Uff, das war knapp. So dachten wohl die Einwohner des Saarlandes mit weichen Knien dieser Tage in der Gewissheit, nur ganz knapp einer Katastrophe entkommen zu sein. Denn – halten Sie sich fest! – mitten in Bexbach wurde … eine Spinne gesichtet. Und zwar, um der dramatischen Situation Genüge zu tun, eine große Spinne. Nicht nur Bexbach, die ganze Nation war in Aufruhr. Googeln Sie mal den String „+Bananespinne +Bexbach“ und staunen Sie: Geschlagene etwa 8.000 Artikel und Meldungen war dieser ungeheuerliche Umstand den deutschsprachigen Online-Medien wert. Was war geschehen? Die Saarbrücker Zeitung berichtet vor Ort über die Katastrophe: „Die 80-jährige Ruth Kraus aus Bexbach musste ihren gewohnten Einkauf im real-Markt wegen einer Bananenspinne unterbrechen. Das Tier war dem Obstverkäufer aus einer frischen Kiste rausgekrabbelt und unter den Regalen verschwunden, und weil der junge Mann wusste, dass es eine gefährliche Giftspinne war, ließ er den Markt räumen. Ruth Kraus ging zu Kasse, bezahlte und ließ sich von den Angestellten ein Taxi rufen, um mit den Einkäufen wieder nach Hause zu kommen.“ Wie wir später erfahren, wusste der Mann allerdings keineswegs, dass es sich um eine Bananenspinne handelte, er hat sich dieses Wissen nach dem Vorfall aus dem Internet gegoogelt und anschließend sämtliche Notrufe verständigt. Es handelte sich bei der „frischen Kiste“ um eine Bananenlieferung aus Kolumbien, bei der Spinne angeblich um ein haariges Exemplar von 13 Zentimeter Länge.
Damit war der Fall klar: eine Bananenspinne! Denn um welches Tier sollte es sich sonst gehandelt haben, wo es doch in einer Bananenkiste gesessen hatte? Auch Größe und Verhalten passen spinnenhaargenau: 13 Zentimeter, der Obstverkäufer wird es sicher schnell mit seinem mobilen Maßband am Multifunktionstool, das er zum Glück für solche Fälle immer in der Tasche hat, vermessen haben, als das Tier ihm entgegensprang, sowie das für Phoneutria notorische Flüchten unter Regale. Viele Experten sprechen von ihr ja auch als „Regalspinne“.
Die Lage in Bexbach spitzte sich derweil zu: „Zu diesem Zeitpunkt standen zwei Rettungswagen, vier Feuerwehrfahrzeuge, zwei Streifenwagen der Polizei, ein Fahrzeug der Ortspolizeibehörde und Journalisten vor dem Markt.“ 30 Mann durchsuchten schließlich den 5.000 Quadratmeter großen Supermarkt und räumten sämtliche Regale aus, doch – Überraschung! – wurden nicht fündig. Es folgten eine Kammerjägerfirma und die komplette Ausgasung des Supermarktes. Einzig: Die Spinne blieb unauffindbar.
Nun ist es so: Zwar sind Bananenspinnen durchaus gefährlich und gelten auch als aggressiv. Was aber bei Spinnen nur heißt: Im Kollisionsfall beißen sie eben zu, und das zudem meist erst nach einer recht eindrucksvollen und unmissverständlichen Abwehrpose. Natürlich sind Unfallszenarien auch in einem Supermarkt denkbar. Allerdings dürfte der Weg zum und vom „Real“ das erheblich höhere Risiko bergen, man kennt das ja: Autounfälle, Stürze, Meteoriteneinschläge. Viele hundert Millionen Brasilianer und Argentinier dürften sich jedenfalls etwas wundern, denn in diesen beiden Ländern sind Phoneutria weit verbreitet, übrigens durchaus häufig auch im Großraum Rio de Janeiro/Sao Paulo. Trotzdem gehen die Menschen dort todesmutig in jeden Supermarkt.
In den zahllosen Artikeln über die Bexbacher Killerspinne wurde man nicht müde, darauf zu verweisen, dass die Tiere einen erwachsenen Menschen zu töten in der Lage seien. Das stimmt zwar, allerdings dürfte bei dieser Information nicht ganz uninteressant sein, dass dieser Fall in Brasilien seit 1926 genau acht Mal eingetroffen ist (Mebs 2000). Und das bezieht sich zudem auf die mit Abstand gefährlichste Art der Gattung, nämlich Phoneutria nigriventer. Die aber kommt in Kolumbien überhaupt nicht vor.
Abgesehen davon: Ob es sich bei dem Tier tatsächlich um eine Bananenspinne gehandelt hat, dürfte auch völlig offen sein. Es ist allgemein bekannt, dass Menschen bei Tierschätzungen, besonders bei als gefährlich angenommenen Exemplaren, zu hemmungslosen Übertreibungen neigen; es könnte unterm Strich also praktisch jede etwas größere Spinne gewesen sein, wahrscheinlich kommen hunderte Arten in Frage.
Wie dem auch sei, das Resultat der Aktion: vier Werktage lang war der Supermarkt geschlossen, sämtliche offenen Lebensmittel wurden entsorgt, ein immenser Sachschaden entstand, und Frau Kraus musste ihren Einkauf abbrechen.
Die Spinne wurde „für tot erklärt“ („Welt“). Allerdings: Der „Kadaver“ („Bild“) konnte nirgends gefunden werden. Denkbar sei natürlich, so ein Sprecher vor Ort, dass das Tier aus dem Supermarkt geflohen ist und nun also, einfach so, frei in Bexbach herumläuft. Eine Gefahr für den ganzen Ort? Die Saarbrücker Zeitung: „Falls die Spinne den Markt vielleicht doch schon verlassen haben sollte, dürfte sie kaum Überlebenschancen haben. Die kühlen Nachttemperaturen würden ihr den Garaus machen, sagte ein Zoologe zur Polizei.“ Nun war allerdings gerade Juli. Und da, das sei hier versichert, machen die Nachttemperaturen den Spinnen gar nichts. Abgesehen davon, dass sie es aus ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewöhnt sind, sich bei kühleren Temperaturen in menschliche Behausungen zurückzuziehen. Ein Sprecher von Real hatte zu Beginn der Spinnenkrise noch gesagt: „Bevor es keine 100-prozentige Sicherheit gibt“, gebe man nicht auf, man werde „alle Register ziehen“.
Ich würde vorschlagen, Bexbach zu bombardieren. Ach was, besser noch: das gesamte Saarland.