vonHelmut Höge 13.04.2011

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Araberin. Photo: oel-bild.de

Die Frankfurter Straßenzeitung „Soziale Welt“ meint:

„Arabische Frauen führen den Aufstand an“

Dazu heißt es im Blatt:

Asmaa Mahfouz, eine 26jährige Ägypterin, hatte bis vor kurzem nur einen Namen. Jetzt hat sie mindestens drei. Man nennt sie auch „eine Frau, die 100 Männer wert ist.“ Oder: Das Mädchen, das Mubarak vernichtet hat“ und „Führerin der arabischen Revolution“. Mahfouz hat 2008 mit dem politischen Aktivismus online begonnen. Sie hat einen Video- Aufruf generiert, der die Revolte gegen das autokratische Militärregime von Hosni Mubarak auslöste. Mahfouz ist der Leiter einer neuen Gruppe arabischer Frauen, die das typisch konservativ geprägte Bild abgelegt haben und eine Welle pro-demographischer Proteste angeführt oder ausgelöst haben. Diese Welle wird die politische Zukunft in vielen arabischen Ländern verändern. Mitte Januar hat Mahfouz eine YouTube-Video kreiert. „Ich bin eine Frau und werde auch weiterhin zu Demonstrationen gehen. Vor der Polizei habe ich keine Angst.“, sagte sie wenige Tage vor dem Aufruhr. „An die Männer, die mit ihrer Stärke angeben – warum schließt ihr uns nicht an bei den Demonstrationen?“ Ihre Nachricht wurde gehört, „Mehr als ich mir in den wildesten Träumen vorgestellt habe“, sagt sie. Das 4 Min, 30 sec. lange Video wurde von Internet- Aktivisten weitergeben und an viele Blogs und Webseiten übertragen. Die Jugend verbreitete es über Mobiltelefon, eine Kommunikationsmöglichkeit, die 65 Mio. Ägypter nutzen. Wenig später hat die Regierung die Mobilnetze gekappt. Doch die Worte von Mahfouz fanden Widerhall nicht nur in Ägypten, sondern in der ganzen Region.

„Asmaas Worte waren ehrlich und kamen aus dem Herzen“, schrieb Reem Khalifa, Kolumist für die Zeitung Alwasat in Bahrain. „Diese Worte haben sich in einen Tsunami verwandelt, der Despotismus, Tyrannei und Ungerechtigkeit vernichtet hat“. Asmaa Mahfouz ist eine von Millionen Frauen, die in Ägypten und anderen arabischen Ländern Demonstrationen anführen. Man sah sie in den ersten Reihen auf dem Tabir Square und anderswo – dies in einer Gesellschaft, wo Frauen traditionell zurückstehen müssen. Viele haben sogar Körpervisitationen an anderen teilnehmenden Frauen durchgeführt, um sicherzustellen, dass das Regime keine Waffen gegen die Demonstraten einschleust. „Die arabische Welt befindet sich in Aufruhr gegen Diktaturen“, sagt Magda Adly von El Nadim Cente für die Rehabilitation von Opfern der Gewalt in Kairo. „Deshalb sehen wir Frauen, Islamistisch oder nicht, verschleiert oder nicht, sich versammeln und auf der Straße Proteste anführen. Das ist wirkliche Gleichheit. Wir werden niemals wieder in den alten Stand zurückkehren“.

In der Jungen Welt findet sich eine Zusammenfassung von Nachrichten über arabische Frauen aus den letzten Wochen:

Auf „saudiwomenrevolution“ schreibt  classicdiva: „Ich rufe saudische Frauen auf, jetzt zu handeln. Unsere saudischen Brüder haben uns verraten, das sind lauter Feiglinge“. „Wo sind die Männer? Wir Frauen sind schon hier!“ riefen Demonstrantinnen in der  ägyptischen Textilmetropole Mahalla al-Kufr. Das historische Subjekt der Arabischen Aufstände sind die Frauen.

Sie sind nicht durch Zugeständisse (Reformen) der dortigen Regime zu befrieden: z.B. dass sie in Saudi-Arabien ihren Führerschein machen  und die Lehrerinnen in Syrien wieder Schleier tragen dürfen. „Die Tage Assads sind gezählt,“ meint Le Monde, ebenso wie die des Präsidenten im Jemen, wo kürzlich eine große Frauendemonstration stattfand. Vor einigen Tagen demonstrieren u.a. die Frauen der Muslimbrüder auf dem Kairoer Tahrirplatz – gegen das Militär, das bei  den dort verhafteten Demonstrantinnen „Jungfräulichkeitstests“ vornahm. Bei negativem Befund drohte man ihnen mit einer Anklage wegen Prostitution. Bisher waren die arabischen Frauen dieser Drohung ausgewichen, indem sie sich in den Arsch ficken ließen. Ganze Generationen von muslimischen Hetero-Männern wurden darob  zu üblen Arschfickern. In Ägypten wird  immer noch bei fast 90% der Frauen die Klitoris beschnitten, damit sie weniger Lust empfinden. Auf der Straße werden sie ständig von Männern „angemacht“.

„Fünf Ehefrauen haben in Dschidda, Saudi-Arabien, ihren Männern das Geschlechtsorgan abgeschnitten – berichtete jüngst die Tageszeitung „Al-Hayat“. Ein saudischer Ehemann wurde im Januar zu 30 Peitschenhieben verurteilt, weil seine zwar komplett verhüllte junge Frau ihre Augen nicht zusätzlich mit einem Schleier bedeckt hatte. Kürzlich meldete dpa: „Allein mit einer Frau in einem Zimmer – dafür ist ein ägyptischer Arzt in Saudi-Arabien zu 500 Peitschenhieben und fünf Jahren Haft verurteilt worden.“  Im vergangenen November wurde in Pakistan eine Christin wegen angeblicher Blasphemie zum Tode verurteilt. Zwei Politiker, die sich für sie einsetzen, wurden daraufhin in Islamabad erschossen. Im Iran dürfen Frauen seit der siegreichen islamischen Revolution gesteinigt werden – u.a. für Untreue. Auf die Frage, ob in ihrer Familie darüber diskutiert wurde, als sie sich mit 13 verschleierte, antwortete die Iranerin Chahdortt Djavann: „Das ist keine Angelegenheit der Eltern. Unverschleiert auf die Straße zu gehen – das ist der Tod. Es gab ein paar Demonstrationen von Frauen dagegen. Aber die wurden sehr schnell unterdrückt“. Im Irak wird die Situation der Frauen von Tag zu Tag schlechter. Erst machte der Krieg, dann der lange, blutige Aufstand gegen die Amerikaner den Frauen das Leben schwer. „Das wahre Problem der Frauen aber sei der Frust der Männer. Viele hätten keine Arbeit, säßen zu Hause und ließen ihren Zorn an ihren Frauen aus,“ berichtete eine Spiegel-Korrespondentin aus dem Irak – unter der Überschrift: „Sie halten uns wie Tiere“.

Die tunesische Feministin Emna Ben Mile berichtete: „Bis zur Revolution haben wir in gewisser Weise unsichtbar gearbeitet, die herrschende Macht hat uns keine soziale Sichtbarkeit gestattet. Das war auch so, als wir vor zwei Jahren die feministische Universität, immerhin mit UN-Geldern finanziert, eröffneten. Wieder stand der Polizeibus täglich  mit den schwarz Uniformierten vorm Tor.“

Aus Marokko berichtete Rabia Ghanib: „Vor zwei Jahren, mit 23, wurde ich  schwanger, mein Verlobter ließ mich sitzen und meine Familie verstieß mich:  Ich dachte, mein Leben hört auf. Ledige Frauen mit Kind zählen bei uns zu den Ausgestoßenen. Und sie werden hart bestraft, eine Frau mit einem unehelichen Kind wird vor Gericht wegen Prostitution verklagt.“

Eine algerische Lehrerin berichtete: „1980 gab es eine Diskussion über die Bestimmung der Länge des Stocks, mit dem Frauen geschlagen werden durften. Im Gesetz von 1984 wird die Frau nur in Beziehung zum Mann betrachtet, als Tochter oder als Ehefrau. Und Ehefrau heißt zwangsläufig Mutter. Das Gesetz gibt der Frau keinerlei Recht. Im Ehevertrag ist keine Frau, gleich welchen Alters oder welcher sozialen Klasse, ein unabhängiges Individuum. Sie braucht immer die Erlaubnis ihres nächsten männlichen Familienangehörigen, selbst wenn es der jüngere Bruder ist. Wenn der Vater und die Brüder tot sind, so muß ihr eigener Sohn ihr die Erlaubnis erteilen, zu heiraten bzw. wieder zu heiraten. Die Frau hat kein Recht auf Scheidung. Es muß betont werden, daß die ersten Gewalttaten, u.a. massenhafte Vergewaltigungen, von 1985 bis 1990, offen gegen die Frauen gerichtet waren. Und niemand sagte etwas. 1985 wurden Flugblätter verteilt, die alle Frauen verurteilten, die nicht die reguläre islamische Kleidung trugen. Es ging nicht nur um das Tragen des Schleiers, sondern man sollte sich auch das Gesicht verhüllen, man sollte Handschuhe tragen. Im Süden sind sie sogar so weit gegangen, Frauen körperlich anzugreifen und ihre Häuser zu verbrennen. Es wurden gewalttätige Aktionen gegen Studentinnen organisiert. Es war offensichtlich, daß die Frauen nur deshalb angegriffen wurden, weil sie Frauen waren.“

Die „Arabellion“ (FAZ), das ist die Aufhebung dieser und anderer Trennungen – zwischen Frauen und Männern, oben und unten, alt und jung, gläubig und ungläubig…Auf dem Kairoer Tahrirplatz gelang dies für die Dauer seiner Besetzung. Für viele  Beteiligte wird es einmal rückblickend die eindrucksvollste Erfahrung ihres Lebens gewesen sein.

Die Financial Times berichtet unter der Überschrift „Junge Saudi-Frauen üben den Aufstand“:

Ein junges Paar spaziert durch einen Park. Unvermittelt steht ein Religionswächter vor ihnen. Wer nicht verheiratet ist, muss sich in Saudi-Arabien vom anderen Geschlecht fernhalten. Der ertappte junge Mann fällt während der Kontrolle in Ohnmacht. Seine Begleiterin ist aufgebracht – und prügelt so heftig auf den Sittenwächter ein, dass der ins Krankenhaus muss.

Ein paar Tage später: Ein unverheiratetes Paar hat es sich in einem Ferienhaus gemütlich gemacht. Nachbarn haben sie verpfiffen, und nun steht die Sittenpolizei vor der Tür, erkennbar an den kurzen weißen Gewändern und den fransigen Vollbärten. Um ihrem Liebhaber die Flucht zu ermöglichen, schreitet wieder die Frau zur Gegenwehr: Sie feuert kurzerhand mit einer Maschinenpistole auf die Männer.

Die Frankfurter Rundschau schreibt über die aufständischen Frauen:

Die einen kommen in T-Shirts und Jeans, die anderen in schwarzen Roben: Hunderttausende arabische Frauen demonstrieren für Reformen in ihren Ländern. „Frauen spielen eine wesentliche Rolle bei den Revolten in der Region. Von größter Bedeutung ist die Tatsache, dass sie in den Straßen in großer Zahl präsent sind. Das ist ein Signal der Hoffnung“, sagt Nadim Houry von Human Rights Watch.  Eine der Vorkämpferinnen der tunesischen „Jasmin-Revolution“ ist Leila Bonazizi, die Schwester von Mohammed Bonazizi, der durch seinen Selbstmord den Aufstand gegen den Diktator Ben Ali entfacht hatte. Im erzkonservativen Jemen und in Libyen brachen die Frauen soziale Tabus und marschierten mit den Männern gegen die Diktatoren; drei Frauen sitzen im Revolutionsrat der libyschen Rebellen in Bengasi.  Im Jemen trägt die Revolte gegen Präsident Salih das Gesicht der Menschenrechtsaktivistin Tawakkul Karman, die sich schon lange gegen Unterdrückung engagiert und nun eine zentrale Rolle bei der Organisierung von Protesten über Twitter und Facebook spielt.

In Bahrain haben sich Tausende Frauen der Reformbewegung angeschlossen. In Ägypten – der Kampf um die Rechte der Frauen währt hier schon fast hundert Jahre – stellten Frauen gut die Hälfte der Demonstranten, die sich für eine gerechte, demokratische Gesellschaft einsetzten.  Die Aktivistinnen des Aufbruchs widerlegen die von westlichen Medien gepflegten Klischees der unterwürfigen, politisch apathischen und stimmlosen arabischen Frau. „Mit der Realität hat ein solches Bild nichts zu tun“, sagt die ägyptische Politologin Rabab el-Mahdi. Ägyptens Frauen setzten nur fort, was sie vor langem begonnen hätten. „Wir befinden uns mitten in einem Prozess des Wandels“, einer Modernisierung, die in kleinen Schritten vorangeht und sich in einem höheren Alphabetisierungsgrad, längerem Schulbesuch, einer stärkeren Berufstätigkeit und sinkender Geburtenrate niederschlägt. Es sind vor allem gebildete Frauen, die eine aktivere Rolle in ihrer Gesellschaft einnehmen wollen. Der arabische Aufbruch wäre ohne sie nicht möglich. Doch nach dem Sturz der Autokraten beginnt für die Frauen erst der eigentliche Kampf. Dann müssen sie ihr Recht auf Partizipation in einem neuen, modernen, demokratischen System einfordern. Dabei gilt es gigantische Hindernisse zu überwinden, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.

Sexuelle Belästigung wird in Ägypten nicht bestraft  In Ägypten hatten Frauen schon 1919 und dann wieder 1952 entscheidend bei Revolutionen mitgewirkt, wurden dann aber bei der anschließenden Aufteilung der Macht von Männern auf die Seite geschoben. In Algerien hatten sich Frauen im Krieg gegen die französische Kolonialmacht (1954 bis 1962) als Soldatinnen, Spioninnen, Krankenschwestern oder Kommunikationsoffizierinnen engagiert. Nach der Befreiung drängten die Männer der Revolution sie zurück ins Heim. Die Iranerinnen ereilte nach der islamischen Revolution 1978/79 ein ähnliches Schicksal.  Wird sich die Geschichte wiederholen? Werden auch heute die Patriarchen des Orients die soziale Revolution, die der politischen unweigerlich folgen müsste, blockieren? In Ägypten lassen sich bereits erste Anzeichen dafür erkennen.  Noch ist die 80 Jahre alte Nawaal el-Sadawi, die ein Leben lang für die Rechte der Frauen in ihrer Heimat gekämpft hat, euphorisch. Während der Demonstrationen gegen Husni Mubarak habe sie zum ersten Mal in Ägypten gespürt, „dass Frauen den Männern gleich sind. Die Männer haben sie behandelt wie Kolleginnen.“

Junge Aktivistinnen erzählten, dass erstaunlicherweise sexuelle Belästigungen ausgeblieben waren, die zuvor in Ägypten drastisch zugenommen hatten. Doch kaum war Mubarak abgetreten, fielen manche Männer wieder in alte Verhaltensmuster zurück. Daraufhin gründeten Aktivistinnen eine Frauenpolizei. „Es diszipliniert die Männer, wenn sie merken, dass sie eine starke Reaktion auslösen“, sagt die Anwältin Riem Schahin.  Doch um das Verhalten der Ägypter dauerhaft zu verändern, müssen Gesetze verändert werden. Sexualbelästigung wird in Ägypten nach wie vor nicht, „Ehrenmord“ und Genitalverstümmelung nur milde bestraft. Im Familienrecht ist die Entscheidungsgewalt der Männer über die Frauen verankert.

Eine Koalition von 63 Frauengruppen wehrt sich entschieden gegen erste Versuche, den Frauen im neuen Ägypten den ihnen gebührenden Platz im öffentlichen und politischen Leben zu verwehren. Das vom höchsten Militärrat eingesetzte Verfassungskomitee sei „ein Klub der alten Männer“, sagt el-Sadawi. Die Aktivistinnen fordern die Aufnahme mindestens einer Anwältin in das Komitee. Es gehe nicht nur darum, mehr Rechte für die Frauen durchzusetzen, sondern auch sicherzustellen, dass bisher Erreichtes nicht wieder aufgegeben werde, Gleichberechtigung im Erbrecht etwa. Der wahre Kampf beginnt erst jetzt, damit der Traum von einem freien, gleichberechtigten Ägypten in Erfüllung geht.

Die Araberin 1955. Photo: newart24.de

Im „Neues Deutschland“ berichtete Abida Semouri aus Algier über die algerischen Frauen:

Algeriens Frauen kämpfen mit dem Druck einer patriarchalen Gesellschaft, die sie gerne zum Tragen eines Schleiers verpflichten und aus der Öffentlichkeit verbannen würde.  Algerien galt nach der Unabhängigkeit vor 48 Jahren als eines der modernsten Länder der arabischen Welt. Die Befreiung vom französischen Kolonialismus war auch den Frauen zu verdanken, die an der Seite der Männer mit der Waffe in der Hand gekämpft hatten. Das räumte ihnen eine geachtete Stellung in der Gesellschaft ein. Bis in die 80er Jahre verhüllten sich nur wenige Algerierinnen. Seit dem Erstarken des Islamismus jedoch hat sich das Straßenbild verändert.  In einer Damenboutique in der Algierer Geschäftsstraße Didouche Mourad verkauft Aida elegante Mode vom letzten Schrei. Sie selbst ist von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt. »Ich trage den Hidschab seit sechs Jahren natürlich aus religiösen Gründen, weil ich fest davon überzeugt bin, dass ich ihn tragen muss.«

Ihre Freundin Kahina sitzt in Top und Jeans neben der Kasse. Die Medizinstudentin respektiert die Wahl ihrer Freundin, sieht die Dinge aber anders. »Ich finde, dass ich im Moment noch nicht richtig bereit bin, den Schleier zu tragen. Ich bin hübsch und kokett und zieh mich gerne schick an. Ich sehe nicht ein, warum ich die Freuden, die mir das Leben täglich bereithält, dem Kopftuch opfern sollte.«  Aber diese Wahl haben die meisten nicht. Sie werden von Vater, Bruder oder Ehemann vor eine andere gestellt, entweder verschleiert oder aber gar nicht aus dem Haus zu gehen. Mittlerweile verhüllen sich 90 Prozent der erwachsenen Algerierinnen in der Öffentlichkeit. In der Frage, ob sich die Gesellschaft gen Moderne oder Gottesstaat entwickelt, gewinnen die Islamisten immer mehr an Terrain. Dalila kommt täglich in die Moschee der Universität Algier. Die 33-jährige Arabischstudentin sitzt auf dem Boden. Der voluminöse Hidschab lässt nur ihr freundliches Gesicht und die Hände frei. Sie gibt sich überzeugt, als sie die Gründe für dieses Outfit erläutert. »Ich trage den Hidschab auf Geheiß meines großen Bruders. Er hat damals gesagt, dass es so einfacher für mich sei, zu studieren und arbeiten zu gehen. Alle Frauen in meiner Familie verhüllen sich. Der Islam räumt der verschleierten Frau einen höheren Stellenwert ein. Und die Leute draußen – vor allem fremde Männer – respektieren mich viel mehr, auf der Straße, in der Moschee, egal wo ich bin.«

Zwei Drittel der algerischen Männer wollen den Schleier für alle zur Pflicht machen, nur fünf Prozent dagegen, dass er aus dem Straßenbild verschwindet. Das ergab eine Studie des Algierer Frauenzentrums CIDDEF. Dessen Chefin Nadia Ait Zai kämpft seit Jahrzehnten für die individuellen Freiheiten der Frauen. »Wenn sie den Schleier tragen, weil man sie dazu zwingt, dann heißt das, sie unterwerfen sich dem Willen eines Mannes oder den Vorschriften eines sozialen Umfeldes, ihrer Nachbarschaft. Hier müsste der Staat eingreifen und Regeln für das Zusammenleben aufstellen.«  Das Reden der Leute und der Druck in der eigenen Familie sind die wirklichen Gründe, sich zu verhüllen, so die CIDDEF-Studie. Ganz oben steht das Argument: Ich kann mich nur so frei und unbelästigt bewegen. Genau das will die Algerierin von heute. Kein Beruf, in dem man sie nicht findet, von der Putzfrau bis zur Bombenentschärferin. Immer mehr Frauen versuchen allen Widerständen zum Trotz, ihr Leben in die Hand zu nehmen, mit oder ohne Schleier. Für Ait Zai ist das der einzige Weg, um die Dinge zu ändern: »Wenn sie den Schleier benutzt, um frei zu sein, dann hat sie unsere volle Unterstützung. Wenn sie sich so ihren Platz zurückerobert und dann den Mut findet, ihn abzulegen. Nur so kann sie sich ihren Stellenwert in der Gesellschaft zurückholen, denn die Politik hat versagt.«

Diese Ansicht teilt auch Dalila Djerbal vom Frauennetzwerk »Ouassila«. Der Verein kümmert sich seit Jahren um Opfer häuslicher Gewalt. »Der Terrorismus in den 90er Jahren hat die Gesellschaft völlig verändert. Es gibt heute ein vorher nie gekanntes Ausmaß von Gewalt gegen Frauen und Kinder«, beklagt die Soziologin. »Was uns schockiert, ist die steigende Zahl der Frauen, die auf der Straße landen, teils weil sie von der Familie verstoßen wurden, teils weil sie selbst vor den Zuständen geflohen sind.« Die meisten suchten eine Bleibe, aber es gebe nur sehr wenig Frauenzentren in Algier. Die Betroffenen suchten einen Ausweg, eine Arbeit, eine Wohnung. Dies aber sei extrem schwer, da die meisten von ihnen keine Berufsausbildung hätten. »Der Frau wird in dieser patriarchalischen Gesellschaft deutlich zu verstehen gegeben, dass ihr Platz nicht im öffentlichen Raum ist, sondern dass sie zur Reproduktion da ist«, stellt die Frauenrechtlerin nüchtern fest. Nach ihrer Meinung wird der Staat seiner Rolle als Garant für die Rechte und Freiheiten der Bürger nicht gerecht. »Was nützen die besten Gesetze, wenn sie nicht einmal von den staatlichen Institutionen, wie Polizei und Justiz eingehalten werden. Viele Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, gehen nicht vor Gericht, weil sie befürchten müssen, dass der Richter letztendlich doch auf Seiten des Täters steht. Die Repressionen, denen diese Frauen danach ausgesetzt sind, sind dann noch schlimmer.«

Amnesty International berichtet über die Situation der Frauen in Libyen:

Man geht davon aus, dass Ehrenmorde in Libyen nicht weit verbreitet sind. Es gibt kaum Informationen über das Ausmaß dieser Problematik in Libyen. Das Verbrechen von Ehebruch oder Unzucht ist nach der Scharia (Gesamtheit der islamischen Gesetze) eines von sieben schweren Verbrechen. Die hierfür vorgesehenen Strafen wie Auspeitschen-für unverheiratete und Steinigen für verheiratete Personen werden nach unserem modernen Rechtssystem als Folter eingestuft. In Libyen, wo die so genannten Hadd-Strafen (wörtlich übersetzt: „Grenze“, „Tabu“; unter diesen Begriff fallen Delikte, die im Koran ausdrücklich erwähnt sind -die wichtigsten sind außerehelicher Geschlechtsverkehr, Verleumdung wegen angeblichem außerehelichen Geschlechtsverkehr und Diebstahl) wieder eingeführt wurden, wurden die Rechte der Frauen schwer wiegend eingeschränkt. Konservative Kräfte verteidigen diese Entwicklung damit, dass der Islam mit dieser Gesetzgebung lediglich die Gesellschaft und die Familie unter einen besonderen Schutz stelle. Das westliche System habe es im Gegensatz dazu versäumt, Unmoral, Trunkenheit und Atheismus unter Strafe zu stellen bzw. diese Verhaltensweisen – wie beispielsweise den Genuss von Alkohol – sogar für gesellschaftsfähig erklärt. In Libyen gibt es keine unabhängigen Gruppierungen, Nichtregierungsorganisationen oder Personen aus der libyschen Gesellschaft, die sich darum bemühen können, die Situation der Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind, zu verbessern, da der libysche Staat ihre Gründung bzw. Existenz bisher nicht gestattet hat. Organisationen dürfen nur mit entsprechender staatlicher Erlaubnis arbeiten. Es ist auch nicht bekannt, dass der libysche Staat selbst Frauenorganisationen ins Leben gerufen hätte, die sich mit der Problematik Gewalt gegen Frauen (u.a. Ehrenmorden) beschäftigen.

Hintergrund:

Seit der al-Fateh Revolution vom 1. Sept. 1969 hat der Status von Frauen in Libyen, in Familie und Gesellschaft, grundlegende Verbesserungen erfahren. Dennoch sehen sich die libyschen Frauen – trotz der Gleichberechtigung auf dem Papier – vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt, da die libysche Gesellschaft eine patriarchale ist. Frauen werden im sozialen und rechtlichen Umfeld oft wie Minderjährige behandelt und stehen unter der Vormundschaft von Vätern oder männlichen Angehörigen. Regierungsvertreter bestreiten, dass es Gewalt gegen Frauen gibt, deshalb gibt es auch keine verlässlichen Statistiken. Es gibt kein Gesetz gegen häusliche Gewalt, und Gesetze gegen sexuelle Übergriffe sind unbefriedigend, da sie Frauen keinen wirksamen gesetzlichen Schutz gewähren.

„Zina“ (Ehebruch, Hurerei) Gesetze:

Die Zina-Gesetze, die Unzucht und Ehebruch unter Strafe stellen, können zwangsweisen Gewahrsam von Frauen und Mädchen in „Besserungseinrichtungen“ zur Folge haben. Diese Gesetze verhindern in vielen Fällen, dass Opfer von Vergewaltigung rechtliche Schritte einleiten, weil sie Gefahr laufen, selber Opfer strafrechtlicher Verfolgung zu werden. Richter können als Wiedergutmachung die Eheschließung von Opfer und Täter vorschlagen und erschweren damit weiter die Möglichkeit von Gerechtigkeit für die Opfer. Zina-Gesetze verletzen internationale Rechtsstandards, die jedem Individuum das Recht zugestehen, frei über sexuelle Beziehungen ohne Diskriminierung oder Gewalt zu bestimmen. Die Einweisung in Rehabilitationszentren gehen auch zurück auf soziale und kulturelle Normen in Bezug auf Keuschheit, Jungfräulichkeit und Familienehre und das Stigma von unverheirateten allein lebenden Frauen. Frauen in diesen Zentren werden wie Unmündige behandelt. Sie haben keine Möglichkeit, eigen-verantwortliche Entscheidungen über ihr Leben zu treffen.

Auf „aufstand-in-arabien.blogspot.com“ findet sich eine Geschichte aus Libyen „Die alte Frau in der Schlange“:

Anfang März hatte das Regime jedem Libyer 500 Libysche Dinar (ca. 300 €) „spendiert“, um sich beim Volk beliebt zu machen. Da zu der Zeit in Tripolis schon nichts mehr normal war, insbesondere nicht die Preise für Lebensmittel, haben auch viele Menschen das Geld genommen, die dem Regime nicht gerade nahestehen. Das Geld konnte man in jeder Bank abholen. In Libyen und auch in anderen arabischen Länder stehen Männer und Frauen in getrennten Schlangen für Dinge an. Folgendes soll sich dabei in Tripolis zugetragen haben.

Eine alte Frau, etwa Ende 70, stellt sich in die Schlange für die Männer. Nach einigem Zögern ob ihres Alters spricht ein Mann sie an: „Gute Frau, diese Schlange ist für die Männer. Die andere ist für die Frauen.“ Da antwortete die Alte laut und deutlich: „Nein, die Männer, die sind alle in Benghazi.“ Sofort wurde es ruhig und niemand wagte es, noch etwas zu sagen. Die Frau blieb in der Schlange und als die Reihe an sie kam, bekam sie ihr Geld und ging.

Zur Ehrenrettung der Männer (und Frauen!) von Tripolis sei gesagt: Sie sind mehrmals auf die Straße gegangen, unbewaffnet. Stets wurde auf sie scharf geschossen. In Tripolis offen gegen das Regime aufzutreten, ist zur Zeit fast immer Selbstmord.

Das Internet-Forum „maedchenmannschaft.net“ veröffentlichte eine „Revolutionserklärung der Frauen Saudi-Arabiens“:

Soziale Netze spielen eine immer größere Rolle, wenn es darum geht, ge­sell­schaft­liche Veränderungen anzustoßen. Über Twitter haben viele saudi-arabische Frauen unter dem Hashtag #SaudiWomenRevolution ihrem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit in ihrer Gesellschaft Ausdruck verliehen. Sie liefern Beispiele, er­zäh­len von der Ungerechtigkeit, der sie ausgesetzt sind.

Die Medien haben zwar über die Twitter-Diskussion berichtet, aber nichts dafür getan, die Sache selbst voranzutreiben. In der Hoffnung, Unterstützung für ihren Kampf gegen gesellschaftlich legitimierten Sexismus zu erhalten, haben sie eine Revolutions-Website auf Facebook eingerichtet. Die folgende Erklärung fasst die dort gesammelten Forderungen zusammen. Sie wird an Menschen­rechts­or­ga­ni­sationen und Medienvertreter gesendet.

Erstens – Frauen können ihre Rechte nicht wahrnehmen, solange nicht das System der männlichen Vormundschaft vollständig aus den Regeln und Gesetzen des saudi-arabischen Staates getilgt ist. Der männliche Vormund, der „Mahram“ kann der Vater, Bruder, Ehemann oder sogar der Sohn einer Frau sein. Er verfügt über vielerlei Rechte, mit denen er ihr Leben fast vollständig kontrollieren kann. Das Königreich Saudi-Arabien sicherte der UN-Menschenrechtsrat im Juni 2009 zu, die männliche Vormundschaft und staatlich legitimierten Sexismus zu beenden. Doch bisher blieben diese Versprechen unerfüllt.

Vor allem aus folgenden Gründen leiden saudi-arabische Frauen unter der männlichen Vormundschaft:

– Saudische Frauen dürfen ohne die Erlaubnis ihres Vormunds weder arbeiten noch sich für einen Stelle bewerben.

– Saudische Frauen dürfen ohne Begleitung ihres Mahram nicht verreisen, es sei denn, sie haben seine schriftliche Erlaubnis dazu. Das saudi-arabische Innen­ministerium gestattet Frauen über 45 zwar Reisefreiheit, jedoch stellte die Orga­nisation „Human Rights Watch“ im April 2008 fest, dass Flughafenbeamte diese trotzdem an der Ausreise hinderten.

– Saudische Frauen dürfen ohne die Erlaubnis ihres Vormunds keine Universität besuchen und keine Ausbildung absolvieren. Sie dürfen das Land nicht verlassen, um im Ausland zu studieren, selbst dann nicht, wenn sie ein Stipendium für das betreffende Land haben. Zudem stehen saudischen Frauen weniger Studienfächer zur Verfügung als Männern, obwohl sie, wie Statistiken beweisen, die besseren Abschlüsse machen als Männer.

– Saudische Frauen haben kein Recht ohne die Einwilligung des Vormunds zu heiraten oder sich scheiden zu lassen. Verschiedene Beispiele zeigen, wie sehr Frauen besonders unter diesem Aspekt des Vormundschaftssystems leiden. In ihrem Bericht von 2010 nennt „Human Rights Watch“ zwei Fälle in Braida und Riad, in denen Männer ihre Schwestern gleich fünf mal hintereinander verheiratet und wieder geschieden haben, um das Brautgeld zu bekommen.

– Saudische Frauen haben kein Recht dazu, ohne die Erlaubnis ihres Vormunds Formulare und amtliche Dokumente auszufüllen und zu unterzeichnen. Auch dürfen sie nicht ohne ihren Vormund an Gerichtsverhandlungen teilnehmen. Human Rights Watch berichtete 2010 von einer Frau, die mit 300 Peitschenhieben und einem halben Jahr Gefängnis dafür bestraft wurde, weil sie ohne Vormund vor Gericht erschien. Das Justizministerium versprach im Februar 2010, Frauen zu gestatten, als Anwältinnen zu arbeiten, doch blieb dieses Versprechen bisher unerfüllt.

– Saudische Frauen können ohne die Zustimmung ihres Vormunds keine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen. Viele Frauen erzählen von Schäden, die sie dadurch erlitten haben. Im Juli 2009 berichtete „Human Rights Watch, dass saudi-arabische Frauen sogar für das Betreten oder Verlassen eines Krankenhauses einen Vormund benötigen. Nach einer Krankenhausbehandlung muss eine Frau so lange in der Klinik bleiben, bis ihr Mahram sie abholt.

– Saudische Frauen können ohne die Erlaubnis des Vormunds kein Bankkonto für ihre Kinder eröffnen, sie an keiner Schule anmelden, keine Einsicht in die Schul­akten bekommen und nirgendwo hin mit ihnen verreisen.

Zweitens – Saudi-Arabien muss Gewalt gegen Frauen verbieten, verfolgen und bestrafen. Die Regierung muss Gesetze schaffen, die es Frauen ermöglichen, jeden zu verklagen, der Gewalt gegen sie ausübt.

Drittens – Saudi-Arabien muss Kinderheiraten verbieten. Viele Mädchen werden noch vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet, oft bekommen ihre Familien dafür Geld. „Human Rights Watch“ berichtete 2010 von einem geschiedenen Mann, der seine zwölfjährige Tochter für 80 000 saudische Riyals (15 000 Euro) an einen alten Mann verheiratete.

Viertens – Saudi-Arabien muss Frauen das Recht geben, Auto zu fahren. Heute sind sie darauf angewiesen, männliche Fahrer zu engagieren, damit sie ihre täglichen Besorgungen erledigen und zur Arbeit zu fahren können. Ein Fahrer kostet um die 1000 Saudi Riyals (190 Euro) im Monat, und viele Frauen können sich diese Summe nicht leisten.

Fünftens – Saudi-Arabien muss völlige Geschlechtergleichheit einführen, und Männern und Frauen die gleichen Rechte und Pflichten einräumen, einschließlich dem Recht, ihre Staatszugehörigkeit an ihr Kind weiterzugeben, ein Recht, das in Saudi-Arabien bisher den Männern vorbehalten ist.

Sechstens – Saudische Frauen müssen dieselben politischen Rechte haben wie Männer. Dazu gehören das Recht, sich an der Wahl der Gemeindeverwaltung zu beteiligen und das Recht, selbst zu kandidieren. Frauen sollten am „Shura-Rat“, (Eine Art Gremium, das in rechtlichen Fragen zurate gezogen werden kann) teil­nehmen und an allen staatlichen Institutionen und Stiftungen, dazu gehören auch das Justiz- und das Außenministerium.

Siebtens – Nachdem alle bevorstehenden Rechte garantiert sind, muss der Königliche Gerichtshof ein starkes Frauenkomitee errichten, um die Rolle von Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft zu aktivieren und zu stützen, um Sexismus gesetzlich zu bekämpfen, und um das Bewusstsein der Öffentlichkeit auf die Gefahren von Sexismus zu lenken.

(Dieser Text erschien zuerst auf dem Blog der Journalistin Mona Kareem. Ins Deutsche übersetzt haben ihn Sara Mously und Rasha H. Khayat.)

Araberinnen. Photo: siegburg.de

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