vonBlogwart 18.04.2009

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Samstag, 9:00 Uhr: Harte Anfangszeit für vielleicht das kontroverse Thema der vergangenen Monate, dazu nahost-untypischer Nieselregen über den Anfahrtswegen. Macht aber nichts! Das Auditorium ist gut gefüllt. Und vielleicht führte ja gerade der gefühlte Halbschlaf eines Teils des Publikums dazu, dass die durchweg schon hellwachen Refernten sich eine überaus muntere Rede – nun ja: „Schlacht“ lieferten?

Auf dem Podium mit dem Titel „Nach dem Gazakrieg“ moderieren taz-Israel-Korrespondentin Susanne Knaul und taz-Kulturedakteur Ulrich Gutmair, als Diskutanten sind da: fünf deutsche und israelische Jüdinnen und Juden – diese Zusammensetzung der Runde wird schnell zum eigentlichen Thema des Morgens.

Er spüre eine deutliche Verunsicherung der Deutschen, sagt Professor Micha Brumlik. Die Juden sollten wohl die „politische Ausputzarbeit“ leisten, die politische Korrektheitsschiene liefern, an der entlang die Deutschen risikolos zu der ihnen so teuren Israel-Kritik rutschen könnten.

Wie verquer nämlich die Wahrnehmung des israelisch-palästinensischen Konflikts tatsächlich ist, macht das „Impulsreferat“ von Gutmair deutlich. Mit nüchternem Zahlenmaterial legt er dar, dass ein vergleichsweise kleiner Krieg eine völlig unverhältnismäßige Aufmerksamkeit in den deutschen Medien erfahre – ganz im Gegensatz etwa zum Bürgerkrieg in Sri Lanka.

Angesichts dieser Verzerrung wundert man sich nicht, dass nach Umfragen 68,3 Prozent der deutschen Bevölkerung der Meinung sind, Israel führe einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser. „Vernichtungskrieg“ – ein historisch sehr scharf definierter Begriff für die Kriegsführung der Nazi-Wehrmacht in Osteuropa während des Zweiten Welkrieges.

Brumlik sieht hier das „Entlastungsbedürfnis“ der älteren Generation in Deutschland am Werk, die es schwer ertragen könne, dass in ihrem Land ein singuläres Menschheitsverbrechen stattgefunden habe. Ganz unverständlich sei das nicht, meint der in Berlin lebende Regisseur Dror Zahavi. Es  sei ja gut, dass die Menschheit eine Katastrophe habe, auf die sie immer wieder hinweisen könne.

Zahavi nimmt für sich in Anspruch, als Künstler für die Unterhaltung zuständig zu sein. Er bekennt sich zu seiner Liebe zum Staat Israel, in dessen Armee er gedient habe und weiterhin diene – auch wenn das Drama sei, dass diese Armee seit 1967 keine Verteidigungs-, sondern eine Besatzungsarmee sei, die Polizeifunktionen ausübe.

Der zentrale Konflikt entwickelt sich schließlich zwischen Eldad Beck, Europakorrespondent der israelischen Tageszeitung „Yedioth Ahronot“,  auf der einen und Iris Hefets und Tsafrir Cohen auf der anderen Seite. Für Beck sind die im Ausland lebenden israelischen Dissidenten eine kleine, marginalisierte Minderheit, die ein völlig falsches Bild von der israelischen Realität vermittelten.

Es gebe nicht nur Linke auf der Welt (bei einer Veranstaltung  am Sabbat bekomme man aber eben keine anderenJuden aufs Podium) , aus Israel müsse niemand flüchten. Man könne Israel kritisieren, wenn man sein Existenzrecht anerkenne, keine doppelten Standards anlege (im Vergleich mit anderen demokratischen Staaten) und ohne Symbole des traditionellen Antisemitsismus auskomme. In London oder Berlin sei die Verzweiflung über Israel freilich bequem zu haben.

Hefets, Mitglied der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden“, und Autorin der taz, ist zwar auch der Meinung, dass die Diskussion durch die Zusammensetzung des Podiums „verkoschert“ werden solle; eine vom Zentralrat der Juden unabhängige Stimme, die sich kritisch mit der israelischen Politik auseinandersetze sei aber nötig. Das trage auch zu einem entkrampften Verhältnis in Deutschland zum Thema Kritik an Israel bei. Sie verteidigt Boykottaufrufe gegen Israel, Antsisemitismus mag sie da nicht entdecken, ein Boykott stehe in der Tradition der Menschenrechtsbewegung.

Hier widerspricht Beck scharf. Israel sei eine Demokratie, kein Apartheid-Staat. Die Minderheit versuche die Europäer auf ihre Seite zu ziehen. Daniel Cohn-Bendits Einwurf aus dem nun hellwachen Publikum, die Minderheit könne ja auch recht haben, beantwortet Beck mit dem schönen Satz: „Es mir egal, ob Sie sich über mich ärgen, ich kenne sie schon.“

Gut, wenn das alle von sich sagen könnten und man in Zukunft tatsächlich mehr über die Realität in Nahost als über Projektionen reden könnte. Die Veranstaltung ist da sehr hilfreich. Und vorbei. Nun zum nächsten Termin.

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