vonWolfgang Koch 27.01.2011

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Maurice BLANCHOT hätte das Wort Kultur sicher zu den Worten gezählt, die ein »Wort zu viel« sind, ein Wort, das aus dem Status des Wortes, des Signifikanten verschoben worden ist, ein für und durch die Sprache verlorenes Wort. Entsprechend sehnen sich Kulturschaffende überall auf der Welt heute nach nichts mehr, als danach, ohne dieses Allerweltsvokabel über ihre Arbeit zu sprechen.

Das war bei der Vergabe der Österreichischen Kunstpreise 2010 durch das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur in der Wiener Hofburg naturgemäß nicht zu erwarten. Das der Schuß am 25. Jänner aber so massiv in die Gegenrichtung losging, das verdankte sich der Inszenierung der Feier als Live-Video-Stream (www.bmukk.gv.at/kunstpreise10). Ich wette ein paar Socken, dass diesem fast vierstündigen Spektakel im Internet nicht einmal halb so viele Leute beigewohnt haben wie im Zeremoniensaal.

Bereits an der Konzeption der sieben Staatspreise holpert es gewaltig: Die Ausgezeichneten wurden nämlich als Preisträger für das Jahr 2010 dekoriert und dürfen jetzt die restlichen 11 Monate von 2011 als die kulturellen Helden des Vorjahres herumlaufen. Wenigstens die Juryarbeit und die Begleitpublikation wurde seriös ausgeführt; für die Präsentation aber lässt sich das nicht mehr behaupten.

Im Mittelpunkt des Abends stand die Moderatorin der Show: Barbara RETT, eine überdimensionale Kulturgouvernante des ORF. Sie duzte nicht nur das anwesende Präsidentenehepaar demonstrativ, sondern gleich auch Fotografen, Künstler und Mitwirkende. Nach einer veritablen »Du-Heinz-Du-Barbara«-Orgie mit der Aufforderung zu synthetischem Frohsinn und dem Kokettieren mit Thomas-Bernhard-Provokationen, hielt zunächst der deutsche Kulturbetriebsdenker Julian NIDA-RÜMELIN den Festvortrag.

NIDA-RÜMELIN hob, wie nicht anders zu erwarten, das Hellenentum in den Rang einer »gemeinsamen europäischen Identität«, sein Referat streifte souverän das Humane, das Kreative, den Lebenskunstdiskurs, überhaupt dies & das. »Um so weiter man sich aus Europa entfernt, umso rühmlicher wird unsere staatliche Kunstförderung« … »Es lässt sich beweisen, dass sich formalisierte Diskurslogik nicht beweisen lässt« … »Fast die Hälfte der Opern- und Theaterbühnen der Welt stehen in Österreich, Deutschland und der Schweiz«.

Anschließend wurden die Ausgezeichneten der Reihe nach den Kameras vorgeführt, unterbrochen von Kurzlesungen, musikalischen Darbietungen und Videozuspielungen von »Freunden«, die man schon vor Wochen eigens für diese Zuspielung im menschenleere Café des Hotel Imperial interviewt hatte.

Eine Show, ein Fernsehformat, mit dem gnadenlosen Willen zum Positiven. Die »Freunde« der Künstler echoten auf Frau RETT mit: »Der Paul…«, »der Franz… «, »die Jaqueline…«, und im Fall der Regisseurin Jessica HAUSNER gelang die Lichtregie auf der Bühne einmal so raffiniert, dass die blonde Preisträgerin in genau dem Moment aus dem Bühnendunkel herausgeleuchtet wurde, als sich im nebenan gezeigten Filmausschnitt eine im Wallfahrtsort Lourdes Trost und Heilung suchende Darstellerin hochdramatisch von ihrem Sitz erhob.

»Nein, sie wolle keine konsensfähigen Filme machen«, betonte HAUSNER im anschließenden Kurzinterview. Und viel mehr brachte auch kein anderer der Preisträger spontan hervor. Man nahm den Ausgezeichneten die Möglichkeit, sich an das Publikum zu wenden, die üblichen Danksagungen abzustatten, sie wurden ebenso zu Sprechpuppen entmündigt wie das Publikum zu Fan-Klatschgruppen degradiert. Man führte Kunst als eine Sache von mehr oder wenigen schrulligen Originalen vor.

Paul Albert LEITNER, der in Österreich endlich einmal für seine künstlerischen Reisefotografien ausgezeichnet würde, durfte charmant herumstottern, während im Hintergrund wahllos einige seiner Arbeiten in verschiedsten Formaten und Einblendzeiten Revue passierten.

Weniger schwer traf die Plaudershow die Übersetzerin Jaqueline CSUSS und den Komponisten und Messiaen-Schüler Thomas Daniel SCHLEE (»Kunst fragt nicht nach Mehrheiten, aber wenn sie welche erreicht, bleibt sie trotzdem Kunst«). Am schwersten erwischte die Medieninszenierung den Künstler Franz GRAF.

Erstaunlicherweise funktionierte die Präsentation seiner Arbeit via Einspielung zunächst am besten. Vielleicht weil der Künstler seine eigene Tonspur mitgeliefert hat? Wir wissen es nicht. – Aber was wurde da eigentlich gezeigt? Eine pathetische Installation des 56jährigen Mannes in der Kunsthalle Krems, bei der wie im billigsten Gewaltporno der bestrapste und verstümmelte Unterleib einer Frau an einer roten Fesselkette von der Decke hing.

Als dazu zwei befreundete Kunstkritiker GRAF als »feinsinnigsten Menschen« und als »Großen Liebenden« auslobten, das Wort wurde noch mal wiederholt, da schoss dem von soviel Emotion überwältigten Künstler das Wasser so stark in die Augen, dass ihm die Bühnenmatrone RETT mitleidig-sanft aus dem Licht schupste. Zweck erfüllt: Sensibilität des Künstlers formatfüllend vorgeführt, der alternde Schwarmgeist darf wieder gehen.  

Der Medienkünstler Richard KRIESCHE wartete mit dem »Globus als Körper« auf, einer Basisbanalität der 1980er-Jahre. Und für die Literatur, die man in Wien seit jeher sang- und klanglos zu den schönen Künsten rechnet, für die Wortkunst durfte Paulus HOCHGATTERER den Kopf hinhalten. Die selbstverständlich lektürebetroffene Frau RETT wollte zum zirka tausendsten Mal wissen, wie der Autor seinen Brotberuf als Psychiater mit der Schriftstellerei unter einen Hut bringt und ob in seiner Kindheit wirklich alle 52 Karl-May-Bände gelesen hat.

Bumsti! Ansonsten Mussorgski-Klänge vor Stuckmarmor, grässliche Videoanimationen und eine Musikbebilderung wie beim Neujahrskonzert der Philharmoniker, viel Chic und Politiker. Hätte man auf diese bombastische Show verzichtet, wären sich locker noch Kunstpreise für die Sparten Architektur, Design, Schauspiel, Tanz und Kunstkritik ausgegangen. Wie sagte doch Paul Albert LEITNER: »Österreich ist sehr teuer geworden« – selbst für etablierte Künstlerinnen und Künstler mit einem international anerkannten Gesamtwerk.

© Wolfgang Koch 2011

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