vonlottmann 28.08.2009

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Deutschland ist gut vertreten in Indien. Als einziges Land der Welt unterhält es in der aufstrebenden Internet-Metropole Bangalore ein Generalkonsulat, nicht zuletzt Dank dem Engagement und der zupackenden Art unseres ehemaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit und zahlreicher Medienvertreter weihte er das Gebäude Ende letzten Jahres ein und übergab es seiner schönen Bestimmung. Seitdem spielt unser Land wieder mit im Konzert der Großen um die Zukunft.
Friedrich Rahn, stellvertretender Leiter des Generalkonsuls der Bundesrepublik Deutschland in Bangalore, ist ein Mann voller Tatkraft und Schnelligkeit, aber auch von erstaunlichem Realitätssinn. Er ist sofort bereit, uns zu treffen, und schon wenige Stunden nach dem ersten Mail-Kontakt braust seine schwere Dienstlimousine heran, ein sündhaft teurer BMW-Jeep mit wehender Deutschland-Fahne auf dem Kotflügel. Der Fahrer springt vom Sitz, rennt ums Auto, reißt den Wagenschlag auf. Der hohe Diplomat läuft uns entgegen, sympathisch von der ersten Sekunde an. Das Jackett hat er einfach im Wagen gelassen, die Ärmel sind hochgekrempelt. Fast wirkt er selbst wie damals Steinmeier, als der noch glaubte, er sei Kanzlerkandidat der SPD. Auch die kleine deutsche Gemeinde schwärmt von Rahn; man ist froh, so einen vor Ort zu haben. Kein konservativer Diplomat, kein Rechter, sondern offen, vom Milieu her eher sozialdemokratisch, wenn man das so sagen darf. Der eigentliche Generalkonsul ist leider noch nicht da. Er wird wohl noch in Deutschland auf seinen Job schonend vorbereitet.
Man muß sich in einem Hotel treffen, denn auch das Konsulat selbst ist noch nicht da, so wenig wie der Konsul. Das Gebäude gibt es noch gar nicht. Man kann noch nicht einmal irgendwelche Mauern oder Ruinen oder Baupläne sehen. Es ist eigentlich eher so eine Idee, die Sache mit dem Generalkonsulat. Der Stellvertreter sagt es selbst: „Das Generalkonsulat bin eigentlich nur ich.“ Da ist wieder sein sympathisches Understatement im Spiel, denn ein bißchen mehr gibt es schon. Eine provisorische Wohnung zum Beispiel, in der er und seine Frau ‚leben‘. Man kann das allerdings kaum Leben nennen, denn direkt vor ihren Fenstern veranstalten Bauarbeiter an sechseinhalb Tagen und Nächten in der Woche einen infernalischen, absurden, krankmachenden Lärm. Diese Wohnung ist nun praktisch auch das Konsulat, freilich ohne Öffnungszeiten oder Besucherverkehr. Als Steinmeier im Blitzlichtgewitter das Konsulat eröffnete, tat er es in einem Hotel und sozusagen nur symbolisch, vor einer Deutschlandfahne, die man flugs auf einen Frühstückstisch gepflanzt hatte. Warum auch nicht? Politik ist auch Symbolpolitik, die Bilder gingen um die Welt, die Wirtschaft bekam Auftrieb. Gut so! Sein Nachfolger Guido Westerwelle wird es nicht anders machen, hoffentlich. Die Taten folgen den Ideen, wußte schon Sophokles.
In Indien, findet der stellvertretende Konsul, sei dieser Prozess problematischer als in China. Indien ist eine Demokratie, ein Rechtsstaat. Gerichtsentscheidungen müssen abgewartet werden, alles dauert entsprechend länger als in einer Diktatur. Er sagt es nicht, aber ich denke es: genau deswegen könnte Indien eines Tages alle überholen. Die Milliarden Mikroprozesse können von keiner Dikatur dynamisch gesteuert werden, wohl aber einmal vom Internet. Man ahnt die Dynamik, die schon bald möglich sein wird. Wir fragen danach, fragen Friedrich Rahn nach seiner Arbeit hier. Was tut er, wie verbringt er den Tag, wie sieht sein Zeitplan aus, welche Termine muß er in den nächsten 24 Stunden bewältigen?
Er schluckt trocken. Er weiß, es ist der Moment der Wahrheit. Verlegen sieht er sich um, beugt sich vor, flüstert die folgenden Sätze. Und überrascht uns mit einem vollgestopften, perfekten, sehr ordentlichen, vor allem sehr deutschen Terminplan. Erstaunlich wenig Kultur ist dabei, eigentlich gar kein Indien, sondern: Mittelstandsförderung pur. Mit seinem Dienstwagen durchpflügt er die Stadt von vorn bis hinten, kreuz und quer, und immer geht es um irgendwelche schwäbischen Betriebe, die sich hier niederlassen, mit Tausenden von Beschäftigten. Man spitzt die Ohren. Tausende? Zusammen mit den Großen wie Bosch, Siemens, SAP und so weiter sind es sogar Zehntausende. Natürlich alles Inder. Da ist die Lohnsumme so niedrig, als wären es nur Hunderte.
Rahn war vorher in Afrika stationiert, und er findet den Unterschied gar nicht einmal so gravierend. Eher vernachlässigbar. Das ist eine erstaunliche Aussage, bedenkt man, um wie viele Tausend Jahre Indien den Afrikanern kulturgeschichtlich voraus ist. Übrigens auch den Europäern, jedenfalls denen, die kulturell vom Unterschichtsfernsehen geprägt sind.
Er muß weiter, der nächste deutsche Mittelständler wartet. Eine volle Stunde hat er sich für uns Zeit genommen und über seine Arbeit erzählt, über Empfänge von Lufthansa, neue Produktionslinien von Volkswagen, Mercedes, Audi, die Wirtschaftskrise, die Aussichten, die Bundestagswahl, die Krankenversicherung, bis wir völlig vergessen haben, wo wir sind. Nicht in Bochum oder Gütersloh, sondern, Überraschung!, am südlichen Zipfel des indischen Subkontinents. Beruhigt stelle ich fest: am deutsche Wesen kommt niemand vorbei, schon gar nicht die Globalisierung. Wir verabreden uns gleich für das nächste Zusammentreffen der hiesigen germanischen Gemeinde. Friedrich Rahn will vorher noch eine schriftliche Einladung besorgen. Ohne die geht es natürlich nicht.

Sollte man hier nicht ein deutsches Generalkonsulat errichten? Der Platz ist da, ein paar Steine liegen auch schon herum.

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