Eigentlich wollte ich ja während des Jahreswechsels, endlich mal abseits von aller beruflichen Hektik, einiges nachtragen. Dachte ich jedenfalls. Aber erst ging der Computer kaputt, nun ist auch noch das Internet nicht benutzbar und mein PC-Doktor ist in Betriebsferien. Daher muß ich mich zum nächsten rauchfreien Internetcafe begeben, keine leichte Sache bei den Strassenverhältnissen.
Aber nun zur Sache:
Kurz vor Weihnachten fällte der 6. Senat des OLG Düsseldorf das Urteil über Nurhan E, Cengiz O und Ahmet I. Vorweg: es gab eine kleine Überraschung. Der Senat blieb mit seinem Spruch relativ weit unter den Anträgen der Bundesanwaltschaft. Nurhan soll 7 Jahre 9 Monate in Haft, Cengiz 5 Jahre 6 Monate und Ahmet 3 Jahre. Die Verteidigung zeigte sich nach der Sitzung überrascht, sie hatte mit mehr gerechnet. Ich auch. Die Bundesanwälte hatten für Nurhan 10 Jahre und 6 Monate, für Cengiz 7 Jahre 6 Monate und für Ahmet viereinhalb Jahre verlangt. Die Verteidigung hatte Freispruch beantragt und die Anwältin von Nurhan, Barbara Möller aus Dortmund, hat mir nach dem Prozess gesagt, dass ihre Mandantin in Berufung gehen wolle. In einem Telefonat am nächsten Tag zeigte sich auch Bundesanwalt Volker Homann etwas überrascht von dem Urteil, aber nicht unzufrieden.
Der Saal war voll am 17.12., dem Termin der Urteilsverkündung. Die Angehörigen waren anwesend, Freunde und Bekannte der Angeklagten aus Deutschland und Belgien und politische Weggefährten, wie mir später erklärt wurde. Nurhans E.s Vater und Mutter, – beide leben getrennt, die Schwester war ebenfalls da. Auch ein Rechtsanwalt aus Istanbul, Taylan Tanay, war als Beobachter zugegen. Und eine Besonderheit: der Gefängnisseelsorger und die Psychologin von Köln-Ossendorf, der Justizvollzuganstalt, in der Nurhan E. inhaftiert ist, waren auch anwesend, um sich selbst ein Bild von dem Prozess zu machen.
Nach dem Urteil gab es wieder einmal Platzverweis für den Saal. Die Zuschauer standen auf, als die Verurteilten herausgeführt wurden, klatschten und riefen türkische und deutsche Parolen, einige mit erhobener Faust: „Iso-Haft ist Folter, Iso-Haft ist Mord“ und „Kampf dem Faschismus überall“ war z.B. zu hören. Richter Breidling, der schon zu Beginn der Sitzung aus Erfahrung mit früheren Störungen die Zuschauer ermahnt hatte, diesmal ruhig zu bleiben, mußte mehrfach ansetzen, um sich Gehör zu verschaffen und ließ den Saal räumen. Ich glaube, dass er mit solchem Verhalten gerechnet hat. Auch ich wurde wieder von den Polizisten mit hinausgeworfen. Das wird mir mittlerweile zur Gewohnheit und es ist einigermaßen lästig, wenn man später noch mit Prozessbeteiligten reden will. Na ja, Polizisten differenzieren eben nicht, wenn Räumungsbefehl erteilt wird. Diesmal allerdings machte es mir nichts aus, die Sitzung war eh zu Ende, und die Interviews mit den Anwälten konnte ich draussen ungestört führen.
Ausführlich begründete Richter Breidling: Der Senat sieht es als bewiesen an, dass die Drei hohe Funktionäre der Rückfront der DHKP-C in Europa gewesen seien. Die DHKP-C in der Türkei sei eine terroristische Organisation. Breidling zählte eine lange Liste von Anschlägen auf Militärposten, Polizeifahrzeuge, Angehörige der türkischen Staatsschutzgerichte, der Gefängnisverwaltung und auf Büros verschiedener Parteien und Banken, auf, zu denen sich die DHKP-C selbst bekannt hatte.
Es habe ein klares Unterordnungsverhältnis gegeben, Nurhan E habe den anderen Anordnungen erteilt. Aber mildernd sei zu werten, dass Nurhan die Rolle der „Rädelsführerin“ erst seit kurzem inne gehabt habe. Und sie habe ein „Teilgeständnis“ abgelegt. (Sie hatte eine Rede von 150 Seiten gehalten, die der Senat als Teilgeständnis wertete.)
Die Verteidigungsreden der Gefangenen:
Die Gefangenen und die Verteidigung hatten zuvor das Wort an den letzten Prozesstagen vor der Urteilsverkündung gehabt.
Nurhan E. hielt eine mehrere Stunden dauernde Rede, die sie vom Blatt ablas.
Sie beschrieb eingehend die Menschenrechtslage in der Türkei, in den Gefängnissen, die Folter, die „normale Behandlung“ von Gefangenen, und die Gefangenenarbeit der „Anatolischen Föderation“. Der Verein habe Aufklärungsarbeit betrieben und Spenden für Häftlinge gesammelt. Sie hätten rund 30 Häftlinge betreut, „für mehr reichte das Geld nicht. Wir haben die unterstützt, die keine familiäre Unterstützung hatten.“ Die Namenslisten von Geldgebern seien nicht, wie die Anklageschrift es darstelle, von der DHKP-C, sondern vom Tayad-Kommittee gewesen. Arbeitsschwerpunkt des Vereins Anatolische Föderation seien die unfairen Gerichtsverfahren in der Türkei. Das türkische Antiterrorgesetz habe keine verfassungsmäßige Grundlage, es sei möglich, jemanden unbegrenzt in Untersuchungshaft zuhalten, Angeklagte hätten keine Rechtsmöglichkeit zu einer Stellungnahme und die Prozesse würden vor den Sondergerichten allein nach Aktenlage entschieden. Sie hätten zudem Showcharakter.
Ich hatte allerdings nicht den Eindruck, dass der Senat oder auch die Bundesanwaltschaft davon wirklich beeindruckt war. Sie ließen es quasi über sich ergehen. Insofern waren ihre Bemühungen „für die Katz“, aber sie sprach sicher damit auch die zahlreich anwesenden Zuschauer an.
Gelegentlich unterbrach Richter Breidling sie mit der Aufforderung, ob sie nicht etwas zur Sache sagen wolle, und sie antwortete „Das tue ich doch.“
Zuletzt wandte sie sich an Bundesanwalt Homann mit den Worten: “ Herr Homann, Sie haben mich das letzte Mal verletzt und beleidigt. Sie kennen mich gar nicht, sie haben noch nie mit mir gesprochen.“ Sie antwortete damit auf seinen Vorwurf an ihren Vater, der habe sie in die Revolution getrieben.
Das Gericht wertete ihre Einlassung als Teilgeständnis.