Da ich in schon sehr kurzer Zeit von Deutschland nach Indien umziehen werde, sehe ich mir abends immer die neuesten, für mich also letzten deutschen Filme an. Ich gehe dann immer in ein Lichtspieltheater um die Ecke, in ein cinema next door, denn nichts anderes werde ich auch in Bombay tun müssen. Dort kann man ja nur Schreiben & ins Kino gehen (sprich: bloggen und Bollywoodfilme gucken). Ich sah nun ‚Mitte Ende August‘, eine sehr freie Neuverfilmung von Goethes ‚Wahlverwandtschaften‘. Anders als die indischen Filme wurde der deutsche von mächtigen Verbündeten unterstützt, finanziert und gefördert, unter anderem vom Deutschen Filmförerungsfond, von German Films, der Filmförderung Hamburg, ARTE, Senator Film, NDR, Film1, Mediaboard, Bavaria Film, Nordmedia, und vielen anderen wohlmeinenden Gönnern, Steuerflüchtlingen und Subventionshaien inmitten unserer trägen, verfetteten Kulturindustrie. Und genauso war der Film dann auch. Er lief im Großen Saal 1 mit einer Auslastung von drei Prozent. Im Publikum saßen die paar Schauspieler, die auch auf der Leinwand agierten. Ein Szenefilm für die Filmszene. Fast so inzestuös und gruppenintern wie bei den Theaterleuten.
Naja, aber gefallen hat es mir dann doch wieder. Ich mag eben alles, was unverwechselbar ist, und der deutsche Subventionsfilm ist es natürlich. Wie das deutsche Regietheater. Sowas kann man ja keinem anderen Volk der Erde andienen. Innerhalb von Sekunden erkennt man an dem grundlosen Lachen der Hauptdarstellerin, der grundlosen Wortlosigkeit des Hauptdarstellers und der grundlosen Ungepflegtheit und Verwahrlosung beider, daß man in einem deutschen Film ist. Das Ungepflegte soll Authentizität bedeuten, das Sprachlose ebenso, und das andauernde Lachen Sexyness sowie ‚Am Anfang war alles gut‘. Nun setzt die Handlung ein. Also das Ungute, das Verderben, der sich öffnende Abgrund, eben die deutsche Stimmung.
Alles sehr nett, nur daß nun wieder ‚Goethe‘ draufsteht, auf diesem Kulturgut, weil es ja sonst nicht die Fördermillionen bekäme, ärgert mich, leider. Denn ich MAG die ‚Wahlverwandtschaften‘, ich mag Goethe, und wenigstens die Namen der Figuren hätte man übernehmen können, oder ihre Anzahl, nämlich vier. Aber nein, irgendwelche neu ausgedachten Kunstfiguren drücken sich da aus, also spulen ihre auf den üblichen Schauspielschulen eingetrichterte Körperlichkeit herunter. Sie ‚arbeiten‘ mit ihrem Körper, also bewegen sich immer so affig körperbetont, beim Saufen, Brüllen, Schweigen, Ficken, und wieder Saufen. Ja, vor allem immer wieder Saufen. Saufen ist wohl besonders authentisch & körperlich. Man muß eben immer direkt aus der Flasche trinken und nicht einmal absetzen, bevor die Flüssigkeit von der Flasche in den authentischen Körper gewandert ist.
Meistens wird nichts gesprochen. Quälend soll sie sein, die Atmospähre, das Leben, die Existenz, die Welt ohne Gott, der deutsche Alltag. Mann und Frau haben sich nichts zu sagen. Die geschlechtliche Liebe ist nichts als ein Abgrund des Nichts, ein kurzes Ekelgezappel. Keine Sonne scheint, kein Käuzchen ruft, kein Trost nirgends. Nur dunkler Wald, Verfremdung, ein nasser Teich, in dem die Frau fast ertrinkt (weil sie zuviel gesoffen hat), und so weiter. In dem Film ‚Alle anderen‘ konnte man die Blaupause erkennen. Und auch die Variante, wie so etwas GLÜCKT, künstlerisch. All die darauf folgenden Nachahmer wirken fast automatisch wie Karikaturen. Aber, wie gesagt, ich habe mich trotzdem wohlgefühlt, aus vielerlei Gründen. Zum Beispiel mochte ich Marie Bäumer, die einfach nicht anders kann, als immer gut auszusehen. Sie war dabei, weil ein Film mindestens EINEN Namen braucht, und das war in diesem Fall ihrer. Alle anderen waren ewige Talente aus unbekannten Strasberg-Unterschulen. Als einzige konnte sie auch gar nicht ’spielen‘, also guckte immer nur, wie sie eben immer guckt, eben beleidigt und neudeutsch.
All das wird mir in Bollywood fehlen!
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