Das Oberdeck des 129ers ist hell erleuchtet. Das nächtliche Kreuzberg gleitet draußen schemenhaft vorbei. Zwei Frauenrücken vor mir. Kräftiges, kurz geschnittenes Haar, runde Schultern, die vom wetterfester Mikrofaser bedeckt sind. Das Idiom ist bayrisch. Die beiden Frauen auf der ersten Bank sehen, wenn sie durch die Frontscheibe gucken, vor allem ihr eigenes Spiegelbild. Fröhlich reden sie über Körperfülle im allgemeinen und im besonderen. „Steht ne Frau vor dem Spiegel und fragt: Bin ich schön? Oder bin ich dick? Sagt ihr Mann: Schön dick!“
Auf der Nachbarbank lässt eine junge Frau ihr Buch sinken. Eine dicke Schwarte, so ein nachhaltiger Roman. „Sie müssen sich mal das Buch ‚Denk dich schlank!‘ kaufen“, sagt sie. Die Frau ist schwarz angezogen, das blond gefärbte Haar steht strohig vom Kopf. Ein funkelndes Piercing in der Oberlippe. Schwarz umrandete Augen. „Ja, glooben Se mir, das hilft wirklich!“
Die beiden Touristinnen schauen irritiert zu ihr herüber.
„Ja, das is nämlich so, das Abnehmen, das hat gar nix damit zu tun, ob Se weniger essen, oder Diät, oder mehr trinken und sowas. Das müssen Se zuerst denken! Das fängt nämlich im Kopp an.“ Die Blonde zeigt mit dem dicken Buch an ihre Schläfe. Die beiden vor mir kichern ein bisschen verlegen. „Ick habet jelesen. Ick hab es selbst probiert. Das is das einzige, was wirklich hilft.“ Die Freundinnen wissen nicht, wie sie reagieren sollen. Irgend was sagen sollten sie. Aber was? Die Blonde mustert die beiden. „Sie sind nich von hier, wa?“ „Na, mir san aus Bayern.“ „Ja, det hört man. Aber kaufen Se sich mal das Buch. Det heißt ‚Denk dich schlank'“, wiederholt sie. Ok, ‚denk dich schlank‘, fange ich nun auch an, mir zu merken. Zum Glück sind die Ratschläge nicht an mich adressiert. Was können die beiden Bayrinnen jetzt noch dazu sagen? Wie wieder herausfinden aus der schlanken Kontaktaufnahme? „‚Denk dich schlank‘, dös ist ja leicht zu merken,“ fällt schließlich der einen ein.
Die bereitwillige Anwort ermutigt die Blonde aber zu weiteren Erklärungen. „Ja, das is von so nem Schweizer, der hat das selber auch gemacht. War vorher ganz dick. Jetzt sieht der echt toll aus.“ Und sie erzählt weiter von dem Buch. Dass sie es jetzt auch so macht. Und sie hat im letzten Monat schon 10 Kilo abgenommen.
Die beiden vor mir werfen jetzt auch verstohlene Blicke. Ihnen fällt absolut nichts mehr ein. Ob sie denken, dass das die Berliner Methoden sind, Touristinnen in einen Buchring zu locken? Das Buch, was die Berlinerin auf dem Schoß hat, scheint es jedenfalls nicht zu sein, sonst hätte sie es sicher schon herumgezeigt. Ich bin gespannt, wie das ausgeht.
Das kriege ich aber nicht mehr mit, weil ich aussteigen muss.
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