesambutter“ oder etwa „Gepresster grüner Tee“, was immer darunter zu verstehen ist.

Der eigentliche Beginn der gastronomischen Tage in Alicante löste auf den Zufahrtsstraßen der Provinzhauptstadt ein absolutes Verkehrschaos aus. Sage und schreibe um die 30.000 Personen machten sich am Sonntag auf, um das kulinarische Event zu besuchen. Die vorgesehenen 3.000 Portionen Reis, die von 20 Restaurants zubereitet wurden, dürften da bei weitem nicht ausgereicht haben. Der Reis – so präsent in der valencianischen Küche – spielte in diesen Tagen bezeichnenderweise eine Hauptrolle, und so wurde das Korn denn auch in den Workshops umfassend behandelt. Heimischer Reis mit Schnecken und Kaninchen wurde zubereitet. Reis in der thailändischen Kultur behandelt und das Geheimnis eines Risotto gelüftet;  Ferran Adrià vom El Bulli in Roses kochte – ganz schlicht – einen Arroz a la cubana, Reis, Ei und Tomatensauce. Wie man sicher sein kann, auf seine ganz eigene Weise. Denn das ist ein Gericht, das normalerweise am Ende des Monats auf den Tisch kommt, wenn das Geld alle ist.

Was den jährlich stattfindenden Kongress besonders kennzeichnet, sind seine Wettbewerbe. Zum Beispiel der des Nativen Olivenöls Aceite de oliva virgen extra, bei dem die Profis teilnehmen. Gewonnen hat ihn dieses Mal Sergio Bastard, Küchenchef des „Sierra de Loquiz“ in Navarra mit seinem konfitierten Stockfisch Bacalao, dessen Öl zuvor mit allen Erzeugnissen des Olivenbaums aromatisiert wurde. Dafür bekam er eine Trophäe und attraktive 18.000 Euro. Jedermann konnte dagegen bei der Ermittlung der besten Knoblauchmayonnaise Alioli oder der Nudelpaella Fideuà mitmachen. Wie man hörte, mit guten Ergebnissen.
Der Internationale Wettbewerb um die beste Kartoffeltortilla ist seit Jahren eine Institution und die beliebteste Aktivität bei „Lo Mejor de la Gastronomía“. Drei Mal schon hat ihn Ciri González aus Palencia gewonnen. Heuer ist ihr das nicht gelungen, die Tortilla ist beim Wenden zerbrochen. „Ich koch’ doch zu Hause mit Gas“, stammelte sie unglücklich.
Itxaso Cisneros von der Bar „Izaro“ in Indautxu bei Bilbao, deren Tortilla der Jury am besten schmeckte, zeigte sich hingegen erfreut. Und überrascht. Wie sie versicherte, stecke überhaupt kein Geheimnis hinter ihrer Tortilla, die Kartoffeln seien vom Gemüsehändler. Aber gegen alle Regeln verwendete sie eine Zwiebel – und gewann trotzdem. Eine Trendwende bei der Zubereitung eines der beliebtesten Gerichte Spaniens, dessen Originalrezept auf gar keinen Fall eine Zwiebel erlaubt?
Dieses Jahr durften auch Nichtprofessionelle ihre Tortilla präsentieren. Hausfrauen aller Altersklassen eilten mit ihren Kreationen herbei. Nach ausgiebigem Verkosten ergab sich der Gewinner: der einzige männliche Teilnehmer, Antonio Javier Abellán Cano, ein Lehrer aus Petrer im Hinterland Alicantes. Er kann sich nur einen Grund für seinen Sieg vorstellen: Die Eier stammen von Hühnern, die sich freilaufend auf dem Campo seines Schwagers ernähren.

Bereits zum vierten Mal hintereinander wollten die Hersteller der weihnachtlichen Honig-Mandel-Spezialität Turrón aus Alicante und Jijona den Rekord im Guinness-Buch brechen. Eine 40 Meter lange Bahn Turrón de Jijona schaffte es auch dieses Mal und wurde anschließend an alle verteilt. Hergestellt aus 71 Prozent gerösteten Marcona-Mandeln, 18 Prozent Honig und elf Prozent Zucker, war er einfach köstlich.

„La Mejor de la Gastronomía“ vergab dieses Jahr drei internationale Preise, die die Arbeit der Chefs würdigen. Einer ging an Martín Berasategui für sein Bemühen, die moderne spanische Küche zu präsentieren und ein Botschafter der spanischen Gastronomie zu sein. Der Baske begann seine Laufbahn im Alter von 13 Jahren im Restaurant seiner Mutter und Tante – mit einer Knoblauchsuppe, wie er sie in einem seiner Workshops auch zubereitete. Sein Restaurant in Guipúzcoa besitzt zurzeit drei Michelinsterne.
Der französische Küchenchef Marc Veyrat, seit 1995 in der L’Auberge von L’Eridan, wurde für seine Verdienste um die französische Küche prämiert und ist einer der Köche, die lieber auf Michelinsterne für ihr Etablissement verzichten. Kürzlich hat er ein Labor der molekularen Küche in Prag eingerichtet, und 2010 wird er ein ökologisches Restaurant eröffnen.
Der Amerikaner Grant Achatz wiederum wurde von „La Mejor de la Gastronomía“ als bester Koch der Vereinigten Staaten bedacht. Der junge Küchenchef, Schüler von Ferran Adrià, realisiert in seinem Restaurant „Alinea“ in Chicago eine molekulare Küche, die mit ihrem Degustationsmenü von 30 Gängen die Kritiker begeistert.
Eigentlich wurde fast alles prämiert: das schönste Gericht des Jahres – von Dani García; der Koch des Jahres – Marcos und Pedro Morán vom Casa Gerardo (Prendas in Asturien); der beste Patissier war ebenfalls Dani García, und sein Restaurant Calima wurde mit dem bestgedeckten Tisch ausgezeichnet. Weiterhin bekamen Preise: der Unternehmer des Jahres, der Gourmet des Jahres, der Cocktail des Jahres, die besten Tapas, der beste Kellner und noch viel mehr.

Noch ist kein Wort über all die Stände gefallen. Aceite de Jaén, offizieller Sponsor der Wettbewerbe und Workshops, zum Beispiel hat mehr als 300 Liter Olivenöl ausgegeben. Während die Biermarke Cruzcampo im Schnitt pro Tag 15 Fässer angestochen hat, was in etwa 2.500 Cañas entsprach. Das italienische Label Lavazza hat in den vier Tagen über 7.500 Kaffees serviert; doch den größten Erfolg verbuchte sein „Sorbetto“, ein geeister Kaffeeschaum, von dem mehr als 500 Stück täglich gereicht wurden.
Sehr gut an kam zweifelsohne „Joselito“, die wohl beste Schinkenmarke Spaniens, die unter anderem „die Beckhams“ zu ihren Kunden zählt. 50 Paletas (Schultern), 18 Jamones Gran Reserva (Schinken), 25 Kilo Lomo (Lende), 60 Kilo Chorizo und 60 Kilo Salchichón (Würste) des Iberischen Schweins wurden an die Besucher verteilt.
Und der Schweizer Stand verteilte 500 Kilo Käse von fünf verschiedenen Sorten, im Ganzen etwa 30.000 Degustationsportionen.
1.600 Kilo eingetütete Trauben aus Vinalopó wurden verkauft; Uvas Doce, die die zwölf Trauben zu Silvester vertreiben, die man zu jedem Glockenschlag isst, bieten in diesem Jahr zu den Glückstrauben noch ein Stück essbares Gold an. Noch war kein Preis zu erfahren.
„Totel“, die Pastelería von Paco Torreblanca, einem der berühmtesten Konditoren Spaniens, war jeden Tag ausverkauft. 400 Panettone von 500 Gramm gingen täglich über den Ladentisch. Zu 15 Euro – angeblich soll sich der Kauf rentiert haben.
Mallorca a la carta, eine Vereinigung, die die delikatesten Produkte der Insel vertreibt, wurde in nur ein paar Stunden 50 Kilo der leckeren Hefeschnecken Ensaimadas los, die eigentlich für zwei Tage reichen sollten, weshalb man schleunigst per Express nachbestellte. An diesem Stand wurden übrigens an allen Tagen von mallorquinischen Köchen ausgedachte kleine Köstlichkeiten serviert wie die Sobrasada-Lutscher oder etwa der Ensaimada-Batido, ein Mixgetränk.
Chocolate Valor aus Villajoyosa hat jeden Tag 700 Tassen heiße und 250 Tassen kalte Schokolade, 300 Gläser Granizado (Eisgetränk) und 4.000 fettgebackene Churros zubereitet.

 

Ganz klar, dass der Wein ebenso reichlich vertreten war, im Besonderen durch die D.O. Vinos de Alicante – wobei speziell Salvador Poveda ein großes Verdienst um den berühmten Fondillón zugesprochen wurde, der mit der für die Region Alicante typischen Monastrelltraube gemacht wird. Bodegas Gandía aus Valencia präsentierten ihre neue Linie des Miracle wie auch von Künstlern originell gestaltete Barriques. Italienischer Wein aus dem Piemont wetteiferte mit Wein aus La Mancha… An dieser Stelle müssen noch die traditionellen Bodegas Muga aus Rioja erwähnt werden. Ganz zu schweigen davon, dass ihre Weine hervorragend sind, konnte man an deren Stand auch sehen, wie von Grund auf ein Eichenfass entsteht.
Die meisten Bodegas waren knickrig im Ausgeben, wie auch die Stände mit Essbarem. Nur Bier und  Coca-Cola von den Sponsoren des Kongresses floss reichlich. Auch Pellegrini zählte angeblich zu den Sponsoren – doch Wasser war weit und breit nicht zu finden. Ich war sicher nicht die Einzige, die hungrig und durstig nach Hause ging.
„Lo Mejor de la Gastronomía“ war also ein voller – kommerzieller – Erfolg und soll nächstes Jahr wiederholt werden – wenn auch Rafael García Santos auf die Frage, ob er denn damit zufrieden war, das mit „un poquitín“ (ein bisschen) abtat. Aber das kennt man ja von ihm und ist auf gar keinen Fall ernst zu nehmen.

Die Sieger-Tortilla
Zutaten: 3 Kartoffeln, 1 Zwiebel (Itxaso Cisneros rechnet in der Regel eine Zwiebel auf ein Kilo Kartoffeln), 6 Eier, Salz
Kartoffeln schälen und in Scheiben schneiden. Mit der gehackten Zwiebel in eine Pfanne geben und braten. Itxaso Cisneros spielt dabei mit dem Feuer: zuerst mit kräftiger Hitze, dann schaltet sie herunter und erhöht zum Schluss die Hitze noch einmal, damit alles gut brät. Auf diese Weise zerfällt ein Großteil der Kartoffeln, und die Zwiebel verliert ihre Konsistenz, aber letztendlich nicht ihren Geschmack. Nun werden die gut zerschlagenen Eier zugefügt, dann lässt man das Ganze stocken. Die Tortilla sollte innen noch feucht sein.
Das Besondere dabei: Puristen würden sich bei dem Rezept an den Kopf fassen, denn ihrer Meinung nach hat eine Zwiebel in der Kartoffeltortilla rein gar nichts zu suchen. Doch die Mehrheit der Jury – darunter Sterneköche wie Martín Berasategui und Pedro Subijana sowie der junge Josean Martín Alija vom Guggenheim in Bilbao – entschieden, dass die Tortilla mit Zwiebeln saftiger gerät.
Ein großartiges Ergebnis für die beste Tortilla Spaniens, was ja eigentlich bedeutet: die beste der Welt. Und sie darf in Zukunft mit Zwiebeln gemacht sein!

Bon profit!

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