vonlottmann 11.12.2008

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„Nun, wie gefällt Ihnen unsere Stadt?“ wurde ich jetzt immer häufiger gefragt, oft mit Hilfsantworten versehen wie „Nicht war, die Bavaria? Die Bayerischen Motorenwerke? Der FC Bayern München?“ Nun war ich aber schon eine ganze Woche in der Landeshauptstadt des einst blühenden Freistaates und hatte noch immer nicht den Sitz des FC Bayern in der Säbener Straße besucht. Das war schon dreist. Zum Glück ergriff Christina Friedmann dann selbst die Initiative und fuhr mich mit ihrem eigenen Auto, einem Volkswagen Move (bayerisch „Muff“), den sie zärtlich ´Lupo´ nannte, da sie als Kind gern Fix & Foxi Hefte las. Das ist natürlich etwas gewöhnungsbedürftig. Andererseits ist es für eine Bayerin sicher netter, ihr Auto Lupo zu nennen, als den fragwürdigen Eingebungen der Wolfsburger Werbestrategen zu folgen.
Wie auch immer, wir fuhren nach Giesing, wo der Präsident und Gründer des Vereins mit seiner Mutter lebte. Dort befand sich natürlich auch das Vereinsheim, eben in der Säbener Straße.
„Können wir bitte auch am Beckenbauer Geburtshaus vorbeifahren?“ fragte ich.
Aber Christina, übrigens keine wirkliche Bayerin, also sie spricht akzentfreies Hochdeutsch, noch nicht einmal vom sympathischen Münchnerisch eingefärbt, aber eben doch eine hundertprozentige Frau, wußte natürlich nicht, wo Kaiser Franz geboren war. Nur:
„Der hat seit kurzem eine neue Familie. Neue Frau, ein Satz neuer Kinder, und ein neuer Bungalow.“
„Aber doch in Giesing!“
„Glaub´ ich nicht.“
„Und die Mutter? Die Kaiserin-Mutter?“
„Während der Weltmeisterschaft gestorben. Als das 1:0 gegen Polen fiel.“
„Muß man verstehen. Oliver Neuville. In der Nachspielzeit.“
Christina verfuhr sich. Und zwar nicht nur einmal, sondern permanent. Ich fand das sehr süß, da es ihr überhaupt nichts ausmachte, und ihre Laune nach jedem Fahrfehler besser wurde. Für sie war Autofahren zweckfreier Spaß, und der zeigte sich am deutlichsten, wenn der Zweck immer wieder konterkariert wurde. Ich sah daran auch, wie ähnlich ich Christina war, da ich ja selbst ohne jede Orientierung auf der Welt agierte. In meinem neuen japanischen Mittelklassewagen samt GPS-Weltraum-Navigation und Anti-Terror-Abwehrschirm hätte es allerdings diesen Spaß am Fehlermachen gar nicht geben können (aber Christina bestand darauf, den ‚Muff‘ zu nehmen). Wir hielten an jeder Tankstelle, die kam, um uns zu verpusten, ein bißchen zu knutschen und die Lage zu peilen. Einmal kauften wir sogar eine Bild Zeitung. Auf den ersten vier Seiten wurde über den großen ´Bild Ein Herz für Tiere´ Preis berichtet, ich glaube er wurde in 22 Kategorien verliehen, und ungefähr 222 Stars waren dort abfotografiert worden, darunter auch Vicky Leandros, Heino, Dr. Mathias Döpfner und Benjamin von Stuckrad-Barre. Europas größte Zeitung titelte ganzseitig ´DANKE!´ und zählte dann alle Namen auf. Ich las Fräulein Friedmann, die normalerweise nur die Süddeutsche Zeitung (weil umsonst) liest, alles vor:
„Der große Dichter Benjamin von Stuckrad-Barre (32, Sakko Julia and Ben) mit Sarah Connor (28, ausgezeichnet in der Kategorie best regional mainstream performance) verschwanden bald in dunklere Gefilde und machten sich unsichtbar. Läuft da was?“
Dennoch ärgerte es mich irgendwann, daß wir die Säbener Straße nicht fanden. JEDER Münchner kennt sie. Selbst Oliver Pocher war schon dort. Es ist die Kaaba der hiesigen Bevölkerung, die liebevoll gepflegte heilige Stätte. Joseph Lenbach, das Faktotum, hätte uns doch locker hinkutschieren können. Aber der alte Mercedes, ein schwarzer 600er Pullmann aus der Frühzeit Helmut Kohls, war angeblich nicht einsatzfähig. Einen Volkswagen ´Move´ faßte der stolze Leibeigene mit dem schulterlangen Silberhaar natürlich nicht an.
Wir mußten schließlich unverrichteter Dinge wieder zurückfahren. Als Ersatz zeigte das Fernsehen ein Spiel der Beckenbauer-Truppe gegen den FC Lyon, das die Münchener 3:2 gewannen. Danach wurde ich zwangsverpflichtet, in der Kommune ´Mein amerikanischer Freund´ zu gucken, frei nach Wim Wenders, von meinem Neffen Severin. Und weil es so schön war, fragte man mich, ob ich die Getty Zwillinge nicht zur Theater Premiere ihres Stücks in den Sophienhöfen in Berlin begleiten wolle, am morgigen Freitag. Ich war nun in der Zwickmühle: Wenn ich in München blieb, konnte ich in deren Abwesenheit die Palastwohnung der Gettys in der Türkenstraße bewohnen. Andererseits wußte ich, daß die Reisen mit den Zwillingen immer erlebnisreich und inspirierend waren. Man wurde von morgens bis abends beschenkt, vor allem mit interessanten neuen Bekanntschaften. Und ich kam auf diese Weise umstandslos nach Berlin zurück.
Freilich wollte ich auch meine vormaligen Gastgeber, die alte Frau Ribéry und ihre gutherzige Tochter Eva Maria, nicht einfach so formlos stehenlassen. Besonders Eva Maria hätte mir dann leid getan. Sie war das vielleicht letzte Exemplar der ausgestorbenen Gattung ´die artige Tochter´. Sie stand schon um sechs Uhr morgens auf, kochte der strengen Mutter den Gewürztee, sprach ihr das Morgengebet, fütterte die Katzen, goß die Blumen, kümmerte sich um die Korrespondenz, klopfe dem Lenbach die Pelzmütze aus, malte feine Aquarelle im Garten, arrangierte Tischdecken, Kissen und so weiter. Sie achtete auf die Geburtstage, hatte für jeden ein freundliches Wort, war immer topfit auf den Beinen und beklagte sich nie. Sie hatte als höhere Tochter nicht nur eine heute nahezu unbekannte Herzensbildung, sondern auch eine normale, bürgerliche Bildung, die sich aus tausenden von Bänden klassischer Hochliteratur speiste. Kurz: sie war meine beste Freundin. Nur ganz selten ärgerte sie sich, und da ihr Wesen klar war wie Quellwasser, sah man es ihr an. Die bösen Gedanken schienen ihren sonst so zierlichen Kopf aufzupumpen, und die Augäpfel wurden dadurch von innen nach außen gedrückt. So saß sie da und ärgerte sich, den Blick gesenkt, und brütete über das gerade Erlebte. So war es auch heute, als ich ihr gesagt hatte, ich müsse sie beide, meine gute Eva und meine schöne Christina, wömöglich wieder verlassen, für ein paar Tage vielleicht. Sie hätte es wohl gern andersrum gehabt, mit den zugeordneten Adjektiva.
Da verstehe einer das zarte Geschlecht. Güte scheint bei ihm gar nicht zu zählen. Ich ließ sie dann erstmal da sitzen (Foto) und nahm mir vor, die Entscheidung zu vertagen. Ich wollte und konnte niemandem weh tun. Sollte ich etwa diese wunderbare Freundin Eva mit ihrem Blähkopf zurücklassen, der vor Wut schier zersprang? Nein, das mußte ich erst einrenken. Aber Frau von Winkelmann erwartete von mir bestimmt, daß ich zu ihrer Premiere kam. Nun gab es noch das Angebot von Christina, im Zimmer ihrer abwesenden Tochter Minolta Quartier zu nehmen. Und auch Frank Hartung bestand darauf – ich erwähnte es noch gar nicht – bei ihm und seiner neuen Frau Pia zu wohnen. Es war also eine schwierige Situation für mich, und doch, bei Lichte besehen, was für eine herrliche!






(Von oben nach unten: 1. Eva Maria Ribéry ärgert sich ins Bodenlose, wobei ihr Kopf sichtbar größer wird, 2. Christina Friedmann fotografiert die Ausläufer von Giesing, 3. Im ‚Lupo‘ liegt noch die Bild Zeitung mit dem Stuckrad Barre Jubelartikel, 4. Jutta Winkelmann steigt in das neue japanische Mittelklassefahrzeug, das den Wartburg ersetzte, 5. der Autor inspiziert das bayerische Wahrzeichen ‚Bavaria‘, 6. Das zur Hartungfamilie gehörende Haus am Kurfürstenplatz in der Mitte von München Schwabing.)

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