vonDilek Zaptcioglu 14.03.2009

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Die Zeitschrift der Türkischen Wissenschaftsinstitution, einer staatlichen Vereinigung mit dem Kürzel Tübitak, hat eine Chefredakteurin. Sie heisst Dr. Çigdem Atakuman. Diese entscheidet, zum Darwin-Jahr eine Titelgeschichte zu produzieren. 15 Seiten im März-Heft und der bärtige, gar nicht so unumstrittene Mann auf dem Cover. Der letzte Stand der Evolutionstheorie, verständlich nacherzählt.

Der Tübitak ist dem Ministerpräsidenten unterstellt und hat einen stellvertretenden Chef, der von der regierenden konservativ-islamischen Partei AKP ernannt wurde. Er sieht das gedruckte Heft und – läßt es nicht zu, daß der Darwin vom Cover monalisamäßig lächelt. Prompt wird die Ausgabe zurückgerufen, das Coverthema geändert – nunmehr die globale Erderwärmung – und die 15 Seiten Darwin im Heft fliegen ebenfalls heraus. Die Chefredakteurin wird entlassen bzw. versetzt.

Nachdem das vor zwei Tagen publik wird, kommt von Seiten der Leitung sofort ein Dementi: Nein, Darwin wurde nicht zensiert. Die Chefredakteurin hat nur ihre Befugnisse überschritten und obwohl vorher schon das Klimawandel-Thema festgelegt worden war, hat sie in letzter Minute das Titelthema ausgetauscht und als man merkte, daß die Titelgeschichte von einem unbefugten minderwertigen Akademiker verfaßt und des Blattes nicht würdig ist, wurde das Heft eingestampft und ein neues frisches produziert. Man werde irgendwann unbedingt ein Darwin-Heft machen.

Die Chefredakteurin der Tübitak-Zeitschrift „Bilim ve Teknik“

Heute dementiert die entlassene Chefredakteurin diese Erklärung der Tübitak-Leitung. Sie sagt, daß sie explizit wegen ihres Titelthemas gerügt wurde: „Angesichts der sensiblen Athmosphäre im Land so eine Titelgeschichte…“. Außerdem wäre vorher kein anderes Thema festgelegt worden, weil der Redaktionsrat durch unbestätigte Ernennungen ohnehin nicht tagte. Das Titelthema wählte sie aus. Und hat ihre Befugnisse eingesetzt und nicht überschritten, sagt sie.

Die ganze Geschichte ist symptomtisch für eine Entwicklung, die falscher nicht sein kann: Eine Gesellschaft durch allerlei offene und verdeckte Maßnahmen so umzuformen zu versuchen, ist nicht nur falsch, sondern auch unmöglich. Wir leben im 21. Jahrhundert und mit dem Anspruch, der EU beizutreten. Dieser Beitritt hat nichts mit Religion oder Gefühlen zu tun, sondern zum Beispiel mit der wachsenden Zahl von Arbeitslosen oder mit politischer Zusammenarbeit – sofern sie noch möglich ist.

Jeder muß selbst entscheiden können und dürfen, woran er glaubt und wie er lebt. Möglicherweise irrte sich Darwin. Seine Theorien vom Survival of the Fittest und deren Niederschlag in der Sozialheorie sind mir auch nicht besonders sympathisch – dennoch. Was falsch ist, das Rad der Geschichte zurückzudrehen versuchen. Aus den Köpfen die Aufklärung und Moderne raus, den Glauben rein – das hat nie funktioniert und wird auch heute und hier, zumal vor der Nase Europas, niemals gehen. Außerdem entkräftet dieser Kampf das Land in einer Zeit, in der es seine Kräfte am meisten braucht. Und zeigt, daß man zu wenig Vertrauen in diese Gesellschaft hat – genauso wie die „Betonkemalisten“, die ihre Art der Social Engineering versucht hatten. Von einem Drill zum nächsten?

Ein naturwissenschaftlich-technischer Verein muß natürlich im Darwinjahr von der Evolution erzählen.

Und die Religion muß natürlich die Freiheit haben, für ihre Sicht der Dinge zu werben.

Ein Ungleichgewicht entsteht, wenn der Erste daran – staatlich! – gehindert wird und der Zweiten – ebenfalls staatlich! – freie Hand gelassen.

Was zwangsverordnet wird, schlägt zurück. Was man muß, haßt man irgendwann. Nur was/wen man freiwillig wählt, liebt man.

Das Leben läßt sich nicht in geometrische Formen und Schablonen einpassen.

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