Ausgerechnet am Ende der Amtszeit von Michelle Bachelet, deren Regierung den wirtschaftlichen Aufschwung der vergangenen Jahrzehnte sozial unterfüttern sollte, könnte nun ein sprunghafter Anstieg der Armut im Land stehen. Das hat freilich mit den Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise gar nichts zu tun – es ist ein statistisches Phänomen. Bloß dass eingängige Zahlen gerne an Regierungsbilanzen kleben bleiben.
Wer in Chile arm ist und wer nicht, entscheidet die Armutsgrenze. Sie beläuft sich derzeit auf 47.099 Pesos (rund 60 Euro) pro Monat und Kopf. Dem Betrag liegt ein Warenkorb zur Befriedigung der Grundbedürfnisse zugrunde, dessen Zusammensetzung seit zwanzig Jahren nicht mehr verändert worden ist. Weil sich die Bedürfnisse der Menschen sehr wohl mit der Zeit verändern, will das Sozialministerium Mideplan in diesem Jahr eine seit langem angekündigte Anpassung vornehmen. Die aber wird, soviel hat das Ministerium schon durchblicken lassen, die Armutsgrenze deutlich nach oben verschieben.
Damit verschiebt sich auch die Zahl der Armen nach oben, und zwar sprunghaft. Laut Tercera gehen Beteiligte von einer „neuen“ Armutsquote zwischen 20 bis 30 Prozent aus – bei der letzten Erhebung im Jahr 2007 lag sie bei 13 Prozent. Diese Zahl ist einer der größten Erfolge der Concertación, die 1990 das Land von Pinochet mit knapp vierzig Prozent armer Bevölkerung übernahm. Die Neuberechnung wäre also ein herber Rückschlag, auch wenn sie erst Anfang kommenden Jahres veröffentlicht wird und somit keinen direkten Einfluss auf die Präsidentschaftswahl im Dezember nehmen dürfte. Im Mideplan verlässt man sich außerdem darauf, dass die Cepal, die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika, bis dahin ihre eigene Neuberechnung der Armutsgrenze für die gesamte Region vorgelegt hat – und dass Chile in diesem Kontext wieder besser dasteht.
* ärmstes Fünftel der Bevölkerung
** soziales Risiko
*** ökonomisch verwundbare Siedlungen