In Tokio wurde die Kirschblütensaison eröffnet, meldet AP heute um 10 Uhr 1, in einer weiteren Meldung heißt es:
Die japanische Regierung hat „eingeräumt, dass es im havarierten Atomkraftwerk Fukushima zu einer Kernschmelze gekommen ist“.
Die Berliner Zeitung interviewte den Germanisten Kennosuke Ezawa über die niedergehaltene Panik der Japaner:
„Nach Tagen der Beschwichtigung und dem häppchenweise Preisgeben von Informationen durch Regierung und Kraftwerksbetreiber lassen die Japaner ihrer Wut inzwischen auch öffentlich freien Lauf. Wie ist die bislang so stoische Leidensfähigkeit zu erklären?
Die positive Seite dieser unglaublichen Selbstbeherrschung zeigt sich etwa im Fehlen von Plünderungen. Alles liegt herum, aber keiner nimmt sich etwas. Das hat auch seine Schattenseiten. Vor allem bei jungen Japanern finde ich es erstaunlich, wie konservativ sie sind. Sie passen sich an und verhalten sich wie schon ihre Großeltern. Ich bekomme manchmal Briefe von Studenten, geschrieben in einem so altertümlichen Japanisch. Nur Floskeln. Bei einem alten Mann würde mich so etwas nicht wundern. An der Sprache merke ich, dass in Japan noch immer eine Gesinnung wie vor 150 Jahren herrscht. Man kann aber nicht immer nur lächeln, ausweichen und verzweifelt den Schein aufrecht erhalten. Man muss sich auseinandersetzen. Das zeigt die aktuelle Katastrophe.
Ist diese Selbstkontrolle auf den noch immer starken Einfluss der äußerst konservativen Staats- und Sittenlehre des Konfuzianismus zurückzuführen?
Ja, der Einfluss ist sehr stark. Diese Lebensweisheit steckt tief in den Japanern, die auch besagt, selbst in schwierigsten Situationen gelassen zu bleiben, nicht zu streiten. Das kommt vom Konfuzianismus. Dazu kommen buddhistische Einflüsse, die den Menschen nicht als Individuum, sondern als kleinen Teil des großen Ganzen, der Welt sehen. Daraus erklärt sich der hohe Stellenwert von Familie und Gesellschaft. Individuelle Freiheit hat keine Bedeutung.
Die Japaner sollen also lernen zu streiten?
Der Sinn des Streitens ist, aus sich herauszugehen, um eine gemeinsame Welt schaffen zu können. Als ich 1958 das erste Mal nach Deutschland kam, wollte ich nicht nur ein netter Ausländer bleiben, sondern als Kollege respektiert werden. Dazu musste ich lernen, mich zu behaupten. Die Deutschen lieben es, zu streiten. So gewinnt man Respekt und kann Probleme lösen. Streitet man in Japan, wird man für immer gemieden. Ich habe Freunde fürs ganze Leben durch ein einziges hässliches Wort verloren. Es wird nicht geredet, man zieht sich zurück. Schon den Kindern wird gesagt: Ein kluger Mensch streitet nicht. Das ist ein moralisches Prinzip.
Das war im Umgang mit der Katastrophe im Land zu spüren.
Genau. Wie sehr die Japaner die offene Auseinandersetzung scheuen, zeigt das lange Herunterspielen der Gefahren, die von den Reaktoren in Fukushima ausgehen. Warum hat man nicht sofort umfassend informiert, nicht sofort Hilfe dazu geholt? Diese Unfähigkeit Fehler einzugestehen, das ärgert und enttäuscht mich.“
Zum Schluß äußerte sich Kennosuke Ezawa zur Genealogie der japanischen Antipanik:
„Die Demokratie im Nachkriegsjapan wurde als ein von den Amerikanern aufgezwungenes, fremdes Prinzip angesehen und auch als solches ohne eigene Verantwortung praktiziert. So betrachte ich die Nachkriegszeit in geistiger Hinsicht als Misserfolg. Trotz der bitteren Erfahrungen des verlorenen Krieges ist dort im Namen der Demokratie kein neues, tragfähiges Menschenbild entstanden. Dadurch sind die Japaner auch merkwürdige Menschen geworden, die sich in die internationale Gesellschaft nicht integrieren können. Darin liegt meiner Ansicht nach das größte Problem Japans in der Gegenwart.“
Über das westliche „Kritik üben“ als etwas Unjapanisches schrieb einmal die in Berlin lebende Dichterin Yoko Tawada in ihrem Buch „Wo Europa anfängt“ (1991), damals lebte sie noch in Hamburg und versuchte, wie ihre Freunde dort, alles kurz und klein zu kritisieren, also kritisch zu denken, empfand das dann aber nach einer Weile als ihr allzu wesensfremd.
Al Dschasira berichtet heute über die Situation der Einsatzkräfte in den havarierten Reaktoren:
„There have been a couple of twists to the ongoing story unfolding at the crippled power station at Fukushima in Japan which could heap greater anxiety on the public still trying to come to terms with the earthquake, tsunami and the nuclear crisis.
The first was an acknowledgement from the operator of the stricken facility that it knowingly sent workers into a hazardous environment without the right information.
Tokyo Electric Power Company [TEPCO] officials knew there was radioactive water on the ground of a reactor building, but didn’t tell workers who were being sent in there to lay cables.
The workers were wearing inadequate footwear and some of them were exposed to high levels of radiation and hospitalised.
Mistakes are made in high pressure situations and there’s no doubt TEPCO is under enormous pressure to try to bring the situation under control, but what I haven’t seen from these officials is, why did they fail to protect their workers? Why didn’t they warn them? If basic lapses like this are happening, what other mistakes are being made and what will emerge in the future?
It’s also concerning that this acknowledgement seems to have only emerged after prodding from the government. Which brings me to my second concern.
The government has been receiving a lot of criticism from citizens affected by the nuclear situation. They have been demanding more information.
Now the government appears to be trying to deflect some of that heat onto TEPCO. Yukio Edano, the chief cabinet secretary, urged the company to report information with speed and accuracy to avoid triggering distrust from the public and workers at the site.
Let’s hope this was an example of leadership from the government and not just an attempt to shift the blame.
That game between the key players will certainly come eventually, but with the crisis far from over, it’s too early now.“
Aus einem taz-Gespräch in einer der Raucherecken:
US-Presseberichten zufolge bombardieren die West-Alliierten die Gaddafitruppen in Libyen mit uranangereicherter Munition, womit sie auf lange Sicht ganze Landstriche atomar verseuchen, im Irak gibt es in manchen Gegenden aufgrund das US-Bombardements mit eben dieser Munition bereits eine erheblich erhöhte Rate an kranken und verkrüppelten Kindern. Die taz-Mitarbeiterin Gaby Sohl war dazu auf folgenden link gestoßen: <http://www.bandepleteduranium.org/en/a/396.html>
AP meldet um 11 Uhr 6:
„Unterstützt von Luftangriffen der internationalen Militärallianz sind libysche Rebellen am Montag weiter nach Westen vorgerückt und haben die Heimatstadt von Machthaber Muammar al Gaddafi erreicht. Einige Rebellen feierten schon die Einnahme der Stadt Sirte.
Die Einnahme der Stadt wäre ein wichtiger Sieg für die Rebellen und würde ihnen den Weg nach Tripolis und in die von ihnen gehaltene Stadt Misrata öffnen. Dort berichteten Einwohner von Kämpfen zwischen Rebellen und Regierungstruppen. Gaddafi hatte einen Aufstand in Misrata zuvor brutal niedergeschlagen.
Am Sonntagabend wurde die Hauptstadt Tripolis bombardiert. Mindestens neun Explosionen und Flugabwehrfeuer waren zu hören, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AP in der Stadt erklärte.“
Über die Situation in Syrien schreibt die linksliberale dänische Zeitung „Information“:
„Ein gemeinsamer Zug aller Demonstrationen gegen die syrische Führung seit letzter Woche besteht darin, dass die Demonstranten in keinem Fall deren Sturz verlangt haben. Sie haben die Bekämpfung von Korruption gefordert sowie Arbeit, Brot, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Der 45- jährige Präsident Bashar al-Assad aber war nie Zielscheibe für Schlagwörter und Parolen. (…) Assad hätte also die besten Voraussetzungen, einen neuen Standard für Reaktionen auf die arabische Revolte zu setzen. Indem er Reformen von oben durchgeführt hätte. (…) Was Assad aber als „Reform-Paket“ vorgelegt hat, ist zu wenig und kommt zu spät. “
Aus Kairo kam gestern folgende letzte Meldung von AFP:
„Etwa 200 Ägypter haben am Sonntag vor dem Parlament im Zentrum von Kairo gegen einen Gesetzentwurf protestiert, der das Demonstrationsrecht einschränken soll. „Die Streiks sind legitim“, skandierten die Demonstranten mit Blick auf das Gesetzesvorhaben, mit dem Demonstrationen verboten werden sollen, durch die die Arbeit beeinträchtigt werden könnte. Das Übergangskabinett hatte dem Gesetzentwurf vergangene Woche zugestimmt.
Den Behörden soll demnach künftig erlaubt werden, Strafen oder Bußgelder gegen diejenigen zu verhängen, die Demonstrationen, Sitzblockaden oder Versammlungen anführen, durch die die Arbeit in öffentlichen oder privaten Einrichtungen behindert wird.“
Ist der ägyptische Aufstand damit in einen low-level-Bürgerkrieg/Klassenkampf übergegangen oder sind es nur die Teile des Mubarak-Regimes, die sich noch halten können und nun versuchen, wieder Boden zu gewinnen?
Al Dschasira meldet zu den Luftangriffen der Westalliierten auf Libyen:
„Sergei Lavrov, russians foreign minister, is quoted by Reuters as saying: We consider that intervention by the coalition in what is essentialy an internal civil war is not sanctioned by the UN Security Council resolution.“
Auch die antikommunistischen „Moskowiter“ sehen in dem Aufstand der Libyer gegen das Gaddafi-Regime einen „Bürgerkrieg“. Sie könnten mit etlichen Newagern hierzulande auch davon sprechen, dass „hinter den Aufständischen “ und von langer Hand vorbereitet lauter Islamisten stehen. Andere wiederum sehen dort die Franzosen, die seit Jahren mit hochrangigen libyschen Militärs konspirierten, als Drahtzieher hinter den Volkskomitees und dem Nationalrat der „Rebellen“. Und letztendlich gehe es ihnen darum, dass der französische Konzern „Total“ bei der Privatisierung der libyschen Ölquellen nach der Vertreibung von Gaddafi den Zuschlag bekomme.
Alles möglich, aber, wie Gilles Deleuze sagte:
„Dass sie – die Revolution – noch jedesmal übel endete, “das weiß man doch!” Schon die englischen Romantiker redeten über Cromwell genauso wie die heutigen Ex-Linken über Stalin. “Die tun so, als hätte man die ganzen Schweinereien erst jetzt entdeckt. Und was wurde aus der französischen Revolution? Napoleon. Oder die Amerikaner – die haben doch ihre Revolution genauso vermasselt wie die Bolschewiki. Auch sie wollten eine neue Gesellschaft, den neuen Menschen.” Dieses Scheitern hindert “aber doch die Leute zum Glück niemals daran, revolutionär zu werden – wenn es zu einer Situation kommt, die ihnen keinen Ausweg läßt. Das Revolutionär-Werden ist etwas ganz anderes als die Revolution. Die Historiker werden das nie begreifen.“
„GlobalResearch. ca“ schreibt aus dumpfer staatlicher Sicht auf die „libysche Revolution“, die von Al Quaida mitinitiiert sein soll:
„One of the biggest problems Western governments have faced throughout the Libyan crisis has been identifying who exactly the “eastern rebels” are. Until the uprising began in February, there was thought to be no legitimate opposition to speak of in the country, and thus no contacts between the United States, the United Kingdom, France or others. Many of those who now speak for the rebel movement are headquartered in Benghazi. There have been several defections, however, from the regime of Libyan leader Moammar Gadhafi to the eastern rebel leadership, and it is men like these with whom the West is now trying to engage as the possible next generation of leadership in Libya, should its unstated goal of regime change come to fruition.
The structure through which the Libyan opposition is represented is the National Transitional Council. The first man to announce its creation was former Libyan Justice Minister Mustafa Abdel-Jalil, who defected from the government Feb. 21 and declared the establishment of a “transitional government” Feb. 26. At the time, Abdel-Jalil claimed that it would give way to national elections within three months, though this was clearly never a realistic goal.
…The National Transitional Council officially came into being March 6. … The transitional council asserts that it derives its legitimacy from the series of city councils that have been running the affairs of the east since the February uprising that turned all of eastern Libya into rebel-held territory.
… It is important to note that little of the territory that fell into rebel control in the early days of the insurrection was actually occupied through conquest. Many military and security forces in the east either deserted or defected to the opposition, which brought not only men and arms, but also the territory those troops ostensibly controlled. Most fighting that occurred once the situation transitioned into what is effectively a civil war, particularly in the main population centers along the coastal stretch between Benghazi and Sirte, consisted of relatively small, lightly armed formations conducting raids, rather than either side decisively defeating a major formation and pacifying a town.“ (…)
Aus Jordanien berichtete AP gestern Abend:
„In Jordanien kommt es seit drei Monaten zu Protesten gegen die Regierung, bei denen der Rücktritt des jordanischen Ministerpräsidenten, die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen gefordert werden. Die Opposition verlangt, dass der Ministerpräsident künftig vom Volk gewählt und nicht vom König ernannt wird.
In Anspielung auf die jüngsten Proteste am Freitag, bei denen erstmals ein Demonstrant getötet wurde, mahnte Abdullah II. nationale Einheit an. „Wir verfolgen politische Reformen, und wir haben nichts, vor dem wir Angst haben müssen“, sagte der König auf einer Versammlung in Petra.“
Man kann sich nicht mehr nur in Arabien einem Aufstand anschließen, sondern auch einem Flüchtlingsstrom (was man allerdings bezahlen muß), wobei dieser eine Art Negativaufstand ist, insofern auch sein An- und Abschwellen Wirkung sowohl in den Herkunfts- als auch in den Zielländern zeigt. Um heute in die EU einwandern zu können muß man glaubwürdig nachweisen, dass man aus einem Bürgerkriegs-Gebiet als Opfer geflüchtet ist – und deswegen Gastrecht beanspruchen darf statt zurückgeschickt zu werden. Diese von allen Seiten behauptete „Bürgerkriegs“-Situation nutzen jetzt viele junge Araber aus.
Ausführlich schildert dies der Bericht über eine Gruppe afrikanischer Prostituierter in Antwerpen von der in Belgien lebenden Literaturwissenschaftlerin Chika Unikwe: „Schwarze Schwestern“.
Aus dem ebenfalls auf halbem Wege ins Stocken geratenen tunesischen Aufstand kam gestern Abend folgende Flüchtlings-Meldung von dpa:
„Der Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer nach Italien reißt nicht ab. Nach Tausenden von Tunesiern kommen nun ostafrikanische Flüchtlinge aus Libyen. Die winzige Felseninsel Lampedusa ist völlig überfordert. Die Zahl der Flüchtlinge übersteigt die der Einwohner.
Zwischen Samstag und Sonntag erreichten erneut über 1300 Bootsflüchtlinge die kleine italienische Insel Lampedusa. Trotz aller Bemühungen der italienischen Regierung, die Flüchtlingswelle zu bremsen, stieg die Zahl der großteils tunesischen Immigranten damit wieder auf über 5400.
Tausende der Flüchtlinge sind gezwungen, im Freien zu übernachten. Oberhalb des Hafens haben sich viele aus Strandgut notdürftige Zelte gebastelt. Die meisten klagen über mangelhafte Versorgung.
ein Ende des Ansturms der oft maroden und fast immer überladenen Boote, die täglich übers Mittelmeer aus Nordafrika nach Italien kommen, ist indes nicht in Sicht. Zwei weitere Boote mit Flüchtlingen folgten im Laufe des Sonntags. Über die Nationalität der Flüchtlinge wurde zunächst nichts bekannt. Doch das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) warnte: „Es gilt, keine Zeit mehr zu verlieren“.
„Mit den ersten absehbaren Ankömmlingen aus Libyen, auf die viele weitere folgen werden, muss Lampedusa schnell entlastet werden“, warnte Laura Boldrini, Sprecherin des UNHCR in Italien.
Mit Tunis hatte die italienische Regierung am Freitag vereinbart, den Flüchtlingsstrom der vergangenen Wochen gemeinsam zu stoppen. Italien will dabei vor allem finanziell helfen und 150 Millionen Euro bezahlen. Ein Vorschlag des italienischen Außenminister Franco Frattini, den tunesischen Immigranten für eine Rückkehr in ihre Heimat bis zu 2500 Dollar (knapp 1800 Euro) zu zahlen, stieß in Italien hingegen besonders bei der ausländerfeindlichen Regierungspartei Lega Nord auf heftigen Widerstand.
Seit dem Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali erreichten italienischen Medienberichten vom Sonntag zufolge rund 18 500 Bootsflüchtlinge das nur 20 Quadratkilometer große Lampedusa. Die 130 Kilometer von der tunesischen Küste entfernt gelegene Insel ist seit langem für viele Verzweifelte aus Afrika ein ‚Tor nach Europa‘.“
Beim Flüchtlingsstrom wie bei den Aufständen haben wir es mit einem Sog zu tun, man könnte auch von einer „Ansteckung“ reden, wie es die Flüchtlingshilfsorganisationen in Chiapas tun, wo „alle“ jungen Leute, einer Epidemie gleich, in die USA wollen – und es von diesbezüglichen „Reisebüros“ wimmelt (ähnlich wie hier die „Spielcasinos“ und „Wettbüros“ der Migranten), es sind dies die einzigen neugegründeten Gewerbe in den letzten Jahren dort, so wird gesagt.
Auch in diesem Teil Mexikos steht das Abschwellen des „zapatistischen Aufstands“ in einem fast unmittelbaren Verhältnis zum Anschwellen des Auswanderungsstroms. Dieser hat in Verbindung von Schlepperbanden und Drogenexporteuren zu einem ausgewachsenen Krieg zwischen ihnen und dem mexikanischen Militär geführt, der bereits zigtausend Tote „gekostet“ hat, wobei seltsamerweise und quasi nebenbei noch fast 500 Frauen, Arbeiterinnen in den US-Industrieenklaven von Ciudad Juarez zumeist, auf grausame Weise ermordet wurden.
Noch immer rätseln feministische Sozialforscherinnen und Frauengruppen nach den „Ursachen“ für diese ebenfalls als „anstreckend“ empfundene männliche Barbarei, die sich inzwischen auch auf benachbarte Bundesstaaten Mexikos ausgedehnt hat. Zum Rätselhaften haben auch die staatlichen Ermittlungsbehörden beigetragen, die nach einem Mord einfach irgendjemand verhaftet haben, um ihm anschließend unter Folter ein Geständnis abzupressen. Daneben gibt es noch eine eigene Lynchjustiz der Reichen und Einflußreichen – wenn es sich bei der Ermordeten um eine Tochter aus reichem Haus handelte.
Die Frauenmorde in Ciudad Juarez werden ausführlich dargestellt in dem letzten Roman des jüngst verstorbenen chilenischen Schriftstellers Roberto Bolano: „2666“.Amnesty International meldete zuletzt: „Militär und Polizei wird unterstellt an den sexuellen Misshandlungen beteiligt zu sein. Regierungsunabhängige Aufklärungsversuche werden unterbunden. Einblicke in die Ermittlungsakten bleiben verwehrt. Dem mexikanischen Ermittlungsapparat wird die Unterdrückung von Beweisen vorgeworfen. Angehörigen der Opfer fehlt der Zugang zu Information über ihre vermissten oder ermordeten Schwestern, Freundinnen oder Töchtern.Seit einiger Zeit bemerkt man überdies die Ausdehnung der Frauenmorde von Ciudad Juárez auf die Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates Chihuahua. Ein Ende der Frauenmordserien ist somit immer noch nicht in Sicht.“
Eine ähnliche noch umfassendere Vergewaltigungs- und Mord-„Welle“, die vor allem Frauen traf, gab es nach dem Verbot der islamischen Bewegung/Partei in Algerien, als diese einen Guerillakampf begann, der zeitgleich mit einer völligen Abschottung der EU-Grenze für Algerier einherging, so dass die jungen arbeitslosen Männer, die bis dahin nach Frankreich ausgewandert waren, keinen Ausweg mehr aus ihrer Misere sahen. Die jetzigen Unruhen in Algerien, die inzwischen wieder aus den Schlagzeilen verschwunden sind, ähnlich wie die heftigen Kämpfe und Demonstrationen in mehreren Ländern südlich der Sahara, deuten dagegen eher auf eine Abkehr vom „islamischen Weg“ hin.
Die letzte Tickermeldung aus Algerien kam am 23.3. von dpa:
„Ein sieben Jahre altes Mädchen ist bei Unruhen in Algerien ums Leben gekommen.“
Heute kommt eine neue Meldung aus Algerien – von dpa:
„Libyens Nachbarland Algerien hat am Montag gemeinsam mit Frankreich das Militärmanöver „Raïs Hamidou 11″ zur Überwachung des westlichen Mittelmeers begonnen.“
Aus Libyen berichtet dpa:
Die von Soldaten der Gaddafi-Truppen vergewaltigte und anschließend vom Geheimdienst entführte junge Libyerin Iman al-Obaidi wurde „zur Heldin der Aufständischen“. Das Regime ließ sie heute Nachmittag frei.
Aus dem Jemen kommt um 12 Uhr 6 die dpa-Meldung:
„Bei einer Explosion in einer Munitionsfabrik im Jemen sind am Montag 40 Menschen ums Leben gekommen. Das meldete der Nachrichtensender Al-Arabija. Die Fabrik in der Provinz Abjan war zuvor von Islamisten gestürmt und ausgeplündert worden.
Die Extremisten nutzen nach Informationen jemenitischer Medien den seit Wochen andauernden Machtkampf zwischen Präsident Ali Abdullah Salih und seinen Gegnern aus, um ihren Einflussbereich zu vergrößern. Vor diesem Szenario warnen US-Terrorismusexperten schon seit längerer Zeit.“
Es ist jedoch ebenso wahrscheinlich, dass hier einige jeminitische Militante des Volksaufstands kurzerhand zu „Islamisten“ erklärt werden, um sie mit mehr Rückendeckung bekämpfen zu können.
Spiegel-online meldet aus Japan:
Die Horrormeldungen hören nicht auf. Vor der Ostküste Japans, unweit des Unglücksreaktors Fukushima, hat es erneut schwere Erdstöße gegeben. Über mögliche Schäden ist noch nichts bekannt. Der Betreiber Tepco muß sich nun von der Regierung scharfe Kritik für den Umgang mit der Katastrophe gefallen lassen – die noch Jahre andauern könnte.
Der geschäftsführende Ausschuß des Kapitals fällt dem Kapital in den Rücken – schmelzt da bereits die „Japan AG“ in ihrem Kern ab?
Der Spiegel-Korrespondent in Benghasi berichtet von dort:
„In Benghasi feierten die Rebellen das Erreichen der symbolisch und strategisch wichtigen Stadt Sirte Gegen fünf Uhr morgens fuhren Kolonnen der Kämpfer durch die Stadt und schossen über eine halbe Stunde Salven aus teilweise schweren Waffen in die Luft, an mehreren Kreuzungen feuerten auch Luftabwehrgeschütze.“
Wer das für unreifes Männer-Theater hält, wie z.B. der Ex-Bundeswehroffizier und Kriegsreporter der FAZ vor Ort, dem sei gesagt, dass diese nomadische „Kampfweise“ dem westlichen Kosten-Nutzen-Denken im Krieg (Munitionskosten, Materialschonung) moralisch weit überlegen ist: Es geht nicht darum, den Gegner zu treffen und zu töten, sondern ihn so einzuschüchtern, dass er von seiner Gegnerschaft abläßt. In einem innerkurdischen Krieg verschoß einmal eine der Parteien anderthalb Millionen Patronen – und verletzte dabei zwei ihrer Gegner.
Näheres dazu erfährt man in dem außerordentlich interessanten Buch des holländischen Kurdologen Martin van Bruinessen: „Agha, Scheich und Staat“
Mit der gegenteiligen – effizienten – Kriegsführung des Westens wurde der Scharfschütze der US-Army Timothy McVeigh konfrontiert, woraufhin er sich zu einem rechten Terroristen gegen den US-Staat mauserte. Die US-Historikerin Anjana Shrivastava schrieb:
„Ausschlaggebend dafür waren seine Erfahrungen im Golfkrieg, wo er als MG-Schütze auf einem Aufklärungspanzer eingesetzt war. Noch auf Distanzen von über 1000 Meter- das entspricht ungefähr zwei Fußballfeldern – verwandelte ein Schuß aus seiner Waffe irakische Soldaten in eine Art roten Nebel. Die hoffnungslose Unterlegenheit der mit “normalen Waffen” ausgerüsteten Gegner sah er dann erneut bei der Belagerung der Sektenkommune von Waco, Texas, durch die staatlichen Einsatzkräfte, wo die Verteidiger in einem Feuersturm untergingen.“
Al Dschasira meldet von der Rebellenfront vor Sirte um 15 Uhr 30:
Our correspondent James Bays spoke from Bin Jawad about the situation in the home town of Gaddafi Sirte. „This still remains on frontline status. The frontline is moving… It’s somewhere between here and Sirte but people here on high alert. „We are hearing different things from different people and that tells you something. They have no communication with each other. One group goes from one checkpoint to the next and they pass on information that way. There is an element of Chinese whispers to it.“ Bays also added that people coming from Sirte said Gaddafi forces are gathered about 60kms outside Sirte. „Not on the road, hiding in the trees.“ „That’s what seems to be stopping the rebels making it into Sirte where we understand there has been some fighting.“
Aus dem Irak meldete dpa um 11 Uhr 49:
„In der nordirakischen Stadt Mossul haben am Montag unbekannte Bewaffnete ein Haus überfallen und dabei sechs Frauen und einen Mann erschossen. Die Täter entkamen nach der Bluttat, deren Motive zunächst unklar blieben, bestätigte die Polizei. Die Familie gehörte der arabisch-sunnitischen Bevölkerungsmehrheit in der ethnisch und konfessionell gemischten Millionen-Stadt an.
Im südirakischen Hilla starben bei zwei Bombenexplosionen vier Soldaten und ein Polizist, bestätigte die Polizei in der Stadt 100 Kilometer südlich von Bagdad. In der irakischen Hauptstadt verletzten am selben Tag ingesamt vier Sprengsätze 13 Menschen, berichtete die Nachrichtenagentur Aswat a-Irak. Einer dieser Anschläge richtete sich gegen einen Konvoi des Vize-Gouverneurs von Bagdad, Mohammed al-Schammari. Der Politiker überstand das Attentat unversehrt.“
Die Frankfurter Rundschau berichtet:
Der US-Verteidigungsminister wirft dem Gaddafi-Regime vor, Leichen von zuvor ermordeten Zivilisten an Angriffspunkte der West-Allianz zu legen, „um eine hohe Zahl von zivilen Opfern vorzutäuschen“.
Genau das hat man umgekehrt den rumänischen Aufständischen 1989 in Temesvar vorgeworfen: dass sie, um der Weltöffentlichkeit die Brutalität des Ceaucescou-Regimes zu demonstrieren, schon lange vorher Gestorbene exhuminiert und mit Stacheldraht umwickelt hätten.
„Das sogenannte ‚Massaker von Temesvar‘ im Dezember 1989 ist als Fälschung im großen Stil in die Mediengeschichte eingegangen,“ heißt es in der gleichnamigen Aufsatzsammlung von Kristl Philippi. Die erste Diskussion darüber veröffentlichte bereits kurz nach dieser „unvollendeten Revolution“ der Merve-Verlag. Jean Baudrillard sprach in seinem gleichnamigen Buch vom „Temesvar-Syndrom“, so könnte man auch die Gaddafi-Leichenvorzeigestrategie nennen, wenn die CIA denn überhaupt recht damit hat.
Weiter berichtet die F.R. von einem Gaddafi-Elitesoldaten aus Sirte, den die Aufständischen gefangen nahmen. Er erzählte:
„Ihnen wurde gesagt, Agenten aus Tunesien und Ägypten hätten in Benghasi Jugendliche aufgehetzt, die angeblich raubend und mordend die Bevölkerung terrorisierten.“
Ähnliches haben die rumänischen Geheimdienstkreise 1989 auch über die revoltierenden Jugendlichen von Temesvar gesagt. Wie ein anderes Machtspiel laufen könnte, erklärte gerade Israels Chefunterhändler für Syrien der F.R.:
Wenn die syrischen Aufständischen das „Assad-Regime“ schwächen oder gar stürzen, könnten die Opposition im Iran und das moderate Lager im Libanon wieder „Handlungsspielraum“ gewinnen – weswegen Syrien und der Iran versucht sein könnten, „gerade deswegen den Konflikt mit Israel wieder anzuheizen“.
Es gibt anscheinend bereits Anzeichen dafür, dass der Iran das Assad-Regime unterstützt. Ähnliches gilt wohl auch für Gaza, wo die Hamas-Regierung bereits die Kontrolle über „andere Organisationen“ verloren habe – und der Raketenbeschuß auf Israel den Jugendprotest vergessen machen soll.
Aus Syrien meldet AP:
„Bewohner der Hafenstadt Latakia begannen Augenzeugen zufolge mit der Errichtung von Kontrollposten, um sich vor bewaffneten Jugendlichen zu schützen. Ein Anwohner erklärte, die Straßen Latakias seien am Montag überwiegend verlassen gewesen, nachdem mit Stöcken und Gewehren bewaffnete Männer am Sonntag Autos angehalten und nach Ausweispapieren gefragt hätten. Laut Augenzeugen war unklar, ob die Männer für die Regierung im Einsatz sind.“
Reuters meldete um 13 Uhr 57 aus Syrien:
„In der südsyrischen Stadt Deraa haben Sicherheitskräfte am Montag nach Berichten von Einwohnern erneut auf Demonstranten geschossen. Die Menschen seien mit Parolen gegen den Ausnahmezustand auf die Straße gegangen, hieß es. Unter dem Druck von Demonstrationen hat die Regierung ein Ende des seit fast fünf Jahrzehnten dauernden Ausnahmezustandes angekündigt.“
AP meldet um 17 Uhr 53 (alte Winterzeit):
„In der indonesischen Hauptstadt Jakarta demonstrierten am Sonntag mehr als 10.000 Muslime gegen den libyschen Machthaber Muammar al Gaddafi und für die arabischen Protestbewegungen in Libyen, Jemen und Bahrain.
In Jordanien nahmen unterdessen mehr als 200 Menschen an einer Begräbnisfeier für einen getöteten Demonstranten teil. Der 55-jährige Chairi Saad war das erste Todesopfer der seit drei Monaten anhaltenden gewaltsamen Proteste gegen die Regierung.“
Dass Begräbnisfeiern zu machtvollen Demonstrationen werden gab es auch in Deutschland – zur Zeit der Sozialistengesetze, als jeder gestorbene sozialdemokratische Führer noch für einen riesigen Protestmarsch durch die Stadt zum Sozialistenfriedhof in Lichtenberg gut war. Dieser Brauch gibt neben vielen anderen den Westlern Argumente dafür, dass es sich bei der „Arabellion“ (FAZ) auch bloß wieder um eine „nachholende Revolution“ (J. Habermas) ähnlich wie 1989 in Osteuropa handelt…
Gleichzeitig versuchen die bedrängten Herrscher u.a. in Bahrain und in Saudi-Arabien das Heft des Handelns wieder in die Hand zu bekommen, indem sie aus dem Protest gegen sie eine Angelegenheit zwischen rivalisierenden Nationen machen – wie dpa um 15 Uhr 8 meldet:
„Der Krieg der Worte zwischen dem schiitischen Iran und den von sunnitischen Herrschern regierten arabischen Golfstaaten eskaliert. Entzündet hatte sich der Konflikt an den Unruhen in Bahrain, wo die mehrheitlich schiitische Opposition das sunnitische Herrscherhaus durch Protestaktionen zu demokratischen Reformen zwingen will.
Der Vize-Generalsekretär des Golfkooperationsrates (GCC), Saad al-Ammar, warf dem Iran in einem Interview mit der der saudischen Zeitung „Al-Iqtisadiyah“ (Montagsausgabe) vor, Teheran habe sich in die Angelegenheiten des Königreichs Bahrain eingemischt: „Wir haben gehört und gelesen, wie verschiedene Regierungsbeamte aus dem Iran über die Lage in Bahrain gesprochen haben, ganz so, als wäre dies eine iranische Angelegenheit.“ Der GCC, zu dem Saudi-Arabien, Kuwait, Katar, der Oman, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate gehören, hatten Mitte März entschieden, Truppen nach Bahrain zu schicken, um König Hamad bin Issa al-Chalifa beizustehen.“
Der Nordafrika/Spanien-Korrespondent der taz Reiner Wandler veröffentlichte auf Facebook eine Umfrage unter Tunesiern über das, was sie politisch bewegt: „Eine Radiographie des neuen Tunesiens“:
„Der typische Tunesier, die typische Tunesierin, ist um die Sicherheit besorgt, will sich in die Politik einmischen, kennt kaum Parteien, oft nur die Islamisten, fühlt sich von ihnen aber nicht angezogen und will auf gar keinen Fall einen starken Präsidenten. Dieses Bild ergibt die erste repräsentative Umfrage, die am Montag in Tunis vorgestellt wurde. „Wir haben 1060 Tunesier und Tunesierinnen aller Alters- und Bildungsgruppen aus sämtlichen Regionen persönlich interviewt“, erklärt der für die Umfrage Verantwortliche Attia Salah, vom in Tunis ansässigen Marktforschungsunternehmen Global Management Services. Heraus kam eine 52-seitige Radiographie mit dem Titel „Die Tunesier und die Politik nach dem 14. Januar“, dem Tag, als Diktator Zine el-Abidine Ben Ali fluchtartig das Land verließ. Die Studie ergibt ein erstaunlich homogenes Bild der Bevölkerung.
59,2 Prozent sehen den Übergangsprozess zur Demokratie in guten Händen. Sie sind sich sicher, dass die derzeitige Regierung die soziale und wirtschaftliche Lage des Landes gut kennt. 45,6 Prozent vertrauen darauf, dass sie nicht von Männern des alten Systems bestimmt wird. 62 Prozent wollen sich aktiv am politischen Leben beteiligen. 45 Prozent definieren sich als „politische Mitte“. 71,4 Prozent geben an, wählen zu wollen, 30,4 Prozent sehen die sozialen Medien im Internet als ihr Betätigungsfeld, 28,2 Prozent überlegen sich einer Partei beizutreten und 21,5 Prozent wollen in den Gruppierungen der Zivilgesellschaft aktiv werden. 20 Prozent sehen Demonstrationen und Sit-ins als ein adäquate Mittel.
Viele Tunesier kennen – nach 23 Jahren der Zensur – weder die Parteienlandschaft noch deren Vertreter. Am bekanntesten ist neben dem Chef der Übergangsregierung Beji Caied Cebsi der Führer der islamistischen Ennahda, Rachid Ghannouchi. Doch diese Popularität nutzt dem Veteranen der religiös-politischen Bewegung nur wenig. Auf die Frage, von welchem Politiker sie sich am weitesten entfernt fühlen, antworten in allen Alters- und Berufsgruppen zwischen 45 und 62 Prozent ebenfalls „Rachid Ghannouchi“. Und nur 6,9 Prozent halten den Islamisten für „rechtschaffensten oder ehrlichsten“ Politiker.“