vonHelmut Höge 10.03.2011

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Photo: gadishamia.wordpress.com

In der Süddeutschen Zeitung wird heute die Dokufiction – „der Roman ‚Kriegsbraut'“ des Spiegel-Journalisten Dirk Kurbjuweit – über den Bundeswehr-Krieg in Afghanistan und die Rolle der deutschen Soldatinnen darin schwer gelobt. Gustav Seibt fragte den Autor:

„Der israelische Militärhistoriker Martin van Crefeld hat die These aufgestellt, die Präsenz von Frauen in Armeen sei kein Anzeichen für Emanzipation, sondern zeige nur, dass solche Militärapparate für die nationale Existenzsicherung unwichtig geworden seien. Ist die Bundeswehr zivilistisch geworden?“

„Ich habe jedenfalls einen gegenüber 1993 völlig anderen Ton in der Bundeswehr erlebt, als ich 2005 zum ersten Mal wieder in Berührung mit dem deutschen Militär kam. Es ist eine andere Armee geworden, man sieht Frauen mit rotgeschminkten Lippen, die Stimmung hat geradezu etwas Flirtiges – Sex ist ja nicht verboten, solange nicht Dienstbelange hineinspielen-, aber ob die Bundeswehr deswegen weniger kriegerisch ist, bezweifle ich. Auch mit roten Lippen kann man kämpfen. Es sind nicht die Frauen, es ist unsere Gedschichte, die uns zivilistisch gemacht hat.“

Der Spiegel hatte zuvor den ehemaligen Wehrmachtsoffizier und verhinderten Hittler-Attentäter Ewald von Kleist zu diesem Bundeswehr-Problem interviewt:

Noch ist die Bundeswehr in einen Krieg mit konventionellen Waffen verstrickt. Sind die deutschen Soldaten darauf mental vorbereitet? Müssen sie nicht erst wieder das Töten lernen?

Wenn sie in den Krieg gehen, müssen sie natürlich töten. Wenn Sie ein Maschinengewehr haben und ich habe einen Knüppel, Sie sind aber ein Softie und sagen: Ich möchte dir nichts Böses tun, dann bin ich Ihnen überlegen, denn ich will Ihnen den Schädel einhauen.

Man hat den Eindruck, dass die Bundeswehr sich damit schwerer tut als andere Armeen.

Das glaube ich auch. Wir sind ja nun im Hinblick auf unsere Vergangenheit besonders vorsichtig und bilden in dieser Hinsicht unsere Soldaten auch sehr mit Sanftheit aus.

Mit zu viel Sanftheit?

Ich glaube beinahe: ja. Im Ernstfall haben sie es dann schwer. Man muss einen Soldaten möglichst in die Lage versetzen, dass er mit diesem Schrecklichen, was ihn erwartet, auch klarkommt.

Das Ideal der Bundeswehr ist der Soldat als Staatsbürger in Uniform.

Wir wollen den mitdenkenden Soldaten. Das ist im Prinzip auch in Ordnung. Aber wenn man sich zu stark auf das Mitdenken verlässt, dann bekommt der Soldat Schwierigkeiten. Denn wenn der zum bösen Feind nach vorn geht und mitdenkt, dann sagt er: Na ja, je näher ich komme, desto gefährlicher wird es! Das ist nicht unbedingt hilfreich.

Müssen wir Begriffe wie Heldentum oder Tapferkeit rehabilitieren?

Heldentum sicher nicht. Das brauchen wir nun wirklich nicht. Aber tapfer müssen Sie als Soldat schon sein, denn Sie müssen Ihre Angst überwinden.

Der Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ (VS) wollte wissen, wie die andere Seite – die Gegner der Bundeswehr in Afghanistan: die Islamisten – mit der Rolle der (deutschen) Frauen im „Dschihad“ umgehen – und ließ dazu eine Studie erstellen, die heute von der taz in Auszügen veröffentlicht wurde. Es ist zwar etwas seltsam, dass die Verfassungsschützer ihre Spionageergebnisse ausgerechnet in der taz veröffentlichen – und umgekehrt: dass die taz die VS-Berichte für bare Münze nimmt, aber hier sind einige Zitate daraus:

„Seit einiger Zeit ist eine zunehmende Involvierung von Frauen in islamistische-terroristische Aktivitäten festzustellen“, heißt es in einer unveröffentlichten Studie des Verfassungsschutzes, deren Kurzfassung der taz vorliegt. In der Regel stünden Frauen dabei in Beziehung zu einem männlichen Dschihadisten „und entfalten ihre Aktivitäten vorrangig auch aufgrund dieser Beziehung“. Die Verfassungsschützer unterscheiden mehrere Typen. Zum einen: die „passiven Frauen“, die einem traditionellen Rollenverständnis der „gehorsamen, aufopferungsvoll dienenden“ Frau anhingen. Entsprechend sollen sie ihre Männer zum Kampf motivieren, sie versorgen und pflegen – und die Kinder zu Mudschaheddin erziehen. Diese Rolle wird auch von Dschihad-Theoretikern eingefordert. Auf islamistischen Internetseiten findet sich eine deutsche Übersetzung eines Textes des einflussreichen Ideologen Abu Muhammad al-Maqdisi. Er propagiert darin, muslimische Frauen „nicht unnötigerweise in Kampfhandlungen, Dschihad, Organisation oder ähnliche Aufgaben zu involvieren, die Männer machen könnten“.

„Aktive Frauen“ in der deutschen Dschihadszene wollen sich jedoch nicht auf diese Rolle reduzieren lassen, wie der Verfassungsschutz schreibt, sondern forderten „selbstbewusst eine aktive Rolle im Dschihad“. Vor allem Konvertitinnen wollten ihre Rolle mit „emanzipierten Vorstellungen“ ausfüllen.

So wie die Bonner Konvertitin Luisa S., die sich heute „Ummu Safiyya“ nennt – Mutter von Safiyya. Auch sie ist eine der deutschen Witwen in Waziristan.

Nachdem ihr Mann Javad S. im Oktober 2009 von pakistanischen Militärs getötet wurde, erscheint sie in einem Propagandafilm der IBU. Ganz in Schwarz, das Gesicht mit dem Niqab verhüllt, preist sie den Märtyrertod ihres Mannes – um sich sodann an die „lieben Schwestern“ in Deutschland zu wenden und sie aufzufordern, zu den Mudschaheddin zu kommen – auch ohne „Mahram“, einen männlichen Begleiter. „Folgt dem Beispiel unserer Schwestern, die sich uns allein angeschlossen haben.“

Frauen allein auf Reisen nach Waziristan? Für stramme Islamisten undenkbar. „Eine Frau darf ohne Mahram nicht verreisen“, kommentierte denn auch einer im Internet das Video. Auch der Dschihad erlaube „keine Ausnahmen“.

Der Verfassungsschutz drückt es so aus: „Das emanzipierte Selbstverständnis der Frau kollidiert […] noch häufig mit dem traditionellen Rollenverständnis der männlich dominierten islamistisch-dschihadistischen Szene.“

Die neueste Propaganda aus Waziristan scheint direkt auf solche Frauen abzuzielen. So zitiert der Bonner IBU-Kämpfer Yassin Chouka alias „Abu Ibrahim“ in einer Botschaft von Februar einen Sheik, der den muslimischen Jugendlichen rät, wie „das amerikanische Mädchen“ zu sein. „Viele der amerikanischen Sniperschützen und Jetpiloten in Afghanistan sind Soldatinnen.“

„Die Frau, die sich traut“ heißt das SZ-Feuilleton über die Bundeswehr-Soldatinnen im Afghanistaneinsatz/ „Der Dschihad der Frauen“ die Zusammenfassung des VS-Berichts in der taz.


In der heutigen FAZ schreibt Majid Sattar über „den vernetzten Ansatz in der Arabien-Politik der Bundesregierung“ – zur „Demokratieförderung“, was jedoch in der Region auf „Widerstände stößt“. Die drei dabei zusammenarbeitenden Ministerien, die mit viel Geld winken, hätten zuvor Boris Budens Studie „Zone des Übergangs – Vom Ende des Postkommunismus“ lesen sollen: Der kroatische Philosoph zeigt darin auf, wie die osteuropäische Bevölkerung, nachdem sie ihre Regime – teilweise mit Gewalt – beseitigt hatte –  also ihrer Selbstbestimmung ein Stück näher gekommen war, sofort vom Westen als „Kinder“, die die Demokratie erst noch lernen müssen, in die Obhut genommen wurde, das Schlagwort dafür hieß und heißt „Transition“, diesen von Soros finanziell befeuerten Begriff will die Bundesregierung jetzt auch bei den Arabischen Aufständischen in Anschlag bringen. Sattar schreibt:

„Während der Außenminister sich von seinem inzwischen entlassenen Kollegen Ahmed Abul Gheith anhören musste, der Westen möge sich nun, da Husni Mubarak entmachtet sei, aus ägyptischen Angelegenheiten heraushalten, wurde dem Entwicklungsminister von seiner Kollegin Fayza Mohamed Aboul Naga, welche die Regierungsumbildung im Amt überstand, bedeutet, mit den Fonds könne sie wenig anfangen. Es gebe aber etwa ein Großprojekt für den sozialen Wohnungsbau in Kairo, da dürfe Deutschland gerne helfen. Für Geld ist man empfänglich, für Demokratisierungshilfe nicht. Berlin strebt aber an, Hilfszusagen an demokratische Reformen zu knüpfen, wie es nun auch in Brüssel getan wird.“

Schon auf dem Tahrirplatz trugen einige Demonstranten T-Shirts mit dem Aufdruck „Visit Egypt Now!“. Heute meldet AFP:

„Sonne, Strand und alte Steine – damit versuchten Ägypten und Tunesien bisher Touristen zu locken. Auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin präsentieren sich die beiden Länder nun mit einer neuen Werbestrategie: Die erfolgreichen Revolutionen sollen Urlauber zu einer Reise nach Nordafrika bewegen.“

Auf dem riesigen Messestand der Ägypter ist, neben Pharaonenbüsten, der Tahrir-Platz in Kairo nachgebildet, der zentrale Schauplatz des Volksaufstandes. „See where it all began“ („Sehen Sie selbst, wo alles begann“), lautet der dazugehörige Slogan. Einige Hallen weiter stellt sich Tunesien als „The Place to be“ (in etwa: „Dort müssen Sie hin“) dar.

„Ich empfehle den Deutschen, die bewegte Stimmung in Tunesien mitzuerleben“ – bevor das Land sich zu einer „klassischen Demokratie“ wandele, wirbt der tunesische Tourismusminister Mehdi Houas. Der „Elektroschock“ der friedlichen Revolution mache Tunesien für eine neue Gruppe von Kulturtouristen attraktiv. „Bisher wurden die Touristen an den Stränden geparkt und fern von der Wirklichkeit gehalten“, sagt der Minister und verspricht eine neue touristische Infrastruktur außerhalb der Badeorte.

Beim Nachbarn Ägypten sind ähnliche Töne zu hören. „Ägypten war bereits wegen seiner Geschichte und seiner Naturschätze unumgänglich, aber jetzt gibt es ein neues Element: Wir laden die Touristen ein, die Erfahrung einer demokratischen Revolution mit uns zu teilen“, sagt Hischam Saasu vom ägyptischen Tourismusministerium. „Die Werte der Revolution sind die europäischen Werte. Wenn die Europäer Ägypten helfen wollen, dann sollen sie uns besuchen kommen.“

Für die ägyptischen Reiseführer ist die Revolution bereits jetzt Teil ihres Programms. Bislang wurde der Tahrir-Platz in erster Linie wegen des Ägyptischen Museums angesteuert. „Jetzt zeigen die Führer auch die Orte, an denen die Demonstranten die Zelte aufgestellt hatten und erzählen, wie die Anhänger des alten Regimes auf Kamelen angriffen“, schildert Mahmud Sekri vom Veranstalter Sekri Tours.“

Bereits auf der Grünen Woche im Januar sprach ich mit einer Tunesierin, die am Länderstand arbeitete und der die Polizei in Tunis bei einer Demostration in den Daumen geschossen hatte, der daraufhin amputiert werden mußte. Sie trug ihre Hand noch immer in Gips. Ihr Job auf der Messe in Berlin war eine Art Reha-Maßnahme, eine kleine Entschädigung, ihr Chef verbot ihr jedoch, der taz ein Interview zu geben.

Gestern berichtete die FAZ über die in Facebook – unter „Amn Dawla Leaks“ – veröffentlichten, vom Volk gegen den Widerstand der Armee und anderer interessierter Kreise erbeuteten Akten des ägyptischen Inlandsgeheimdienstes, der im Blatt natürlich nur „Staatssicherheit“ genannt wird:

„Aus einem besonders brisanten Bericht von 2007 etwa geht hervor, dass der Geheimdienst 2005 eine Islamistengruppe beauftragte, in Scharm al-Scheich mehrere Bombenanschläge in der Nähe von Hotelanlagen zu verüben. Das Aktenmaterial erweckt den Eindruck, als habe Mubaraks Sohn Gamal dahintergestanden, er hatte wohl eine offene Rechnung mit dem Hotelier Hussein Salem. Aktiv wurden die Geheimdienstler auch, wenn es darum ging, regimekritische Juristen zu disziplinieren. Nicht nur aus ihren Reihen wurden inoffizielle Mitarbeiter rekrutiert. Informanten wurden, wie eine lange Namensliste demonstriert, in großem Stil auch unter den Muslimbrüdern gewonnen.“

Das klingt alles wie das, was uns seit 20 Jahren über die Stasi eingehämmert wird – nur oberflächlich etwas ägyptisiert.


Über „Facebook“ und die Profitabilisierung seines „Freundschafts“-Begriffes finden sich in der heutigen „Zeit“ gleich zwei Artikel: Einer – von Martthias Stolz – über die „Facebookratie“ behauptet, dass das „Soziale Netzwerk plötzlich unsere Demokratie verändert“. Ein anderer von der Medienphilosophin Luca di Blasi sieht bereits, wie diese Freude über den Demokratiegewinn auf gut amerikanische Weise in Lust auf Einkauf umgelenkt wird – indem „Facebook seine Mitglieder benutzt und ihre Profilseiten zu Werbetafeln macht“.

In der gestrigen FAZ war bereits davon die Rede, dass „es auch eine Schwarmdummheit“ gibt – im Netz nämlich, in dem „der Mensch sich multipliziert und zugleich vereinzelt“. Das hat die Autorin, Ingeborg Harms, aus einigen neu erschienenen Zeitschriften herausgelesen, die das  Internet thematisieren:

In „Mittelweg 36“ stimmt Aleida Assmann einen Lobgesang auf das Internet in Zeiten von Facebook, Twitter und Chatroulette an. Denn dank der neuen, auf „massengerechtes Mitwirken“ ausgerichteten Netzarchitektur sei „das Gespenst der Einsamkeit ein für alle Mal vertrieben“. Hagestolze, Freaks und wer immer sonst „sich von seiner Umwelt nicht beachtet oder ausgegrenzt fühlt, kann seinen Ansprechpartner im Internet finden“. Der „Drang zur Intersubjektivität“, so die Konstanzer Professorin für Anglistik und Allgemeine Literaturwissenschaft, ist zur primären Existenzform geworden: „Ich blogge, also bin ich. Identität steht und fällt mit den Akten der Kommunikation. Aus dieser Welt herauszufallen würde für viele den sozialen Tod bedeuten.“

Auch der Pariser Anthropologe und Ludik-Forscher Thierry Wendling begrüßt in „Passagen“ die digitale Revolution als „einen der großen Momente der Menschheitsgeschichte“.

Der Amsterdamer Medienwissenschaftler und kritische Netzaktivist Geert Lovink sieht die Lage nicht ganz so rosig. Den „Technik-Evangelisten“ hält er in „Polar“ entgegen, dass lediglich zehn Prozent der Surfer das Netz für Kontroversen nutzen: „Inwiefern ist eine lebendige öffentliche Debatte möglich, wenn jeder dein ,Freund‘ ist?“ Die „Beteiligungskultur“ im Netz sei ein Mythos und die monströs anwachsende Web-2.0-Welt gerade dabei, „in tausend Stücke zu explodieren. Die klaustrophobische Atmosphäre dieses sehr amerikanischen Verständnisses von netten ,Freunden‘ und das, was sie alle in ihrem Alltag treiben, wird die Menschen langweilen und ihr Misstrauen erregen.“ Für bedauerlich hält es Lovink auch, dass sich die Utopie eines fiktiven „Second Life“ in der virtuellen Welt durch allgegenwärtige Identitätschecks und Abriegelungen erledigt hat. Indem die Technik immer kleiner, mobiler und unsichtbarer wird, ereignet sich vielmehr das Gegenteil, ein „Internet der Dinge“ steht ins Haus, in dem eine „innere Verbindung von allem zu allem“ besteht. Diese Zukunft ruft die Künstler an die Front. Es könne nicht angehen, dass sich ihre Netzexpertise in „naiver Selbstbeschränkung“ aus modischen Studiengängen wie „Visual Studies“ herleite: „Oberflächen in ansprechender oder verstörender Weise zu gestalten reicht nicht aus. Wir müssen die Glaswand um die geschmeidigen Schnittstellen zerschlagen und endlich zu programmieren beginnen.“

Michael Ackermann, Redakteur der Zeitschrift „Kommune“, weist darauf hin, dass es gerade im Netz nicht nur Schwarmintelligenz, sondern auch „Schwarmdummheit“ gibt. Statistisch setzt er den Anteil der aktiven Blogund Podcastnutzer bei ganzen zwei bis drei Prozent an. Für den Rest bleiben die Informationsquellen im Netz an die „Leitmedien“ gebunden, Web 2.0 dient ihnen vornehmlich als „Medium für Spiel und Unterhaltung“.

Dass es sich bei der hier an den Tag gelegten Hyperaktivität um „ein Symptom der Erschöpfung“ handeln könnte, gibt der in Karlsruhe lehrende koreanische Philosoph Byung-Chul Han zu bedenken. Das zwanzigste Jahrhundert definiert er laut Ackermann als von Angriff und Abwehr bestimmtes „immunologisches Zeitalter“. Heute jedoch leben wir in einem Zeitalter der Promiskuität und „Entgrenzung“. Das Fremde wird von der „Differenz“ ersetzt, die „keine Immunreaktionen hervorruft“. Wo einst „Verbot, Gebot oder Gesetz“ herrschten, dirigieren uns Schlagworte wie „Projekt, Initiative und Motivation“. Weil aber die Leistungsgesellschaft das „ständige Wollen des Einzelnen“ und die „Anstrengung, er selbst werden zu müssen“, ins Zentrum stellt, produziert sie reihenweise Versager. Der Drang zur Intersubjektivität, jener netzspezifische Kommunikations- und Empathiefuror, den Aleida Assmann zum Existential erklärt, war in der längsten Zeit der menschlichen Geschichte den Grenzsituationen von Fest und auch Krieg vorbehalten. In der Zwischenzeit ging es ganz praktisch ums Überleben. Wie ist der permanente Ausnahmezustand der Reizüberflutung zu werten? Bewegt sich der Mensch auf eine historisch neue soziale Intensität hin, oder steuert er den „Infarkt der Seele“ an, wie Ackermann meint?

Noch sind also wie immer alle Wege offen:

„Bereitet sich eine Höllenmaschine vor oder schmiert sich ein folgsames Räderwerk ein?“


Selbstgebaute „Höllenmaschine“. Photo: doktorsblog


In seiner Zusammenfassung der Nachrichten aus Libyen meldet dpa:

„Die Schlinge um Gaddafi zieht sich immer enger zusammen.“

Die Begründung dafür ist jedoch abenteuerlich, denn einerseits:

„Verschärfen Berlin und die Europäische Union ihre Sanktionen, um weiteres Blutvergießen in dem nordafrikanischen Land zu verhindern. Die Bundesregierung sperrt libysche Konten bei deutschen Kreditinstituten und friert damit Gelder in Milliardenhöhe ein. Als erster EU-Staat erkennt Frankreich die Opposition in Bengasi als alleinige und rechtmäßige Vertretung des libyschen Volkes an. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy plädiert vor dem EU-Sondergipfel an diesem Freitag für gezielte Luftangriffe auf Libyen. Die Nato wartet noch ab, erklärt sich aber prinzipiell zu einem militärischen Einsatz bereit.“

Andererseits heißt es jedoch bei dpa aus Libyen selbst:

„Gaddafis Truppen drängen unterdessen die Rebellen im Osten zurück. Nach Angaben der Aufständischen beschossen sie am Donnerstag den Öl-Hafen Al-Sidra und die Stadt Ras Lanuf von Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen aus. Anschließend rückten sie weiter auf Ras Lanuf vor. Bei den Angriffen, bei denen die Umgebung eines Krankenhauses getroffen wurde, sei ein Mann gestorben. 17 Menschen wurden verletzt. Rund um die Stadt finden seit Tagen erbitterte Gefechte zwischen Aufständischen und den Truppen Gaddafis statt. Auch in der westlichen Stadt Al-Sawija werde gekämpft, meldete der Nachrichtensender Al-Dschasira.“

Unter der Überschrift „Saudis halten Demos für Sünde“ schreibt das Handelsblatt:

„Die Nachrichten aus der arabischen Welt überschlagen sich. Neben Libyen stehen weiter Ägypten und Jemen im Blickpunkt. Und die saudische Führung fürchtet sich vor einem Übergreifen der Protestwelle. Unruhen erschüttern Nordafrika und die arabische Halbinsel. Selbst Länder, in denen es bislang ruhig ist, fürchten sich vor dem Zorn ihrer Bevölkerung. Einige Potentaten, wie der marokkanische König, versprechen demokratische Reformen, um die Lage zu beruhigen. Während Mohammed VI. noch Ansehen bei der Bevölkerung hat, wird es für andere Herrscher schwieriger. Sie haben ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt.“

internet-traffic-map. Photo: blog.betterplace.org


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