„So sehen Sieger aus!“, titelte die taz vor einem Monat, als der Bundestag den Atomausstieg beschloss. Dazu ein Foto aus dem Dezember 1985, geschossen in der Oberpfalz: Atomkraftgegner haben im Wald eine Sitzblockade gebildet. Sie wollen den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage, kurz WAA, in Wackersdorf verhindern. In der Kälte haken sich die Männer unter, im Hintergrund rücken Polizisten an.
Die Schwarz-Weiß-Aufnahme des Fotografen Martin Storz fand die Redaktion im Bildarchiv der taz. Wer die Männer sind, war dort nicht dokumentiert. Auf Anregung eines Hausblog-Kommentators starteten wir den Aufruf, nach den Abgebildeten zu suchen. Dann meldete sich die taz-Leserin Ina Zagst. Sie hatte einen der Männer erkannt – nach 25 Jahren, trotz schulterlanger Haare und Vollbart. Es ist Wolfgang Köpf, auf dem Foto vorne links trägt er einen Norwegerpulli, ein Palituch schützt ihn vor der Kälte. Als das Foto gemacht wurde, studierte er auf Lehramt. Ina Zagst und er engagierten sich gemeinsam gegen den Bau der WAA, wo aus alten Brennelementen Uran und Plutonium gewonnen werden sollte.
Der taz-Titel muss für einen kurzen Augenblick wie eine kleine Zeitreise auf die beiden gewirkt haben. Ein „unheimlicher Idealismus“ habe geherrscht, erinnert sich Köpf: „Man hat vieles in Kauf genommen, um den Bau der Anlage zu verhindern.“ Die Polizei setzte Tränengas und Blendgranaten ein, es gab Hunderte Verletzte, drei Menschen starben. Erst 1989 gab die Politik das Bauvorhaben auf.
Wolfgang Köpf geht weiter auf Demonstrationen, im März protestierte er vor dem Kraftwerk Isar 1. „Immer wieder treffe ich Weggefährten von damals“, sagt er, „man muss konkret was auf der Straße tun.“ Köpf hat inzwischen einen Kurzhaarschnitt, statt Norwegerpulli trägt er Hemden. Wackersdorf hat sein Leben geprägt – viel mehr, als ihm lieb sein konnte. Köpf wurde vorgeworfen, in Flugblättern den Freistaat Bayern verunglimpft und zu Straftaten aufgefordert zu haben; die Prozesse gegen den angeblichen Staatsfeind zogen sich drei Jahre hin. Erst nach dem Freispruch 1990 konnte der heute 50-Jährige seine Laufbahn starten, er lehrt Mathe und Physik an einem Gymnasium und hat dort auch Ina Zagsts Tochter unterrichtet. Der Atomausstieg erfüllt ihn mit „großer Genugtuung“. Trotzdem bleibt er skeptisch: „Gefeiert wird erst 2022.“ Von Timo Kather