von 01.12.2010

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Schätze vor dem Müll retten (Foto: Laura Bernschein)

Die alte Holzkommode, das verstaubte Geschirr oder das alte Computerspiel: Nicht mehr genug wert, um es bei Ebay zu verkaufen, aber auch irgendwie zu schade, um es einfach wegzuwerfen. Doch dafür extra auf den Flohmarkt fahren und den ganzen Tag herumstehen ist zu aufwendig. Also was tun? Wie wäre es damit, die Dinge einfach zu verschenken? Beispielsweise auf der Verschenkplattform freecycle.org. An jemanden, der noch etwas mit dem alten Kram anfangen kann, der der Holzkommode einen neuen Anstrich verpasst, der das Geschirr abstaubt und das Computerspiel in seine Sammlung einreiht? Die einst wertlosen Gegenstände würden wieder neue Bedeutung erlangen. Sie zu verschenken, würde Kosten sparen, die Umwelt schonen und einfach nachhaltiger sein, als die Dinge auf den Müll oder Recyclinghof zu werfen.

Schenken in seiner reinsten Form: Etwas geben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Gibt es das so noch in Deutschland? Zu keiner anderen Jahreszeit ist Schenken von so zentraler Bedeutung wie an Weihnachten. Hier beginnt meine Spurensuche.

Der Schenker

Jedes Jahr aufs Neue begibt sich der großmütige Schenker auf die Suche nach den passenden Gaben für das anstehende Weihnachtsfest. Bewaffnet mit viel Idealismus und dem nötigen Kleingeld trotzt er klirrender Kälte, matschigen Straßen, drängelnden Menschenmassen und schlechtgelaunten Verkäufern. Warum tut sich der Schenker das an? Ist es wirklich die reine Freude am Schenken?

Der Schenker ahnt, dass auch er beschenkt wird. Die Vermutung liegt nahe, schließlich war es jedes Jahr so. Der Schenker weiß auch, dass jene gemeinsame Abmachung, sich dieses Jahr nichts zu schenken, zwar verlockend, aber viel zu gefährlich ist. Wie steht man denn da, wenn man – seinerseits mit leeren Händen – sein Geschenk entgegennimmt. Die Lage würde sich noch weiter zuspitzen, sollte der Schenker dann allen Ernstes leer ausgehen: Unausweichlich wäre der schmerzhafte Moment der Erkenntnis, dieses Jahr kein Geschenk zu bekommen, wo man doch selbst durch die Hölle gegangen, ja, keine Kosten und Mühen gescheut hat.

„Freecycle“: Schenken ohne Erwartung

Mit dem Schenken ist das so eine Sache. Kaum jemand schenkt, ohne nicht insgeheim eine kleine Gegenleistung zu erwarten. Mit einem einfachen „Dankeschön“ ist es meist nicht getan. Schon die Kleinsten vergleichen unter dem Weihnachtsbaum Größe und Anzahl der Geschenke mit denen der Geschwister. Schenken macht vielen doch erst dann wirklich Spaß, wenn man selbst auch beschenkt wird.

Ein wahres Paradies für echte Schenker bietet dagegen die bereits erwähnte Verschenkplattform freecycle.org. Dinge, die man selbst nicht mehr gebrauchen kann, finden hier einen neuen Besitzer. Anders als bei der üblichen Schenkerei an Weihnachten zum Beispiel muss man sich hier nicht verpflichtet fühlen, etwas zurück zu schenken. Thomas Pradel, Gründer und Verwalter der deutschen Freecycle-Gruppen, betont: „Es geht ums Schenken und nicht ums Tauschen.“ Eine Bezahlung oder Gegenleistung wäre nicht nur gegen die Regeln von Freecycle, sondern auch gegen den Grundgedanken. Allerdings kann es vorkommen, dass sich Nutzer, die ein besonders wertvolles Geschenk erhalten haben, doch noch mit einer kleinen Aufmerksamkeit bedanken wollen. Auch wenn das nur selten vorkommt, zeigt es doch, wie stark der Druck des Zurückschenkens auf manchem lastet. Immerhin zeigen die steigenden Mitgliederzahlen, dass viele dazu bereit sind, etwas ohne Gegenleistung zu verschenken. Auch wenn man vielleicht einfach nur froh ist, den ganzen Kram los zu sein.

Text: Hendrikje Borschke

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