1. Evoluzzer-Prosa
„Biologie ist der Versuch, transversale Beziehungen zu anderen Arten aufzunehmen.“ (Luis Bec)
Goethe soll einmal gesagt haben: „Wer eine Million Jahre nicht überblickt, für den ist es, als hätte er nicht gelebt.“ Nun habe ich Richard Dawkins „Geschichten vom Ursprung des Lebens“ durch – und dabei rund 3,5 Milliarden Jahre überblickt. Das hatte einige erhebende Momente! Der Oxforder „Ultradarwinist“ orientiert seine Entwicklungsgeschichte an Geoffrey Chaucers „Canterbury Tales“, eine volkssprachliche Erzählung aus dem 14. Jahrhundert. Es geht darin um eine buntgemischte Gesellschaft, die eine Pilgerreise unternimmt. Die Pilger bei Dawkins, das sind wir – von den letzten Menschen bis zu den ersten Bakterien. Und seine Reise führt uns vom Jetzt bis sozusagen zum Urschleim. „Bewegen wir uns rückwärts, können wir anfangen, wo wir wollen, immer feiern wir am Ende die Einheit alles Lebendigen. Bewegen wir uns vorwärts, freuen wir uns über die Vielfalt.“ Die Bewegung zurück, für den sich der Evolutionsforscher entschieden hat, soll ihn davor bewahren, „eine Handlung zu stricken, die auch nur im Geringsten auf einen Höhepunkt namens Mensch abzielt.“ Das ist sympathisch, wie ebenso die Tatsache, dass er ein großer Naturfreund ist.
Dawkins‘ Pilgerreise zum Ursprung des Lebens hat 40 Stationen – historische „Treffpunkte“, an denen „wir einen bestimmten gemeinsamen Vorfahren finden, einen Mitfahren“. Seine Methode, um sie zu treffen, besteht 1. aus der Archäologie, den Fossilienfunden, 2. aus Analysen der DNA, die für Dawkins schriftlichen Berichten ähnelt, und 3. aus der Triangulation, mit der man einen Vorfahren ermittelt, indem man „zwei (oder mehr) seiner überlebenden Nachkommen“ vergleicht. Und dann natürlich aus der Anwendung seiner „Vernunft“. Dazu findet sich gleich bei der ersten „Begegnung 0“, bei der es um „die ganze Menschheit“ geht, ein Beispiel: Nehmen wir die Zeit vor 100 Millionen Jahre, „als unsere Vorfahren wie Spitzmäuse oder Opossums aussahen“ – und taufen wir eines dieser kleinen Säugetiere auf den Namen Henry: „Wenn Henry mein Vorfahre ist, muß er auch Ihrer sein. Wenn er nicht meiner ist, ist er auch nicht Ihrer.“ Aber irgendwann in der Vergangenheit „muß es einen Zeitpunkt gegeben haben, zu dem zwei Tiere derselben Spezies angehörten,“ wobei jedoch das eine zum Vorfahren aller Menschen wurde und das andere zum Vorfahren aller heute lebenden Spitzmäuse bzw. Opossums.
Von dieser Art sind die Geschichten, die Dawkins erzählt. Mitunter stellt er dabei mehrere Hypothesen vor – z.B. „über die Evolution des aufrechten Gangs“. Dabei hat er sich leider nicht für die von Elaine Morgan entschieden, für die es die Frauen waren, die nach Verlassen der Bäume erstmals Schutz vor ihren Feinden im Wasser suchten. Dort lernten sie den aufrechten Gang, die Schmackhaftigkeit der Meerestiere, bekamen eine glatte, unbehaarte Haut, veränderten sogar ihre weibliche Anatomie und wurden intelligent und verspielt (so wie im übrigen alle Säugetiere, die wieder ins Wasser zurückgingen: Delphine, Wale und Otter beispielsweise). Dawkins favorisiert dagegen die „squat feeding“-Theorie von Jonathan Kingdon: Danach entwickelten unsere Vorfahren ähnlich wie die Paviane im offenen Gelände das Fressen in Hockstellung – vielleicht weil es auf dem Boden ein größeres Nahrungsangebot als auf den Bäumen gab. „Die Füße, die zuvor wie Hände geformt waren und sich für das Greifen von Ästen eigneten, wurden flacher und bildeten eine stabile Plattform, so dass sie in die Hocke gehen konnten.“ Dawkins übersetzt das in „darwinistische Begriffe“: „Individuen, deren Gene dafür sorgten, dass sich die Füße besser zum Hocken eigneten, überlebten und konnten diese Gene weitergeben, weil sie im Hocken besser fressen konnten, was ihrem Überleben diente.“
Sein materialistischer Reduktionismus ist manchmal schwer erträglich: „…wir wissen jetzt, dass Individuen nur als Vehikel für das Überleben der Gene von Bedeutung sind,“ heißt es z.B. an einer Stelle. Das Gen als „Zielpunkt der natürlichen Selektion“ ist ihm sogar ein Gedicht wert: „Ein wanderndes egoistisches Gen/Sagte: ‚Körper hab ich schon viele gesehn./Ihr denkt, ihr seid schlau,/Doch ich weiß ganz genau:/Ich lebe ewig, und ihr müsst vergehn‘.“ Als geharnischter Darwinist geht Dawkins davon aus, dass alle Lebewesen sich „ständig darum bemühen, ihre ‚Fitness‘ zu maximieren“ – und das heißt für ihn, die „Gesamtzahl der Nachkommen“ zu erhöhen. Dagegen ließe sich einwenden, dass mindestens für viele Menschenfrauen, aber auch für Schimpansenweibchen (wie man inzwischen weiß), die Fitnessmaximierung gerade darin besteht, dass sie ihre Geburten reduzieren, indem sie z.B. empfängnisverhütende Mittel suchen und finden. Dawkins würde vielleicht sagen, dass das aber nicht im „Interesse“ ihrer Gene ist. Mit seiner Genetikversessenheit beschneidet er sich auf alle Fälle immer wieder die Möglichkeit, Geschichten (wie die von Chaucer) zu erzählen, dem es gerade auf die Individuen ankam.
Die Dominanz der Genetik in der Biologie begann mit der Entwicklung der Kybernetik, die aus der Lenkwaffenforschung des Zweiten Weltkriegs entstand, ausgehend von dem 1943 veröffentlichten Buch „What is Life“ des Physikers Erwin Schrödinger. Im Endeffekt entwickelte sich daraus die inzwischen nahezu weltweit durchgesetzte und empirisch fruchtbar gewordene Überzeugung, dass die Gesetze komplexer Systeme unabhängig von dem Stoff, aus dem sie gemacht sind – also auf Tiere, Computer und Volkswirtschaften – gleichermaßen anwendbar sind. Wobei man inzwischen in den Labors nicht mehr das Leben untersucht, wie der Genetiker und Nobelpreisträger Francois Jacob meint: „Heute interessiert die Biologie sich für die Algorithmen der lebenden Welt.“ Auch Dawkins bremst seine Erzählungen gerne mit Algorithmen aus und erklärt biologische Vorgänge oft mit Computermechanismen. Andernorts fallen ihm die Geschichten durch sein darwinistisches Begriffsraster. So beim Treffpunkt 8, wo er eine „Begegnung“ u.a. mit Lemuren verspricht. Als Student hörte er einmal eine Vorlesung über diese auf Madagaskar lebenden Halbaffen, darunter das Fingertier „Daubentonia“, aber davon ist ihm „nicht viel in Erinnerung geblieben“. Deswegen begnügt er sich an dieser Stelle mit der Bemerkung: „…wir können sicher sein, dass es für die Länge seiner Finger einen guten Grund gibt: Ein Fingertier mit kürzeren Fingern würde von der natürlichen Selektion bestraft, selbst wenn wir nicht wissen, warum.“ Denn: „Die Theorie der natürlichen Selektion ist so stichhaltig, dass sie heute, wo sich die Wissenschaft nicht mehr von ihrem Wahrheitsgehalt überzeugen muß, solche Voraussagen ermöglicht.“ Da wird die Evolution eher beschworen als erzählt.
Richard Dawkins (unter Mitarbeit von Yan Wong): „Geschichten vom Ursprung des Lebens,“ aus dem Englischen von Sebastian Vogel, Berlin 2008, 928 Seiten, 29 Euro 90
2. Religions-Polemik
„Alles ausprobieren und nichts auslassen – keine Kirche und keine Kneipe.“ (Bohumil Hrabal)
Seit dem Zerfall des Kommunismus haben sich die Menschen erneut und das nahezu weltweit um die Kommunion gescharrt – d.h. sie sind in religiöse Gemeinschaften zurückgekehrt (vielleicht nur, um wieder neu in Schwung zu kommen). Dem Wiedererstarken vor allem der monotheistischen Religionen traten in den letzten Jahren gleich mehrere Religionskritiken entgegen. Für Aufregung sorgte vor allem die Polemik „Der Gotteswahn“ vom Goebbels der Darwinisten: Richard Dawkins. Sein ärmlicher Rationalismus beißt sich am Gottesbeweis fest und bringt dabei die Wahrscheinlichkeit ins Spiel. Dieses ebenso alberne wie alte Verfahren hätte niemanden interessiert, wenn der Autor es nicht mit wüsten Tiraden gegen die Bibel und die ganze gläubige Welt garniert und mit seiner eigenen noch viel dümmeren Weltsicht konterkariert hätte: „Wir wissen jetzt, dass Individuen nur als Vehikel für das Überleben der Gene von Bedeutung sind,“ so lautet sein zentraler Glaubenssatz.
Für seine Religionskritik bringt er darüberhinaus ein speziell dafür ausgedachtes kulturelles Pendant zum Gen – das „Mem“ – in Anschlag. Dieses wird durch Erziehung im Individuum gleichsam eingepflanzt. Dawkins spricht von einem „Gottesvirus“, den er im Gehirn der Gläubigen lokalisiert. Er kann sich dabei halbwegs auf Darwin berufen, dem zufolge die Verbesserung des Menschen auch nicht nur durch zufällige Mutationen und Selektionsmechanismen geschieht, sondern ebenso durch Erziehung und Religion. Letzteres hält Dawkins natürlich für eine Verschlechterung. Dabei ist er bereits als „Ultradarwinist“, wie er sich nennt, näher an der „Wahrheit“ der Religion als ihm lieb sein dürfte: Just im selben Jahr da Darwins Expeditionsschiff, die „Beagle“ vom Stapel lief, 1820, fand in England der Versuch statt, die menschlichen Lebensgrundlagen völlig dem selbstregulierenden Markt unterzuordnen, mit der definitiven Liberalisierung der Arbeits-, Boden- und Geldmärkte. Die Zerstörung der Allmende (Common) und die Atomisierung aller Dorfgemeinschaften kam etwa um 1860 zum Abschluß. Theoretisch gerechtfertig wurde diese „schöpferische Zerstörung“ von den drei großen englischen Liberalen Jeremy Bentham, Herbert Spencer und Thomas Malthus.
Sie lieferten Charles Darwin die tragenden Begriffe für seine Evolutionstheorie, die 1859 veröffentlicht wurde: Er übernahm von Jeremy Bentham den Utilitarismus, den dieser begründet hatte: das Prinzip der Nützlichkeit. Daneben entwickelte Bentham panoptische Gefängnisse und Arbeitshäuser. Nach ihm dienten alle Lebensäußerungen eines Individuums der Nutzenmaximierung. Vom Philosophen Herbert Spencer übernahm Darwin die Vorstellung vom Überleben des Tüchtigsten („Survival of the fittest“). Spencer kreierte einen Sozialevolutionismus, indem er naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf die Gesellschaft übertrug. Von Thomas Malthus übernahm Darwin den Populationsbegriff und die Idee der Konkurrenz als treibende Kraft der Evolution. Der Nationalökonom Malthus hatte berechnet, dass die Bevölkerungszahl exponentiell steige, die Nahrungsmittelproduktion in derselben Zeit aber nur linear. Die erheblichen sozialen Probleme seiner Zeit betrachtete Malthus in erster Linie als Folgen einer zu großen Bevölkerung. Er empfahl, die Armenhilfe einzuschränken, sie sei wider den ‚Naturgesetzen‘ der Ökonomie. Denn direkte Hilfe würde seiner Meinung nach die Armen nur ermutigen, noch mehr Nachkommen zu zeugen – und so neue Armut schaffen. „Damit leitete er einen Wandel in der britischen Armenpolitik ein: weg von Almosen, hin zu Zuchthäusern“ – so das „manager-magazin“.
Nach Erscheinen des Buches über „Die Entstehung der Arten“ schrieb Karl Marx: „Es ist merkwürdig, wie Darwin unter Bestien und Pflanzen seine englische Gesellschaft mit ihrer Teilung der Arbeit, Konkurrenz, Aufschluß neuer Märkte, ,Erfindungen‘ und Malthusschen ,Kampf ums Dasein‘ wiederkennt. Es ist Hobbes ,bellum omnium contra omnes‘, wo die bürgerliche Gesellschaft als ,geistiges Tierreich‘, während bei Darwin das Tierreich als bürgerliche Gesellschaft figuriert.“ Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte diese asoziale englische Weltanschauung mit Margret Thatchers berühmten Ausspruch: „Ich kenne keine Gesellschaft, nur Individuen.“ Gleichzeitig erlebte die angloamerikanische Biologie mit Dawkins geschäftstüchtigem Gen-Reduktionismus und seinen einfältigen Computer-Lebewesen-Vergleichen ihren abscheulichen Tiefpunkt. In seinem neuesten Buch „Geschichten vom Ursprung des Lebens“ hat er ihn noch einmal auf 900 Seiten ausgewalzt, wobei er keine Gelegenheit ausließ, über die „bis zum Erbrechen faselnden Kreationisten“ herzuziehen. Dass diese sich längst in „Prokreationisten“ und „Eukreationisten“ unterscheiden, ist ihm dabei entgangen (diese gehen von einem göttlichen, jene von einem teuflischen „Plan“ aus). Die Religion ist allerdings bei beiden auf den Hund gekommen.
Ursprünglich war sie Ausdruck und Kitt von Gemeinschaften, in der Leben und Arbeiten noch nicht getrennt waren. Noch bis ins Mittelalter kannte man vor allem diese Orientierung – das heißt auf den Orient, gemeint war Jerusalem, also der Ort, wo sich das Paradies befand (ex oriente lux). Ernst Bloch konnte deswegen in den Zwanzigerjahren noch sagen: „Ubi Lenin ibi Jerusalem“. Damit war nun aber Moskau gemeint, wo das „Paradies der Werktätigen“ (u.a. mittels Elektrifizierung) entstehen sollte.
Ich habe vorweggegriffen. Schon in Friedrich Schleiermachers „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“, 1799 anonym veröffentlicht, war die Religion lebendiger „Ausdruck“ des Menschen, ein „heiliger Instinkt“ (keine Lehre und keine Institution „moralischen Handelns“ – wie bei Kant, gegen den sich die Schrift ebenso richtete wie gegen die protestantische Orthodoxie).
Der Romantiker Schleiermacher kam aus einem Pfarrhaus, das von der Herrnhuter Brüdergemeine geprägt war. Diese stammten von den böhmischen Brüdern ab, die immer wieder vertrieben wurden und ihrerseits aus der Hussitenbewegung kamen, die als Reaktion auf die Verbrennung des Theologen Jan Hus auf dem Konzil zu Konstanz 1415 entstand. Drei Kreuzzugsheere, die gegen sie aufgeboten wurden, schlugen die Hussiten zusammen, wobei sie erstmalig Bauernwagen und Pistolen einsetzten. In ihrer Hochburg Tabor setzten sie Kommunismus und Kommunion wieder ineins. Dies war der eigentliche Beginn der Bauernkriege und der Reformation – wie Luther selbst 100 Jahre später einräumte.
„Was gibt es überhaupt in der Geschichte, was nicht Ruf nach oder Angst vor dem Kommunismus wäre?“ fragte sich Michel Foucault. Schleiermacher, der sich als „ein Herrnhuter höherer Ordnung“ bezeichnete, mußte sich vorwerfen lassen, seine dialektischen Ausführungen über die Religion ähnelten der „trostlosen“ Theorie von Spinoza. In der Tat neigte er wie auch die anderen Romantiker – bis hin zu Goethe – zu einem spinozistischen Pantheismus. Für den aus der jüdischen Gemeinde in Amsterdam ausgestoßenen Baruch Spinoza, einer der radikalsten Philosophen der frühen Neuzeit, war die ganze Natur beseelt: „Gott ist in jeder Tomate!“ (*) Und demzufolge besitzt alles Lebende die Fähigkeit zu affizieren und affiziert zu werden. In dieser Sicht steht ein Ackergaul einem Ochsen näher als einem Rennpferd, „weil es mit ihm eher gemeinsame Affekte hat,“ wie Gilles Deleuze schreibt, der sich als Spinozist begriff. Und wenn viele Linke noch immer davon ausgehen, dass z.B. ein deutscher Arbeiter einem russischen Arbeiter näher steht als einem sagen wir deutschen Beamten, dann sind sie ebenfalls „Spinozisten“, aber gleichzeitig glauben sie auch an eine allumfassende Arbeiterkommunion.
Marx war ebenfalls Spinozist. In seiner sechsten Feuerbachthese heißt es: „Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.“ Ein noch reinerer Spinozist war der belgische Insektenforscher und Literaturnobelpreisträger Maurice Maeterlinck. Er meinte: „Ich brauche keinen Beweis für Gott, ich sehe ihn täglich, wenn ich meine Insekten beobachte.“ Und was sagt der Oxford-Biologe Richard Dawkins – diese arme Sau? „Mein größtes Anliegen ist die Wahrheit. Ich will wissen, ob es Gott gibt oder nicht. Diese Frage will ich mit meinen Lesern erörtern. Ich bin Agnostiker. Überlicherweise sind das Leute, die eine 50:50-Wette über die Existenz Gottes eingehen. Das finde ich zu wenig. Ein Wissenschaftler sollte sich nie 100prozentig sicher sein. Aber es geht um mehr als 50:50.“ Ist solch ein blödsinniges Gestammel nicht die völlige Bankrotterklärung des Geistes? In seinem neuen Buch über den „Ursprung des Lebens“ finden sich übrigens gleich mehrere solcher Wetten. Aber wenn jetzt in den USA die Arbeiter zusammenkommen, um dafür zu beten, dass z.B. General Motors nicht pleite geht, dann ist das natürlich nicht minder bescheuert, wie überhaupt alle Kirchengemeinden heute – als Single-Issue-Movement „Gott“ – das Pferd gewissermaßen von hinten aufzäumen. „Religion ist der Sinn und Geschmack fürs Unendliche,“ schrieb Schleiermacher. Dieser muß aber als praktische menschlich-sinnliche Tätigkeit erst (wieder-) entwickelt werden.
Z.B. geschah dies in der Kibbuz-Bewegung und vorher noch im Chassidismus, der die jüdische Religiosität aus dem Schutt, mit dem es Rabbinismus und Rationalität bedeckt hatten, herauszulösen versuchte. In beiden Bewegungen ging es um kollektive Erfahrungen. Ihr Spinozist war Martin Buber, den Gustav Landauer wegen dieser Arbeit über die „lebendige starke religiöse Bewegung des Chasidismus“, die von unten entstanden war, als „Apostel des Judentums vor der Menschheit“ bezeichnete. Aus Bubers mystischer Philosophie entstand in späteren Jahren, nachdem er in Palästina die Kibbuzim als „geglücktes Experiment“ kennengelernt hatte, eine Philosophie des „dialogischen Lebens“.
„Den Einwand, dass das von ihm statuierte, prinzipiell unendlich ausweitungsfähige Ich-Du-Verhältnis in einer verschwiegenen petitio principii ein mystisches Verhältnis des Menschen zur Welt oder zu Gott involviere, hat Buber stets unwillig abgewiesen,“ schreibt Gershom Scholem. „Aber er hat seine Kritiker damit nicht überzeugen können. Seine empirischen Beschreibungen eigener Ich-Du-Erlebnisse, wie das Anschauen eines Baumes oder das Blickes in die Augen seiner Katze, sind überhaupt nicht anders denn als Beschreibungen von mystischen Erlebnissen zu verstehen.“ Buber, der tief von Nietzsche beeinflußt war, schreibt: „Der Moment der Begegnung ist nicht ein ‚Erlebnis‘, das sich in der empfänglichen Seele erregt und selig rundet: es geschieht da etwas am Menschen. Das ist zuweilen wie ein Anhauch, zuweilen wie ein Ringkampf, gleichviel: es geschieht. Der Mensch, der aus dem Wesensakt der reinen Beziehung tritt, hat in seinem Wesen ein Mehr, ein Hinzugewachsenes, von dem er zuvor nicht wußte und dessen Ursprung er nicht recht zu bezeichnen vermag.“
Halten wir fest: Die Religion setzt ein lebendiges Gemeinwesen voraus. Religiosität ist jedoch auch ein Ringen darum. Man kann aber auch gleich eine kollektive Ökonomie, verbunden mit einem ebensolchen Lebenszusammenhang, in Angriff nehmen, d.h. sich zu diesem Zweck zusammenfinden. Geschieht dies allerdings außerhalb einer umfassenderen sozialen (revolutionären) Bewegung, stellt sich über kurz oder lang die „alte Scheiße“ (K.Marx) wieder her. In diesem Fall tritt „Gott“ (wieder) an die Stelle eines lebendigen „Du“. Man stellt ihn sich als persönlichen Gegenüber dar und vor. Als ein „Du, das man anreden kann und das in einem Jenseits wohnt, das man als Himmel bezeichnet. Das ist eine Vorstellung von Gott, wie sie Gretchen in der Kirche aus dem Munde des Pfarrers vermittelt bekommen haben dürfte,“ erklärte Professor Jan Rohls in seiner Universitätspredigt am 16.Mai 1999.
Das galt jedoch nicht nur für Fausts „Gretchen“, es ist eine Entwicklung, die hierzulande noch heute fast jeder Pubertierende, sich vom Elternhaus lösender, durchmacht, bis dahin, dass er Meßdiener wird. Aber dann finden die meisten doch wieder zurück in die Welt, ins Leben.
„Wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben,“ meinte Nietzsche. Ich weiß nicht, ob das an dieser Stelle paßt, möchte aber hier doch noch ein schreckliches Gottesbeispiel anfügen: Die ins sowjetische Exil ausgewichene Margarete Buber-Neumann geriet dort in ein Arbeitslager. Nach dem Hitler-Stalinpakt wurde sie an die Gestapo ausgeliefert, die sie in das Frauen-KZ Ravensbrück steckte. Dort war sie Barackenälteste bei den Zeugen-Jehova-Frauen, die nur zu unterschreiben brauchten, dass sie sich von den „Bibelforschern“ losgesagt hätten, um frei zu kommen. Ihre Männer und Kinder baten sie ständig in Briefen darum, aber sie blieben fest in ihrem Glauben. Mitunter geschah es, dass die eine oder andere nicht arbeiten konnte. In diesem Fall versteckte Margarete Buber-Neumann die Betreffende in der Toilette vor der Barackenkontrolle. Wenn man sie dort erwischt hätte, wäre es für sie, aber auch für Margarete Buber-Neumann, böse ausgegangen, es klappte jedoch immer. Die Freude unter den Zeugen-Jehova-Frauen war anschließend groß. „Siehst du,“ sagten sie zu ihrer Barackenältesten, „wie gut unser Gott uns behütet, wie mächtig er ist. Wann wirst du endlich auch an ihn glauben?!“ Sie dankten ihrem Gott – nicht Margarete Buber-Neumann, die ihr Leben für sie riskiert hatte.
Eine solch verblödete Verblendung verdient Prügel – weil hier eine eisige Religiosität die Gemeinschaft (Kommunion) vollständig ersetzt hat, deren lebendiger Ausdruck sie doch sein sollte. Aus der Geschichte des Kommunismus kennen wir leider Ähnliches. Was nicht gegen ihn spricht, sondern gegen zu wenig Prügel! Wie umgekehrt Margarete Buber-Neumanns bittere Erfahrung im KZ nicht gegen die religiöse Kommunion spricht: Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die „Kirche von unten“ in der DDR und an die Rolle der katholischen Kirche in Polen und ihre Unterstützung des Solidarnosc-Untergrunds. Nach 1989, also nach der sogenannten Wende, änderte sich jedoch alles: In Russland, in der Mongolei, in Polen usw. haben jetzt die einstmals widerständigen Kirchen bzw. Klöster (wieder) Oberwasser, sind mit ihren Regierungen verbunden und von ihnen alimentiert, korrumpiert. Und sie sind ein einziger pain in the ass!
Hinzu kommt noch: Forwährendes Lesen eines einzigen und vor allem „Heiligen Buches“ verblödet sowieso. Die Bibel hat sich längst in einen Buchladen verwandelt und ihre Exegese in Lesewut. In der taz wollte ich einmal jeden Montag eine Predigtkritik einrücken lassen – und das wurde mir auch genehmigt. Also machte ich mich auf und besuchte die Gottesdienste der zwanzig besten Prediger in Ost- und Westberlin. Anschließend blies ich das Projekt ab: Ihre Sonntags-Predigten waren unter aller Kritik! Das war nicht einmal Opium fürs Volk, höchstens Klosterfrau Melissengeist in minimalsten Dosen.
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(*) Über die Verbindung zwischen Gott und Tomate, Gurke und Zwiebel hat der atheistische russische Forscher Alexander Gurwitsch Erhellendes herausgefunden: jede lebende Zelle emittiert Photonen – und der Zelltod, das Erlischen des Lebens in ihr, kommt dem Ausknipsen einer Glühbirne gleich. Amerikanische Biologen (von „Nature“ geschickt) hatten das zunächst bestritten, aber seit der Erfindung der Photomultiplier, die auch noch die geringsten Lichtquanten registrieren können, gibt es da kein Vertun mehr. In Deutschland führt heute Professor Fritz Albert Popp Gurwitschs Lichtforschung weiter. Und Licht, das ist nun seit jeher Ausdruck und Erscheinung, Beweis geradezu, für Göttlichkeit. Angefangen vom „Erfinder“ des Monotheismus Eschnaton, der die ägyptische Vielgötterei reduzierte auf einen Gott – die Sonne (die Immanuel Velikovsky allerdings als Venus „erkannte“ **), bis zum Alten Testament – „Ich bin das Licht der Welt“, dem Neuen Testament – Jesus als „Lichtbringer“ – und dem Koran, wo es in der Sure 24 heißt: „Allah ist das Licht der Himmel und der Erde. Sein Licht ist gleich einer Nische, in der sich eine Lampe befindet: Die Lampe ist in einem Glas; das Glas gleich einem funkelnden Stern. Angezündet (wird die Lampe) von einem gesegneten Ölbaum, der weder östlich noch westlich ist, dessen Öl beinahe leuchten würde, auch wenn das Feuer es nicht berührte. Licht über Licht. Allah leitet zu Seinem Licht, wen Er will.“ Das hört sich übrigens fast genauso an wie die Beschreibung der Glühbirne in Wolfgang Schivelbuschs „Geschichte der künstlichen Beleuchtung“/Erleuchtung. Erinnert sei außerdem an den rüden Spruch „Ich blas Dir gleich Dein Lebenslicht aus!“
Unsere Verwandten, die Pflanzen, sind noch weitaus mehr als wir auf das Licht angewiesen, so dass sie in ihren Suren wahrscheinlich die Sonne noch weitaus inbrünstiger preisen als Eschnaton einst, denn was in ihren Körperzellen die Chloroplasten sind, die mittels Photosynthese Licht in Energie umwandeln, sind bei uns die Mitochondrien, die Ähnliches mit dem Sauerstoff veranstalten, aber auch wir brauchen als nahe Verwandte der Pflanzen und obwohl uns die Maulwürfe und Nacktmulche noch weitaus näher stehen jede Menge Sonnenlicht – für unsere Gesundheit. In den Monaten, da es in den Polarregionen auch tagsüber dunkel bleibt, werden die Menschen regelmäßig depressiv, obwohl ihnen auch dort inzwischen genug künstliche Beleuchtung zur Verfügung steht.
Ich hoffe, dieser Gedankengang kommt nicht dem nahe, was der darwinistische US-Anthropologe und Feldforscher bei den Ashaninca in Perus Amazonien Jeremy Narby in seinem Buch „Die kosmische Schlange. Auf den Pfaden der Schamanen zu den Ursprüngen modernen Wissens“ verbrochen hat: „Inbegriff und häufigstes Symbol für die Einsicht in die Natur, ihren Aufbau und ihre Wirkung ist bei den Indianern Südamerikas die kosmische Schlange. Sie verkörpert die Doppelhelix oder das Modell der Genstruktur…“ An anderer Stelle schreibt dieser Schwachkopf: „Ich war inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass die DNS der Ursprung des schamanischen Wissens war…“ Die Rezensentin, Hannelore Gilsenbach, eine in Brandenburg lebende Biologin vermutet im „Bumerang“, dass der Autor bei den Ashanincas zu viel von der Drogenpflanze Ayahuasca naschte, anders könne man sich diese „Wirrnis ungezählter Darlegungen, mit denen er seine Leser bedrängt“ und die Haltlosigkeit seiner „Theorie“ kaum erklären. Sie besagt im Kern, dass die Schamanen schon lange das wußten, wofür die „Entschlüsseler der DNS“ Crick und Watson 1953 den Nobelpreis bekamen.
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(**) Der russische Psychoanalytiker Immanuel Velikovsky wollte als Jude nicht akzeptieren, dass Freud ausgerechnet einen ägyptischen Pharao als Begründer des Monotheismus aufs Schild hob. Er begriff Eschnatons Sonnenreligion als Venuskult, der entstand, nachdem die Venus als ein noch nicht in ihre Planetenbahn eingefangener Komet der Erde nahe gekommen war, was gewaltige Katastrophen zur Folge hatte. In der Bibel, im Buch „Exodus“, ist noch davon die Rede und fast gleichlautend im ägyptischen „Papyrus Ipuwer“. Velikovskys Forschungen weiteten sich in der Bibliothek der Uni Princeton zu einem anti-darwinistischen „Katastrophismus“ aus. Fast unstrittig ist inzwischen, dass die Saurier und dann auch die Mammuts aufgrund eines Kometeneinschlags starben. Letztere, weil durch den Kometenaufprall die Polkappen verrutschten und sie augenblicklich schockgefroren wurden. Sie hatten noch unzerkautes Gras im Maul und ihr Fleisch war noch eßbar also frisch, als man sie fand und auftaute.
Auf Deutsch gibt es eine ganze Reihe von Büchern von Velikovsky und auch über ihn. Ich habe 1975 und 1979 in der Zeitschrift „Neues Lotes Folum“ seine „Gespräche mit Albert Einstein“ veröffentlicht sowie einige Texte über ihn – von dem israelischen Arzt Zvi Rix, vom Indianer-Juristen Vine Deloria Jr. sowie von dem Deutschsituationisten Herbert Nagel. Der Bremer Professor Gunnar Heinsohn und der Zürcher Privatforscher Christoph Marx haben mich damals laufend mit Velikovskyensia versorgt. Ersterer meinte einmal, das Wissen um die Kometenkatastrophe ist noch heute im kollektiven Unbewußten vorhanden – viele gegeneinander rüstende Mächte, die Sowjetunion, die USA und die EU z.B. hätten einen bzw. mehrere Morgensterne in ihren Fahnen – das Wort „star“ kommt von „Astarte“, so hieß die kriegerische Hauptgöttin in Mesopotamien, die mit Venus identisch war. Sie begründete noch Mohammeds Stamm, außerdem ist der Heilige Stein der Moslems in Mekka ein Teil des Venus-Kometen. Ich nehme aber mal an, dass die Moslems dies bestreiten.
Unbestreitbar ist jedoch, dass West-Neuguinea eine „Morgensternflagge“ hat: ein weißer Fünfzackstern auf rotem Grund und daneben sechs weiße Schweifstreifen auf blauem Grund. Als Kolonie des islamischen Staates Indonesien ist es den Papuas verboten, diese Fahne öffentlich zu zeigen. Als 2004 zwei für die Unabhängigkeit West-Neuguineas kämpfende Aktivisten, F. Karma und Y. Pakake, auf einer Demonstration die Morgensternflagge schwenkten, wurden sie verhaftet und später zu 15 bzw. 10 Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl das Gesetz dafür erst 2007 verabschiedet wurde. Als im August 2008 am UNO-„Tag der Ureinwohner“ erneut auf einer Versammlung die Morgensternflagge auftauchte, schoß die Polizei in die Menge, wobei ein Mann getötet wurde (Näheres siehe: „Bumerang – ‚Naturvölker‘ heute“ 2/2008). Kann es vielleicht sein, dass die Papuas schon immer wußten, was dann Immanuel Velikovsky noch einmal, mühsam und hypothetisch, herausfand?
Inzwischen frage ich mich nicht mehr so dringend, was an seinen Überlegungen und Theorien richtig oder falsch ist, sondern wie es kommt, das die phantasievollsten Wissenschaftler und die besten Schriftsteller fast ausnahmslos aus Rußland kommen. Kürzlich fand ich im Internet eine Zusammenfassung der Velikovskyschen Bücher:
In seinem Buch »Welten im Zusammenstoß« (1950) stellte der russische Psychologe Dr. Immanuel Velikovsky die These auf, daß sich zuletzt zwischen dem 15. und 8. Jahrhundert v. Chr. eine Reihe weltweiter Katastrophen ereignete. Teile der Erdoberfläche erwärmten sich, bis sie schmolzen, Meere siedeten und verdampften. Gebirgsketten verschwanden, während an anderer Stelle neue entstanden. Kontinente hoben sich und verursachten globale Fluten. Velikovsky untermauerte sein Szenario von einer weltweiten Katastrophe mit einer Fülle von Zitaten aus alten Quellen – zum Beispiel aus dem Alten Testament, der hinduistischen Veda, der griechischen und römischen Mythologie sowie den Mythen und Legenden alter Völker – wie auch mit physikalischen Beweisen aus der Geologie und Paläontologie.
Velikovsky zufolge wurden diese gewaltigen Umwälzungen durch eine außergewöhnliche Serie astronomischer Ereignisse verursacht. Die von ihm vorgebrachten Beweise legen nahe, daß es einst Kollisionen oder Beinahkollisionen von Planeten im Sonnensystem gegeben hat und daß die Erde mit dem Schweif eines Kometen kollidiert sein muß, der dann zum Planeten Venus wurde. Diese Ereignisse, bei denen die Wechselwirkungen zwischen den Magnetfeldern der Erde und anderer Planeten eine wichtige Rolle spielten, waren laut Velikovsky dafür verantwortlich, daß sich die Umlaufbahn und die Inklination der Achse der Erde wiederholt verändert haben.
Bereits im Jahre 1946 hatte Velikovsky mit der Macmillan Company einen Vertrag für dieses Buch geschlossen, und im Jahre 1950 lag es zur Veröffentlichung vor. Im Januar jenes Jahres erschienen in der Zeitschrift »Harper’s Magazine« zwei gekürzte Artikel des Buches unter der Überschrift »Der Tag, an dem die Sonne stillstand«. Die Zeitschrift war sofort ausverkauft. Zeitungen in den USA und im Ausland druckten die Artikel nach, und weitere, populärwissenschaftlich gehaltene, erschienen in »Reader’s Digest« und in »Collier’s Magazine«. Die meisten Artikel waren reißerisch abgefaßt, und Velikovsky drohte, sie nicht als seine eigenen anzuerkennen, falls sie nicht im Ton gemäßigt würden.
Als diese sensationellen Geschichten überall kursierten, begann das wissenschaftliche Establishment zu reagieren. Kurz bevor das Buch veröffentlicht werden sollte, erhielt Macmillan zwei Schreiben von Harlow Shapley, Professor für Astronomie an der Harvard University. In seinem ersten Brief äußerte Shapley sein Erstaunen darüber, daß Macmillan es auch nur in Erwägung gezogen habe, sich in den Bereich der »Schwarzen Kunst« vorzuwagen, zeigte sich jedoch zufrieden darüber, daß man nun Vernunft angenommen und beschlossen habe, das Buch nicht herauszugeben. Als der Verlag darauf antwortete und dem Professor erklärte, daß er einem Gerücht aufgesessen sei, weil die Veröffentlichung wie geplant erfolgen werde, erwiderte Shapley, obwohl er das Manuskript noch nicht gesehen hatte: »Es wird interessant sein, in einem Jahr von Ihnen zu erfahren, ob der Ruf von Macmillan Co. durch die Veröffentlichung von Welten im Zusammenstoß Schaden nahm oder nicht.« Er schloß seinen Brief mit dem Hinweis, man solle doch einmal Velikovskys Background überprüfen, da es sehr gut möglich sei, daß es sich bei diesem Buch um »intellektuellen Betrug« handele. Im Februar 1950 wurden Velikovskys Ideen in einer Ausgabe des von Shapley herausgegebenen »Science News Letter« gründlich verrissen. Dieser vernichtende Bericht erschien zu gleicher Zeit wie das Buch, das noch keiner der Kritiker bis dahin gesehen hatte.
Velikovsky hatte seine Theorien mit sehr detaillierten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen untermauert, und zwar aus den unterschiedlichsten Disziplinen wie Geschichte, Anthropologie, Geologie, Astronomie und Biologie, um nur einige zu nennen. Ja, seine Fachkenntnisse zu diesem Thema übertrafen bei weitem die Kenntnisse einiger seiner Kritiker, was die unschwer zu erratende Konsequenz zur Folge hatte, daß sie sich nicht mit den zur Diskussion stehenden wissenschaftlichen Fragen beschäftigten, sondern Velikovsky persönlich angriffen.
In den folgenden Monaten konnten sich die Zeitungen des Landes der beleidigenden Rezensionen wissenschaftlicher Kapazitäten kaum noch erwehren. Jedoch mit den wissenschaftlichen Fragen hatten sich die wenigsten auseinandergesetzt; man begnügte sich damit, Velikovsky zu verspotten.
Aber im Mai, als die höchsten Verkaufszahlen erreicht wurden, hatte man Velikovsky zu Macmillan zitiert und ihn davon unterrichtet, daß die Professoren bestimmter Universitäten sich weigerten, die Vertreter von Macmillan zu empfangen. Das brachte den Verlag in ernsthafte Schwierigkeiten, denn ein wesentlicher Teil seiner Einnahmen stammte aus dem Verkauf von Lehrbüchern an Universitäten. Außerdem hatte man Briefe von Wissenschaftlern erhalten, die von Macmillan verlangten, den Vertrieb des Buches einzustellen.
Als Velikovsky an »Welten im Zusammenstoß« schrieb, glaubten die Astronomen, daß der Planet Venus ein alter Planet sei, dessen Oberfläche wie die der Erde kühl sei und dessen Athmosphäre vorwiegend aus Wasserdampf oder Kohlendioxid bestehe. 1946 hatte Velikovsky das Manuskript für sein Buch fertiggestellt und versuchte nun, die Unterstützung von Wissenschaftlern zur Durchführung von Experimenten zu gewinnen, mit denen seine These kritisch überprüft werden sollte. Was den Planeten Venus betrifft, machte er drei Voraussagen, die im Prinzip alle durch Experimente falsifizierbar waren. Als erstes behauptete er, daß die Oberflächentemperatur der Vernus, sofern sie ein relativ junger Planet sei, immer noch sehr heiß sein würde. Zweitens würde die Venus dann von Kohlenwasserstoffwolken umgeben sein – nämlich den Überresten eines kohlenwasserstoffhaltigen Kometenschweifs. Und drittens müßte sie eine anomale Rotationsbewegung haben, da Perturbationen von ihrem erst relativ kurz zurückliegenden Eintritt in eine Umlaufbahn zurückgeblieben seien.
Als Velikovsky 1953 vor Hochschulabsolventen der Universität Princeton sprach, wies er auf zwei weitere überprüfbare Phänomene hin: daß das Magnetfeld der Erde genauso weit in den Weltraum hineinreiche wie die Umlaufbahn des Mondes und für dessen Libration oder Schwankungen verantwortlich sei und daß der Planet Jupiter (von dem seiner Meinung nach der Komet Venus abstamme) im Hochfrequenzbereich des elektromagnetischen Sprektrums strahle.
Diese Voraussagen waren für die Wissenschaftler der fünfziger Jahre der Beweis für Velikovskys Unwissenheit, seinen Wahnsinn oder auch beides. Harlow Shapley wollte absolut nichts mit den experimentellen Forschungen, mit denen Velikovskys Ideen bestätigt werden sollten, zu schaffen haben. Als man beispielsweise vorschlug, Shapley könne doch das Harvardobservatorium benutzen, um nach Beweisen für das Vorhandensein von Kohlenwasserstoff in der Venusatmosphäre zu suchen, antwortete Shapley, daß er an Velikovskys »Sensationsmeldungen« nicht interessiert sei, da sie gegen die Gesetze der Mechanik verstießen. »Wenn Velikovsky recht hat,« meinte er, »dann sind wir anderen alle verrückt.«
Ein Jahrzehnt nach der Veröffentlichung des Buches wurden alle Thesen Velikovskys experimentell bestätigt. Die Raumsonde Mariner übermittelte 1963, daß die Oberflächentemperatur der Venus im Bereich von 500 Grad Celsius liegt und daß sich die über 20 Kilometer dicke Atmosphäre des Planeten aus schweren Kohlenwasserstoffmolekülen und möglicherweise noch komplexeren organischen Verbindungen zusammensetzt.
Im April 1955 berichteten Dr. B.F. Burke und Dr. K.L. Franklin der American Astronomical Society von ihrer zufälligen Entdeckung des Funkrauschens, das Jupiter sendet. Im Jahre 1962 verkündeten das US Naval Research Laboratory in Washington und die Goldstone Tracking Station in Südkalifornien, radiometrische Beobachtungen würden eine rückläufige Bewegung der Venus zeigen. Im gleichen Jahr entdeckte der Satellit Explorer das Magnetfeld der Erde in einem Abstand von mindestens zweiundzwanzig Erdradien, und 1965 wurde berichtet, daß es sich ‚mindestens bis zum Mond‘ erstreckt.
3. Letzte Meldung
Busse mit atheistischer Botschaft. London (dpa)
Mit einer atheistischen Botschaft fahren derzeit rund 800 Busse durch Großbritannien, darunter 200 in der Hauptstadt London. „Es gibt wahrscheinlich keinen Gott. Jetzt mache Dir keine Sorgen und genieße Dein Leben“, lautet die Botschaft auf den Werbeflächen der Busse. Die Kampagne wird von dem renommierten Biologen und Religionskritiker Richard Dawkins („Der Gotteswahn“), sowie vom Atheisten-Verband British Humanist Association unterstützt. Die Initiatoren wollen einen Gegenpol schaffen zu Botschaften religiöser Gruppen sein, die Nicht-Gläubige verdammten. „Es ist nur ein Denkanstoß – die Leute werden im Pub darüber reden, wenn sie die Busse sehen“, sagte Dawkins nach Angaben der Zeitung „Daily Telegraph“ von Mittwoch, dem 7.1.09. Irgendwelche Religionsverbände ließen daraufhin verlauten, sie würden es begrüßen, dass die Atheisten sich so viele Gedanken um Gott machen. Und letztendlich ist es sowieso egal, ob man positiv oder negativ auf etwas fixiert ist. Wichtig ist allein, sich von dem Zwang zu befreien.