von 29.11.2010

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog
Schwer bewacht: US-Botschaft in Berlin || Foto: reuters

„The end of diplomacy as we know it“ soll die neueste Veröffentlichung von Wikileaks-Dokumenten sein. Das kann man doch sehr anzweifeln. Politiker und Journalisten geißeln die Veröffentlichung als „verantwortungslos“. Dabei ist es doch keine Neuigkeit, dass Guido Westerwelle kein sonderlich souveräner Politiker ist. Der CSUler Horst Seehofer „begrenzt“ und Angela Merkel „selten kreativ“. All dies war schon in deutschen Zeitungen zu lesen und es ist wohltuend zu erfahren, dass man dies in den Vereinigten Staaten auch so sieht.

Der große Knaller, den Wikileaks-Sprecher Julian Assange im Vorfeld vollmundig ankündigte, ist die neueste Veröffentlichung nicht. Eher doch Eigen-PR mit einem, mit Verlaub, äußerst boulevardesken Touch. Über die Dokumente zur deutschen Politik kann man eher lachen, als dass sie schocken. Die Beurteilungen über ausländische Politiker sind zum Teil gravierender, gleichwohl sind die neuen Dokumente im Vergleich zu dem, was Wikileaks in der Vergangenheit veröffentlichte, uninteressant. Und Quantität als Wert macht’s dann auch nicht so.

Kein Vergleich zu den Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak, die durch Wikileaks aufgedeckt wurden. Hier muss sich die US-Regierung fragen lassen, warum die Dokumente nicht schon innerhalb der US-Institutionen aufgefallen sind und diesen Verbrechen nicht vorher nachgegangen wurde. Man sieht: Eine Aufarbeitung innerhalb der Institutionen findet nicht statt, Verbrechen werden vertuscht, Kriegs-Realitäten geleugnet. Insofern ist die Veröffentlichung richtig, auch wenn es sich hierbei um Geheimnisverrat handelt. Es braucht weiterhin mutige Informanten, die dies tun – und zwar so, dass sie ihre eigene Sicherheit möglichst wenig gefährden. Anonym etwas durchstechen zu können, ist weiterhin notwendig, da es offensichtlich keine internen Aufarbeitungsmechanismen innerhalb der Geheimdienst- und Kriegs-Institutionen gibt.

Das Prinzip von Wikileaks hat Zukunft, jedoch nicht das Wikileaks, wie wir es heute kennen. Die neueste Veröffentlichung ist nichts als Gossip, ganz normale Lästerei. Die Vermutung liegt nahe, dass Wikileaks-Macher Julian Assange und seine paar verbliebenen Weggefährten ihr Material verschießen, um noch etwas Aufmerksamkeit zu erzielen, bevor das Projekt ganz den Bach heruntergeht. Es wird andere, neue, viele Wikileaks-Nachfolger-Projekte geben. Die neueste Veröffentlichung ist nicht das Ende der Diplomatie, sondern der Anfang vom Ende von Wikileaks. Und der Anfang von einer neuen, transparenteren, ehrlicheren Demokratie.

Kommentar von JULIA SEELIGER zu den veröffentlichten Dokumenten des US-Außenministeriums auf der Wikileaks-Plattform.

Weitere Texte zu den Wikileaks-Veröffentlichungen auf taz.de:

Einer kann noch lachen

USA finden Merkel „wenig kreativ“

Blick unter die Bettdecke (Kommentar von Klaus Hillenbrand)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/das_ist_nicht_das_ende_der_diplomatie_sondern_das_ende_von_wikileaks/

aktuell auf taz.de

kommentare