vonannette hauschild 17.02.2011

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog

Der Düsseldorfer Senat fuhr  im Frühjahr 2010  in die Türkei, um Auslandszeugen zu befragen und:   ÜBERRASCHUNG!!!  Die türkischen Behörden präsentierten anstatt des gewünschten Zeugen K, der in Diyarbakir war, einen anderen Mann namens Semih G, einen “reuigen Zeugen”, der Mitglied der DHKP-C gewesen und von der Staatsmacht umgedreht worden war.  Er hat sich für die seit einigen Jahren im türkischen Recht eingeührte Kronzeugenregelung entschieden.  Dem Vernehmen nach soll Semih G. seither zusammen mit Polizei und Militär die  Rebellen,  seine früheren Waffenbrüder und Genossen jagen. Der Senat und die anderen Prozessbeteiligten ließen sich,  wo sie nun schon mal vor Ort waren, auf  das Spiel der Türken ein und ließen sich einen Tag lang alle notwendigen Gerichtsunterlagen in die Türkei faxen, um sich auf die Befragung des ihnen bislang völlig unbekannten “Kronzeugen” vorzubereiten. Semih G. behauptete, Faruk E. habe  einen Angriff auf Polizisten im April 1993 vor der Pamukbank in Istanbul befohlen. Das habe eine dritte Person ihm erzählt. Ein Zeuge vom Hörensagen also. Nach der Aussage dieses  “Kronzeugen” (der Zeuge Murat D verwendete dafür vor dem OLG die Bezeichnung “Itirafci” – Denunziant) wurde derAnklagepunkt “Mord in mittelbarer Täterschaft” wieder aufgenommen. Das ist mehr als Anstiftung zum Mord, das ist, als hätte man den Mord selbst ausgeführt.  

Aber: Hat der Mann die Wahrheit gesagt? Die Anklage meint “Ja”, die Verteidigung natürlich “Nein”. Selbst das Strafgericht Istanbul glaubte Semih G. nicht alles, was er in einem anderen Verfahren ausgesagt hat. Die Person, von der er die belastende Aussage gehört haben will, hat selbst ihre damalige Aussage zurückgezogen, weil sie angeblich unter Folter zustandegekommen und zudem noch von der Polizei verfälscht worden sei. Das Gericht mußte sich also  ein zweites Mal in die Türkei begeben. Auf dieser Reise wurden dann sowohl Semih G wie auch der ursprünglich gewünschte Zeuge K vernommen, aber auch andere, z.B. ein Guerillakämpfer aus den Bergen. 

Mittlerweile sind die Anklagepunkte gegen Faruk E. wieder ziemlich zusammengeschrumpft: auf den Überfall auf Polizisten, die vor der Pamukbank in Istanbul im  April1993 Wache standen. Ein Kommando der DHKP-C hat die Polizisten angegriffen, dabei kamen 2 Polizisten und zwei Angreifer ums Leben. Die Verteidigung wollte, dass nicht nur Semih G, sondern auch die überlebenden Mitglieder des Kommandos, die in türkischer Haft sind, zu dieser Sache gefragt würden,  denn es könnte ja sein, dass diese eigenständig agiert hätten. Aber das Gericht lehnte den Antrag ab.

Hier eine weiterführende rechtswissenschaftliche Abhandlung über “Auslandzeugen im Strafprozess” http://www.rademacher-rechtsanwalt.de/pdf/ZAP-Der_Auslandszeuge.pdf

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/der_zeuge_ex_machina/

aktuell auf taz.de

kommentare