Donnerstag, Christi Himmelfahrt. Einer der wenigen christlichen Feiertage, die auch in Berlin offiziell gelten. Also ein freier Tag. Das Wetter ist supergut. Sonne und nirgendwo Wolken. Perfekt zum Grillen im Park.
Stattdessen sitzen ein paar Hundert Leute beim Kongress „Marx Is Muss 2011“ im Stadtteilzentrum Alte Feuerwache am Rand von Kreuzberg. Ich auch. Ich vertrete meinen Blogger-Freund von der taz, der noch auf dem evangelischen Kirchentag in Dresden ist. Das Kongress-Motto lautet dieses Jahr „Ideen um die Welt zu verändern“, und es geht los mit Workshops. Ich entscheide mich für die Veranstaltung „Kapitalismus und zwischenmenschliche Beziehungen“. Denn hier müsste Veränderbarkeit doch klar und greifbar sein. Aber es geht gar nicht um zwischenmenschliche Beziehungen, es geht um die Befreiung der Frau.
Im Stil eines Uniseminars referieren Veronika und Oskar, was die Kommunistin Alexandra Kollontai, die am Samstag nochmal Gegenstand eines Vortrags sein wird, vor rund 100 Jahren über die Neue Frau geschrieben hat. Sie ist berufstätig, sie entdeckt ihre Persönlichkeit, sie löst damit das Problem der Eifersucht, und sie hat endlich Zeit für echte Liebe. Ich höre das nicht gern. Auch nicht, dass das Mann-Frau-Ding sowieso erst dann frei und gleichwertig sein wird, wenn der Kapitalismus mit seiner Konkurrenz, seinem Egoismus und seinem Besitzdenken überwunden ist.
Wie um das Referierte als einen Fakt zu demonstrieren, spricht der Referent mehr als doppelt so lange wie die Referentin, und das Publikum besteht zu neun Zehnteln aus Frauen, während die Männer offenkundig in den Parallelveranstaltungen sitzen, wo es um so harte Themen wie Staat, Krise, Klassenkampf geht und man nicht selbst als der Befreiungsbedürftige dastehen muss. Merke: Der Weg zur Freiheit ist nie gerade, und ohne Strategie wird es ziemlich schwierig.