vonHelmut Höge 09.03.2011

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Zum Problem der Organisierung des Aufstands, der erst einmal ein „heilsames Durcheinander“ schafft, kommt heute eine schöne Tickermeldung von AFP aus Libyen – unter der Überschrift:

„Die kann man nicht organisieren“

Der Mann am Flugabwehrgeschütz hat sich lauthals mit den anderen Bewaffneten gestritten, jetzt hat er genug. „Wenn das so ist, dann gehe ich eben“, sagt der Libyer empört, schiebt ein trotziges „Es reicht!“ hinterher und macht sich davon. Sein Kampfgenosse Mohammed Ali beschwichtigt: „Man muss ihn verstehen, er hat seit fünf Tagen nicht mehr geschlafen.“ Hier, vor den Toren der Rebellenhochburg Ras Lanuf, liegen die Nerven blank. Denn die Aufständischen, die Machthaber Muammar el Gaddafi den Kampf angesagt haben, müssen sich nicht nur der Angriffe der Luftwaffe und der Artillerie der libyschen Armee erwehren – immer wieder kommt es bei ihnen zum Streit über das richtige Vorgehen, bisweilen herrscht heilloses Durcheinander.

Die von den Aufständischen kontrollierte Hafenstadt Ras Lanuf liegt direkt an der Front zwischen Rebellen und Gaddafi-treuen Truppen. Sie ist der am weitesten im Westen gelegene Punkt, den die Rebellen eingenommen haben, und hat daher eine herausragende strategische Bedeutung. Die libysche Armee fährt immer wieder schwere Angriffe, doch die Rebellen verteidigen die Stadt erbittert. Wenn da nicht immer die vielen Meinungsverschiedenheiten wären.

„Es gibt keine Taktik, jeder macht, was er für richtig hält“, beklagt sich Mohammed Ali. „Die Organisation ist nicht gerade berauschend.“ Der 30-Jährige ist aus Bengasi gekommen, dem Ursprung der Proteste gegen Gaddafi, die sich längst zu einem blutigen Aufstand ausgeweitet haben. Seine Befehle nimmt er von zwei jungen Offizieren entgegen, die desertiert sind. Sie haben Erfahrung aus Einsätzen der libyschen Armee im Tschad und in Uganda – befinden sich aber im 120 Kilometer östlich gelegenen Brega. „Wir versuchen uns mit ihnen abzustimmen, wenn wir es hinbekommen, sie per Telefon zu erreichen“, sagt Ali.

Ein paar Meter weiter diskutiert ein anderer Rebell – den Munitionsgürtel um die Schultern gehängt – mit anderen Aufständischen. „Es ist nicht gut, die Jungen gegen die Artillerie und die Panzer ins Verderben laufen zu lassen“, sagt er. „Die werden doch nur in Stücke gerissen.“ Issa el Tschukri verteidigt den Einsatz junger Kämpfer: „Unsere Jungen haben nicht viel Erfahrung, aber dafür habe sie Mut.“ Und große Ziele: „Soldaten kämpfen für ihren Sold“, sagt der 36 Jahre alte Informatiklehrer. „Der Revolutionär aber kämpft für den Sieg oder das Martyrium. Was bitte ist mehr wert?“

Seit dem Beginn der Kämpfe haben sich tausende Libyer – Schätzungen zufolge sind es 6000 bis 8000 – dem Kampf gegen Gaddafi angeschlossen, haben sich mit Militärausrüstung und Fahrzeugen an die Front begeben und sich aus den Militärdepots der Region bedient. Aber Mut hin oder her – die mangelnde Organisation der Rebellen ist allgegenwärtig. Befehle werden über die Lautsprecher von hin- und herfahrenden Jeeps verbreitet. Auch der Übertritt ganzer Armeeeinheiten zu den Rebellen hat an dem Chaos bislang augenscheinlich wenig ändern können.

Mohammed el Abidi, übergelaufener Kommandeur der Luftabwehrkräfte von Bengasi, gibt sich zunächst trotzdem optimistisch. In seiner Hand hat er eine Liste mit dem Namen von fünfzehn Offizieren der Armee, die ebenfalls übergelaufen sind. „Wir sind alles Spezialisten. Jeder hat die Verantwortung für den Bereich, in dem er militärisch kompetent ist.“ Abidi ist mit einem Laster aus Bengasi gekommen, auf der Ladefläche mehrere Raketenwerfer. Aber irgendwie scheint auch er nicht so recht zu glauben, dass er hier mit seiner Armeeerfahrung viel ausrichten kann. „Das hier ist eine Miliz“, sagt er entnervt, als er die versammelten Kämpfer sieht. „Die kann man nicht organisieren.“ Dann steigt er wieder in sein Fahrzeug und fährt zurück Richtung Osten.

Aus dem von unserem deutschen Arbeitgeberpräsidenten so gelobten Schweineregime Saudi-Arabien kommt folgende dpa:-Meldung:

Die arabischen Aufstände und die Aufrufe zu Demonstrationen in Saudi-Arabien machen die saudische Herrscherfamilie zunehmend nervös. Der Außenminister des islamischen Königreiches, Prinz Saud al-Faisal, sagte am Mittwoch vor der Presse in der Hafenstadt Dschidda: „Reformen kommen nicht durch Demonstrationen“. Er schließe sich der Meinung der führenden Islam-Gelehrten von Saudi-Arabien an. Diese hätten festgestellt, dass Protestdemonstrationen sündig seien.

„Wir sind ein Staat nach islamischem Recht (…) und deshalb ist unser Weg der Dialog“, fügte der Prinz hinzu. Er sagte, das Staatsoberhaupt, König Abdullah, habe bereits eine Delegation aus der Ost-Provinz empfangen und sich von dieser eine Liste mit Forderungen vorlegen lassen.

In den vorwiegend von Schiiten bewohnten Städten des Ostens hatte es in den vergangenen zwei Wochen mehrere kleinere Protestaktionen gegeben, an denen sich zum Teil auch Frauen beteiligten. Dies ist in Saudi-Arabien, wo eine strikte Trennung der Geschlechter vorgeschrieben ist, sehr ungewöhnlich. Die Demonstranten hatten unter anderem ein Ende der Diskriminierung der Angehörigen der schiitischen Minderheit sowie die Freilassung von Gefangenen gefordert. Im Internet kursieren mehrere Aufrufe zu „revolutionären Demonstrationen“ in Saudi-Arabien, unter anderem für den kommenden Sonntag sowie für den 20. März.

Aus dem Jemen meldet AP:

Bei einem Angriff jemenitischer Streitkräfte auf Demonstranten auf dem Gelände der Universität der Hauptstadt Sanaa ist ein Mensch ums Leben gekommen. Nach Angaben eines freiwilligen Arztes eröffneten Soldaten das Feuer auf Protestierende. Ein 24-jähriger Mann sei am frühen Mittwoch seinen Verletzungen erlegen.

Die Soldaten verschossen scharfe Munition, Gummigeschosse und Tränengas. Sechs weitere Demonstranten wurden nach Angaben des Arztes bei dem Angriff am späten Dienstag durch Kugeln schwer verletzt. Seit Wochen demonstrieren Regierungsgegner im Jemen gegen Staatspräsident Ali Abdullah Saleh, der sich bereits seit 32 Jahren an der Macht hält.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/der_kairo-virus_chronik_seiner_ausbreitungeindaemmung_28/

aktuell auf taz.de

kommentare