„Es gibt immer zu viel Deutung und nie genug Fakten. Die Akte durch Deutung sind am Gefährlichsten für die Freiheit.“ (Francois Ewald)
Die taz-Kolumnistin Isolde Charim schreibt heute über den „Weltuntergang mit Zuschauern“, obwohl ich eher von einem „Weltaufgang“ reden würde, ist ihr Text nicht uninteressant:
„Die Wucht, die Dimension, die Dichte der dramatischen Ereignisse der letzten Wochen verschlägt einem den Atem. Tunesien, Ägypten, Libyen und dann Japan, Japan. Die Geschehnisse in Jemen, Bahrain oder Syrien kriegt man schon kaum mehr mit. Man hängt an den Livetickern, verfolgt die ständigen Updates, ist online dabei. Die Ereignisse werden quasi gleichzeitig erlebt und wahrgenommen. Aber sind sie deshalb auch schon globale, gemeinsame Geschehnisse?
Der slowenische Philosoph Mladen Dolar erzählte einmal die Geschichte, wie er und seine Familie bei einem Alarm während des kurzen Kriegs in Slowenien über die Straße zu den Schutzräumen liefen, während internationale Kamerateams dastanden und sie dabei filmten – als ob sie, die Schutzsuchenden, in einer anderen Wirklichkeit lebten. Tatsächlich rückt uns die mediale Globalisierung nicht nur näher zusammen, sie spaltet uns auch. Sie trennt die Welt in Betroffene und Zuschauer. Die Gleichzeitigkeit, die online hergestellt wird, schafft eine grundlegende Ungleichzeitigkeit: Das Publikum lebt ja, wenn es sich von den Berichten abwendet, seine Normalität weiter. Und natürlich hat jeder von uns ein Gefühl für diese Teilung, für die Unverhältnismäßigkeit zwischen unserem Alltag und der Ausnahmesituation in der Katastrophe. Wie läppisch klingen plötzlich ganz normale, zum Beispiel innenpolitische Statusmeldungen auf Facebook? Das Onlineportal Perlentaucher schrieb am 12. 3.: „Angesichts der Katastrophe in Japan kommt uns die Feuilletonrundschau ziemlich unwichtig vor. Hier ist sie dennoch.“ Gerade an den multiplen, geballten Katastrophen in Japan wird diese Zweiteilung der globalen Welt klar. Weltuntergang mit Zuschauer. Und gerade an der Atomkatastrophe in Japan wird gleichzeitig auch klar, dass diese Zweiteilung nicht mehr oder nicht immer stimmt. Denn Fukushima betrifft uns auch. Direkt. Es zieht uns den Boden unter den Füßen weg. Bei Fukushima sind wir nicht nur Publikum. Nicht weil wir real bedroht wären wie die Tausenden, im schlimmsten Fall Millionen Japaner. Dass Geigerzähler in unseren Breiten dieser Tage restlos aufgekauft wurden, ist vor allem ein Symptom, eine inadäquate Reaktion also auf etwas, was tatsächlich passiert ist. Auch die plötzliche oder wiederbelebte Angst vor den Atomreaktoren, die einen hier umgeben, ist nicht die Ursache, sondern eine Folge des wirklichen Betroffenseins.
Als ich vor einigen Tagen einen anderen Text, keine Kolumne, für die taz zu Japan schrieb, ersetzte der zuständige Redakteur mein Wort „Weltuntergang“ durch „Katastrophe“. Seither frage ich mich, ob er recht hatte. Weltuntergang ist nicht nur, ja sogar nicht einmal vorwiegend ein physischer Vorgang. Es ist der Moment, wo sich die ganze bisherige Welt, also alles, was uns darin gestützt hat, alles, was vertraut ist, was Sicherheit gibt, kurz, das, was Erde eben zur Welt für uns macht, auflöst. Ja, wir brauchen Evidenzen, um leben zu können. Diese mögen illusorisch sein, wir können ohne sie, ohne solche Schimären wie jene einer Ordnung, die ein gewisses Maß an Sicherheit gibt, nicht leben.
Weltuntergang ist der Einbruch einer ganz anderen Realität, eines Realen, das alle Sicherheiten zum Einsturz bringt. Die Bilder der brennenden Reaktoren in Fukushima sind solch ein Blick in den Abgrund, in die völlige Leere. Deshalb ist diese Atomkatastrophe nicht nur eine japanische, sondern auch eine globale. Deshalb geht sie uns alle an, sind wir nicht mehr nur Zuschauer. Die Bilder von Fukushima haben uns an den Rand unserer Welt gebracht. Sie haben uns den völligen Kontrollverlust, die Ausweglosigkeit, die radikalste Ausweglosigkeit eröffnet. Bei Hans Blumenberg ist der „Schiffbruch mit Zuschauer“ die Zusicherung, dass es für den Zuschauer einen festen Grund gibt, an den das feindliche Element des Wassers nicht heranreicht. Fukushima hat uns eingeprägt, dass es diesen festen Grund nicht gibt. Weltuntergang war vielleicht doch das richtige Wort.“
„Der Geist des Tahrir-Platzes“ – dazu schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ heute:
„dass er verfliegen würde, war nur eine Frage der Zeit. (…) Das ägyptische Militär ist überfordert.“
Der Kairoer Blogger Tarek Amr schreibt im „Freitag“:
„Ich erinnere mich noch genau, wie ich spät in der Nacht des 25. Januar die Revolution kommen sah. Ich wusste auf einmal, dass es nie wieder so sein würde wie zuvor. Und ich war nicht der Einzige, der das spürte. Jedem, der auf Social-Media-Seiten aktiv war, ging es in dieser Nacht so. Wir waren zugleich Organisatoren und Teilnehmer der Proteste.
Schon vor der Revolution hatte das Internet für den Wandel der ägyptischen Mentalität eine große Rolle gespielt. Wie Sänger oder Fußballspieler, die durch traditionelle Medien zu Vorbildern gemacht werden, wurden für uns Facebook- und Twitter-Aktivisten zu neuen Idolen. Dank des Internets war man nicht mehr gezwungen, die von den staatlichen TV-Sendern verbreiteten Lügen zu glauben.
Außerdem war das Netz uns dabei behilflich, voneinander zu lernen. Wenn man so will, wurde in Ägypten nicht nur crowd-gesourcet, sondern auch crowd-rebelliert. Facebook war dabei besonders wichtig. Wir haben Ratschläge von Leuten erhalten, die tausende Kilometer weit weg leben. Unsere tunesischen Freunde – in deren Heimat nur wenige Tage zuvor eine Revolution stattgefunden hatte – haben uns ganz konkrete Tipps gegeben: etwa wie man Tränengas neutralisiert, indem man sein Gesicht mit Cola wäscht.
Trotzdem ist es komisch, dass die Ereignisse oft als „Internet-Revolution“ bezeichnet wurden, denn wir mussten ja fünf Tage ohne Internet zurechtkommen. Einen Zeit lang blockierte die Regierung sogar unsere Mobiltelefone. Wir fühlten uns wie Blinde. Wir wussten nicht, was um uns herum geschah, konnten uns nur auf Mund-zu-Mund-Berichte verlassen. Doch das hat uns nur umso entschlossener gemacht.
Meine Generation ist wohl besser vernetzt, als die meiner Eltern es war. Weniger patriotisch sind die Älteren aber nicht. Die Revolution mag von der Jugend losgestoßen worden sein, später waren dann Menschen jeden Alters und Standes auf dem Tahrir-Platz. Einige waren so alt wie meine Großeltern. Bestimmt hatten viele von ihnen noch nie etwas vom Internet gehört. Sie waren äußerst verschieden. Islamisten, Säkulare und Christen standen auf dem Tahrir-Platz Seite an Seite. Das veränderte die Art, wie die Anhänger verschiedener Ideologien sich gegenseitig wahrnahmen. Frauen und Männer wurden als gleichberechtigte Teilnehmer angesehen, egal ob Muslime oder Christen.
Anders als die Menschen im Westen möglicherweise denken, habe ich noch nie jemanden „den Schuh gezeigt“. Das ist hier bei weitem nicht so verbreitet, wie man meinen könnte, wenn man den Darstellungen westlicher Medien folgt. So weit ich weiß, hat diese Geste weder einen arabischen noch einen islamischen Ursprung. Ich glaube, Nikita Chrustschow hat sie in die Welt gebracht, als er als Präsident der Sowjetunion 1960 bei einer UN-Vollversammlung mit einem seiner Schuhe auf den Tisch schlug, um gegen die Rede eines philippinischen Delegierten zu protestieren, der behauptet hatte, die Sowjetunion beraube die Länder Osteuropas ihrer politischen Freiheitsrechte.
Unser Alltag jetzt ist noch sehr chaotisch. Da, wo ich arbeite, wissen wir nicht, wohin sich der freie Markt nun entwickelt. Noch nicht alle Schulen haben wieder geöffnet, die Polizei arbeitet noch nicht wieder wie vor der Revolution. Einige Polizisten sagen, sie fühlten sich im Dienst nicht wohl. Sie fürchten die Rache der Leute. Es gibt aber auch Theorien, nach denen die Polizei ihre eigene Agenda verfolgt und darauf wartet, sich an der Bevölkerung zu rächen.
In Filmen oder Geschichtsbüchern entheben bewaffnete Rebellen für gewöhnlich alle Angehörigen eines Regimes ihrer Ämter, stellen sie vor Gericht und erarbeiten eine neue Verfassung. In Ägypten war es aber die Armee, die Mubarak gestürzt hat. Es gibt in diesem Sinne keine Rebellen, die Opposition hat nicht das Sagen. Die Armee tauschte bisher lediglich ein paar Minister aus und brachte ein paar Politiker hinter Gitter. Es gehen Gerüchte um, wonach auch Mitglieder der Opposition noch immer in Haft sind. Und uns ist nicht wohl, dabei zuzusehen, wie ein von der Armee eingesetzter Ausschuss an unserer Verfassung herumbastelt – schließlich ist an der schon genug herumgebastelt worden. Wir fordern eine von Grund auf neue Verfassung.
Wir haben bisher auch noch keine Garantie dafür, dass bei den Wahlen neue Parteien antreten werden. Viele haben Angst, dass das alte Regime mit anderen Namen und Gesichtern zurückkehrt. Übrigens, wenn ich Regime sage, meine ich das ganze Ensemble, nicht nur den ehemaligen Präsidenten: alle korrupten Mitglieder der Regierung; die Verfassung, die dem Präsidenten zu viel Macht gibt; das Notstandsgesetz, das es der Regierung erlaubt, jeden Kritiker zu verhaften.
Es könnte nach freien Wahlen auch eine islamistische Regierung an die Macht kommen. Die Wahrscheinlichkeit halte ich aber für sehr gering. Es gehörte zu Mubaraks Lieblingsstrategien, uns und der internationalen Gemeinschaft mit dieser Gefahr Angst zu machen. Seine Regierung gab sich zwar liberal, war aber in Wirklichkeit auch fundamentalistisch.
Ich glaube nicht, dass die Revolution schon vorüber ist. Die Leute diskutieren immer noch darüber, ob man weiter demonstrieren sollte, bis alle Forderungen erfüllt sind – oder ob man den Militärs eine Chance geben sollte. Vielleicht, nur vielleicht, hätten die Pläne in der jetzigen Phase besser koordiniert werden können, wenn die Revolution einen Anführer gehabt hätte. Aber im Endeffekt gefällt es mir sehr, dass die Revolution so spontan und irgendwie anarchistisch verlief.
Im Augenblick müssen wir mit allem von Null anfangen. Es gibt eine Gruppe auf Facebook, die sich e-Egypt Party nennt. Dort diskutieren die Teilnehmer die Verwendung neuer Technologien in der Politik und die Vor- und Nachteile von repräsentativer und direkter Demokratie. Unter anderem suchen wir auch bei den schwedischen Parteien Aktiv Demokrati und Demoex nach Inspiration. Man merkt gerade sehr deutlich, dass es in unserer Gesellschaft eine riesige Meinungsvielfalt gibt. Das stimmt mich optimistisch.
Für die Zukunft habe ich selbst noch keine konkreten Pläne. Nur eins weiß ich ganz genau: Ich werde weiterhin bloggen und an Diskussionen teilnehmen, um die Situation hier in Ägypten zu verbessern. (Protokoll: Annina Luzie Schmid)
Die Süddeutsche Zeitung widmet heute dem Aufstand in Syrien einen langen Artikel, darin heißt es:
Die individualisierten Blogger in Damaskus sind von dem kollektiven Widerstand der Stämme in Deraa geradedzu „elektrisiert“: Über Wochen waren ihre „Facebook-Protestaufrufe ungehört verhallt, offenbar ist das Internet nicht der richtige Weg, um in Syrien die Massen zu mobilisieren.“
Ein bißchen ist die SZ auch selbst elektrisiert, nämlich über den Aufstand in Jemen, der das Regime vielleicht schon bald vertreiben wird, denn mehrere Generäle haben sich mit ihren Soldaten den „Oppositionskräften“ angeschlossen, aber zum Einen hat der „abtrünnige“ General Ali Mohsen Salih enge Kontakte zu „Al Quaida“, und zum anderen gibt es da noch einen eskalierenden Partisanenkampf im Norden zwischen „Huthi-Rebellen“ und Regierungstruppen. Das macht diesen Aufstand schwer einschätzbar.
Reuters tickerte am Abend:
„In einer seltenen öffentlichen Warnung sagte US-Verteidigungsminister Robert Gates, Amerika sorge sich um die Instabilität im Jemen. Seine größte Sorge sei, dass der Jemen den Kampf gegen Al-Kaida aus dem Auge verliere. Befürchtet wird, dass das ärmste Land auf der arabischen Halbinsel politisch zusammenbricht. Der Jemen grenzt an den weltgrößten Ölexporteur Saudi-Arabien, vor der Küste laufen wichtige Schifffahrtsrouten. Al-Kaida hatte das Land bereits in den vergangenen zwei Jahren für Angriffsversuche genutzt.“
„Saleh ist am Ende“, sagte der unabhängige Analyst Philip McCrum. „Er macht nur weiter, weil sich die Saudis und Amerikaner selbst in dieser späten Stunde weiter sträuben, ihn aufzugeben.“
Aus Syrien meldete Reuters um 22 Uhr 3:
In Syrien sind den fünften Tag in Folge Demonstranten mit der Forderung nach mehr Freiheit auf die Straße gegangen. In den Städten Deraa und Nawa im Süden des Landes kamen Hunderte Menschen zusammen. „Wir wollen Brot, aber auch Freiheit“, sagte ein Bewohner von Deraa, wo es im vergangenen Jahr wegen einer Dürre zu erheblichen Ernteausfällen gekommen war. Offenbar gingen die Behörden am Dienstag vorsichtiger vor und ließen die Demonstranten gewähren. Nach Angaben von Protestlern war es in der vergangenen Woche jedoch zu Hunderten von Festnahmen gekommen.
Die Junge Welt, die sich mit Chavez auf Seiten Gaddafis publizistisch positioniert hat, schreibt heute:
„Der Krieg gegen Libyen spaltet Lateinamerika.“
Das ist nun wirklich grober Unfug. So gut wie kein Mensch interessiert sich dort für die arabischen Aufstände, die Medien berichten nur über die täglichen Morde und Entführungen sowie über Schönheitswettbewerbe und ähnlichen Quatsch, außerdem lesen die meisten Lateinamerikaner überhaupt nicht – und nichts.
Spiegel-online meldete heute Morgen aus Libyen:
„Der Bürgerkrieg in Libyen ist auch ein Krieg der Informationen, mit Propaganda von beiden Seiten. Er wird geführt mit Panik und Angst und falschen Hoffnungen. Da reichen ein paar Vögel in der Ferne, auf die erregte Einwohner Benghasis zeigen und rufen: „Die Flugzeuge aus Frankreich sind da!“
Doch als al-Dschasira am Samstag meldete, dass Gaddafis Truppen die Vororte erreicht hatten, als ein Flugzeug brennend vom Himmel stürzte, als die Massen „Allahu Akbar“-Gesänge anstimmten, als Tausende von Autos aus der Stadt fuhren, weil der Artilleriebeschuss immer näher kam, wussten alle, dass der Krieg Bengasi erreicht hat. Noch von der Revolution daran gewöhnt, errichteten die Einwohner Straßensperren, aus Steinen, Ästen, Müllcontainern oder Schubkarren, um Gaddafis Panzer aufzuhalten oder zumindest seine Fußsoldaten. Checkpoints entstanden an jeder Kreuzung, Nachbarn und Bekannte wurden durchgelassen, andere befragt.
Die Stimmung bleibt angespannt. Der Feind ist oft unsichtbar in der Stadt. Die Angst geht um, nicht nur vor den Soldaten, sondern auch vor den eigenen Nachbarn. „Ligan Thauria“ heißt es im Krankenhaus, auf den Straßen, in den Hotels, wenn wieder einer verletzt wurde von den umherschwirrenden Kugeln. „Ligan Thauria“, das seien Killer, die aus schwarzen Autos schießen, wahllos auf Passanten, um Angst zu verbreiten. Alte Kämpfer, die Gaddafi wieder reaktiviert habe. Vielleicht stimmt es, vielleicht nicht. Mit Schusswunden werden viele eingeliefert. Aber auch wenn kein Krieg in der Stadt ist, gibt es noch die freigelassenen Gefangenen, die Unfälle, die bewaffneten Jugendlichen.
Immer wieder gibt es Schlägereien vor Autos, Mobs stürzen sich auf die Insassen, die ihnen verdächtig vorkommen. Beim Gericht wurden am Samstagnachmittag vier Schwarzafrikaner mit Schwertern und Elektroschockern malträtiert, berichten Journalisten. Einer der Männer wurde dabei getötet. Es wäre die erste Lynchjustiz auf dem öffentlichen Platz im Zentrum der Stadt. Viele Schwarze werden von den Einwohnern Bengasis für Gaddafis Soldaten oder für Spione gehalten. Aber auch jeder Andere kann einer von der „Ligan Thauria“ sein. Im Gericht gibt es jetzt „Gefängnisleute“, die stolz über die neu gewonnen Macht Verhöre beginnen. Zwei Stockwerke darunter liegen Akten, auf denen „Top Secret“ steht. Leute werden willkürlich gefangen genommen, Journalisten dürfen nicht mit ihnen reden, die Angehörigen wissen nicht, ob sie schon tot sind oder noch leben.
Das Zentrum der Revolution ist zum Zentrum der Angst geworden. Vielleicht muss die Stadt gar nicht von Gaddafi genommen werden,vielleicht zerfällt sie ganz allein, von innen.“
Indymedia hatte schon vor Wochen vermutet, dass in Libyen viele Schwarze unter dem Vorwand, Gaddafi-Söldner zu sein, verfolgt und getötet würden.
In der FAZ schreibt heute wieder der sarrazinistischste unter allen kaltschnäuzigen Aufstandsdeutern, Gunnar Heinsohn von der Uni Bremen, für den Genozide und Bürgerkriege nahezu identisch sind, so wie für Malaparte Putsch und Aufstand:
„Es gehört zum Standardwissen der Genozid-Forschung, dass in Bürgerkriegen Minderheiten angegriffen werden, weil mindestens eine Konfliktpartei sie der Kollaboration mit dem Gegner verdächtigt. Positionen und Vermögen, die angeblich nur durch Nähe zum Machthaber errungen wurden, können so guten Gewissens – und auch unter dem Beifall einer Gerechtigkeit liebenden Weltöffentlichkeit – übernommen oder „für das Volk“ geraubt werden. Um Positionen aber geht es bei gewaltsamen Konflikten so gut wie immer, weshalb alle Beteiligten die Rechtfertigungen ihrer Begehrlichkeiten so nobel wie möglich ausmalen.
Ausdrücklich wird der Einsatz „von Söldnern durch die libysche Führung“ verurteilt. Doch womöglich unter solchem Vorwand erfolgte Völkermordakte bleiben unerwähnt. Im Ungefähren und ganz allgemein wird zwar der „Sorge um die Sicherheit von Ausländern“ Ausdruck gegeben. Aber sie steht im Kontext von Verbrechen des Regimes, dem auch hier gewiss vieles zuzutrauen ist. Über Taten seiner Gegner wird geradezu eisern geschwiegen.
Doch spätestens bei Exhumierung der Opfer der Revolutionäre wird sich einmal mehr erweisen, dass beim bewaffneten Aufstand derselbe Menschenschlag am Werke ist wie beim hochgerüsteten Machterhalt.“
Die Nachrichtenagentur dpa meldet heute Morgen:
„Die „Vernichtung“ des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi ist nach Ansicht von US-Verteidigungsminister Robert Gates keine Aufgabe der Koalitionskräfte, sondern des libyschen Volkes. Falls bei den Luftschlägen auch Gaddafi ums Leben komme, sei dies ein „Fehler“, sagte Gates am Montag der Agentur Interfax in St. Petersburg. „Es ist allen klar, dass das libysche Volk ohne Gaddafi in einer besseren Lage wäre. Aber diese Frage müssen die Libyer selbst entscheiden.“
Der „Arabien-Ticker“ der FR meldete am Mittag:
Bei den Gefechten zwischen Aufständischen und Regierungstruppen in der libyschen Stadt Misurata sollen 40 Menschen getötet worden sein. Das meldete der Nachrichtensender Al-Arabija unter Berufung auf die Übergangsregierung in der Stadt Bengasi.
Die Aufständischen sollen Gaddafis Soldaten aus Bengasi vertrieben und rund 130 Kilometer südlich der Stadt eingekesselt haben. Das berichtet laut BBC der Radiosender Rebel Voice of Free Libya.
Über Libyen äußerten sich die Aufstandsdeuter in der Prenzlauer Berg Dichterkneipe „Rumbalotte“, von denen einige immerhin Arabischkurse in der VHS belegen, wie folgt:
Da kommt im Gegensatz zu Japan nichts Gutes mehr bei raus, jetzt – nach dem West-Eingriff: es werden sich irgendwelche Stämme und Clans hochmendeln und dann im neuen Staat bzw. Teilstaat die neuen Betrüger an der Macht stellen. Aber Japan wird nach dem „Super-Gau“ nicht mehr die selbe Gesellschaft sein – das wird sie völlig „umstülpen“.
Zur Benamung der Alliierten-Mission äußerten die Aufstandsdeuter in der Kneipe heute Morgen um 2 Uhr 30:
„Odyssee Morgendämmerung“ – das meint: das griechische Denken in das Morgenland reinzwängen/bringen – endlich, auch wenn es noch lange dauern wird, aber es ist jetzt schon mal auf dem Weg.
Die Kommunikation und Organisation via Facebook läßt sich auch gut für die Barbarei nutzen – wie spiegel-online heute berichtet:
„Im vergangenen November, wird eine Christin wegen angeblicher Blasphemie zum Tode verurteilt. Zwei Politiker, die sich für sie einsetzen, werden in Islamabad erschossen. Der Tod dieser Politiker markiere für ihn den Tod der Hoffnung für Pakistan, sagt Fulton. Es habe ihn schockiert, dass sogar Freunde von ihm die Morde rechtfertigten, sie sogar auf Facebook feierten, erzählt er.
Der Engländer Fulton heiratete eine Pakistanerin und hatte eine Talkshow in Pakistan mit ihr, jetzt wollen sie das Land verlassen:
„Fulton verabschiedet sich aus seiner Wahlheimat mit bitteren Worten. Für Pakistan sehe er keine gute Zukunft. „Niemand verurteilt die Morde, die Zahl der Terroranschläge nimmt zu, wirtschaftlich geht es bergab, und ich sehe keinen politischen Willen, irgendetwas zu ändern. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung rasant, Millionen Menschen hungern, haben keinen Zugang zu Bildung. Mehr als die Hälfte aller Pakistaner sind unter 21 Jahre, haben aber keinerlei Perspektive. Es gibt einen akuten Wasser- und Energiemangel, Naturkatastrophen haben verheerende Auswirkungen.“
Erst war es die Junge Welt, die beim libyschen Aufstand von „Bürgerkrieg“ sprach, dann sagte der Gaddafisohn Saif Al-Islam gestern, der Bürgerkrieg habe begonnen, und heute sind alle drei Intelligenzblätter (FR, SZ, FAZ) voll davon.
„Auch der jemenitische Präsident Ali Abdullah Salih hat seine Gegner vor einem Bürgerkrieg gewarnt, falls sie weiter gegen ihn mobil machen sollten. Gleichzeitig bot er an, früher als geplant abzutreten. Salih sagte am Dienstag, einige Offiziere der Armee hätten versucht, ihn zu stürzen. Doch in einem Land wie dem Jemen würde ein Putsch automatisch in einen bewaffneten Konflikt münden.“ (dpa)
Die FR fragte den Politologen Volker Perthes, ob nicht für die „Odyssee“-Besatzungen jetzt die Gefahr besteht, dass sie in Libyen „Teil eines Bürgerkriegs“ werden.
„Man kann nur davor warnen, sich in einem Bürgerkrieg zu involvieren. Nicht nur, weil dies militärisch schwierig ist, sondern auch, weil es in Bürgerkriegen häufig wechselnde Frontverläufe und Parteien gibt, die vergleichsweise opportunistisch sind und mit der Herstellung einer rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung wenig zu tun haben.“
In der SZ schreibt Thomas Avenarius, der in Benghasi die „basisdemokratischen“ Errungenschaften der Aufstandsorganisatoren lobend auslotete:
„“Entscheidend für den weiteren Verlauf des Kriegs dürfte sein, ob die Rebellen zügig nach Westen vorrücken können. Geschieht dies nicht, könnte Libyen zerfallen: In den von Gaddafi kontrollierten Westen und den Osten mit den Rebellen als Herrschern. Dann entstünde wohl ein langer Bürgerkrieg.“ („Die Luftangriffe der Alliierten allein garantieren jedenfalls keinen Erfolg der Aufständischen“)
In der FAZ macht sich der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel Gedanken über die „Illegitimität“ des libyschen Aufstands gegen Gaddafi – und damit auch des Luftangriffs der Alliierten als „Anlehnungsmacht“ der Aufständischen:
„Das Ziel, einen Tyrannen zu stürzen und bewaffneten Aufständischen dabei zu helfen, ist kein legitimer Titel zur gewaltsamen Intervention dritter Staaten. Die Gründe dafür sind nicht bloß solche des positiven Völkerrechts, wiewohl sie sich dort zahlreich finden, etwa in Artikel 3 des Zweiten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen von 1977 oder in der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs im Streitfall „Nicaragua v. U.S.A.“ von 1986. Diese Normen statuieren ein striktes Verbot des militärischen Eingreifens in Bürgerkriege auf fremdem Territorium. Wer will, mag mit der gängigen Nonchalance mächtiger Staaten im Umgang mit dem Völkerrecht darüber hinwegsehen. Aber als Ordnung des Rechts ist die zwischenstaatliche Ordnung mehr als der bloße Modus Vivendi einer unregulierten Machtpolitik.
Schon Kant hat in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ von 1796 festgehalten, die Intervention äußerer Mächte in einen unentschiedenen Bürgerkrieg sei „eine Verletzung der Rechte eines nur mit seiner inneren Krankheit ringenden, von keinem andern abhängigen Volks“, ein „Skandal“, der „die Autonomie aller Staaten unsicher“ mache. Dieser Satz bezeichnet das normative Grundproblem aller Interventionen in fremden Bürgerkriegen richtig. Solange die innere Auseinandersetzung andauert, verdrängt die konfliktentscheidende Parteinahme von außen für eine der kämpfenden Seiten die andere gewaltsam aus ihrer legitimen Rolle als Mitkonstituent der künftigen innerstaatlichen Verfasstheit. Ja, auch der interne Sieg einer der Parteien kann dies bewirken, so wie es durch das Regime eines Despoten vom Schlage Gaddafis schon zuvor dem größten Teil des Volkes aufgezwungen worden sein mag. Aber Kant hat recht mit dem Hinweis, das bezeichne ein Ringen des Volkes mit seiner „inneren Krankheit“, verletze jedoch dessen Autonomie gegenüber anderen Völkern nicht. Das tut erst die gewaltsame Entscheidung des Konflikts durch externe Dritte. Und genau deshalb bedroht sie die Grundnorm des Rechtsverhältnisses aller Staaten: deren Gleichheit und Autonomie.
Ganz gewiss: Gaddafi ist ein Schurke, dessen Entfernung von der Macht ein Segen wäre, nicht nur für Libyen. Aber die Annahme, die ihn bekämpfenden Rebellen seien eine Demokratiebewegung mit homogenen freiheitlichen Zielen, ist lebensblind. Niemand durchschaut das dunkle Gemisch politisch-ideologischer Orientierungen unter den Rebellen derzeit auch nur annähernd. Was man dagegen sehr genau kennt, und nicht erst seit 2003, sind die Schwierigkeiten eines demokratischen State Building ohne historisches Fundament und nach einem extern erzwungenen Regimewechsel. Sollte man nicht meinen, die führenden Politiker der westlichen Welt hätten inzwischen gelernt, was schon Kant gesehen hat? Die wichtigste Ressource eines solchen State Building, die prinzipielle Loyalität der großen Mehrheit eines Volkes, dürfte durch den gewaltsamen Eingriff von außen weit nachhaltiger zerstört als durch die Entmachtung eines Despoten gewährleistet werden.
Was das für Libyens politische Zukunft heißt, mögen die Experten für die arabische Welt ermessen. Was es aber normativ heißt, liegt auf der Hand: Ein Ziel, das nicht oder doch nicht in akzeptabler Weise erreichbar ist, taugt als legitimierender Grund von vornherein nicht. Der demokratische Interventionismus, propagiert 2003, als sich die irakischen Massenvernichtungswaffen als Lüge erwiesen, und jetzt in der euphemistischen Maske einer Pflicht zur kriegerischen Hilfe im Freiheitskampf wiedererstanden, ist politisch, ethisch und völkerrechtlich eine Missgeburt.
Man wird einwenden, das alles laufe an Sinn und Ziel der Intervention vorbei. Das Mandat des Sicherheitsrats decke allein die zum Schutz der Zivilbevölkerung erforderlichen Gewaltmittel, und nur diese würden zu nichts anderem als jenem Schutzzweck auch eingesetzt. Das ist zwar de facto nicht wahr und im klaren Bewusstsein aller Beteiligten von Anfang an nichts anderes gewesen als eine rhetorische Geste an die Adresse des Völkerrechts. Sofort nach Beginn der Kriegshandlungen hat man in England und Amerika verdeutlicht, ohne den Sturz Gaddafis sei die Situation nicht zu bereinigen. Hätten die Verfasser der Resolution deren humanitäre Begrenzung ernst gemeint, dann hätten sie die drohende Nötigung, mit der Gewalt aufzuhören, deutlich an beide Seiten richten müssen. Das haben sie nicht. Es ist aber ein normatives Unding, zur Befriedung eines militärischen Konflikts die Machtmittel der einen Seite auszuschalten, um denen der anderen zur freien Wirkung zu verhelfen. Nur so freilich lässt sich der Sturz Gaddafis erreichen. Und ebendarum geht es.
Nun also: Darf man zum Schutz der Zivilbevölkerung eines anderen Staates gegen diesen Staat Krieg führen? Ja, in Extremfällen darf man das – wenn sich nur so ein Völkermord oder systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhindern lassen, wie sie Artikel 7 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs beschreibt. Das hat die Entwicklung des Völkerrechts in den vergangenen zwei Jahrzehnten klargestellt. Gestritten wird zwar, ob eine solche Intervention auch ohne Mandat des Sicherheitsrats legitim sein kann. Aber für die gegenwärtige ist das belanglos.
Dass Gaddafi keinen Völkermord begonnen oder beabsichtigt hat, ist evident. Ein Völkermord setzt hinter allen dabei begangenen Taten das Ziel voraus, „eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche“ zu zerstören. Nichts spricht dafür, dass die offensichtliche Intention Gaddafis, einen Aufstand – mit welcher Brutalität immer – niederzuschlagen, von diesem für ihn sinnlosen Motiv begleitet wäre.
Haben Gaddafis Truppen systematisch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen oder doch als bevorstehend befürchten lassen? Die Antwort lautet beide Male: nein. Hier vor allem darf man sich den Blick nicht vom Nebel irreführender Phrasen trüben lassen. Wer aus noch so berechtigter Empörung über die Brutalität militärischer Gewalt ihr mit dem Siegel „Völkermord“ oder „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ die Affinität zu deren Urbildern bescheinigt: den Massenmorden der Nationalsozialisten, sollte bedenken, was das bedeutet: den Zugriff auf die fundamentalen Normen der Weltordnung. Denn solche Verbrechen erlauben den Krieg, das dritte der schwersten Menschheitsübel und ihrer trostlosen Geschichte. Wer so fahrlässig wie die Regierungen der Intervenienten, viele westliche Medien und leider auch die Resolution des Sicherheitsrates mit solchen Zuschreibungen umgeht, tastet die Grundnorm des Völkerrechts und damit dieses selbst an: das Gewaltverbot zwischen den Staaten.
„Der Diktator führt Krieg gegen sein eigenes Volk, bombardiert systematisch seine eigene Bevölkerung, massakriert die Zivilbevölkerung seines Landes“ – ja, das alles, in den vergangenen Tagen tausendfach wiederholt, wären Beispiele für gravierende Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber Gaddafi führt Krieg gegen bewaffnete Rebellen, die ihrerseits Krieg gegen ihn führen. Kämpfende Aufständische, und wären sie Stunden zuvor noch Bäcker, Schuster und Lehrer gewesen, sind keine Zivilisten. Dass Gaddafis Truppen gezielt Zivilisten töteten, ist vielfach behauptet, aber nirgends glaubhaft belegt worden. Und jeder nach außen legitimierte, also autonome Staat der Welt, darf – in bestimmten Grenzen – bewaffnete innere Aufstände zunächst einmal bekämpfen. Bevor man diese Feststellungen nun mit dem Zwischenruf abschneidet: „Aber hier ein Tyrann, durch nichts legitimiert, dort Kämpfer für ihre Freiheit und Menschenrechte!“, sollte man sich die Redlichkeitspflicht zumuten, einen Sachverhalt zunächst vollständig zu betrachten und ihn erst dann zu beurteilen.“
Erschwert wird das Erreichen einer auch nur annähernden Vollständigkeit bei der Betrachtung dieses „Sachverhalts“ – Allarabischer Aufstand, Bürgerkrieg – als ein anderes Wort für Klassenkampf, Westangriff auf „islamischem Territorium“ – noch dadurch, dass alle Beteiligten, Führer, Mullahs, Scheichs, Sultane, junge und alte Rebellen, Militärs, bürgerliche Politiker oder Möchtegernpolitiker, Journalisten und linke wie nationalistische Intellektuelle – ständig und wie verrückt mailen, bloggen, facebooken, smsen und twittern, von ihren pausenlosen Handy-Gesprächen ganz abgesehen, die für die „Betrachtung“ eines solch verwickelten Sachverhalts nicht allzu viel hergeben.Im übrigen hat das, was der Rechtsphilosoph da rausarbeitet auch Nietzsche schon kürzer und bündiger formuliert: Alle Wunder sind bloß ein „Mangel an Philologie“.
Hinzu kommt nun noch:
Unter den jungen Palästinensern gärt es, die Gaza-Regierung gerät unter Druck – und lenkt wie so oft in Arabien und im Iran den Druck nach außen, auf einen gemeinsamen Feind –
Reuters meldet:
1. „Während die Welt auf den Militäreinsatz in Libyen schaut, eskalieren auch wieder die Auseinandersetzungen um den Gazastreifen. Am Dienstag sind nach palästinensischen Angaben acht Menschen durch israelischen Beschuss getötet worden. Drei Fußball spielende Kinder und ein Erwachsender kamen den Angaben zufolge durch Granaten ums Leben. Später seien vier militante Palästinenser bei einem israelischen Luftangriff getötet worden. Die israelische Armee erklärte, vom Gazastreifen aus seien Werfergranaten auf Israel gefeuert worden. Die Armee habe mit ebensolchen Waffen zurückgeschossen. Sie bedauere, wenn es zivile Opfer gegeben habe.“
2. „Frankreich hat sich besorgt über die jüngste Eskalation der Gewalt im Gazastreifen geäußert. Das Außenministerium in Paris rief am Dienstag beide Seiten zur Zurückhaltung auf. Am Montag hatten militante Palästinenser Granaten und Raketen auf den jüdischen Staat abgefeuert. Israel flog fünf Luftangriffe auf den von der militanten Hamas kontrollierten Küstenstreifen.
Frankreich hat sich seit Beginn des Jahres durch diplomatische und militärische Aktivitäten auf internationaler Bühne hervorgetan. So hat das Land bei den laufenden Luftangriffen auf Libyen neben den USA und Großbritannien eine führende Rolle eingenommen.“
Aus der Tiefe der „Le Monde Diplomatique“ heraus versucht das Sarkozy die Ära des Postkolonialismus zu beenden. Kurz zuvor hatte der Philosoph Boris Buden bereits den Postkommunismus „überwunden“.
Etwa zur selben Zeit berichtet dpa:
„Ein schwimmender Militärflughafen mit Atomantrieb und etwa 2000 Mann Besatzung – das ist der französische Flugzeugträger „Charles de Gaulle“, der sich derzeit vor der libyschen Küste aufhält. Er hat 14 Kampfjets vom Typ Rafale und Super Etendard, zwei Aufklärungsflugzeuge und fünf Hubschrauber an Bord. Begleitet wird er von vier Fregatten und vermutlich auch von einem Atom-U-Boot.“
Würde man die atomgetriebene „Charles de Gaulle“ mitsamt dem Atom-U-Boot versenken, dann könnte sich damit die Radioaktivitätslücke zwischen Tschernobyl und Fukushima schließen.
Um 13 Uhr 52 meldet AP:
„Abgestürzte US-Piloten nach Rettungsaktion in Libyen wohlauf“
Aus der Rettung von irgendwie abgestürzten Libyern würden diese Post-Homers keine solche Meldung machen.
Um 14 Uhr tickert dpa:
„Die spanische Regierung geht davon aus, dass die internationale Militäraktion in Libyenvoraussichtlich einen bis drei Monate dauern wird. Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero stellte am Dienstag im Madrider Parlament den Antrag, den Einsatz spanischer Kampfflugzeuge bei der Schaffung einer Flugverbotszone in Libyen für eine Zeit von einem Monat zu billigen.
Außerdem bat der sozialistische Regierungschef die Abgeordneten darum, der Entsendung einer Fregatte und eines U-Bootes für eine Zeit von drei Monaten nach Libyen zuzustimmen. Der spanische Marineverband soll dazu beitragen, die Einhaltung eines Waffenembargos gegen Libyen zu überwachen.“ Vom Parlament wurde all das am Nachmittag genehmigt.
AFP ergänzte Abends:
„Rumänien beteiligt sich an dem Vorhaben der NATO, auf dem Mittelmeer ein Waffenembargo gegen Tripolis durchzusetzen. Das Land werde eine Fregatte mit mehr als 200 Mann Besatzung für den Einsatz bereitstellen, sagte Staatschef Traian Basescu am Dienstagabend in einer im Fernsehen übertragenen Ansprache. Rumänien ist seit 2004 NATO-Mitglied.“
Langsam wird es eng im Mittelmeer und im libyschen Luftraum.
Auch die Dänen melden sich wieder – ihre Tageszeitung „Information“ meint über die Arabische Lige und ihr taktisches Hin und Her:
„Dieses butterweiche Verhalten kann nur als doppelter Salto verstanden werden. Angst vor der jeweils eigenen Bevölkerung und Mitläufertum gegenüber dem Westen, der die Beteiligten mit seinen obszönen Waffenverkäufen an der Macht hält.“
Angesichts des noch nicht eingehegten japanischen „Super-Gaus“ hat die Bundesregierung die Einrichtung einer Ethikkommission zu Atom- und Energiefragen beschlossen. Darin sollen die üblichen Verdächtigen eingeschlossen werden: vom Umwelt-Töpfer über einen Münchner Kardinal bis zum Soziologen Beck und einem Gewerkschaftsvertreter. Auch die Umweltschützer halten jetzt sicher die Hand nicht vergeblich auf – für ihren Energieeffizienz-Fonds.
AFP meldet um 14 Uhr 7:
„Der Philosoph Peter Sloterdijk erwartet mittelfristig eine weltweite Abkehr von der Nutzung der Atomkraft. Im Magazin „Cicero“ bezeichnete Sloterdijk die Atomkatastrophe in Japan als einen „Ereignisblitz“, der den Menschen klar machen könnte, dass es so wie bisher in der Energiepolitik nicht weitergehen könne. Die Menschheit stehe nach den dramatischen Entscheidungen an einer entscheidenden Schwelle. „Nukleare Energiegewinnung ist keine Technik mit großer Zukunft“, sagte der Philosoph. Er äußerte sich überzeugt, dass gegen Ende des Jahrhunderts alle Nationen der Erde auf die Atomkraft verzichten würden.“
Wo bleibt Habermas? Der feilt noch an seinem Manuskript, meldet die Agentur dfp. Die anderen Agenturen bemühen sich, den „Sachverhalt“ bei den Blöcken 1,2,3,4,5 und 6 des havarierten AKW Fukushima möglichst genau darzustellen.
Der evangelische Pressedienst macht um 12 Uhr 34 ein neues Flüchtlingsproblem auf:
„Nach dem gewaltsamen Vorgehen von Sicherheitskräften gegen Demonstranten in Syrien hat die Gesellschaft für bedrohte Völker die Bundesregierung aufgefordert, Abschiebungen nach Syrien offiziell auszusetzen. „Das syrische Regime lässt auf unbewaffnete Zivilisten schießen“, erklärte die Menschenrechtsorganisation am Dienstag in Göttingen. Deutschland müsse deshalb sofort das 2009 abgeschlossene Rückübernahmeabkommen mit Syrien aufkündigen.“
AFP meldet aus Tunesien:
Der Besuch von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Tunesien ist von einer erneuten Selbstanzündung in dem Land überschattet worden. In der Stadt Sidi Bouzid setzte sich am Dienstag ein 33-jähriger Mann selbst in Brand, er heißt: Khaled Ezzafouri. Über sein Motiv wird leider nichts mitgeteilt.
Aus dem Irak hatte dpa zuvor berichtet:
In der irakischen Hauptstadt Bagdad haben Angreifer einen ranghohen Ölmanager des Landes erschossen. Eine Gruppe Bewaffneter habe Hussein Dschamal Abdullah, Generaldirektor der staatliche irakische Ölagentur Somo, im Westen der Stadt attackiert und getötet, berichtete die Nachrichtenagentur Aswat al-Irak am Montag. Zwei Polizeioffiziere und ein Ingenieur seien am Wochenende bei anderen Angriffen in der irakischen Hauptstadt getötet worden. In der Provinz Diala nördlich von Bagdad starben zudem sechs Mitglieder eine Familie bei einem Selbstmordanschlag auf einen Stammesführer.
Im Jemen bahnt sich vielleicht eine neue Variante beim Regimewechsel an, wie die taz gerade meldet:
Der jemenitische Präsident Ali Abdullah Saleh hat seinen Rücktritt bis zum Jahresende angekündigt. Sein Sprecher erklärte am Dienstag, der Präsident werde die Macht aber auf keinen Fall an die Streitkräfte abgeben. Ein Putsch durch die Streitkräfte würde in einem Bürgerkrieg führen, sagte Saleh.
„Jede Meinungsverschiedenheit innerhalb der Institution der Streitkräfte wird negative Auswirkungen auf das ganze Land haben“, sagte Präsident Saleh in einer Fernsehansprache. Er wandte sich damit an den Obersten Rat der Streitkräfte. „Dieses Land ist größer als die Ambitionen von Einzelnen, die die Macht ergreifen wollen.“
„Ich wünsche keinen Übergang der Macht auf die Streitkräfte und werde das nicht akzeptieren“, sagte Saleh nach Angaben seines Sprechers weiter. „Die Streitkräfte bleiben geeint. Die Zeit der Staatsstreiche ist vorüber.“
In der Jungen Welt schreibt Raoul Rigault über die „Taumelnden Petrokraten“ Arabiens:
Manche Kommentatoren betrachten die Revolten und Revolutionen im Mittleren Osten als »arabisches 1848«. Sollte dieser Vergleich stimmen, dann spielt Saudi-Arabien heute dieselbe Rolle wie damals Rußland als wichtigste Bastion der Reaktion. Riad bildet nicht nur die sichere Zufluchtsstätte des mit internationalem Haftbefehl gesuchten ehemaligen tunesischen Diktator und Kleptokraten Ben Ali, sondern hatte durch die Entsendung von tausend Soldaten ins benachbarte Bahrein auch erheblichen Anteil an der Niederschlagung der dortigen Protestbewegung.
In seinem Heimatland versucht es der 86 Jahre alte König Abdullah mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche. Ende Februar verfügte er eine 15prozentige Gehaltserhöhung für alle Staatsangestellten. Dazu kamen elf Milliarden Dollar für zinsfreie Kredite an Saudis die Häuser bauen, heiraten oder Kleinunternehmen gründen wollen. Ferner wurden höhere Stipendien für saudische Studenten im Ausland sowie höhere Zahlungen an Klubs, Sportvereine und Wohlfahrtsverbände angekündigt. Motiv für die Großzügigkeit war offensichtlich die erste, von den Ereignissen auf Bahrain stimulierte, Protestdemonstration in der seit jeher unruhigen Ostprovinz rund um das mehrheitlich von der schiitischen Minderheit bewohnte Städtchen Awamiya.
Das »königliche Bestechungsgeld«, wie es nicht nur die Neue Zürcher Zeitung nannte, konnte am 4. und 11. März lautstarke Straßenproteste in der wichtigten Hafenstadt Katif und der Oase Al-Ahsa allerdings nicht verhindern. Dabei wurden demokratische Reformen, die Einführung einer konstitutionellen statt der herrschenden absoluten Monarchie und die Freilassung politischer Gefangener gefordert. Nachdem zunächst mehrere Inhaftierte freikamen, schoß die Polizei beim zweiten Mal in die Menge. Außerdem wurden 15000 zusätzliche Nationalgardisten in die Region entsandt, um das geltende Versammlungsverbot durchzusetzen. Schuld an der Nervosität des Monarchenclans sind auch die regimekritischen Petitionen und Appelle der Facebook-Gruppen »Koalition der Freien Jugend« und »Revolution der Sehnsucht« im Internet, die bislang von 30000 Einwohnern mit vollem Namen unterstützt werden.
Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, daß es auch im scheinbar märchenhaft reichen Saudi-Arabien gute Gründe für dieses ungewohnt starke Rumoren gibt. Zwar ist der Wüstenstaat weltgrößter Erdölproduzent und die größte Volkswirtschaft im arabischen Raum, doch hinter diesen Superlativen verbergen sich erhebliche sozio-ökonomische und politische Strukturprobleme. So sank das Bruttoinlandsprodukt im Krisenjahr 2009, aufgrund der Talfahrt in den westlichen Metropolen und dem damit verbundenen Rückgang des Energieverbrauchs, von 476,9 auf 376,3 Milliarden Dollar. Mit einem mageren Plus von geschätzt 0,1 Prozent konnte eine Rezession 2009 auch in Riad nur knapp vermieden werden. Schon 2006 bis 2008 lag das Wachstum nur bei durchschnittlich drei Prozent. Zu wenig für ein Land mit einem Bevölkerungswachstum von 2,3 Prozent im Jahr. Pro Kopf der 25 Millionen Bewohner berechnet, rangiert das BIP, laut Weltbank, mit 17700 Dollar deutlich hinter Kuwait (43930 $), den Vereinigten Arabischen Emiraten (26400 $) und selbst dem Oman (17890 $).
Obendrein beläuft sich die offizielle Erwerbslosenquote für Einheimische auf 10,5 Prozent. Die gilt allerdings nur für männliche Saudis. Der Frauenanteil unter den inländischen Beschäftigten beträgt kaum fünf Prozent. Seriöse Schätzungen gehen bereits bei den Männern von 25 bis 30 Prozent Arbeitslosen aus. Unter den 15 bis 24jährigen sollen es laut BBC sogar 40 Prozent sein. Das im April 2006 in Kraft getretene neue Arbeitsmarktgesetz strebt zwar eine »Saudisierungsquote« von drei Viertel der jeweiligen Belegschaften an, doch fruchtet diese fragwürdige Maßnahme bislang nicht. Die Schmutzarbeit der knapp sieben Millionen Migranten aus Pakistan, Indien, Bangladesch und anderen asiatischen Armenhäusern will von den Angestammten kaum jemand machen, da der (inoffizielle) Mindestlohn bei umgerechnet 600 Euro im Monat liegt.
Zugleich fehlt der eingeborenen Jugend häufig die notwendige Bildung für qualifiziertere Tätigkeiten. Angesichts eines Altersdurchschnitts, der mit 25 Jahren noch vier Jahre niedriger als der tunesische ist, besitzt eine derartige »No Future«-Perspektive enorme soziale Sprengkraft. Zumal den Betroffenen durchaus bekannt ist, daß es an Reichtum nicht mangelt. Mit Devisenreserven von 455,7 Milliarden Dollar verfügt die Zentralbank über einen der beachtlichsten Staatsschätze der Welt. Parallel dazu kommen allein die 500 reichsten Saudis auf ein Gesamtvermögen von 260 Milliarden US-Dollar, was ungefähr der gesamten Wirtschaftsleistung des Jahres 2009 entspricht.
Die Forderung nach einer Abschaffung der Selbstherrschaft der altersschwachen Monarchenfamilie und ihres Hofstaats zielt daher nicht nur auf die Verwirklichung weitreichender demokratischer Freiheiten, sondern auch auf grundlegende Umverteilung und eine andere Wirtschaftspolitik. Die Reformprojekte einer ökonomischen »Diversifizierung« haben sich, den dafür ausgegebenen Summen zum Trotz, immer wieder als Seifenblasen erwiesen. So plante man, mit einer »grünen Revolution« zum Agrarexporteur zu werden.
In Wahrheit trägt die Landwirtschaft nur klägliche drei Prozent zum BIP bei und zählen Nahrungsmittel mit 15 Prozent weiterhin zu den wichtigsten Importgütern. Wenig verwunderlich auch, daß die großspurige Idee einer umfangreichen eigenen Automobilproduktion angesichts der chinesischen, indonesischen und anderer Billigkonkurrenz sang- und klanglos im Wüstensand versickerte. Die Abhängigkeit vom Rohstoffexport ist nach wie vor allumfassend. 84,8 Prozent aller Ausfuhrgüter sind Erdöl und Erdgas, weitere 7,4 Prozent petrochemische Erzeugnisse. Diese Monostruktur aufzubrechen und umzuwälzen, wird ebenso wichtig sein wie der Sturz der rissig gewordenen Diktatur des Monarchen Abdullah und seines ebenfalls 80jährigen Halbbruders Prinz Sultan.