vonlottmann 11.05.2009

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Heute hat ja keiner mehr einen Fernsehapparat in der Wohnung stehen. Wer nicht völlig blöd ist, sieht seine Nachrichten oder Filme oder Serien auf dem Apple Laptop. Es mag noch Rentner-Opas geben, die ihre klobige GRUNDIG-Kiste für die widerliche Oliver Geissen Show brauchen, als tägliche Ohrfeige gegen die Menschenwürde. Oder gleich für den Dauerkonsum von ‚Neun live’ wo alle Frauen käuflich sind. Aber der Bürger unter 35 schaltet allenfalls noch ein, wenn, sagen wir, ein Attentat auf die Merkel stattgefunden hat und ein ARD-‚Brennpunkt’ lockt. Oder ein Besuch des Heiligen Vaters im Gelobten Land. So geschehen gestern.
Man zappt durch alle 33 Kanäle, studiert alle Fernsehzeitschriften und –programme. Wo sind die herrlichen Bilder, die man zu recht erwarten konnte? In zahllosen Sondersendungen hätte man doch eigentlich Papst Benedikt XVI Tag und Nacht sehen müssen, wie einst seinen Vorgänger, als dieser das geteilte Deutschland besuchte. Jedoch – es gibt diesmal nichts zu sehen. Es bleibt bei ‚Frauentausch’, ‚Carmen Nebel’, ‚Bauer sucht Frau’, namenlosen Billig-Soaps und endloser Werbung. Auch im ‚heute’-Journal kein Filmbericht über den Papst. In den ‚Tagesthemen’ auch nicht. Nirgends. Nicht einmal mehr im Bayerischen Rundfunk.
Wirklich nirgends? Im Internet schon. Ein einziger Klick bei Google, und eine Zehntelseku nde später ist er da, der Pontifex. Die weiße Soutane flattert, sturmzerzaust er steht allein auf dem Berg, von dem aus der sterbende Moses einst das Gelobte Land erblickte. Der Papst breitet die Arme aus, die Kamera fährt um ihn herum, man sieht die Gewitterfront vor ihm, die Berge und das weite, fruchtbare Tal. Nur Gott und diese aufgewühlten, regenverhangenen Himmelsmassen stemmen sich dem Papst entgegen, diesen ausgestreckten, bannenden Armen mit den nach außen gespreizten Fingern. Phantastisch.
Dann bewegte Bilder mit ihm in der ganzen arabischen Welt. Schwarzgewandete, leicht gebückte Muslime hasten über den Platz, auf den Papst zu, der aufrecht steht, als einziger nicht in Schwarz, sondern ganz in Weiß, vom Käppi bis zur Sohle, ein blendendes Weiß, das ihn in seinem maßgeschneiderten, perfekten Kostüm zur Lichtgestalt macht. Er segnet, er lächelt nachsichtig, seine Lider senken sich altersmilde und wohl auch etwas müde. Seine Augen liegen tief, die Haut ist zu hell, und beides zusammen wirkt manchmal gar nicht so gütig, wie es sollte. Die ganze Welt wünscht sich ja einen gütigen Papst. Aber von der Physiognomie her, eben diesen eingelagerten Augen, die so gar nicht lieb wirken, sondern leider arglistig, und die eine unheimliche Schwärze rändert, eben die dunklen Augenhöhlen, hat er – nur vom Typ her – etwas von einem 20er Jahre Stummfilm-Unhold, einer Fritz-Lang-Phantasie. Man würde sich nicht wundern, wenn auch20die Ohren ein wenig spitz nach oben zuliefen. Und diese für die Zwecke der Kirche an sich ungünstige Physiognomie muß nun ständig mit Riesenaufwand umtransformiert werden in ‚Güte’, ‚Ewige Wärme’, ‚Segen für die Menschheit’ und so weiter. Gar nicht so leicht. Und mit Spannung zu beobachten.
Schon sagt es wieder jemand, diesmal sogar der gastgebende Prinz und Moslem: Benedikt sei „ein Weltführer in Sachen Ethik und Menschenrechte“! Und so falsch ist das nicht, zumindest wird das geistige Potenzial an diesem Papst erkannt. War Johannes Paul II noch, für jedermann sichtbar, ein gutartiger, lieber Pole, so verrät der kalte Blick Ratzingers den klassischen Intellektuellen. Umso dicker muß er bei den Ritualen auftragen, wenn man so will: beim esoterischen Teil seines Jobs. Festlich schreitet er auf die Menge zu, auf die Turbanträger, auf Menschen, Tiere, Berge, Kreuze, gepanzerte Monster-Mercedesse. Das schwere goldene Kreuz baumelt vor der Brust, auf dem edel schimmernden Stoff, und glänzt gen Himmel. Huldvoll grüßt Seine Heiligkeit den Erdkreis, segnet die Journalisten, herzt Kinder und ausgewählte Schönheiten in Ordenstracht…
Das ist stark. Das ist heftig. Auf zig Foren und Links kann man nun darüber reden, chatten, weiter einsteigen in diese magische Materie, mit allen Freunden, die gerade online und ebenfalls gepackt sind, oder mit anderen mündigen Bürgern unter 35.
Nur der Fernseher, der muß jetzt das Maul halten, endgültig. Der kommt in den Keller.

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