vonDominic Johnson 26.08.2010

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Wie konnte es sein, dass die FDLR-Milizen im Ostkongo vier Tage lang 13 Dörfer besetzt halten und dort brutale Verbrechen begehen konnten, ohne dass entweder Kongos Regierungsarmee oder die UN-Blauhelmmission eingriffen? Ein Teil der Lösung für den Luvungi-Skandal, wie man ihn nach dem mutmaßlichen Haupttatort inzwischen nennen darf, scheint jetzt gefunden zu sein.

Als die FDLR-Milizen am 30. Juli in Luvungi einrückten, war ein Verhandlungsprozess im Gange, eingefädelt von der katholischen Sant’Egidio-Gemeinde in Italien, die einschlägige Erfahrungen in Afrika hat und schon einmal im Jahr 2005 FDLR sowie Regierungsvertreter aus Kongo und Ruanda zusammengebracht hatte. Diesmal ging es darum, den Prozeß der Rückführung der FDLR nach Ruanda zu beschleunigen, indem die friedliche Übergabe und Repatriierung der Frauen und Kinder in den FDLR-Reihen ermöglicht wird. Sondierungsgespräche waren im Gange. Offenbar im Zusammenhang damit zog Kongos Regierung ihre Armee FARDC von den FDLR-Hauptquartieren in Kimua und Ntoto in Nord-Kivu zurück.

Weil militärische Operationen der Blauhelme im Kongo nicht im Alleingang erlaubt sind, sondern nur in Unterstützung der FARDC, war damit auch der UN-Mission jede Möglichkeit genommen, gegen FDLR-Aktivitäten in diesem Waldgebiet an der Grenze zwischen den Distrikten Walikale und Masisi vorzugehen. Dies nutzten die FDLR-Kämpfer sofort aus, rückten in das im Juni verlorene Kimua wieder ein und gingen auch sonst in die militärische Offensive, einschließlich der Besetzung von Mpofi, Luvungi und anderer Orte entlang der Straße zwischen Masisi und Walikale. Dort begingen sie dann auch die massiven Vergewaltigungen, die jüngst bekanntgeworden sind.

Ob sie schon bekannt waren, als Sant’Egidio vermittelte, ist unklar. Die UN-Mission sagt, sie habe davon nichts gewußt, sondern erst am 12. August davon erfahren. Wie dem auch sei: Die Sondierungsgespräche über eine Rückführung der FDLR-Zivilisten scheiterten, als FDLR-Interimspräsident Gaston Iyamuremye dem Sant’Egidio-Vermittler am 7. August mitteilte, FDLR-Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana habe das Geschäft per Telefonanruf aus Paris abgesagt.

Man darf vermuten, dass Kongos Behörden und ihrem Schlepptau die UN-Mission Monusco sich Anfang August absichtlich gegenüber der FDLR zurückhielten, um die Gespräche nicht zu gefährden, und dass die FDLR dies ausnutzten, um ihre Macht zu stärken. Man darf sich fragen, ob die FDLR-Offensiven Anfang August auch ohne die Sant’Egidio-Gespräche und die damit verbundene militärische Deeskalataion seitens der Gegenseite geschehen wären. Und damit steht die Frage im Raum, ob nicht der Vermittlungsversuch letztendlich zu den Vergewaltigungen geführt hat.

Das würde zumindest erklären, warum der Luvungi-Skandal von Anfang an so hochgradig politisiert war, obwohl Vergewaltigungen und UN-Untätigkeit im Ostkongo eher Alltag sind; warum Monusco zu den Berichten über die Vergewaltigungen bis heute nicht öffentlich Stellung genommen hat, und wieso die Affäre sofort von der UN-Zentrale in New York übernommen wurde.

Nähere Einzelheiten zu den merkwürdigen Ereignissen erscheinen in einer ausführlichen Recherche von taz-Korrespondentin Simone Schlindwein in der taz vom Freitag 27. August.

Und das letzte Wort in dieser Sache ist sicherlich noch nicht gesprochen. FDLR-Exekutivsekretär Mbarushimana, der die Organisation in Abwesenheit des in Deutschland inhaftierten FDLR-Präsidenten Ignace Murwanashyaka faktisch führt, hat heute dementiert, dass seine Organisation für die Vergewaltigungen verantwortlich ist. Man sei empört über die “grundlosen Anschuldigungen” des UN-Generalsekretärs Ban Ki-Moon, erklärte Mbarushimana. Von Generalsekretär zu Generalsekretär, sozusagen. Die Frage drängt sich auf, wieso Mbarushimana eigentlich in Frankreich ungestraft eine Führungsrolle ausüben kann, für die Murwanashyaka in Deutschland ins Gefängnis gewandert ist. Zumal Mbarushimana, anders als Murwanashyaka, während des Völkermords in Ruanda 1994 vor Ort war und darin direkt verwickelt sein soll. Wer schützt ihn heute noch? Und wer verhindert damit, dass der FDLR endgültig das Handwerk gelegt werden kann? Der Luvungi-Skandal birgt noch viele düstere Dimensionen.

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