von 18.04.2009

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Wer den Fraktionsvorsitzenden der europäischen Grünen aufs Podium bittet, weiß was er bekommt: Ein vorbehaltloses und emotionales Plädoyer für die europäische Idee. Jedes Argument, das gegen die EU spricht, wischt er weg, wie lästige Krümel auf dem Sofapolster. Auch auf dem tazkongress schreit Dany Cohn-Bendit seine Liebe zu Europa ins Auditorium, wie ein Priester auf der Kanzel.

Es ist Mittag geworden und das Haus der Kulten der Welt ist voll, egal welche Veranstaltung man auf dem tazkongress besucht. Im Café Global, wo Daniel Cohn-Bendit mit der taz-Korrespondentin in Brüssel, Daniela Weingärtner, und der Osteuroparedakteurin Barbara Oertel über „Glanz und Elend der europäischen Demokratie“ sprechen will, ist jeder Platz besetzt. Auf den Sofas hinter der Bühne rücken die Zuhörer zusammen. Eine ältere Dame mit Kostümjacke und Lockenwicklerwellen sitzt auf dem Boden in der ersten Reihe, weil sie keinen Stuhl mehr bekommen hat.

„Wie viele von Ihnen sind denn heute hier, weil sie sich für die Europäische Union interessieren“, fragt Daniela Weingärtner, die das Panel eröffnet. Im Publikum gehen fast alle Hände hoch. Daniela Weingärtner ist erstaunt: „Tatsächlich? Dann haben wir ja heute ein tolles Publikum. Ich hätte gedacht, die meisten von Ihnen sind gekommen, weil Dany Cohn-Bendit immer für eine lustige Geschichte zu haben ist.“

Erst am Freitagabend hatte der stellvertretende Chefredakteur der taz, Peter Unfried, beim Quiz gefragt, welche Person in der taz am häufigsten interviewt wurde. Die richtige Antwortet lautete: Dany Cohn-Bendit. Der deutsch-französische Politiker war schon in den Sechzigern in der Apo und in den Siebzigern in der Frankfurter Spont-Szene aktiv und begleitet die taz seit der ersten Stunde. Daniela Weingärtner begrüßt ihn wie einen alten Freund.

Dann geht es um Europa. Der Vortrag soll zweigeteilt sein, kündigt Daniela Weingärtner an: In der ersten halben Stunde will sie Cohn-Bendit zum „alten Europa“ befragen. Dann sollen die ZuhörerInnen Fragen stellen. In der zweiten halben Stunde will Redakteurin Barbara Oertel mit Cohn-Bendit über die EU-Osterweiterung sprechen. Dann wieder Fragen aus dem Publikum.

Was folgt, ist keine Diskussion, sondern mehr ein Vortrag mit StichwortgeberInnen. Cohn-Bendit erzählt, dass er sich 2009 ein letztes Mal hat überreden lassen, bei der Europawahl für die französischen Grünen anzutreten, um zu verhindern, dass diese ohne Spitzenkandidaten dagestanden wären. Aber er sagt auch: Diese Wahl wird die letzte sein. „Der Wahlkampf ist physisch zu anstrengend.“ In seiner letzten Legislaturperiode will er Vorsitzender des Kulturausschusses im Europaparlament werden. Ein letzter Wunsch am Ende einer langen europapolitischen Karriere. Bereits 1984 zog Cohn-Bendit zum ersten Mal ins Europaparlament ein. Sein Glaube an die europäische Idee ist ungebrochen. Emotional und mit lauter Stimme erklärt er, aus welchem Hintergrund Europa entstand und warum es sich nach wie vor lohnt, für diese Idee zu kämpfen. Fast scheint es, als spräche er statt ins niedrige Foyer des Cafés in einen riesigen Plenarsaal. Vielleicht hat er nur diesen Modus drauf.

Warum es so wenige bekannte und populäre Europapolitiker wie ihn gäbe, will Daniela Weingärtner wissen.

„Viele prominente Politiker haben Angst in der Europäischen Politik in ein Aufmerksamkeitsloch zu fallen“, sagt Cohn-Bendit.

Ist die Europäische Union denn ein politisches Abstellgleis?

Das habe er auch lange geglaubt, sagt Cohn-Bendit. Heute wisse er, dass viele Europapolitiker gar nicht mehr in ihre nationalen Parlamente zurückkehren wollten. „Sie finden die Arbeit als Abgeordnete im EU-Parlament viel spannender, weil sie dort oft viel mehr zusagen haben. In ihrem Land gehören sie entweder der Regierungsmehrheit an und müssen die Meinung der Regierung stützen, oder sie gehören der Opposition an und müssen die Regierung kritisieren. Im Europaparlament gibt es keine fixen Mehrheiten. Jedes Gesetz muss immer wieder aufs Neue eine Mehrheit finden und jeder Abgeordnete kann durch geschickte Verhandlungen in den Ausschüssen Teil dieser Mehrheit sein, egal welcher Fraktion er angehört. Mal stimmt man in der eigenen Position mit den Konservativen in einem Land überein, mal mit den Grünen aus einem anderen Land. Das hängt vom Thema ab.“

Dann spricht er von einem Vorschlag seiner Fraktion. „Die Europawahlen haben ein Problem: Sie sind nicht dramatisch.“ Das halte zum einen prominente Politiker davon ab, sich in Europa zu engagieren. Gleichzeitig seien sie für die Wähler nicht spannend. Deshalb, so Cohn-Bendit, sollten die Spitzenkandidaten der Fraktionen in allen europäischen Ländern Wahlkampf machen müssen. „Wir müssen lernen, europäische Debatten mit unterschiedlichen Abgeordneten in unterschiedlichen Ländern zu führen“, sagt Cohn-Bendit. „Das würde die Europapolitik dramatischer gestalten.“

Weil Dany Cohn-Bendit gewohnt ist, für seine Antworten weit auszuholen und diese mit vielen Beispielen zu unterfüttern, sind die ersten zwanzig Minuten bald um und die ZuhörerInnen haben das Wort.

„Zurück auf Los“ will die erste Fragende. „Dany, was heißt für dich Europa ganz grundsätzlich?“

„Europa ist eine Antwort, die die Politik in den letzten 50 Jahren auf die beiden europäischen Katastrophen Krieg und Totalitarismus gefunden hat“, antwortet Cohn-Bendit. “Der erste Traum, der daraus entstand, ist der Traum vom Frieden. Der zweite Traum ist der Traum der Demokratie. Die dritte Ebene, die der Traum von Europa beinhaltet, ist noch nicht gelöst: Europa als sozialer und ökologischer Raum. Zum Schluss gibt es noch einen Traum, der noch völlig offen ist und den man noch diskutieren muss. Das ist die Frage, ob Europa nur bis zum Bosporus reicht.“

Ein weiterer Frager ist mit dieser Antwort nicht zufrieden und will wissen, wo in dieser Aufzählung denn die Wirtschaft bleibt?

Der europäische Traum habe sich über den Umweg der Wirtschaft verwirklicht, gibt Cohn-Bendit zu. Jetzt, in der Wirtschaftskrise, sei aber das Problem, dass die meisten Regierungen und Parteien die Möglichkeiten, die Europa bieten könnte, nicht nutzen. „Das geht aber nur mit europäischer Politik und nicht mit einseitigem, nationalem Handeln“, sagt Cohn-Bendit. „Wenn es keine europäische Entwicklung gibt, wird sich auch die deutsche Wirtschaft nicht so schnell erholen.“

Dann wieder eine Frage aus dem Publikum: Wie lange wird es dauern, bis ein Franzose oder Spanier, wenn er in New York gefragt wird, woher er kommt, sagt: „Ich bin Europäer, geboren in Paris oder Madrid“.

Cohn-Bendit entwirft eine Zukunftsvision: „Eines Tages werden nicht mehr Frankreich oder England im Sicherheitsrat vertreten sein, sondern Europa, und dann wird man sagen: Ich bin Europäer.“

„Wie kann man Europa sozialer machen?“ will ein weiterer Zuhörer wissen.

Cohn-Bendit bleibt die Antwort schuldig. Es wird deutlich: Erst ist kein Mann für Details. Stattdessen will er lieber über große Ideen sprechen. Zum Beispiel über den Vertrag von Lissabon, der erst in Kraft treten kann, wenn alle Länder zugestimmt haben. „Der Vertrag von Lissabon wird uns mehr Handlunsgmöglichkeiten geben, aber das genügt nicht“, sagt Cohn-Bendit. „zukünftige Erweiterungsdebatten werden wir langfristig nicht ohne eine Debatte um eine Europäische Verfassung führen können.“ Dann will er Verständnis wecken, dass dieser Prozess dauert.

„Immer wenn wir Schwierigkeiten haben, müssen wir uns daran erinnern, woher wir kommen und was sich seitdem verändert hat“, sagt Cohn-Bendit. „Was sind 50 Jahre? Die europäische Konstruktion ist auf Geschichte ausgelegt und nicht auf Unmittelbarkeit.“

„Welche Rolle soll Europa in der Welt spielen“, fragt eine weitere Zuhörerin.

„Was an den Grenzen von Europa passiert, ist eine Katastrophe“, antwortet Cohn-Bendit. „Die Festung Europa wird nicht funktionieren. Europa ist ein Haus, aber man hat beim Bauen die Türen vergessen und deshalb kommen die Menschen zum Fenster rein. Hätte man eine Tür, könnte man entscheiden, ob man sie zu oder auf macht. Ohne eine Tür wird Europa scheitern. Aber für eine andere Grenzpolitik müssen sich erst die Mehrheiten ändern.“
Dann ist Barbara Oertel mit Fragen zur EU-Osterweiterung dran.

„Bulgarien und Rumänien sind 2007 der EU beigetreten“, sagt sie. „Nun gibt es Sanktionen gegen Bulgarien, weil es EU-Gelder aus Vorbeitrittsprogrammen veruntreut hat. War dieser Beitritt vielleicht zu früh?“

„Wir mussten uns dem stellen“, verteidigt Cohn-Bendit den Beitritt. „Wir haben eine Verantwortung für diesen Kontinent. Die Frage ist, ob unsere Verfasstheit weit genug ist für diese Erweiterung.“

„Wie steht es mit neuen Erweiterungsanwärtern, wie Mazedonien. Was soll man diesen Staaten sagen?“, fragt Barbara Oertel.

Neue Staaten aufzunehmen, sieht Cohn-Bendit kritisch. „In Zeiten der Krise orientieren sich die Staaten mehr an sich selbst. Man kann nicht Europa gegen die Menschen machen.“ Gleichzeitig plädiert er dafür, die Anwärterstaaten nicht zu verprellen. „Diese Staaten werden nur zu etwas finden, wenn man ihnen eine europäische Perspektive gibt.“ Er nennt Serbien und Bosnien als Beispiele: „Europa ist aus der Perspektive dieser Länder eine Erfolgsstory und diese Länder müssen das Recht haben an dieser Erfolgsstory teilzuhaben.“

Dann kritisiert Oertel, dass die Europäische Union keine Strategie für die ehemaligen Staaten der SU, wie die Ukraine oder Moldawien, habe.

„Stimmt“, sagt Cohn-Bendit. „Es gibt die Strategie nicht, aber so einfach ist sie auch nicht zu entwickeln.“ Für die Ukraine bedeutet die Entscheidung für Europa eine Spaltung des Landes. Ein Teil der Ukraine will eine engere Verbindung zu Russland. Diese Frage kann nur in der ukrainischen Gesellschaft gelöst werden. Wenn sich diese Dinge in den Ländern geklärt haben, kann man eine europäische Perspektive bedenken.“ Man dürfe in der europäischen Nachbarschaftspolitik keine zu großen Sprünge machen, führt er aus. Wenn man zu voreilig entscheide, habe man Russland plötzlich mitten in Europa.

Dafür hat auch Barbara Oertel keine Strategie. Mit Kritik an Europa ist Cohn-Bendit nicht leicht beizukommen. Sie versucht es trotzdem noch mal und fragt nach der Arroganz, die die alten EU-Länder den neuen EU-Ländern, wie zum Beispiel Polen, oft entgegen brächten.

„Daran ist die alte rot-grüne Regierung schuld“, sagt Cohn-Bendit. „Welcher Wahnsinnige ist auf die Idee gekommen, einseitig mit den Russen über eine Pipeline zu verhandeln, während die Polen neu in der EU sitzen? Und wenn die Polen dann hören, dass derjenige der das verhandelt hat, im Aufsichtsrat von Gasprom sitzt, dann denken die sich: Da läuft was schief und da kann ich nur zustimmen.“

Dann ist wieder das Publikum dran, doch die Fragen der gut informierten ZuhörerInnen zur EU-Osterweiterung sind begrenzt. Stattdessen interessieren sie sich für die mangelnde demokratische Legitimation des Europäischen Parlaments und die NATO-Präsenz in Georgien. Doch Fragen, die dazu geeignet wären, das cohn-benditsche Ideal von Europa in Frage zu stellen, beantwortet er unwirsch und als wäre die Frage eine Antwort eigentlich nicht wert.

Erst bei der Abschlussfrage nach seiner europäischen Vision blüht er wieder auf: „Ich sehe Europa als Garant und Hebel einer sozialökologischen Transformation und ich wünsche mir ein Europa, das als ein in sich konsistenter Partner die Welthandelsorganisation und die UNO reformieren kann. Die bipolare Welt ist mit der Abwahl von Busch gescheitert. Jetzt geht es darum eine multipolare Welt zu gestalten und dazu braucht man ein starkes handlungsfähiges Europa. Die Nationalstaaten werden da nichts ausrichten können.“

Keine Widerrede.

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