vonHelmut Höge 27.04.2011

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In einem Nebensatz quasi erfährt man aus der Tagespresse, dass auch in Beirut seit Wochen schon demonstriert wird. Hier gegen die Religions-Quotierung bei den Parlamentssitzen. Auch in Portugal wird seit einigen Tagen gegen die Regierung demonstriert.

In Mauretanien ist es umgekehrt so, dass die Regierung nach wochenlangen Protesten jetzt gewaltsam gegen die Demonstranten vorgeht. Sie fordern den Rücktritt des Präsidenten, der sich 2008 an die Macht geputscht hatte. Die Kluft zwischen reicher arabischer Elite und verarmter afrikanischer Bevölkerung hat sich seitdem jedoch nicht verändert.

Die FAZ berichtet heute, dass aus den von Wikileaks veröffentlichten Guantanamo-Dokumenten hervorgeht, dass das Terrornetzwerk „Al Qaida“ nach den Anschlägen vom 11. September 2001 weitere Angriffe in den Vereinigten Staaten geplant hatte.

Bereits Ende 2001 hatte Mathias Bröckers auf „Telepolis“ über „Al Quaida“ geschrieben:

Was machen eigentlich die „Schläfer“? Wurde uns nicht in den Tagen nach dem Anschlag mit der Verschwörungstheorie „Bin Ladin“ auch die seines „Terrornetzwerks“ Al-Qaida präsentiert, dessen Mitglieder unerkannt unter uns weilen um jederzeit, nur von einem Codewort aus den Hindukusch-Höhlen aktiviert, unbarmherzig loszuschlagen ? Warum schnarchen diese heimtückischen Assassinen weiter vor sich hin, während ihr Anführer gejagt und Afghanistan seit Wochen bombardiert wird? Hat das vielleicht damit zu tun, dass Al-Qaida als Netzwerk schlafender Terroristen gar nicht existiert?

Dr. Saad Al-Faghi jedenfalls, in England lebender Mediziner und saudischer Dissident, muss „wirklich lachen“, wenn er im Fernsehen von Al-Qaida als dem Terrornetzwerk Bin Ladins hört. Er war als Arzt in Afghanistan und kennt die Szenerie des Jihad ebenso gut wie die Situation in Saudi-Arabien. Bin Ladin hatte Mitte der 80er Jahre im pakistanischen Peschawar ein Rekrutierungsbüro für junge Araber eröffnet, die am Afghanistankrieg teilnehmen wollten. Anfangs liefen diese Rekrutierungen ohne jede schriftliche Aufzeichnungen. Da sich aber immer häufiger besorgte Familien nach dem Verbleib ihrer Söhne erkundigten und Bin Ladin keine Auskunft geben konnte, ließ er in Peschawar dann Eingangs- und Ausgangslisten zu führen, auf denen Name und Datum vermerkt waren. Dr. Al-Faghi dazu in einem Interview mit Frontline:

„Ich muss wirklich lachen, wenn ich das FBI über Al-Qaida als Organisation von Bin Ladin reden höre. Es ist eine ganz simple Geschichte: Wenn Bin Ladin Leute aus Saudi-.Arabien oder Kuwait empfing, tat er dies im Gästehaus in Peschawar. Von dort zogen sie auf die Schlachtfelder und kehrten zurück, ohne Dokumentation. Es gab nur einen freundlichen Empfang, und dann gehst du dahin, und nimmst am Krieg teil – eine sehr einfache Organisation. Dann wurde er bedrängt von besorgten Familien, die nach ihren Söhnen fragten – und er wusste es nicht, weil es keine Aufzeichnungen gab. Also ließ er seine Leute in Peschawar Listen über jeden Araber führen, der unter seine Schirmherrschaft kamen. Es wurde der Ankunftstag aufgezeichnet und wie lange sie blieben – manche nur für zwei oder drei Wochen, um dann wieder zu verschwinden. Diese Aufzeichnung, diese Dokumentation, wurde „Al-Qaida“ genannt. Das ist Al-Qaida, überhaupt nichts Geheimnisvolles, keine Organisation wie eine Terroristenorganisation oder eine Untergrundgruppe. Für seine eigene Gruppe hat er meines Wissens nie diesen Namen benutzt. Wenn man sie benennen sollte, würde man „Bin Ladin Gruppe“ sagen – Al-Qaida ist nur die Liste all der Leute, die irgendwann in das Gästehaus in Peschawar kamen. Insgesamt bestimmt 20-30.000 Leute, die man unmöglich verfolgen kann. Das meiste dazu ist ohnehin in den Händen der saudischen Regierung, denn die Leute benutzten saudische Airlines, zu einem stark verbilligten Preis. Nur 25% des normalen Preises nach Islamabad…“

Soweit die wenig dramatische Wahrheit über das diabolische Terrornetzwerk, die verborgene Sturmtruppen des Reichs des Bösen, die unsere Zivilisation bedrohen, Al-Qaida, die Basis: ein Haufen registrierter Billigflieger mit CIA-subventionierten Tickets. Für den Trip nach Peschawar wurde auf der Jihad-Weltkonferenz in New York ebenso getrommelt wie in über 30 US-Rekrutierungsbüros – All-Inklusive-Abenteuercamps für junge Muslims aus aller Welt, unter bewährter Leitung des charismatischen Kalaschnikow-Animateurs Usama Bin Ladin. Ein alter Hut, doch seit dem 11.9. wird er uns als das super-klandestine Mega-Terrornetzwerk des 21. Jahrhunderts verkauft – bedrohlicher und heimtückischer als alle bekannten Terrororganisationen bzw. Freiheitskämpfer zusammen. Ein Staatsterrorist wie Sharon kann derzeit quasi täglich Mordaktionen durchführen lassen – um die Palästinenser hernach zynisch zum Waffenstillstand zu mahnen – und sicher sein, dass dieser Terror im Westen als „gezielte Tötung“ schöngeredet und akzeptiert wird. Al-Qaida und Bin Ladin als neuer Ausgeburt des schlafenden Bösen sei Dank.

Mittlerweile hat Bush die Verfassung außer Kraft gesetzt, militärische Standgerichte eingeführt und einen völkerrechtlich äußerst zweifelhaften Krieg begonnen – die al-qaidisch-ladinistische Weltverschwörung macht es möglich. In Deutschland wird wieder über die Vermessung von Nasen und Wangenknochen nachgedacht. Derlei Kontrolle von Deutschem und Undeutschem war zuletzt während des Kampfs gegen die „jüdisch-bolschewistische“ Weltverschwörung angesagt. Doch nicht Saddam, nicht Ladin, noch sonst ein bärtiges Terrormonster – Bush jun. erweist sich nach seiner Machterschleichung und dem WTC-Reichtagsbrand als eigentlicher Wiedergänger Hitlers.

Über 1.100 Ausländer in den USA werden seit dem 11.9. nach wie vor gefangengehalten, ohne dass die Öffentlichkeit darüber ausreichend informiert wird. Die auf ihren Patriotismus-Gehalt scharf überprüften Massenmedien berichten darüber kaum, oder nur, weil sich darunter auch 52 Israelis befinden, was laut New York Times strategisch ungeschickt sei, weil es dem Feind antisemitische Propaganda liefere. Die sehr weitgehenden, mit der US-Verfassung unvereinbaren Überwachungs- und Kontrollmechanismen der neuen „Homesecurity“- und Anti-Terror-Gesetze wurden im Parlament nahezu einstimmig angenommen, ohne dass, wie CNN – nicht mit kritischer, sondern mit stolzer Reporterstimme – berichtete, viele Abgeordneten die einzelnen Paragraphen und Details auch nur gelesen hätten.

Spurlos Verschwundene, wie sie aus lateinamerikanischen Militärdiktaturen bekannt, stehen auch in den USA jetzt auf der Tagesordnung, und wenn sich Ashcroft mit seinem Vernehmungsersuchen für 5.000 weitere Ausländer durchsetzt, könnte es bald auch Internierungslager geben. Über die Wiederzulassung von Folter wird schon laut nachgedacht. Dies alles unter dem Signum „War on Terror“, „Infinite Justice“ und „Enduring Freedom“. Wäre es nicht schreckliche Realität, man könnte meinen, die Zucker-Brüder hätten eine neue Bananenrepublik-Groteske abgedreht: „Der nackte Dikator 2,5“.

In „Mein Kampf“ hatte Hitler gefordert, die „Protokolle der Weisen von Zion“ als Lehrbuch für die Existenz und Gefahr der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung an Schulen einzusetzen, was er nach seiner Machtübernahme dann auch tat. Gleichzeitig strukturierte er seine eigene Organisation nach genau dem konspirativen Muster dieses fiktiven Geheimbundes, wie Hannah Arendt feststellte:

„Die totalitären Bewegungen adaptieren die organisatorischen Mittel der Geheimgesellschaften, und entleerten sie gleichzeitig der einzigen Substanz, die solche Methoden rechtfertigen und zweckmäßig erscheinen lassen können, nämlich des Geheimnisses und der Notwendigkeit, es zu hüten….. Die Nazis begannen mit einer ideologischen Fiktion einer Weltverschwörung und organisierten sich mehr oder weniger bewußt nach dem Modell der fiktiven Geheimgesellschaft der Weisen von Zion.“

Bush nun scheint als totalitärer Wiedergänger nach dem selben Muster zu verfahren: Er beginnt seinen Aufstieg zum großen Führer mit der ideologischen Fiktion der Al-Qaida-Bin Ladin- Weltverschwörung – und organisiert seinen Apparat zunehmend mit Hilfe und nach dem Muster von Geheimorganisationen. Außer Ollie North sind mittlerweile alle überführten und teilweise verurteilten „Iran-Contra-Gangster“ aus Vaterns alter Terror-/Waffen-/Drogen-Seilschaft wieder an Deck und im Einsatz. Und das Tolle ist: Wer auf solche kleine Geschmacklosigkeiten auch nur hinweist, ist sofort Anti-Amerikanist.

Wie die Definitionsmacht über den Begriff „Terrorismus“, mit der die simple Gästelisten aus Söldnercamps zum Skriptbook einer durchorganisierten Weltverschwörung stilisiert wird, haben die Bush-Propagandisten und ihre Vasallen an der Medienfront auch die über den Begriff den „Amerikanismus“ an sich gerissen. „Was deutsch ist, bestimmen wir!“ hieß es einst im Goebbels-Ministerium. Dabei war es damals so wenig anti-deutsch, gegen Hitler zu sein, wie es heute anti-amerikanisch ist, gegen Bushs Ermächtigungsgesetze zu protestieren. Mit „Amerika“ und allem, wofür dieser Name steht, hat der Bushismus nichts mehr zu tun.

Über den Begriff „Al Quaida“ schrieb Mathias Bröckers

Seit 2001 hat die US-Regierung die schlimmsten arabischen und asiatischen Potentaten mit Waffen und Geld ausgestattet, damit sie in ihrem Land alle islamistischen Regimegegner niederhalten – die pauschal als von  „Al Quaida“ gesteuert bzw. unterwandert oder mindestens beeinflußt angesehen werden. Neu ist, dass nun auch Teile der bundesdeutschen Linken wie das Phantom „Al Quaida“ begriffen werden:

„Als Kaiser Rotbart lobesam ins heilige Land gezogen kam …“ dichtete Ludwig Uhland einst über die mittelalterlichen Kreuzzüge, wobei die Bewohner der betroffenen Gebiete das mit dem „lobesam“ naturgemäß etwas anders sahen. Für sie waren die unzivilisierten „Nordmänner“, die nichts von Medizin, Mathematik und Wissenschaft verstanden, blutrünstige Bestien und Barbarossa ein Barbar.

Ausgespart allerdings hat der wackere Schwabe Uhland wie auch die westliche Geschichtsschreibung, was die Kreuzritter mit ihren derart tranchierten Gegnern veranstalteten. Sie wurden aufgrund einer schweren Dürre und Hungersnot in der Türkei von den fränkischen Kriegern verspeist. „In Maara kochten unsere Leute die erwachsenen Heiden in Kesseln, zogen die Kinder auf Spieße und aßen sie geröstet“, berichtet der französische Chronist Raoul von Caen aus dem Jahr 1098 nach Hause.

In der arabischen Welt verbreiteten die Nachrichten von den türkenfressenden Invasoren Entsetzen – bis heute, so Amin Malouf in seinem Buch „Der Heilige Krieg der Barbaren – Die Kreuzzüge aus Sicht der Araber“ (dtv, 2003) sind die „Franken“ in Volksliedern die „Menschenfresser“.

Etwas über 900 Jahre später scheinen die Verhältnisse umgedreht: Die barbarischen Massenmörder kommen aus der arabischen Welt und seit der Gräueltat des 11.9. verbreitet ihr Ruf im Westen Entsetzen – in Form eines diabolischen Terrornetzwerks von „Schläfern“, das jederzeit und in jeder Stadt zuschlagen kann. Der Name dieser Organisation – „Al Qaida“. – ist allerdings eine Erfindung des Westens, weder sind Manifeste oder Bekennerschreiben unter diesem Namen bekannt, noch hat Osama Bin Laden, ihr vermeintlicher Chef, ihn selbst verwendet.

„Für seine eigene Gruppe hat er meines Wissens nie diesen Namen benutzt. Wenn man sie benennen sollte, würde man „Bin Ladin Gruppe“ sagen – Al-Qaida ist nur die Liste all der Leute, die irgendwann in das Gästehaus in Peschawar kamen. Insgesamt bestimmt 20-30.000 Leute, die man unmöglich verfolgen kann. Das meiste dazu ist ohnehin in den Händen der saudischen Regierung, denn die Leute benutzten saudische Airlines, zu einem stark verbilligten Preis. Nur 25% des normalen Preises nach Islamabad…“ (Der Arzt Saad Al-Faghi, der Bin Ladens Billigflieger in den afghanischen Camps medizinisch betreut hat)

Dass „Al-Qaida“ tatsächlich nur diese grundlegende Liste und keine Organisation bezeichnet, scheint zur der Wortbedeutung zu passen:

„In Arabic, „Al-Qaeda“ has different meanings, among them „Base“, „Ground“, „Norm“, „Rule“, „Fundament“, „Grammar“. The exact meaning is dependent on the context in which it is used. It depends on the word which follows „Al-Qaeda“ in the sentence. „Qawa’ad Askaria“ is an Army Base, „Qawa’ad Lugha“ stands for Grammar Rules (the Bases of Grammar).“

Jene Regeln der arabischen Sprache also, mit der die Amerikaner ebenso auf Kriegsfuß zu stehen scheinen, wie mit dem Terror, denn:

„Qa’ada“ is the infinitive of the verb „to sit“. „Ma-Qa’ad“ is a chair. „Al-Qaeda“ is the base or fundament of something. „Ana raicha Al Qaeda“ is colloquial for „I’m going to the toilet“. A very common and widespread use of the word „Al-Qaeda“ in different Arab countries in the public language is for the toilet bowl. This name comes from the Arabic verb „Qa’ada“ which mean „to sit“, pertinently, on the „Toilet Bowl“. In most Arabs homes there are two kinds of toilets: „Al-Qaeda“ also called the „Hamam Franji“ or foreign toilet, and „Hamam Arabi“ or „Arab toilet“ which is a hole in the ground. Lest we forget it, the potty used by small children is called „Ma Qa’adia“ or „Little Qaeda“.

Die Journalistin Kawther Salam, der wir diese semantischen Erläuterungen verdanken – ich habe sie einem vereidigten Arabisch-Übersetzer vorgelegt, der sie bestätigte, vor allem der „Ma Qa’adia“ ist umgangssprachlich gang und gäbe, nicht als Jugendorganisation Osamas, sondern als Pisspott…) – bemerkt dazu in ihrem Blogeintrag:

„Diejenigen, welche die glorreiche Internationale des Islamischen Terrors „Al Qaida“ gründeten, wussten vielleicht zu wenig über den gewöhnlichen Gebrauch der arabischen Sprache, um zu wissen, dass sie mit diesem Namen für eine Organisation riskierten, zum Gespött von jedem zu werden, der die arabische Umgangssprache spricht.“

Die Araber gaben den westlichen Barbaren einst Namen, die ihrer Herkunft („Franken“) und grässlichsten Tätigkeit entsprachen („Menschenfresser“) – und wir wären mit konkreten Namen von Gruppen ,“Arabern“ und „Selbstmordpiloten“ heute wahrscheinlich besser bedient, als den Mythos einer Terrororganisation zu pflegen, über deren Namen „Al Qaida“ sich Kinder in die Hosen machen – nicht vor Angst, sondern vor Lachen …

Inzwischen, 2011, ist die fiktive „Al Quaida“ sogar schon in Kreuzberg angekommen:

In Kreuzberg gibt es nicht nur massenhaft Sarrazinisten, sondern auch ein talibanähnliches „Terrornetzwerk“, wenn man der BZ glauben will. Bis zur traditionellen 1.Mai-Randale entlarvt die Lokalzeitung der Springerstiefelpresse derzeit täglich auf einer Doppelseite die fiese Unmoral der Linken, „die alles bestreiten, nur nicht ihren Lebensunterhalt“ (Helmut Kohl).

Diese „große BZ-Serie zur linken Gewalt: ‚Wie die linksextreme Mafia in Berlin operiert'“ begann Mitte April, nachdem „Autonome Gruppen“ eine Polizeiwache mit Molotowcocktails angegriffen hatten. Zuvor war vom Amtsgericht Moabit ein Verfahren gegen drei linke Buchläden wegen „Anleitung zu Straftaten“ überraschend wegen „Geringfügigkeit“ eingestellt worden: sie hatten das „gewaltverherrlichende“ Autonomeninfo „interim“ verkauft. Das war zu viel für die Springerstiefelpresse, die nun auf ihre Weise die Polizei für den 1.Mai fit macht, indem sie ihnen den verbrecherischen „linksextremen Untergrund“ mit Zahlen, Namen und Fotos  liefert, dazu die „Schlachtpläne des Schwarzen Blocks“ und Graphiken über das „verschachtelte Netz“ der wichtigsten autonomen Schaltstellen (Buchläden, Stiftungen, Ermittlungsausschuß, Internetplattformen, Besetzte Häuser, Mehringhof, Rote Hilfe, „Trotzkisten“ usw.). Der SPD-Innensenator redet derweil von  „ausmerzen“; von der BZ interviewte Polizisten behaupten, dass die feigen „Linkschaoten“ sich unter ihren Kollegen immer „die schwächsten heraussuchen“; und die BZ-Autorin klagt, wie  „schwer“ es ist, in dieser Szene  „zwischen legaler Kulturarbeit und gewaltverherrlichenden Extremisten in der Praxis“ zu unterscheiden. Auf der anderen Seite verlangen  die namentlich genannten Buchhändler Gegendarstellungen und Politiker der Partei „Die Linke“ überlegen sich weitergehende rechtliche Schritte gegen die BZ, die sich alle Mühe gibt, damit Berlin nicht länger „Hauptstadt der Chaoten“ bleibt, wie ihre erste Folge, am 18.4., betitelt ist.

Es wird darin die Attraktivität der Stadt für den „linken Radikalismus“ – seit der Kaiserzeit umrissen, der 1967/68 seinen vorletzten Höhepunkt hatte – als er fast 50.000 Studenten erfaßte. Schon damals sah die Springerstiefelpresse ihre vornehmste Aufgabe darin, diese „Radikalinskis“ zu bekämpfen. Der zweite Höhepunkt kam mit dem Mauerfall, der im Herbst im militanten Widerstand gegen die  Räumung der besetzten Häuser in der Mainzerstraße kulminierte. Die „Gewaltbereitschaft ist ein verbindendes Lebensgefühl im autonomen Milieu,“ wird dazu der Pädagoge Micha Brumlik zitiert. Die BZ kritisiert vor allem, dass die Grünen und die Linke sich nie „klar“ von den „Gewalttätern“ distanzieren.

In der nächsten Folge geht es um die „extrem gut vernetzte linke Szene“ – die sich derart „perfekt organisiert“ hat, dass „die Justiz meist machtlos ist“. Um etwa 1000 „gewaltbereite Radikale“ hat sie nämlich ein „verschachteltes Netz“ aus Rechtsbeiständen, Vereinen und anonymen Spendern gelegt, so dass man dem harten Kern kaum beikommen kann. Immerhin gelang es der Autorin der BZ-Serie, einen ehemaligen Streetfighter aus dem „Schwarzen Block“, Dennis P.,  zu interviewen. Er erzählte ihr seine kriminellsten Taten. Heute studiert er Kunstwissenschaft.

„Jungs wie Dennis gibt es in Berlin zu Hunderten“, heißt es in der 3.Folge, die – ausgehend von dem Phänomen, dass am 1.Mai „zunehmend“ unpolitische Jugendliche „Steine werfen“ – der Frage nachgeht, was die „linke Szene“ so attraktiv macht. Schwer zu sagen, meint  der Leiter einer Jugendbildungsstätte, wahrscheinlich hängt es mit der „Gruppendynamik“ zusammen. Und diese kreiert ihre eigene Mode – erwähnt werden „Kapuzenpullover“ und „Mate-Getränke“. Zum radikalautonomen Lebensstil gehört ferner das Wohnen in einem besetzten Haus, wo man dann auch gleich „Punkkonzerte“ organisiert, die Geld einbringen. Acht solcher „Hausprojekte“ hat die BZ auf einem Berlinplan eingezeichnet.

Am 26.4. nimmt die Serie die Berliner „Antifa“ unter die Lupe – vor allem die auf sie gelenkten „antikapitalistischen Kapitalströme“: „Die bittere Wahrheit, zumindest zum Teil kommt es offenbar vom Staat.“ Aber der Kreuzberger Antifa-Laden „Red Stuff“ macht auch, z.B. mit dem „‚Stirb, Yuppie-Abschaum‘-T-Shirt“, gutes Geld.

In der gestrigen Folge befaßt sich die BZ-Autorin mit einigen Politikern der Grünen, der Linken und der SPD, die zugleich in linken Organisationen wie die „Rote Hilfe“ und dem „Netzwerk Selbsthilfe“ mitarbeiten oder autonome Festivals wie das „Intersquat“ mitorganisieren, auf denen  gewaltverherrlichende Antifa-Rapper auftreten.

Zusammen mit den Organisationen der 1.Mai-Demonstrationen, von denen eine mit den arabischen Schriftzeichen für „Jalla jalla“ (los gehts!) mobilisiert – und damit eine mögliche Ausweitung der arabischen Aufstände bis nach Berlin suggeriert, ergibt das tatsächlich eine gewisse nervöse Spannung schon im Vorfeld des diesjährigen 1.Mai in der Stadt. Dabei ist nichts lächerlicher als das: Schon seit Jahren kann von einer linken Bewegung in Berlin nicht mehr die Rede sein. Auf linken  Veranstaltungen wird regelmäßig beklagt, dass die Gruppen zerfallen und kein  „Diskussionszusammenhang“ mehr existiert. Was es gibt, sind, abgesehen von den desolaten Gewerkschaften und linksalternativen Parteien bzw. Kirchentagen, um Aufmerksamkeit buhlende  Projektemacher, Blogger, Club- und Kneipenkollektive, Single-Issue-Initiativen und Bürgerinitiativen zur Umfeldverbesserung, die letztlich alle der Gentrifizierung Vorschub leisten.

Diese, die steigenden Mieten, sind denn auch inzwischen das Einzige, was ein nennenswertes Protestpotential am 1.Mai auf die Straße treiben könnte: Weil sich der Strom der drogenbefeuerten Easyjetter in die Clubscene und der gutsituierten Studenten in die Excellence-Unis der Hauptstadt sogar noch „generieren“ wird, wie der SPD-Bürgermeister droht.

Ansonsten werden die harten Ideologien (Klassenkampf, Antiimperialismus) hier fast nur noch von Rentnern und Stasisympathisanten vertreten, während die  „Facebook-Generation“ und NGO-Netzwerke weichen Ideologien (Internet, Ökologie, Menschenrechte) anhängen, die sich leicht mit Karriere und Geschäft verbinden lassen.

So gesehen geht die Anstrengung der BZ-Serie bloß noch dahin, die letzten Haßkappen („Ideologen“) aus der „ideologiefreien Stadt“ zu entfernen, indem sie sie in die Nähe von Al Quaida rückt, wobei diese Azubi-Liste von Osama auch schon ein Fake war und ist, den je nach Bedarf die westlichen Geheimdienste und ihre nahöstlichen Diktatoren aus dem Hut zaubern, wenn es gilt, die gegen ihr Regime Protestierenden auszumerzen.

Die hiesige Protestscene der „Linksextremisten“ schätzt die BZ bzw. der Verfassungsschutz auf „2260 Personen“, die Zahl der von ihnen verletzten Polizisten stieg im vergangenen Jahr um 14%, „24% aller linken Gewalttaten werden im Monat Mai begangen, 98% der Teilnehmer des Schwarzen Blocks tragen Schwarz, damit die Polizei sie schwerer identifizieren kann, das jüngste Opfer linker Gewalt war ein 14jähriges Mädchen“. Typisch Taliban.

Dpa meldete gestern aus Afghanistan:

Bei einem Luftangriff in der ostafghanischen Provinz Kunar ist nach Nato-Angaben einer der meistgesuchten Aufständischen in Afghanistan getötet worden. Die Nato-geführte Schutztruppe Isaf teilte am Dienstag mit, der hochrangige Anführer des Terrornetzes Al-Kaida, Abu Hafs al-Nadschdi, habe auf der Isaf-Liste der gesuchten Extremisten an zweiter Stelle gestanden. Der auch Abdul Ghani genannte Aufständische sei bereits am 13. April gemeinsam mit einem weiteren Al-Kaida-Funktionär und mehreren anderen Extremisten bei einem Luftschlag ums Leben gekommen.

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