„Der Mensch, dieser auf dem Rücken eines Tigers in Träumen hängende“ – Unglückswurm. Was meinte Nietzsche damit? Philip Sarasins schreibt in seinem Buch „Darwin und Foucault“: Für Michel Foucault „ist die Evolutionstheorie eine Lehre, die den Menschen mit der ‚Realität des organischen Lebens‘ versöhne, letztlich mit der banalen Tatsache des Todes, ihm aber auch die ‚Freiheit‘ des Tieres ohne Anbindung an ‚die Wahrheit‘ eröffne. Indem sie dem Menschen erlaubt, zu seinem animalischen Ursprung zurückzukehren.“ Foucault hat sich dies auch ganz lebenspraktisch erlaubt.
Nietzsche „erträumte“ sich jedoch den „Übermenschen“ eher andersherum als letzten Ruck – zur Befreiung von allem Animalischen: Menschen, die nicht mehr auf Tigern reiten, die sich von der Natur emanzipiert haben, die alles, einschließlich sich selbst, verkunsten. Wir sind auf dem besten Weg dahin. Mit Hilfe des Darwinismus! Seine deutsche Staats-Variante darf zwar als gescheitert gelten, aber der angloamerikanischen privatwirtschaftlichen kann man gute Chancen einräumen. Die erste läßt sich folgendermaßen charakterisieren: „Die Freiheit, die die germanischen Krieger genießen,“ sagte Michel Foucault, „ist wesentlich eine egoistische Freiheit, eine der Gier, der Lust auf Schlachten, der Lust auf Eroberung und Raubzüge…Sie ist alles andere als eine Freiheit des Respekts, sie ist eine Freiheit der Wildheit.“ Wobei diese deutsche „Transformation“ aus der Absicht der Befreiung die Sorge um (rassische) Reinheit werden ließ.
Die angloamerikanische Biopolitik kann man optimistisch gestimmt so sehen: „Mit der Gentechnik werden erstmals selbstreproduktive Kunstwerke möglich – erst damit beginnt das Zeitalter der wahren Kunst“. So sagte es der Philosoph Vilem Flusser, und meinte damit, dass wir alles biologisch behandeln werden – um damit alles Biologische endgültig auszumerzen: Allergien, Brustkrebs, Alter, Hässlichkeit, Homosexualität, Autismus…Da werden die entsprechenden Gene isoliert – und entfernt. Alle Nutzpflanzen und -tiere werden so genetisch manipuliert wie wir sie brauchen, uns selbst eingeschlossen. Da kommt dann der „Übermensch“ bei raus. Auf gut darwinistische Weise hat man dabei bloß der Natur auf die Sprünge geholfen, die Evolution nur etwas beschleunigt. Vielleicht bleibt uns gar kein anderer Ausweg mehr, trotz allem Widerstand von Bauern in der Dritten Welt gegen die Patentierung von Zellinien, trotz aller Feldbefreiungen von Genmais hier.
Es gab mal eine Alternative – zwischen deutscher Pest und angloamerikanischer Cholera: die „proletarische Biologie“ in der Sowjetunion. Aber das ist alles kläglich gescheitert. 1922 erklärten z.B. die „Immortalisten“ im revolutionären Überschwang in der Iswestija: „Wir stellen fest, dass die Frage der Verwirklichung persönlicher Unsterblichkeit jetzt in vollem Umfang auf die Tagesordnung gehört.“ Mit den Klonverfahren rückt diese Möglichkeit nun privatkapitalistisch wirklich auf die Tagesordnung. Michel Houellebecq hat in seinem Roman „Die Möglichkeit einer Insel“ bereits den ersten geklonten „Neo-Menschen“ (Übermenschen) Rückschau halten lassen: Dem etwas traurigen Unersterblichen sind „alle menschlichen Regungen wie Lachen und Weinen, Güte, Mitleid und Treue zu unergründlichen Geheimnissen geworden,“ schrieb die Zeitrezensentin. Die Biologen würden jedoch dagegen einwenden: Das sind alles bloß gentechnische Mängel. Das cricken und watson wir alles noch hin – mit der Zeit. Das sagten sich auch die Schriftsteller – und so verfaßte z.B. Wladimir Sorokin den ersten postsowjetischen „Klon-Roman“ („Der himmelblaue Speck“). Aber auch da kamen nur „Monstervisionen“ (Die Zeit) bei raus. Die Amis gingen das Problem umsichtiger an: In Ken Follets Roman „Der dritte Zwilling“ geht es erst mal bloß um die militärische Testproduktion von 8 Klonen, um Über-Soldaten zu kreieren. Während der Deutsche, durch das unglückliche SS-Experiment gewarnt, aber auch durch den vorzeitigen Tod des Klonschafs „Dolly“, sich zunächst für ein „Sachbuch“ über das Klonen entschied: „Das Buch der Zukunft“ hieß der erste Titel und „Perfect Copy“ dann der „Jugendroman“ dazu (von Andreas Eschbach). Inzwischen arbeiten schon rund sechs Millionen Intellektuelle und Gentechniker weltweit an der Verbesserung des tigerlosen „Neo-Menschen“ – in Prosa und Praxis. Nicht zu vergessen die ganzen Filmemacher:
Der Führer schenkt den Klonen eine Stadt
Eine Rezension von Ulrich Gutmair
Eingangs fliegt ein Helikopter durch den Nachthimmel, es könnte ein Szene aus «Blade Runner» sein. Seine Suchscheinwerfer tasten ins Dunkel des Hafens, und eine Frauenstimme aus dem Off hebt zu sprechen an: «Wissenschaftler schlagen vor, in menschliche Embryos Eigenschaften von Pflanzen und Tieren einzusetzen, wie etwa das Gen für die Photosynthese. Menschen müssten dann nicht essen und könnten wie Pflanzen Energie aus der Sonne beziehen.»
Diese Spekulation der Life Sciences fällt zwar noch in den Bereich der Science Fiction, hofft aber auf baldige Verwirklichung. Mit ihr beginnt «Frozen Angels», der mehrfach preisgekrönte Dokumentarfilm von Frauke Sandig und Eric Black, der jetzt auf DVD erschienen ist. «Frozen Angels» lässt Akteure und Beobachter des biotechnologischen Fortschritts von unserer Gegenwart und nahen Zukunft erzählen, in der Embryos genetisch verbessert, Haustiere geklont und tote Männer Väter werden.
Die Stadt, in der dieser Film spielt, heißt Los Angeles, sie ist das Mekka der modernen Reproduktionsmedizin. Hier wird an einem Traum gearbeitet, der sich nicht mit den glamourösen Bildern Hollywoods begnügen, sondern «das Leben» als solches schöner machen will: «Es wird uns möglich sein, die Gene unserer Kinder auszuwählen, bis hin zum bewussten menschlichen Selbst-Design», ist da gleich zu Anfang zu hören.In Los Angeles ist seit jeher die Zukunft zuhause, und Grenzen sind dazu da, überwunden zu werden. Da ist zum Beispiel der Gründer der California Cryobank, Cappy Rothman, dessen Unternehmen sich auf die Gewinnung, Lagerung und den Vertrieb von Spermien, Embryos und Stammzellen spezialisiert hat. Rothman ist einer der Pioniere der Reproduktionsbranche, insbesondere der Post-Mortem-Samenspende. Sie ermöglicht es Witwen, von ihren bereits verstorbenen Gatten schwanger zu werden. Das erste Kind eines Toten stammt von einem Mann, der bereits 30 Stunden tot war, als Rothman ihm auf Wunsch seiner Frau Samenzellen entnahm.
Doch die meisten Samenspender sind jung, potent und quicklebendig. In so genannten Masturbatorien entledigen sie sich ihrer Ware, die der Cryobank 65 Dollar pro Ejakulation wert ist. Rothman berichtet stolz davon, der einzigen Samenbank vorzustehen, die das Spendermaterial in nach Farben getrennten Behältern verwahrt, «um Rassenprobleme zu vermeiden». Es gibt weiße, schwarze und gelbe Ampullen, das Sperma von «ethnisch nicht reinen» Spendern wird in orangefarbenen Behältern verwahrt. Allerdings ist die Nachfrage nach Spermien von weißen Spendern mit 90 Prozent am höchsten. Die Biotechnologie-Expertin Lori Andrews glaubt daher, der neue Imperialismus werde per FedEx in die Welt getragen: Aus Südkalifornien wird inzwischen die ganze Welt mit den Spermien weißer, blonder und blauäugiger Amerikaner versorgt. Auch die 27-jährige Kari Ciechoski profitiert von der hohen Nachfrage nach nordischem Genmaterial. Die Eispenderin ist nicht nur blond und blauäugig, sondern auch noch musikalisch. Letzteres ist ein begehrtes Spender-Merkmal, auch wenn Karis Vermittlerin vom Center for Surrogate Parenting & Egg Donation augenzwinkernd Zweifel äußert, ob es das Gen für Musikalität wirklich gibt.Warum liebt die Kundschaft aber nun blonde und blauäugige Spenderinnen, fragt Kari. Ihre Sachbearbeiterin kann es nur so erklären: «Die Leute lieben einfach das typische Aussehen des American Surfer Girls, den All-American-Look.»
Die neuen Reproduktionstechnologien haben in den letzten zehn Jahren einen riesigen Markt geschaffen. Cappy Rothman schätzt allein die Umsätze des Spermienhandels per Internet auf 45 Millionen Dollar im Jahr. Kunden können männliche Samenzellen dort bereits nach Haarfarbe, der Textur der Haare, Größe, Gewicht und den Sportarten wählen, die vom Spender beherrscht werden. Lori Andrews berichtet von einer neueren Umfrage, die dem Biotechnologiesektor eine goldene Zukunft verheißt, weil sie zeigt, dass viele Amerikaner die genetische Verbesserung des Nachwuchses befürworten und diesen gern nach Maß produzieren würden. Ein Drittel der Befragten würde demnach gerne die «angemessene» sexuelle Orientierung ihrer Kinder festlegen, 42 Prozent deren Intelligenz durch genetische Eingriffe erhöhen. Die genetische Verbesserung von Embryos ist demnach der eigentliche Zukunftsmarkt der Branche.
Kinder werden so zu Konsumgütern, und die Folgen dieses Trends zeichnen sich bereits ab. Vor kurzem verklagten Eltern eine Samenbank, weil diese versäumt habe, durch eine bessere Auswahl des Samenspenders ein attraktiveres Kind zu produzieren. Bill Handel sind solche Überlegungen nicht fremd. Er unterscheidet zwischen positiven und negativen Aspekten der Eugenik. Warum sollte man Geld für die Ausbildung seiner Kinder sparen, aber Investitionen scheuen, wenn es möglich werden sollte, seinem Kind durch genetische Manipulationen bessere Chancen mitzugeben? Bill Handel ist kein Skeptiker, was nicht verwundert: Er ist Propagandist in eigener Sache. Der bekannte Talk-Radio-Moderator leitet die weltweit größte Agentur für Leihmütter und Eispenderinnen, besagtes Center for Surrogate Parenting. Handel ist Vater künstlich gezeugter Zwillinge und hält es für einen Skandal, dass die Leute sich weiterhin mit der höchst unsicheren traditionellen Methode des Geschlechtsverkehrs fortpflanzen.
Doch auch Handel bekommt es mit der Angst zu tun, wenn er den Blick in die Zukunft schweifen lässt. In seiner Sendung sinniert er über die eugenischen Praktiken nach, die bereits alltäglich sind. Künstlich gezeugte Embryonen werden schon heute auf alle möglichen genetischen Defekte untersucht und selektiert. Das sei im Hinblick auf lebensbedrohliche Krankheiten auch nicht verwerflich, meint Handel. Es stelle sich aber die Frage, was passieren werde, wenn das Fett-Gen, das Irischer-Säufer-Gen oder das Homo-Gen erst einmal entdeckt sei? Oder wenn ein milder Fall des Down Syndroms vorliege?«Wo werden die Selektionsgrenzen gezogen werden?», fragt sich Handel also schaudernd, dessen Großeltern in nationalsozialistischen Vernichtungslagern umgebracht wurden, weil sie als Juden und damit als Angehörige einer minderwertigen Rasse klassifiziert worden waren. Nichtsdestotrotz ist er ein vehementer Vertreter einer libertären Politik.
Das Sterilisationsprogramm der Nationalsozialisten, das der Vernichtungspolitik vorausging, basierte auf einem amerikanischen Modell und radikalisierte es, erklärt Lori Andrews. Nun waren es amerikanische Wissenschaftler, die sich bei ihrer Regierung beschwerten, die Deutschen würden mit ihrer Sterilisationspolitik die USA mit ihren eigenen Waffen schlagen.Amerikanische Eugeniker konnten noch in den Siebzigern im Stillen ihre Idee vom gesunden Volkskörper umsetzen: «Die Politik der Sterilisierung richtete sich gegen farbige Frauen, die auf die staatliche Gesundheitsfürsorge angewiesen waren», sagt Andrews. Meist wurden die Frauen ohne ihr Wissen sterilisiert. Auch heute gebe es Gesetzesentwürfe, die dafür sorgen sollen, armen farbigen Frauen finanzielle Anreize für eine Sterilisationsentscheidung zu geben – ganz liberal und ohne Zwang.
Zwar würden die westlichen Gesellschaften heute vor staatlichen Eugenikprogrammen geschützt, sagt Andrews. Doch die Eugenik sei durch die Hintertür des Marktes längst wieder auf der Tagesordnung, wenn Eltern versuchten, durch gentechnologische Eingriffe ihre Kinder aufzuwerten. Allein die immensen Kosten dieser Verfahren könnte zu einer Spaltung der Bevölkerung in Genreiche und Genarme sorgen.Aktuelle Forschungsvorhaben, die auf die Einführung eines zusätzlichen Chromosoms beim Menschen abzielen, um diesen genetisch zu verbessern, könnten im schlimmsten Fall zur Aufspaltung in zwei Spezies führen. Einzelne Exemplare aus den verschiedenen Gruppen könnten aufgrund der massiven genetischen Veränderungen dann womöglich nicht einmal mehr gemeinsame Kinder zeugen.
Selbstverständlich wird diese Entwicklung nicht von Fakten, sondern von Wunschvorstellungen angetrieben, die spätestens dann hart mit der Realität kollidieren können, wenn die neuen Übermenschen erst einmal groß geworden sind. Doron Blake war lange das Vorzeigekind von Robert Grahams Nobelpreisträger-Datenbank. Denn der junge Mann verfügt über einen IQ von 180. Er spielt Sitar und ist auch sonst der fernöstlichen Kultur zugeneigt. Blake fragt sich, ob Robert Graham wohl begeistert wäre, hörte er, dass der junge Doron keinesfalls im Sinn hat, Wissenschaftler zu werden. Er hält nicht viel von der Idee, Menschen genetisch zu verbessern, schon weil er die genetische Ausstattung nicht für das entscheidende Kriterium hält, das über Persönlichkeit und Fähigkeiten des Einzelnen entscheiden.Außerdem befürchtet Blake, die Amerikaner würden ohnehin nur Menschen züchten, «die mir zuwider wären». Er glaubt, «der durchschnittliche Amerikaner hat lieber ein attraktives Athletenkind als ein intelligentes Bücherwurmkind». Diese Vermutung bestätigt das Ex-Model Shelley Smith, sie ist Direktorin der Agentur Egg Donor Program. Selbst ein hochbegabtes Professorenehepaar habe vor kurzem eine attraktive junge Frau einer hochintelligenten Studentin als Eispenderin vorgezogen: «Am Ende entscheiden alle nach dem Aussehen.»
Es wird nur selten hell in «Frozen Angels», denn hier geht es um die dunkle Seite des kalifornischen Traums. Ein Helikopter überquert Downtown, der Blick schweift über ein Kraftwerk, das mit einer riesigen amerikanischen Flagge geschmückt ist. Die Industriegesellschaft war gestern, heute dringt der Forschergeist zu den Bausteinen des Lebens vor. Geregelt wird das Geschäft nur von den Gesetzen des Kapitalismus.Doch Cappy Rothman ist ein verantwortungsbewusster Mann. Derzeit lagert er einige hundert tiefgefrorene Embryonen, um die sich bankrotte oder aus anderen Gründen aufgelöste Firmen und Labors nicht mehr kümmern können oder wollen. «In den USA gibt es eine halbe Million eingefrorener Embryos, genug, um eine Stadt zu bevölkern», erzählt eine Stimme aus dem Off.
Der rasende Gen-Expreß
Als der WK-Zwo-Tierfilmer Heinz Sielmann für den NDR einmal einen Mückenschwarm filmte, der über einem Teich tanzte, kommentierte er das Verhalten der Insekten aus dem Off mit den Worten: „Sie haben nur ein Interesse – sich zu vermehren!“ Damals dachten wir noch: „Der hat doch nicht mehr alle!“ Das war in den frühen Achtzigerjahren und der Gedanke, dass es nicht die ökonomischen Umstände sind, die unser Leben bestimmen, sondern unsere Gene, mußte erst noch zur herrschenden Meinung werden und von da (USA) aus bis in die untersten Schichten (durch-)dringen. Heute erklärt man die Marktwirtschaft ebenso mit den Genen wie diese umgekehrt marktwirtschaftlich! So meint z.B. die Genetikerin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein Volhard, ganz klar erkannt zu haben, dass „die Natur in gewisser Weise kapitalistisch funktioniert“. Unter der Überschrift „Diesen Spottpreis hat die Butter nicht verdient,“ schrieb die FAZ gerade: „Der Butterpreis ist ein Maß für die Evolutionsstufe der Gesellschaft. Die Industriegesellschaft hat sich hin zu einem Superorganismus entwickelt, der losgelöst von der Mühsal der Nahrungsbeschaffung existiert. Er ist hoch spezialisiert und erfolgreich, aber auch anfällig für Störungen. Das Superhirn des Superorganismus bestimmt, was gerade wertvoll ist. Butter ist es nicht, Kaugummi schon. Am wertvollsten sind Produkte, die keine sind, Festgeldanlagen etwa oder Bundesschatzbriefe. Nur auf evolutionsbiologischer Ebene hat der Homo sapiens da nicht Schritt gehalten.“
Während die Journalisten und „Geistes“-Wissenschaftler dergestalt die Wirtschaftswissenschaften sowie Soziologie und Psychologie immer hemmungsloser biologisieren, erweitern die Biologen auf der anderen Seite permanent ihre Kernkompetenzen – und sind damit längst weit über Darwin hinausgegangen: So schreibt die Berliner Zeitung z.B. in einem Text über Buntbarsche: „Im Erbgut der Tiere, das sowohl die Färbung der Männchen als auch die Vorlieben der Weibchen bestimmt, können jederzeit zufällige Veränderungen auftreten.“ Für Darwin war die Färbung, der Männchen, ihr Schmuck, noch Resultat der weiblichen Vorlieben, ihres ästhetischen Empfindens – und mithin eine Kulturleistung, die sich allerdings auf die Natur (der Männchen) auswirkt. Darwin erwähnt als Beispiele das Pfauenrad und das Hirschgeweih: ein Schmuck, der die männlichen Tiere beim Flüchten behindert, sogar tödlich gefährdet, der aber die Weibchen (und auch uns) schwer beeindruckt. Die F.R. schreibt in ihrer Sonderbeilage zum Darwinjahr: „Bis zu 160 schillernde Schwanzfedern fächert der Blaue Pfau auf, um den Weibchen zu imponieren. Die schließen daraus auf starke Gene für den Nachwuchs.“ Jetzt sind wir (bzw. unsere sogenannten Intelligenzblätter) schon so weit, dass wir sogar den Pfauenweibchen attestieren, sie betreiben saubere Genforschung. Höchstens würde die Autorin dabei noch zwischen bewußter (im Bio-Lab) und unbewußter (im Wildlife) Gentechnik unterscheiden. Dass in diesem Fall die Weibchen von der Prächtigkeit des Pfauenrades messerscharf auf die Stärke der Gene „schließen“ und daraus dann praktisch ihre Partnerwahl ableiten, dass sie also die Theorie (ihre Wahrnehmung und deren Interpretation) gekonnt in die Praxis (das Leben ihrer Population) umsetzen, eine solche „Freiheit der Wahl“ haben die Naturforscher lange Zeit nur den männlichen Pfauen zugetraut – wenn überhaupt.
Für Descartes waren alle Tiere noch empfindungslose Maschinen, eine Seele besaß allein der Mensch. Seit Darwin haben entweder alle Organismen, weil sie miteinander verwandt sind (d.h. einen gemeinsamen Ursprung haben) eine Seele – oder niemand! Im Neoliberalismus, da die Suche nach neuen Naturressourcen enorm forciert wurde, sind wir wieder beim forschungspraktischen Maschinenmodell: „Heute interessiert die Biologie sich nicht mehr für das ‚Leben‘, sondern für die Algorithmen der lebenden Welt,“ meinte bereits der Genetiker und Nobelpreisträger Francois Jacob 1971 – in seinem Buch „Die Logik des Lebenden“. Die Dominanz dieser Sicht, der Genetik, in der Biologie und darüberhinaus begann mit der Entwicklung der Kybernetik, die aus der Lenkwaffenforschung des Zweiten Weltkriegs entstand, ausgehend von dem 1943 veröffentlichten Buch „What is Life“ des Physikers Erwin Schrödinger. Im Endeffekt entwickelte sich daraus die inzwischen nahezu weltweit durchgesetzte und empirisch fruchtbar gewordene Überzeugung, dass die Gesetze komplexer Systeme unabhängig von dem Stoff, aus dem sie gemacht sind – also auf Tiere, Computer und Volkswirtschaften – gleichermaßen zutreffen. Während Darwin sich gerade auf das Individuum konzentrierte, verfügte der „Darwinist“ Richard Dawkins 2008: „Wir wissen jetzt, dass Individuen nur als Vehikel für das Überleben der Gene von Bedeutung sind“. Helmut Höge
Diese Sichtweise hat aus naheliegenden – d.h. kommerziellen – Gründen besonders in der Medizinforschung und bei der Pharmaindustrie sowie auch bei den Chemiekonzernen eingeschlagen. So heißt es in einem Bericht über den Stand der Frauenforschung, in diesem Fall der von Genkritikerinnen:
„Auch wenn von den meisten in diesem Bereich arbeitenden Wissenschaftlern zugestanden wird, daß Erkrankungen der Psyche, Drogenmißbrauch oder Verhaltensstörungen eine erhebliche soziale Komponente haben, so hofft man doch, genetische Faktoren zu finden, die beispielsweise eine Anfälligkeit gegenüber Drogen bewirken oder bestimmte Verhaltensweisen fördern. Die Analyse des menschlichen Genoms führt also nicht nur zur Identifizierung genetischer Strukturen, die mit Krankheiten in Verbindung gebracht werden können, sondern in ihrem Rahmen sollen auch solche identifiziert werden können, die mit Verhaltensmerkmalen oder auch kognitiven Fähigkeiten korrelieren. Zu ersteren gehören beispielsweise die Gene, die in die Ausprägung von Homosexualität (vgl. z.B. Hamer et al., 1993), Autismus oder Aggressivität (Brunner et al. 1993) involviert sein sollen, und zu letzteren verschiedene, noch nicht im Detail analysierte Gene oder Genkomplexe, die die Entwicklung von Intelligenz positiv beeinflussen sollen. (Plomin 1990, Plomin 1994, Turner 1996) Ihren Ausgangspunkt hat die Annahme von verhaltens- oder intelligenzbeeinflussenden Genen in dem Befund, daß verschiedene Erkrankungen des Gehirns, die mit Veränderungen des Verhaltens oder der kognitiven Fähigkeiten einhergehen, eine genetische Basis haben. Wenn aber solche neurologischen Veränderungen, wie die bei der Chorea Huntington, durch die Veränderung in einem Gen hervorgerufen werden können, dann können – so der weitergehende Schluß – genetische Faktoren auch bei den normalen Leistungen des zentralen Nervensystems bzw. des Gehirns, wie Kognition und Verhaltenssteuerung, eine wichtige Rolle spielen. In den Prämissen und Schlußfolgerungen dieser Forschung liegt eine erhebliche soziale und politische Sprengkraft.
Denn wenn beispielsweise Verhaltensmerkmale wie ein erhöhtes Maß an Aggressivität auf genetische Faktoren zurückgeführt werden, dann lassen sich die Individuen, die solche Gensequenzen tragen, mit entsprechenden Gentests auch identifizieren. In diesem Zusammenhang wird befürchtet, daß es zur Diskriminierung derjenigen kommt, die ‚unerwünschte‘ Gene tragen, und daß Ansätze, die von einer starken sozialen Prägung menschlicher Fähigkeiten und Verhaltensweisen ausgehen, in den Hintergrund treten.
Parallel zu der zunehmenden Konzentration auf die molekulare Ebene ist allerdings in verschiedenen Bereichen der biologischen Forschung ein steigendes Interesse an komplexen Zusammenhängen und Prozessen zu verzeichnen. Dazu gehören bestimmte Bereiche der Hirnforschung ebenso wie die Entwicklungsbiologie, die sich die Erforschung der Keimesentwicklung zur Aufgabe gemacht hat. Aufmerksamkeit hat diese Forschungsrichtung vor kurzem besonders deshalb erregt, weil die Tübinger Biologin Christiane Nüsslein-Volhard für ihre Arbeiten in diesem Bereich 1995 den Nobelpreis zugesprochen bekam.“
Der Biologe Cord Riechelmann war da schon weiter, indem er sich auf das „postgenetische Zeitalter“ vorbereitete: „Auf jene Zeit, in der auch dem letzten Menschen aufgefallen sein wird, dass der gesamte Gentherapiequatsch nicht einen einzigen Menschen je von Krebs geheilt hat, aber sehr viele hat krank werden lassen.“
2007 erhielt zwar noch ein angloamerikanisches Dreierteam von Genetikern den Nobelpreis in Medizin „für eine Technik zum Ausschalten von Genen – die sogenannte ‚Knock-Out-Technik‘,“ wie das Magazin Focus meldete. Aber 2008 bahnte sich mit dem Platzen der Finanzblase die Wirtschaftskrise an und mit ihr geriet auch der Neoliberalismus in Verschiß. Nun wird es wohl bald wieder andersherum gehen – „postgenetisch“. Vorerst müssen wir aber noch solch einen Quatsch wie dem folgenden (der „Welt“ entnommen) lesen: „Rein biologisch gesehen widerspricht Homosexualität der Darwinschen Evolutionstheorie. Trotz allem hat sie sich durchgesetzt.“ Es ist aber doch sehr die Frage, ob diese ganzen Schwulen – Tiere wie Menschen – Darwin gelesen haben – und wenn ja, ob eine Lektüre überhaupt dazu führen kann, dass man von liebgewonnenen Gewohnheiten Abstand nimmt.
Der Primatenforscher Cord Riechelmann veröffentlichte unlängst in der Zeitschrift „Dummy“ einen längeren Text über Homosexualität:
Es gibt einen anti-homosexuellen Affekt, der beizeiten in der reproduktiven Mitte der Gesellschaft ausbricht. In zwei Anekdoten kommt er zum Ausdruck.
Die eine spielt im Delphinarium des Duisburger Zoo. Hinter der Glaswand im Wasser spielten zwei männliche Delphine mit ihren Geschlechtsteilen. Bei Delphinen sieht man das sehr gut, weil sie ihren Penis „ausklappen“ müssen. Wenn sie „normal“ schwimmen ist er im Körper versteckt. Dem Treiben sahen auch eine junge Menschenmutter und ihr etwa siebenjähriger Sohn zu, der dann aufmerksam neugierig fragte, was die Tiere da tun. „Das sind Mann und Frau und die machen Liebe“, war die Antwort der Mutter. Ein das Geschehen protokollierender Biologe, der danebenstand, warf wahrheitsgemäß ein, dass das aber zwei Männchen seien. Worauf die Mutter den Jungen bei der Schulter packte, wegschob und dem Biologen einen Blick zuschickte, der klar machte, das sie den Boten für die Botschaft verachtete.
Die andere Geschichte ereignete sich in Rocamadour, einem kleinen Ort im Zentralmassiv in Südostfrankreich. Dort leben in einem kommerziellen Affenwald über hundert Berberaffen unter sogenannten halbfreien Bedingungen. Ein Verhaltensforscher, der gerade dabei war zwei erwachsene Berberaffenweibchen bei einer auch im Menschensex als 69-Stellung bezeichneten Interaktion, in der die Weibchen gegenseitig mit Lippen und Zunge ihre Schamlippen berührten, nachzuzeichnen, wurde plötzlich von einer Kollegin angefahren, was er da tue. Auf die Antwort – homosexuelles Verhalten studieren – schrie die Biologin entsetzt auf: „Und woher kommen dann die ganzen Kinder?!“ und wendete sich stampfenden Schrittes ab.
Beispiele für Widerstände dieser Art gegen das Offensichtliche, das offenbar so schwer zur Kenntnis zu nehmen ist, ließen sich endlos aneinanderreihen. Das Biologen mit homosexuellem Verhalten bei Tieren ihre Schwierigkeiten haben, ist dabei auf dialektische Weise sprechend. Eine Wissenschaft, die in der Regel in Generationen denkt, also danach sieht, wieviel aus dem zweigeschlechtlichen Verkehr als Nachwuchs herauskommt, wird homosexuelle Handlungen aus denen keine Kinder folgen können, ausblenden müssen. Oder, wenn sie nicht zu übersehen sind, pathologisieren. In Biologielehrbüchern findet man denn auch bis in die heutige Zeit die Kennzeichnung tierischer Homosexualität als abnorm, depriviert oder fehlgeprägt. Verblüffend ist das, weil auf der anderen Seite die Evolution des Sex – des biologischen Geschlechts – bis heute kaum verstanden ist und dementsprechend schwer zu erklären. Die geschlechtliche Fortpflanzung stand mit Sicherheit nicht am Anfang der Evolution. Warum aber der Schritt von der ungeschlechtlichen zur geschlechtlichen Fortpflanzung überhaupt einen Vorteil haben soll, muß hier erst mal offen bleiben und wird später Thema sein.
Zuerst müssen die Begriffe geklärt werden. Unter Homosexualität wird im Folgenden nichts weiter verstanden, als zeitweilige sexuelle Aktivitäten zwischen Tieren des gleichen Geschlechts. Die Begriffe schwul und lesbisch werden vermieden, einfach weil sie zu sehr mit nur in menschlichen Gesellschaften vorkommenden sozialen und kulturellen Lebensformen konnotieren. Tiere sind nicht schwul oder lesbisch, Tiere sind neben anderem auch homosexuell. Die Mannigfaltigkeit, in der Tiere homosexuelles Verhalten realisieren, steht dabei der wuchernden und überbordenden Naturproduktion, die man gemeinhin unter dem Begriff Artenvielfalt verbucht, nur wenig nach. Da allerdings jeder Begriff der Artenvielfalt eine Floskel bleibt, solange man nicht versucht, ihn zu konkretisieren, wird hier eine kleine Phänomenologie der Homosexualität unternommen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Den bisher weitreichensten Überblick über das Phänomen hat der amerikanische Biologe Bruce Bagemihl in einer grundlegenden Studie mit dem Titel „Biological Exuberance. Animal Homosexuality and Natural Diversity“ 1999 veröffentlicht. Die Grenzen aber selbst von Bagemihls mäandernder Materialsammlung zeigen sich daran, dass die eingangs erwähnten Berberaffen bei ihm keine Erwähnung finden.
Die einst über ganz Europa verbreiteten Berberaffen leben heute nur noch in Rückzugspopulationen in den Bergen Algeriens und Marokkas. Berühmt ist die unter dem Schutz der englischen Armee stehende Population in Gebraltar. Berberaffen sind in bisexuellen Gruppen organisiert, deren Geschlechterverhältnis ausgeglichen ist. Als Anpassung an das nördliche Klima ist der Fortpflanzungszyklus der Tiere saisonal eng begrenzt. Die Paarungen beschränken sich auf die Herbst- und Wintermonate, die Jungtiere kommen im Frühjahr und Sommer zur Welt. Die Weibchen sind extrem promisk und schaffen es in der Regel sich mit allen Männchen der Gruppe zu paaren. Während die heterosexuellen Kopulationen einen deutlichen Höhepunkt in den Herbst- und Wintermonaten zeigen, kommen homosexulle Kontakte das ganze Jahr über zwischen beiden Geschlechtern vor. Über die bereits beschriebene Form weiblicher gleichgeschlechtlicher Sexualität hinaus, interagieren auch die Männer in vielfältiger Weise miteinander. Dazu gehören orale Stimulationen genauso wie Analpenetrationen. Im Frühjahr, wenn die Neugoborenen zur Welt kommen, sind Kontakt zwischen Männern besonders häufig. Berberaffenmänner haben ein starkes Interesse an Kindern und beteiligen sich schon in den ersten Lebenstagen der Babys an deren Betreuung. Das tun sie unabhängig von der Vaterschaft und in der Regel so gut wie die Mütter auch. Männer, die Kinder tragen, treten währenddessen häufig in Kontakt zu anderen Männern. Im Verlauf dieses scheinbar ritualisierten Treffens kann es auch zu sexuellen Handlungen wie Griffen an den Penis des Partners kommen. Das Kind kann dabei kurzzeitig „unwichtig“ werden, vernachlässigt wird es aber nicht.
Homosexuelle Aktivitäten sind bei Berberaffen nie ausschließlich und also kein Widerspruch zur Fortpflanzungssexualität. Und das männliche Primaten durchaus als Kinderbetreuer taugen, war schon länger bekannt. Als Clarence Ray Carpenter, einer der Pioniere der modernen Freilandforschung, in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Gibbonfamilie mit einem Kind über längere Zeit im asiatischen Dschungel beobachtet hatte und sie abschoß, was damals üblich war, um sie besser untersuchen zu können, machte er eine denkwürdige Entdeckung. Die beiden Erwachsenen waren nicht Mann und Frau, sondern zwei Männchen. Die beiden Gibbons werden das Kind allerdings erst nach den ersten Lebensmonaten adoptiert haben, denn männliche Primaten haben keine Milch und können so bei Neugeborenen die Mutter nicht ersetzen.
Aber selbst für die Adoption gerade zur Welt gekommener Tiere gibt es ein Beispiel.
Rosaflamingos brüten in riesigen Kolonien von bis zu hunderttausend Paaren. Man nahm lange an, es handele sich um monogame Paare, die da ihre Nester bebrüten. Was bei genauerem Hinsehen zwar für die Mehrzahl stimmte, es fanden sich aber auch eine Menge Alternativen. Flamingos legen nur ein Ei. In manchen Nestern lagen aber zwei Eier, die dann auch von zwei Weibchen und einem Männchen bebrütet wurden. Oder zwei Männchen und ein Weibchen pflegten ein Nest mit Küken. Es gab aber auch auffällig große beziehungsweise kleine Nester, manchmal ganz ohne Ei. Das waren gleichgeschlechtliche Paare beiderlei Geschlechts, die merkwürdigerweise später manchmal ein Küken versorgten. Flamingos ernähren ihre Küken mit Kropfmilch, deren Zusammensetzung der der Säugetiere gleicht. Bei den Vögeln produzieren allerdings beide Geschlechter Milch, unabhängig davon ob sie selbst Kinder haben oder nicht. So können Junge, die ihre Eltern verloren haben oder von ihnen verlassen worden sind, was bei unerfahrenen Flamingoseltern häufig vorkommt, relativ leicht adoptiert werden.
Über die Lebensgeschichten der Flamingos ließen sich in diesen Fällen keine Aussagen machen. Und damit auch nicht der häufig vorgebrachte Einwand, die homosexuellen Paare seien nur aus der Not geboren, schlicht eine Folge des Mangels an Partnern des anderen Geschlechts, entkräften. Der heute in Neuseeland lebende kanadische Verhaltensbiologe Joe Waas, der jahrelang Zwergpinguine in verschiedenen Gebieten beobachtete und mit ihnen tauchte, konnte an den kleinen Pinguinen zeigen, das dieser Einwand nicht immer stimmt. Die Paarbildung ist bei Zwergpinguinen ein zwingendes Prinzip. Finden die Männchen keine Weibchen, tun sich zwei von ihnen zusammen und verrichten bis aufs Eierlegen dieselben Tätigkeiten wie heterosexuelle Paare. Waas konnte zeigen, dass die gleichgeschlechtlichen Paare nicht nur aus der Not geboren waren. Nicht alle gaben ihre Bindung auf, wenn sich ein Partner des anderen Geschlechts anbot. Manche blieben homosexuell. Ebenso taten es die vor ein paar Wochen durch die Presse stapfenden Humboldtpinguine des Bremerhavener Zoos. Man hatte den Männerpaaren dort extra Weibchen von weit her eingeflogen. Ohne Erfolg.
Und ohne hier eine funktionelle Erklärung der geschilderten Verhaltensformen geben zu können und zu wollen, kann aus den Phänomenen ersteinmal nur folgen: Es gibt eine offenkundundige Vielfalt sexuellen Verhaltens und sie ernst zu nehmen anstatt sie zu verdammen oder zu pathologisieren, schärft und entspannt den Blick. Es hat sich nämlich von allen evolutionsbiologischen Argumenten, warum es überhaupt Sex – sprich:Geschlechter – gibt und nicht viel mehr asexuelle Wesen, nur ein Agument bis heute gehalten. Die geschlechtliche Reproduktion bietet Vorteile im Kampf gegen mikroorganismische Parasiten. Wenn Nachkommen nämlich nicht exakt mit den Eltern biochemisch identisch sind, fällt es den an die Eltern angepaßten Mikroorganismen schwerer die Jungen genauso auszubeuten wie die Alten. Aber auch für diesen Vorteil müssen nicht alle auf die gleiche Weise sexuell aktiv sein. Denn die „Natur“ ist selbst mit der Einteilung der Geschlechter nicht immer genau. Ein alter Ausdruck davon findet sich in den Mythen einiger Völker im Hochland Neuguineas.
Einige Stämme verehren dort Helmkasuare, flugunfähige große Laufvögel, als die herausragenden Vertreter androgyner und hermaphroditischer Naturprinzipien. Als maskulinisierte Frauen finden sie ihren wohl elaboriertesten Einsatz in den Mythen und Riten der Bimin-Kukusmin im zentralen Hochland Neuguineas. Ausgewählte Stammesmitglieder werden über komplizierte Initiationen zu heiligen Repräsentanten der Intersexualität ihrer Vorfahren. In Kostümen deren weiblichen Attributen immer ein überdimensionierter Penis beigefügt ist, erzählen sie die Geschichte dieser „Tiermenschen“ als eine der Männermütter, die Fruchtbarkeit symbolisieren, aber nicht selbst reproduktiv sind.
Halten wir fest:
Wenn Homosexualität derart weit verbreitet ist – in der Tier- und Menschenwelt, dann kann es sich ja wohl nicht um einen „Gendefekt“ handeln, sondern ist schlichtweg Ausdruck einer Disposition zur Promiskuität, die älter als die Geschlechterdifferenz ist. Und wenn z.B. in den industrialisierten Ländern die Homoehe und die Kinderadoption durch Homopärchen durchgesetzt ist oder wird, dann ist auch dies ein Zeichen für die Akzeptanz unserer „Animalität – d.h. des „Tigers“, auf dem wir nach wie vor reiten. Das steht der Züchtung des „Übermenschen“ entgegen. Kein Wunder, dass die mit gentechnischen Waffen operierenden Biopolitiker im Verein mit der katholischen Kirche die Homosexualität stattdessen lieber „heilen“ wollen.
Und weil diese reaktionären Kreise immer noch oder schon wieder so mächtig sind, deswegen kommt das „Outing“ selbst von schwulen Pavianen einer Denunziation gleich. Der Ethnopsychoanalytiker Paul Parin besuchte 1972 (!) den Pavianforscher Hans Kummer in Äthiopien. Gemeinsam schauten sie dem Treiben auf dem Affenfelsen zu. Hans Kummer berichtete anschließend darüber in seinem Buch „Weiße Affen am roten Meer“.
Paul Parin schrieb darüber den Aufsatz „Kurzer Besuch bei nahen Verwandten“ (abgedruckt in: „Eine Sonnenuhr für beide Hemisphären“). Darin heißt es:
Es war uns vergönnt, dabeizusein, wie sich eine Vermutung der Forscher erstmals bestätigte. Zwei ältliche Junggesellen – ihre Namen müßte ich verschweigen, wenn ich sie nicht vergessen hätte- lebten seit langem zusammen und schliefen eng aneinander in einer Felsspalte. An jenem Abend jedoch, in der Stunde der Geselligkeit, näherte sich ein schlanker Jüngling dem einen der gesetzten Herrn, kraulte ihm verstohlen das Fell und bot ihm, wenn der Freund des Alten nicht hinsah, sein hellrotes Hinterteil.
Der Strichjunge, wie wir ihn nannten, hatte Erfolg. Dem Freund des Verführten waren die Zärtlichkeiten der beiden nicht entgangen. Jetzt war es zu spät. Aus den Augenwinkeln schielte er hinüber, wie sich sein Freund mit dem Gespielen einließ. Verlegen blickte er zu Boden. (…) Traurig – das sah man seinen müden Bewegungen an – turnte er schließlich den Felsen hinauf und fand einen Platz für seine einsame Nacht. Als es dunkelte, hatte auch das ungleiche Paar genug vom sinnlichen Spiel. Die beiden setzten elastisch hinauf zum gewohnten Schlafplatz der Freunde.