Der Bär flattert in nordwestlicher Richtung.
Heute liefert Molto Menz von absolut medien (Oranienstraße 24, 10999 Berlin) die Neuausgabe der ›März Akte‹-DVD aus.
90 Minuten, BR, 1985, Grimme-Preis 1986, Regie: Peter Gehrig. Mit Jörg Schröder, Barbara Kalender und Horst Tomayer sowie Mathias Bröckers, Henryk M. Broder, Daniel Cohn-Bendit, Gerd Haffmans, Kristian Klippel, Winfried Kumetat, Abraham Melzer, Reinhold Neven DuMont, Klaus G. Saur, Uve Schmidt, Christian Schultz-Gerstein, Matthias Wegner, Karl Dietrich Wolff.
Aus der Begründung der Adolf-Grimme-Preis-Jury: »Wenn das Fernsehen über Literatur berichtet, erschöpft sich das in der Regel in Autoreninterviews oder in bebilderter Buchinterpretation. Peter Gehrig ist es gelungen, über einen aufschlußreichen Bereich der deutschen Literaturszene eine aus dem Rahmen fallende Dokumentation zu drehen, die einen langen Atem hat, die Spaß macht und die auf mehreren Ebenen spielt. Jörg Schröder, Verleger des März-Verlags, ist der Hauptdarsteller. In den 68er Jahren ist dieser Verlag mit zahlreichen provozierenden Titeln zwischen Belletristik, Politik und Porno zu einem Forum der Linken geworden. Weniger als das Programm rückt der Film die Person des Verlegers in den Mittelpunkt, eines Literatur-Zampanos, der es bis heute geschafft hat, sich mit ›statischer Schläue‹ gegen Anfeindungen und Pleiten zu behaupten. Die fiktive Figur des ›Betriebsprüfers‹ Horst Tomayer gibt dem Film eine stimmige Erzählstruktur.«
BONUS:
Die ›März Akte‹ wird vervollständigt durch ein aktuelles Gespräch, das Mathias Bröckers mit uns führte. Hier in Stichworten, wie es nach den Dreharbeiten weiterging:
1986 bis 1989 »Die beste Rettungsanzeige seit der Bergpredigt« (›Spex‹), März-Rettungsdienst-Anzeigen mit Schuhputz-Aktion während der Buchmesse. Schröder übernimmt Gastdozenturen an den Universitäten Siegen (FB Germanistik) und Kassel (FB Visuelle Kommunikation). Nach zwei Herzinfarkten gibt Schröder auf, der März Verlag wird liquidiert. Das Schiller-Nationalmuseum / Deutsche Literaturarchiv in Marbach a. N. übernimmt das MÄRZ-Verlagsarchiv. Jörg Schröder entwickelt mit Barbara Kalender das Konzept zu ›Schröder erzählt‹.
1990 bis 1998 Die erste Folge von ›Schröder erzählt‹ mit dem Titel Glückspilze‹ erscheint im Mai 1990. In den folgenden Jahren konzentrieren sich Kalender und Schröder auf dieses Erzählprojekt.
1998 Jahresausstellung des Schiller-Nationalmuseums / Deutsches Literaturarchiv: ›Protest! Literatur um 1968‹. Die März-Autoren, das Verlagskonzept und Schröders Herausgaben und literarische Arbeiten nehmen in der Ausstellung und dem sie begleitenden Katalog einen bedeutenden Platz ein. Kalender und Schröder beginnen mit den Ordnungsarbeiten im Marbacher März-Archiv und dem angefügten Bernward-Vesper-Archiv.
1999 Die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) verlangt von Schröder die Rückzahlung von Pauschalen, die sie für die Folgen von ›Schröder erzählt‹ bezahlt hatte, weil es sich dabei angeblich um Bellestristik handele und nicht um Sachbuchtitel.
2000 Die 40. Folge ›Languages spoken‹ von ›Schröder erzählt‹ kommt heraus, damit wird die ›weiße Serie‹ wie geplant abgeschlossen. Ankündigung der neuen ›schwarzen Serie‹.
2001 Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach übernimmt das ›Schröder erzählt‹-Archiv aus den Jahren 1990 bis 2000. ›Willkommen!‹, die erste Folge der ›Schwarzen Serie‹ erscheint.
2003 bis 2005 Im Area Verlag kommt eine März-Kassette heraus. Sie enthält 22 Nachdrucke aus der Verlagsproduktion. Weitere Neuauflagen: ›ACID. Neue amerikanische Szene‹, Hrgb. von R. D. Brinkmann und R.-R. Rygulla, im Originalformat; Heinsohn / Steiger, ›Die Vernichtung der weisen Frauen‹; Bernward Vesper, ›Die Reise‹; Gerhard Zwerenz, ›Kopf und Bauch‹. Die Klage der VG Wort gegen Schröder wird nach vierjähriger Prozeßdauer vom Landgericht München I abgewiesen. Die VG Wort legt Berufung beim OLG München ein und verliert den Prozeß.
2005 bis 2007 Im Dezember 2005 sind wir nach Berlin umgezogen. Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach übernimmt das ›Schröder erzählt‹-Arciv aus den Jahren 2001 bis 2005 sowie die Fotosammlung. Neben ›Schröder erzählt‹ schreiben Barbara Kalender und Jörg Schröder täglich das taz-Blog ›Schröder & Kalender‹.
Mathias Bröckers, der uns für den Bonusteil interviewte, schrieb u. a. Bücher über Hanf und die Verschwörungstheorien des 11.9. – sämtlich Bestseller. Von 1980 bis 1991 war er Kulturredakteur der taz und Erfinder der Satireseite ›Die Wahrheit‹. 1985 wirkte Bröckers in der ›MÄRZ-Akte‹ mit. Seit 2006 überarbeitet er den Internet-Auftritt der taz, so daß nun auch Blogs von freien Autoren und Redakteuren der taz online zu lesen sind, darunter auch das Blog von ›Schröder & Kalender‹.
Der »Betriebsprüfer« und Dichter Horst Tomayer kommt natürlich auch noch einmal zu Wort.
Den Bonustrack drehten Madeleine Dewald und Oliver Lammert von ›DOCK 43 film und medien‹. Sie arbeiteten eine Fülle von Fotos ein. Madeleines und Olivers Film ›Vom Hirschkäfer zum Hakenkreuz‹ wird ebenfalls bei absolut medien vertrieben. Dieser Film ist eine materialreiche, assoziative Montage von der grenzenlosen Möglichkeit, Bilder zu manipulieren und mit ihnen zu verführen. Es geht um faschistische Pseudodarwinismus und künstlerische Korrumpierbarkeit, um Kulturfilmer, die ihre teils avantgardistischen Erzähl-, Film- und Montagetechniken in den Dienst des Faschismus stellten.
›Die März-Rolle‹ zeigt außerdem sämtliche Umschlägen der März-Erstausgaben mit dem berühmten gelb-rot-schwarzen Erscheinungsbild
Hans Peter Willberg schrieb zum grafischen Konzept der März Bücher: »Ein Zeichen von großer Sicherheit ist es, wenn Verleger alles auf eine Karte setzen, wie Jörg Schröder mit der Ausstattung seines März Verlages. Wenn man der Typologie folgt, die für die Umschlaggestaltung vorgeschlagen wurde: Uniformieren, Typisieren, Individualisieren, so wäre der Suhrkamp-Verlag eindeutig der Typisierung zuzuordnen, die Büchergilde wohl der individualisierung. Die Umschläge des März Verlages wären dann als ›uniformiert‹ zu betrachten. Doch die Uniform ist abwechslungsreich, bereits die sechs Variationen dieser Seite zeigen die Gestaltungsbreite. Natürlich ist viel stärker als bei den anderen Beispielen jeder Titel zuerst als Verlagsprodukt und dann erst als Buchindividuum zu erkennen. Doch das heißt nicht, daß keine Neugier, keine Erwartungshalten erweckt wird. Auch die massive Sprache dieser Grafik kann differenzierte Töne von sich geben. Das Verhältnis zwischen Verleger und Grafiker ist hier noch inniger als sonst. In den Büchern steht: »Umschlag F. Block«. Fette Block, so heißt die Schrift, und der Verleger ist zugleich der Grafiker – ein untypischer Sonderfall.«
Hans Peter Willberg (1930 – 2003) war Geschäftsführer der Stiftung Buchkunst und Professor für Typographie und Buchgestaltung. In seinem oben teilweise zitierten Aufsatz kommentiert er bedeutende Verlagsgesichter der Bundesrepublik und ihre Gestalter: Celestino Piatti (dtv), Heinz Edelmann (Klett-Cotta und Hanser), Christian Chruxin (Rowohlt), Willy Fleckhaus (Suhrkamp), Hannes Jähn (Luchterhand und Kiepenheuer und Witsch), Juergen Seuss (Büchergilde Gutenberg) und Jörg Schröder (März Verlag).
Die Entstehung der März-Akte (1)
Die Entstehung der März-Akte (2)
Die Entstehung der März-Akte (3)
(HPW / BK / JS)