vonKarim El-Gawhary 25.01.2011

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog

Das war zweifelsohne einer der aufregensten Tage meines Lebens. Ich komme gerade vom Tahrir-Platz im Zentrum Kairos. Es ist 22:00 Kairoer-Zeit. Tausende haben sich dort versammelt. Es herrscht eine Volksfeststimmung. Nachbarn bringen Kartons mit Wasser vorbei und Essen und verteilen das an die Demonstranten.  Läden haben geöffnet und stellen ihre Toiletten zur Verfügung. Viele der Jugendlichen sagen, sie wollen heute auf diesem Platz übernachten.

Ich bin dort dem ägyptischen Schriftsteller Alaa Al-Aswani begegnet, dessen Bücher auch ins Deutsche übersetzt wurden und der vor zwei Jahren mit dem Bruno Kreisky Preis ausgezeichnet worden war. Ich habe ihn gefragt, wie er sich heute fühlt. Seine Antwort:

„Das ist ein historischer Tag, ab heute gibt es kein zurück mehr“.

Und auf meine Frage, ob Mubarak auch bald in ein Flugzeug steigt, hat er gelacht und gesagt:

„Ich hoffe, dass das so bald wie möglich geschieht“.

Interessant war das Verhalten der Polizei heute. Als die Demonstrationen mittags begannen, ist sie stundenlang überhaupt nicht eingeschritten. Wir standen vor dem Gebäude der Regierungspartei an der Niluferstraße und die Demonstranten riefen  „Diebe, Diebe“ und die Polizisten standen da und verkniffen sich ein Lächeln. Einer zückte sein Handy, um ein Erinnerungsfoto zu machen. Ich habe ihn gefragt warum: „So etwas habe ich noch nie erlebt, sagte er begeistert“.

Dann gab es am Nachmittag doch ein paar Zusammenstöße mit der Polizei. Die ging mit Schlagstöcken gegen die Demonstranten vor, die jegliche Angst verloren haben und die Polizisten mit einem Steinhagel eindeckten. Am Ende liefen die Demonstranten hinter den Polizisten her, die zum ersten Mal in Ägypten selbst zu Gejagten wurden. Man kann das ganz gut in unserem heutigen leider sehr kurzen Beitrag in der ZIB um 19:30 sehen.

Später hat sich die Polizei dann vollkommen vom Tahrir-Platz zurückgezogen. Sie wartet in den Seitengassen ab was passiert. Nur eine Kette hat sich sicherheitshalber vor dem ägyptischen Museum aufgebaut. Hoffentlich macht die Polizei heute Nacht keinen Blödsinn. Ich habe gehört, dass der Geheimdienst vereinzelt Demonstranten in den Seitengassen abgegriffen hat. Aber es in der Tat schwer vorzustellen, wie das Regime die Situation noch herumdrehen kann, ohne ein Blutbad anzurichten. Dabei darf man nicht vergessen, dass meine heutigen Erlebnisse nur ein ganz kleiner Ausschnitt des heutigen Tages in Ägypten waren. Es fanden überall im Land ähnliche Demonstrationen statt, von Alexandria, übers Nildelta bis zum Suezkanal.

Morgen wird sicherlich erneut ein aufregender Tag.

Nur noch ein letzter Hinweis: leider funktioniert twitter im Moment nicht. Wer an regelmäßigen updates interessiert ist,  sollte auf meine Facebook-Seite zurückgreifen

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/der_absolute_wahnsinn_in_kairo/

aktuell auf taz.de

kommentare