vonWolfgang Koch 30.11.2006

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Peter Weibel hat kürzlich gesagt: »Ich hab nicht die FPÖ [Freiheitliche Partei Österreich] gebraucht, um die österreichische Kulturszene zugrunde gehen zu lassen, da hat mir die Kabarettzene dafür genügt!«

Weibel ist Österreichs prominenter Kulturemigrant am ZMK Karlsruhe. Er argumentiert, die alte Wiener Garde, Karl Farkas und Helmut Qualtinger, die längst tot sind, diese Granden des Wiener Humors hätten noch die verborgenen Beziehungen zwischen Kunst und Komik gekannt und Farkas und Qualtinger hätten diese geheime Beziehung sichtbar gemacht – die medial gehypte Kabarettszene von heute aber tue das gerade nicht.

Recht hat er, der Weibel! Mit einigen Ausnahmen, und eine davon stelle ich heute vor. Tex Rubinowitz ist ein seltsam unfroher Zeitgenosse für einen Humoristen, und ein nach Wien emigrierter Deutscher obendrein. Das bedeutet zunächst, dass er hier ein Beethoven-Schicksal erleidet, also bis zum Ende vom sprachlichen Idiom seiner Begierde getrennt bleiben wird, zugleich aber nicht lassen kann von den Rockschössen Wiens.

Tex Rubinowitz einen »Clown« oder einen »Komiker« zu nennen ist so streng verboten wie Bernd Begemann einen
»Rockkabarettisten«. Witzig an diesen beiden Köpfen ist ja eher die Verweigerung von Publikumserwartungen. Die Quassel-Stars des Austrokabaretts, die nässen ihr Publikum von der Bühne des Simpel, des Orpheum und des Vindobona herab mit österreichischen Ortsnamen wie Hühnergeschrei und Maria Elend vor Lachen ein. Rubinowitz war das immer zu billig.

Der Mann verweigert jeden Brachialhumor. Er pflegt eine durch und durch romanische Beziehung zum Kranken, zum Abgelegenen, zum »guten Kaputten«. Der 45jährige Zeichner und Autor Rubinowitz lächelt selbst nie; sein gelegentliches Auflachen gleicht eher einem kurzen hysterischen Geschrei. Der Mann findet eigentlich nichts lustig, nein, er erklärt etwas dazu und verzichtet dabei weitgehend auf das Einverständnis des Publikums. Das ist seine Methode, und es gehört nicht viel dazu zu erraten, dass sie keinen rasenden Anklang bei der Masse findet kann.

Rubinowitz ist russophil und turkophil, und: er schwimmt gerne in Kaltwasser. Diese gefährliche Dreifacherkrankung hat ihn 1984 bis nach Wien-Mariahilf geführt, an den Südrand der deutschen Sprache, von wo aus er seine Streifzüge in den Strassenfluchten Wiens unternimmt. Unter uns wirkt Rubinowitz seitdem als kleinintellektueller Kreativer mit einem sehr ausuferndem TV-Konsum, und im augenzwinkerndem Status eines Orginalgenies.

Seine neuen Wien-Recherchen in Buchform sind nicht hundertprozentig frisch, sind schon als Sommerserie im Falter erschienen. Nachlesenswert sind sie dennoch, ja das Buch trägt durchaus einen ganzen Leseabend.

Dank Rubinowitz erfährt man über Wien eine Menge. Etwa, dass in der Strozzigasse Frau Erika Handl, verehelichte Pamitz, bereits seit 67 Jahren Leibwäsche für die »starke Dame« anbietet. An anderer Stelle fragt sich Rubinowitz, ob der Karpfen (Kosename Teichschwein) so träge ist, weil er so dick ist, oder so dick, weil so träge. Man sieht schon: Der Mann pflegt eine grenzenlose Liebe zum Verschrobenen, mithin wohl auch zu sich selbst.

»Gibt es etwas Erotischeres als eine Japanerin, die türkisch, oder eine Türkin, die japanisch spricht, am besten mit Zahnspange?« – Rubinowitz spekuliert in knappen Sätzen über den Ekel von erkaltetem Wurstheissmachwasser, er entdeckt im Botanischen Garten ein Warnschild mit der Aufschrift »Kinder wegen der vielen Giftpflanzen nicht unbeaufsichtigt lassen«, und dass ebendort eine ganze Abteilung »Bastarde und ihre Eltern« heisst.

Das ist nett und belehrt mühelos. Wir werden uns beim nächsten Besuch sicher genauer im Botanischen umsehen.

Der seltsame Wahlheimat-Forscher Tex Rubinowitz kennt wahrlich dunkle Orte der Stadt: den einzigen Kinderbaggerplatz Wiens zum Beispiel. Er beobachtet die allabendliche Eierverladeaktion von zwei gelben Transportern der Firma Wallseer Vollfrischeier am Parkplatz hinter dem Naschmarkt. Und dort erfährt er für uns, dass Ei und Dotter getrennt um vier Uhr morgens an Wiens Bäckereien ausgeliefert werden (Die Ei- und Dotterlieferanten schlafen bis dahin ein paar Stunden in einer Eierwohnung über dem Lokal Pfeffer & Salz.)

Man sieht: An Rubinowitz kann es keinesfalls liegen, dass die österreichische Kulturszene zugrunde geht! Sie hat zumindest ein weit aufgerissenes Auge. Dem selbsternannten Stadtforscher bleibt selbst das Unwürdigste nicht verborgen, also dass etwa die Rüsselkäfer in der Michaelergruft mittels eines Luftentfeuchters gekillt und so die Särge gerettet werden. Ein Detektiv alles Staubigen, das ist er! Ihn interessieren aber nicht die Toten, sondern was mit dem entfeuchteten Mumienwasser geschieht.

Makaber? – Ja, aber eben stilsicher makaber. Rubinowitz besucht den Friedhof der Namenlosen im Alberner Hafen und stellt dort fest, dass die Toten gar nicht so namenlos sind. Und weil er schon einmal da ist, besucht er auch gleich das Wiener Tierkrematorium und erkundigt sich, ob er dort seine Giraffe verbrennen lassen kann. Antwort: Nein, die Giraffe nicht, die Öfen fassen nur siebzig Kilo. Mit seinem toten Langhals muss Rubinowitz jetzt nach München ausweichen.

Tex Rubinowitz: Das staubige Tier. Über Wien und unter Wien. Mit Farbfotos und Zeichnungen, 189 Seiten, Broschur, ISNB 3-85439-380-6. www.falter.at/buch

© Wolfgang Koch 2006
next: MO

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/der-buster-keaton-des-wiener-humors/

aktuell auf taz.de

kommentare