vonlottmann 24.04.2009

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Es ist Freitag – das Wochenende beginnt! Das vertraute WE, wie wir hier sagen. Morgens die Meldung in der Süddeutschen (SZ), daß Opel bei FIAT einsteigt (s.Foto), und Volkswagen (VW) bei Porsche. Ja, kein Scherz: die Übernahmerichtung hat sich da angeblich umgedreht. Aber, what the fuck (WTF), was soll denn das jetzt eigentlich heißen? Ich dachte, die Porsche Motor Holding (PMH) besäße bereits 51% der VW-Aktien? Ich schob die Münchener Zeitung mit den ebenfalls ungeklärten Besitzverhältnissen ans Tischende und wandte mich dem üppigen Frühstück im Nola´s zu (s. Foto). Das Nola´s liegt auf dem höchsten Punkt des Weinbergparks. Hier lektorieren mein Lektor Van Huelsen und ich seit Tagen den Roman DER GELDKOMPLEX.

Abends, nach weiteren 40 lektorierten Seiten (ich lese & lektoriere immer jede vierte Seite, der nette belgische Lektor jeweils die drei Seiten dazwischen), ging ich noch ein bißchen im Park auf und ab. Die Sonne senkte sich bereits, als ich angesprochen wurde. Eine Gruppe junger Leute wollte wissen, ob ich ´der Joachim Lottmann´ sei. Das war für mich nichts Ungewöhnliches, jedenfalls nicht in letzter Zeit und nicht im Weinbergspark. Viele Leute lesen ja meinen taz-Blog, und in der jüngsten Vergangenheit hatte ich mehrfach über unsere Lektoratsarbeit hier berichtet. Es war mir trotzdem nicht ganz recht, jetzt mit den jungen Menschen ins Gespräch kommen zu sollen. Ich war müde und ausgelaugt von den stundenlangen Diskussionen mit Van Huelsen. Sein Deutsch ist ja nicht ganz unproblematisch. Viele Begriffe müssen wir auf Französisch klären, das ich zum Glück wie eine zweite Muttersprache beherrsche. Van Huelsen spricht wiederum besser Flämisch als Französisch, aber besser Deutsch als Englisch. So geht es immer hin und her, und wenn wir erregt sind, gehen alle Sprachen bei mir durcheinander, während mein Gegenüber ganz und gar im guturalen Flämisch versinkt. Man kann sich wohl vorstellen, daß ich mich verbraucht und um Jahre gealtert fühlte, als ich, nun endlich allein, durch den Park schlich. Mein Gesicht war aufgedunsen vom vielen Weißwein, der Mund ausgefranst vom ewigen Reden, der hellbraune Sommeranzug warf unschöne Falten. Und nun auch noch die deutsche Jugend! Die hatten wohl gelesen, daß ich am Vortag mit einer Gruppe Realschüler über politische Fragen diskutiert hatte (s.a. tazblog v. 23.4.2009 ´Politik knallhart´). Erst hatte ich mich bereitwillig auf die Menschen zubewegt, weil ich den einen, der mir als erster zurief, und der auf dem Boden saß, für meinen Freund Benjamin von Stuckrad-Barre (BvSB) gehalten hatte. Aber er war es gar nicht. Und er wollte mich nicht grüßen, sondern um Feuer für die filterlose Zigarette fragen, die er demonstrativ unangezündet in der rechten Hand hielt. Nun war es zu spät. Ein anderer, der schon aufgestanden war, stellte sich ängstlich vor mir auf, die Hände am Rücken verknotet, und fragte schüchtern, wie gesagt, ob ich der J.L. sei, und als ich bejahte, ob man mein neues Buch DER GELDKOMPLEX schon irgendwo lesen könne, im Netz zum Beispiel. Ich antwortete:
„Nein, der Roman DER GELDKOMPLEX wird ja gerade erst lektoriert.“
„Aber fertiggeschrieben ist er doch schon, hab ich gehört?“
Ein junger weißer Hund, eine Art Zwergschäferhund mit weißem Fell, stand nun ebenfalls aufmerksam vor mir und musterte mich, fast so intensiv wie die blendend schöne Studentin, die neben mir auf dem Rasen saß und mich beinahe berührte.
„Ja, schon im Februar habe ich die letzten beiden Kapitel geschrieben, nämlich das Höhepunkt- und das Tiefpunktkapitel, in dieser Reihenfolge.“
Die Abendsonne warf lange Schatten, länger als die Menschen waren. Ein zweites Mädchen stand auf, weil das Handy klingelte. Sie entfernte sich, sprach in weiter Entfernung weiter, neben einem Fahrrad, das ihr offenbar gehörte und welches sie unweit einer der hier typischen 50er Jahre Parklaternen abgestellt hatte. Aus den Satteltaschen holte sie zwei belegte Baguettes, die sie beim Bäcker gekauft hatte, und Kuchenstücke, die mit Apfel gefüllt waren. Der schüchterne junge Mann, wohl ein Ossi, wagte eine weitere Frage:
„Was steht denn so in dem Buch drin? Können Sie das schon verraten? Oder wird dann die Spannung zerstört?“
Ich überlegte. Sollte ich denen jetzt ein ganzes Interview geben, oder was? Aber dann fiel mir ein, daß ich den Entwurf zum Klappentext gerade bei mir trug. Van Huelsen hatte eben noch daran herumgeschnitzt. Es war sicher kein großer Geheimnisverrat, wenn ich daraus einfach ein paar Sätze zitierte.
„Also, Ihr versteht bestimmt, daß ein echter Künstler oder Schriftsteller niemals sein eigenes Werk interpretieren würde. Dafür sind die Kritiker da. Aber ich kann Euch ein bißchen aus meinem Klappentext vorlesen, wenn Ihr wollt.“
„Oh, ja, bitteschön, gerne!“
„Also… hier hat mein Lektor… also zum Beispiel: ´Parsifal hätte nie gedacht, dass seine Zeit irgendwann enden würde. Er starb früh und naiv… Auch Hiob mochte von seinem Glauben lange nicht abfallen. Ähnlich Joachim Lottmanns Erzähler, ein leidlich erfolgreicher Bohemien aus Berlin. Seinen Abstieg verfolgt er höchst interessiert und mit sonnigem Gemüt – bis ihn nur noch ein Wunder retten kann… ´Ohne darüber je nachzudenken, war für mich die erste und letzte aller Wahrheiten, dass feine Menschen über Geld weder redeten noch groß nachdachten´, behauptet der Held zu Anfang. Nach einer Trennungssache arbeitet er – wie alle in der digitalen Boheme – umsonst für irgendeine Online-Zeitung. Hoch stapeln, Zeche prellen, satt essen an kalten Buffets, das sind so seine gängigen und amüsant erzählten Überlebenstechniken… Selbst totale Verarmung, Ausgeschlossensein, ja soziale Ächtung nimmt er sportlich und mit Galgenhumor. Es muss sich doch um eine Durststrecke handeln, die irgendwann zu Ende gehen wird – denkt selbst der Leser viel zu lange. Doch alle Hoffnungen erweisen sich als Luftbuchungen, barbarischer Hunger und immer härtere Demütigungen plagen ihn, der lebenslang trainierte Frohsinn bleibt ihm allmählich im Halse stecken – wie dem Leser das Lachen… Wie einst Hiob seinen Glauben, verliert der Held seine sonnige Weltsicht aus den Jahren des boomenden Turbokapitalismus. Gerade in dem Moment, da er aufgibt, crasht die Finanzwelt und läuft die Geschichte auf seltsame Weise rückwärts: Wie durch ein Wunder kehrt bei ihm das Geld zurück – und damit die Anerkennung, das Essen, sogar seine Frau und die sexuelle Befriedigung. Während die Weltwirtschaftskrise alle ins Elend reißt, fährt er wie ein Geisterfahrer Richtung Glück. Aus dem Staunen kommt er nicht mehr heraus und ist am Ende fast so naiv und schicksalsgläubig wie zuvor. Joachim Lottmanns Stationendrama zeichnet das Psychogramm der Krise – und ist das Buch zur Gefühlslage der Nation!“
Starker Tobak! Aber die schlimmsten Stellen, nämlich die sexuellen, hatte ich noch ausgespart. Sonst hätten die gleich nachgefragt – inzwischen kannte ich ja die Jugend. Prompt fragte das Stuckrad-Double auch schon:
„Das ist also ein Buch über die Krise. Aber kommt nur die Krise drinnen vor, oder hat der Held auch Sex und so?“
Alle lachten. Ich sagte, es sei bestimmt mehr Sex als Krise in dem Schmöker. Aber ich wolle keine Details nennen. Tatsächlich waren die Angaben über den Sex-Plot in Van Huelsens Entwurf noch auf Flämisch. Da ich eisern schwieg, fragten sie weiter. Sie hatten ihre Bierflaschen dabei fest in der Hand und tranken ab und zu nervös einen Schluck.
„Kommt das Buch richtig in einem Verlag raus, oder mehr so im Internet und diesen Kreisen?“
„Jetzt hört doch mal auf mit diesem Internet. Natürlich habe ich einen normalen Verlag!“
„Wie, äh, heißt der denn?“
„Kiepenheuer & Witsch, abgekürzt K&W.“
„Wie bitte?“
„KIEPENHEUER UND WITSCH.“
„Hm. Muß man den kennen? Ist der groß?“
„Ja, ist der größte, vom Status her. Früher war Suhrkamp der größte, und man sprach von der Suhrkamp-Kultur, aber heute spricht man von der K&W-Kultur und nicht mehr von der Suhrkamp-Kultur.“
„Wie bitte? Was für eine Kultur?“
„Schon gut, Kinder. Habe ich denn Eure Fragen beantworten können? Oder wollt Ihr noch mehr zu DER GELDKOMPLEX wissen?“
„Ja, na klar. Unbedingt!“
„So… (stöhn!)… was denn genau?“
„Was ist eigentlich so die Story bei dem Ganzen?“
Ich ließ mir von allen die Adresse geben und versprach ganz kaltblütig massenweise Freiexemplare. Dann floh ich endlich ins wohlverdiente Wochenende.
Denn, WTF, mein WE ist mir heilig!

(Naturnahe Vergrößerung durch Anklicken des Fotos möglich! Der Blogwart)

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