vonlottmann 11.02.2009

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Seit einer Woche ist übrigens wieder Berlinale in Deutschland. Die Menschen haben das Feiern diesmal sein gelassen, da es in den Zeiten der Finanzkrise als obszön gilt. Wer Geld vom Staat bekommt, soll es nicht für sinnlose Partys ausgeben: diese neue Verhaltensregel aus den Vorständen der DAX-Konzerne wurde von den Berlinalemachern übernommen.
Gut so! Diese Filmpeople-Feste waren doch immer schon extrem gruselig gewesen. Auch den VIP-Shuttle gibt es nicht mehr, und das künstliche Gekreische vor dem roten Teppich. Noch letztes Jahr hatten ein Dutzend bezahlte ‘Fan’-Darsteller so getan, als seien die üblichen Verdächtigen (Mario Adorf, Senta Berger, Claude Chabrol und Iris Berben) richtige ‘Stars’, und ihre vielen ‘Fans’ verlören buchstäblich den Verstand bei ihrem Anblick. Junge Mädchen bekamen multiple Orgasmen, wenn sie Armin Müller-Stahl sahen (gegen 80 Euro am Tag). Heute dagegen: stummes Geschlurfe Richtung Eingangstür. Das zum ‘Arbeitsfestival’ umdeklarierte Event gibt sich nicht mehr die Mühe, die Leute zu belügen.
Ja, gefeiert wird nun aber trotzdem, nur anders. Nämlich so wie vorher schon im armen Berlin, also im ‘103’ oder im ‘Cookies’, und in der alten Biermannwohnung in der Chausseestraße. Da stehen die abgemagerten Slacker herum und warten auf einen Angestellten des ZDF, der mit ihnen über Das Kleine Fernsehspiel redet. Außer Klaus Wowereit gesellt sich kein Prominenter mehr dazu. Aber Wowi ersetzt locker alle Veronica Ferres’ und Sky Dumonts früherer Berlinalen. Mußte man für Mario Adorf noch 2.500 Euro auf den Tisch legen, damit er den Prominenten spielte, macht es Wowi umsonst. Vor allem interessiert der sich sogar für Filme. Die Jugend dankt es ihm mit treuherzigen Auskünften und vielen kleinen Ideen, die nichts kosten.
Natürlich gibt es immer noch zahllose Empfänge jeden Tag. Das sind Partys, die nur nicht so heißen. Man sieht hier Leute, die man eher auf Kirchentagen oder in Jugendhäusern erwartet hätte. Oder im öffentlich-rechtlichen Kulturleben Österreichs. Wenn der ORF zur großen Sause mit Weltniveau bittet, oder Landesbischof Huber die Jugend Europas in der Uckermark versammelt, dann ist die Euphorie und die ärmliche Kleidung ganz ähnlich. Woraus man als guter Soziologe schließen kann: die staatlich subventionierte deutsche Filmszene ist heute genau das, was vor 30 Jahren Katholikentag und Pfadfinderlager waren: künstlich geschaffene Sammelbecken für Zukurzgekommene.
Passend zur Lage hat es auch wieder geschneit. Seit Ende letzten Jahres liegt die Stadt nun unter der Kälteglocke. Wütende Anwohner demolieren schon mal neue Hybridautos, die mit ihrem viel zu geringen CO2-Ausstoß zum Ende der globalen Erwärmung beigetragen haben…

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