In der Woche vor Karneval ging die Verhandlung gegen Faruk E. weiter. Die Verteidiger hatten vorher mehrfach bekundet, dass sie die Rechte der Verteidigung beschnitten sähen, wenn die Beweisaufnahme jetzt endgültig geschlossen würde, und beantragt, mehrere Zeugen in der Türkei kommissarisch oder per Videovernehmung vernehmen zu lassen oder deren Aussagen per Urkundenbeweis in den Prozess einzuführen. Sie wollen damit zweierlei nachweisen: 1. dass Faruk sich in der fraglichen Zeit, im Jahr 1993, in der Türkei aufgehalten habe und nicht, wie die Anklage behauptet, in Deutschland, und 2., dass der “Kronzeuge” Semih G gelogen habe, sowohl hinsichtlich der Frage, ob er Folter erlitten habe, wie auch hinsichtlich seiner Beschuldigung gegen Faruk. Der Senat versprach sich davon keinen neuen Erkenntnisgewinn, u.a., weil diese Zeugen der Organisation von Faruk angehören würden und eine Zeugin sogar von dieser Organisation im Gefängnis unterstützt werde. Als ich nachher die Ausführungen des Rechtsanwalts Dr. Martin Rademacher aus Düsseldorf und des Referendars Stefan Sell zum Thema “Auslandszeuge” las, stieß ich auf folgende Passage :
“Für die Verteidigung kann es schwieriger sein die Vernehmung überhaupt durchzusetzen, denn das Gericht hat für Auslandszeugen erleichterte Ablehnungsmöglichkeiten. So ermöglicht § 244 Abs. 5 S. 2 StPO dem Gericht eine Durchbrechung des Beweisantizipationsverbotes, indem es noch vor der Prüfung der Erreichbarkeit des Zeugen feststellen kann, ob die richterliche Aufklärungspflicht überhaupt eine Vernehmung des sich im Ausland befindenden Zeugen gebietet (vgl. GLEß, JR 2002, 97, 98 m.w.N.). Das Gericht darf seine Entscheidung über den Beweisantrag – anders als beim Inlandszeugen – davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu würdigen wären.
Trotzdem ist für das Gericht die Ablehnung eines solchen Beweisantrages manchmal heikel, eben weil diese an die Grenze der erforderlichen Amtsaufklärungspflicht führt. Man könnte sogar meinen, Auslandszeugen begründen in besonderem Maße die gelegentlich beschriebene „Angst des Tatrichters vor dem Beweisantrag“ (BASDORF StV 1995, 310, 311), zumindest jedoch ein Unwohlsein.
Für die Verteidigung wiederum ist die Bescheidung des Beweisantrages durch das Gericht bei einem Auslandszeugen ein hervorragendes Mittel für die frühe Diagnose, wie das Gericht die bisherige Beweissituation einschätzt. Aufgrund der „konkreten“ Begründungspflicht des Gerichts (BGH NStZ 1998, 158 unter Hinweis auf BGHSt. 40, 60, 63) bei der Zurückweisung eines Beweisantrages auf Vernehmung eines Auslandszeugen, kann der Verteidiger mit gezielten Beweisanträgen ermitteln, von welcher Tatsachengrundlage das Gericht bisher ausgeht.”
(Fundstelle: Dr. Martin Rademacher, Sell, Stefan: “Der Auslandszeuge im Strafprozess” , o.O, o. Jahr, S. 1f http://www.rademacher-rechtsanwalt.de/pdf/ZAP-Der_Auslandszeuge.pdf )
Die Verteidigung bemängelte fehlende Konfrontationsmöglichkeit des Angeklagten mit dem Kronzeugen. Faruk E war in deutscher Haft, als 2010 die kommissarische Vernehmungen in der Türkei stattfanden, und Semih G. habe es abgelehnt, den schriftlichen Fragenkatalog des Angeklagten zu beantworten. Faruk hatte jetzt einen erweiterten, 100 Fragen umfassenden Katalog geschrieben, den er dem Kronzeugen nun vorlegen lassen wollte.
Der Senat lehnte auch diesen Antrag ab. Auch der Antrag auf Vernehmung eines ehemaligen Oberstaatsanwalts am Staatssicherheitsgericht Istanbul wurde abgelehnt. Begründung: die Staatsicherheitsgerichte seien längst aufgelöst. Nun ja, die Staatssicherheitsgerichte sind aufgelöst worden und durch Staatsschutzsenate in den normalen Gerichten ersetzt worden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die neuen Senate mit dem Personal dieser Sondergerichte besetzt wurden. Es wäre also durchaus möglich, den Mann aufzufinden und zu laden.
Eine Videovernehmung des Kronzeugen G. wurde abgelehnt, da die türkischen Gerichte noch nicht über das entsprechende Equipment verfügten.
Der Zeuge Ahmet Düzgün Y., Rechtsanwalt, wurde allerdings geladen und kam auch. er ist in Stuttgart verurteilt worden, sein Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Aber augenscheinlich befindet er sich derzeit auf freiem Fuß.