vonKarim El-Gawhary 07.02.2011

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Ein Paar, das am Sonntag auf dem Tahrir-Platz geheiratet hat

Liebe Blog –Leser- und Leserinnen

Ich möchte mich inständig dafür entschuldigen, dass hier in den letzten Wochen nichts Neues erschienen ist. Ich hatte schlichtweg keine Zeit, nachdem mein Telefon seit fast zwei Wochen im Zehnminuten-Takt klingelt. Ich musste zunächst meine Medien bedienen und konnte mich nach einem 16-Stunden Arbeitstag entscheiden, ob ich noch ein paar Stunden schlafe oder für diesen Blog schreibe. Ich habe mich aus Überlebensgründen für den Schlaf entschieden.

Die letzten zwei Wochen zählten sicherlich zu den aufregensten meines Lebens. Der Freitag als ich im Tränengasnebel der Polizei stand und mit andern Demonstranten vor den Steinen der Polizei davongelaufen bin, nur um dann zu sehen, wie die Jugendlichen dann einfach auf die Polizeiketten zugestützt sind und sie verjagt haben, scheint Lichtjahre von heute entfernt.

Dann kam die Zeit der Plünderungen, nachdem das Regime die Gefängnisse geöffnet hatte und auch einige Polizisten in zivil bei den Plünderungen erwischt wurden. Das Ganze hatte System. Das Regime versuchte Chaos zu schaffen, um sich dann als Retter in der Not zu präsentieren.

Die Antwort der Menschen: Sie versammelten sich immer wieder auf dem Tahrir-Platz und bildeten Nachbarschaftkomitees um ihr Eigentum und die Familien zu schützen. Ich lebe seit 20 Jahren in diesem Land, aber niemals hätte ich mir jemals vorstellen können, wie sich die Menschen in so kurzer Zeit selbst organisieren. Nachbarn kamen auf der Straße zusammen, die zuvor niemals miteinander gesprochen hatten. Jetzt saßen sie die ganze Nacht zusammen am Lagerfeuer und arbeiteten zusammen, egal ob arm oder reich. Einer meiner Freunde erzählte mir, er sei mit einem antiken Erbstück seines Vaters, einem altes Schwert auf der Straße gesessen. „Ich wusste nicht ob ich damit die Plünderer abschrecke oder ob das wertvolle Schwert sie erst recht anziehen würde“, witzelt er heute.

Wen die Nachbarschaftskomitees beim Stehlen erwischten, der war nicht zu beneiden. Ich habe mehr als einmal erlebt, wie sie diese Menschen fast zu Tode geprügelt haben. Einmal bin ich sogar selbst eingeschritten und habe geholfen, dass der mutmaßliche Plünderer der Armee übergeben wurde. Die dann ihrerseits auf ein eingeprügelt hat. Aber wahrscheinlich mussten die Soldaten zeigen, dass sie es ernst meinen, ansonsten hätten die Komitees die Angelegenheit weiter in die eigenen Hände genommen und das hätte der Gefangene nicht überlebt. Es war eine brutale aber effektive Strategie. Die Plünderungen hörten auf. Da war noch kein einziger Polizist auf der Straße zu sehen.

Dann kam der schlimmste Tag, an dem das Regime seine Schläger losschickte, um die Demonstranten, die Innenstadt und auch uns Journalisten zu terrorisieren. Einige Kollegen wurden schwer verletzt, wie der Mann des schwedischen Fernsehens, dem sie ein Messer in den Bauch gerammt und die Schädeldecke gebrochen haben. Einige der Schläger versuchten auch das Studio zu stürmen, aus dem ich für den ORF live schalte. Nur die Armee hat sie am Ende davongejagt. Ich selbst bin den Schlägern nur ausgekommen, nachdem ich ihnen meinen ägyptischen Personalausweis gezeigt und sie mich laufen ließen, mit den Worten „wir haben gerade einen dieses ausländischen Journalisten erwischt und aufgemischt“.

Hier ein paar Live-Schaltungen unter äußerst widrigen Umständen

Die ersten Schläger tauchen auf

ZIB 13 kurz nach dem Angriff der Schläger (mit Handy-Kick-Einlage)

ZIB 20 mit verdunkeltem Studio

Zib 2

Auch dieser Horror ist inzwischen vorbei. Jetzt setzt das Regime auf Zeit und versucht die Opposition auseinanderzudividieren. Der Protest geht in die dritte Woche und das Regime hofft, die öffentliche Meinung gegen die Demonstranten aufzubringen, nach dem Motto: die Demonstranten sind schuld, dass keine Normalität eintritt. Vertraut uns und wir werden wieder Stabilität herstellen.

Die Demonstranten haben ihrerseits ihre Taktik geändert. Nicht jeden Tag können sie hundertausende auf die Straße bringen, also konzentrieren sie sich auf bestimmte Tage, z.B auf nächsten Freitag. An diesem Tag wollen sie mehr Leute auf der Straße mobilisieren, als je zuvor. Unteressen ist der Tahrir-Platz zu einer festen Institution geworden, dort sitzt ein harter Kern, ansonsten kommen und gehen die Menschen. Hier eine kleine Fernsehreportage von dem Platz

Jetzt geht es darum, wer den längeren Atem hat. Meine persönliche Einschätzung ist: Selbst wenn das Regime es irgendwann schaffen würde, die Platz zu räumen, hat es noch längst nicht gewonnen. Nach zwei Wochen Protesten und den unterschiedlichsten Menschen, die in dieser Zeit am Tahrir vorbeigekommen sind, ist das entscheidende nicht mehr das Halten des Platzes. Der Tahrir hat sich längst in den Köpfen der Menschen verselbstständigt. Und das kann ihnen niemand mehr wegnehmen.  Das ist der Grund, warum es für das Regime längst kein Zurück mehr gibt.

Meine heutigen Live-Gespräche

in der ZIB 13

in der ZIB um 19:30

Mein heutiger Print-Text

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