Ist Kongos Armee FARDC, um deren Stärkung sich seit Jahren die internationale Gemeinschaft als Symbol des Wiederaufbaus eines kongolesischen Staatswesens bemüht, nichts als eine Fiktion? Augenzeugenberichte über das, was am vergangenen Wochenende im ostkongolesischen Goma geschah, lassen daran starke Zweifel aufkommen.
Ein führender Oberst der ehemaligen Rebellenarmee CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes), die seit der Inhaftierung ihres Führers Laurent Nkunda in die Armee eingegliedert ist, war aus seinem Stationierungsort Walikale in die Provinzhauptstadt Goma gebracht und dort von der Militärgerichtsbarkeit inhaftiert worden. Man warf ihm vor, nicht verhindert zu haben, dass ruandische Hutu-Kämpfer der Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) einige Wochen vorher auf Walikales Urwaldflugpiste Kilambo einen zum Mineralientransport genutzten Kleinflieger plündern und die Besatzung, darunter einen indischen Piloten, als Geisel nehmen konnten.
Kaum war die Verhaftung von Oberst Yussuf Mboneza bekannt, schwärmten frühere CNDP-Soldaten, jetzt Teil der Armee, in Goma aus. Mit Panzerfahrzeugen und Artillerie riegelten sie das Stadtzentrum in der Nacht zum Samstag komplett ab. Dann gingen sie ins Militärgefängnis und holten „ihren“ Oberst heraus. Gerüchten zufolge musste sich der Provinzgouverneur von Nord-Kivu in der fraglichen Nacht aus Angst in die Obhut der UN-Mission begeben.
Es ist knapp zwei Jahre her, am 29. Oktober 2008, da war die CNDP-Rebellion unter Tutsi-General Laurent Nkunda faktisch in Nord-Kivu obenauf. Sie belagerte Goma, sie stand kurz vor dem Einmarsch, die Regierungstruppen waren schon panisch aus der Stadt geflohen, international herrschte große Angst davor, dass bei einem Einmarsch Nkundas in Goma ganz Kongo explodiert. Nkunda hielt sich auf dringendes Anraten Ruandas zurück, die UNO vermittelte Friedensgespräche. Später, nach seiner Verhaftung durch ruandische Truppen im Ostkongo am 22. Januar 2009, muß es Nkunda bitter bereut haben, daß er den letzten, entscheidenden Schritt zum Sieg damals nicht unternahm, sondern sich düpieren ließ. Er sitzt nun in Ruanda unter Hausarrest und Bewachung, seine Truppen wurden Teil der chaotischen kongolesischen Armee und sind inzwischen Speerspitze der Armeefeldzüge gegen die FDLR und andere Milizen im Ostkongo.
Schon seit Monaten werfen Kritiker den ehemaligen CNDP-Soldaten vor, sie würden unter dem Deckmantel der Eingliederung in die Armee FARDC schwere Menschenrechtsverletzungen begehen und Zugriff auf den Mineralienschmuggel bekommen. Die Kritik ist relativ unsinnig, denn schwere Menschenrechtsverletzungen und Mineralienschmuggel betreibt die Armee sowieso, egal aus welcher früheren Miliz ihre Soldaten kommen, und wer möchte, dass die CNDP-Rebellen ihren Krieg gegen Kongos Staat beenden, kann dann nicht dagegen sein, daß sie Teil der Armee werden – und dann auch noch verlangen, daß ihre Präsenz die Armee zivilisiert. Aber nun haben CNDP-Militäreinheiten, unter Kommando eines ihrer früheren Kriegsführer, erstmals wieder ihre eigenständige militärische Stärke ganz klar unter Beweis gestellt und eine Nacht lang doch noch Goma unter ihre Kontrolle gebracht – natürlich nicht als CNDP, und nicht als Kriegsakt, sondern als geräuschlose Klärung eines armeeinternen Machtkampfs.
Der Vorfall zeigt, daß nichts ist wie es scheint hinter den Kulissen des Kongo. Es genügt ein Funken, und die Firnis staatlicher Autorität im Osten wird abgeschüttelt wie ein lästiges Tuch. Die Ostkongolesen wissen das, und deswegen vertrauen sie dem ganzen internationalen Gerede über Frieden und Demokratie in ihrem Land nicht.
Die Machtfrage ist noch nicht geklärt. Und die Lage der Menschen ist unverändert katastrophal. Die Zahl der Kriegsvertriebenen im Kongo nähert sich gerade wieder der Zwei-Millionen-Marke, nicht zuletzt wegen neuer Feldzüge gegen Milizen in Nord-Kivu.
Ob Nkunda in seinem Arrest in Kigali die Nacht zum 14. August 2010 gefeiert hat, ist nicht bekannt. Man würde es ihm gönnen.