vonlottmann 23.05.2009

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Es ist natürlich sehr dekadent und niveaulos, über die Unattraktivität bestimmter sozialer Schichten zu reden, was Dr. Reiber, also mein Freund Cornelius, genau wußte. Er hat es dennoch getan, wozu Courage gehörte und wofür ich ihm dankbar bin. Als erstes fiel uns ein junger Mann mit Fahrradhelm auf, das war noch harmlos. Wir saßen einfach im Nola’s und warteten ab, was vorbeilaufen würde. Schon bald kam ein 25jähriger mit Bizeps, Ohrringen und Strampelhosen. Dann eine Gruppe seltsamer Vögel aus England: alle hatten kleine Hütchen auf. Ihre Gesichter waren weißgeschminkt, wie bei Clowns, und so wollten sie wohl auch aussehen. Ihre Kleidungsstücke waren mal viel zu klein, mal zu groß, sodaß manche wie Vogelscheuchen, andere wie zu schnell hochgewachsene Kinder wirkten.
„Ganz schön scheußlich, der Style, nicht wahr?“
„Du sagst es, Reiber!“
„Wie impertinent die Visagen von denen da sind, den Germanen da hinten, guck, mit den roten Haaren und den entblößten Beinen!“
Ja, das sah schon abstoßend aus. Vor allem gingen die ‚Germanen‘ wie auf Stelzen. Die Frauen, die ja auch vorbeikamen, gefielen uns dagegen gut. Aber das ist ja keine Neuigkeit (wohl aber eine Bestätigung unserer Ausgangsthese). Ich fragte Cornelius, wie die neue ZIA-Dependance in New York laufe, und er sagte, gut, wirklich sehr zufriedenstellend und angenehm. Am nächsten Tag wollte er rüberfliegen und die Crew verstärken.
„Vatergefühle sind übrigens etwas durchaus Schönes“, sagte ich und sprach von mir selbst, „aber natürlich machen sie ziemlich stumpf gegenüber dem, wie soll ich sagen, ‚Fluidum des Amourösen‘. Man sieht diesen neuen deutschen Vätern, diesen Häßlichkeitsbolzen in der schlechten Kleidung, an, daß sie nur an ihre Kinder denken.“
„Aber warum nur sehen die Frauen allesamt so gut aus? Es sind doch richtig viele Göttinnen dabei, obwohl die doch genauso die Kinder haben.“
„Sogar mehr als die Väter, Reiberchen.“
„Oh nein. Die neuen deutschen Väter haben die Mutterstelle, die du meinst, längst besetzt.“
Wir guckten weiter auf diese Phalanx der Ekelbolzen. Viel Haut zeigten sie, die Deutschmänner, fahle, bleiche, grobporige Haut, mal behaart, mal mit unsexy Flaum verunziert. Allesamt trugen diese Kerls ungewaschene T-Shirts und stinkende alte Armmeehosen, die sie eigenhändig in Kniehöhe abgeschnitten hatten. Mit einer Schere? Nein, sowas hatten die gar nicht. Mit ihrer Laubsäge, die sie wie alle ihre alten Spielsachen aufbewahrten.
„Hat eigentlich die neue Bettlerplage in Mitte etwas mit den neuen häßlichen Männern zu tun?“ Wollte ich plötzlich wissen. Das wäre fatal gewesen. Gegen Bettler durfte man selbstverständlich nicht spotten, das wäre klassischer Zynismus gewesen.
„Nee, das sind verschiedene Dinge. Zwischen den neuen Vätern und den neuen Bettlern gibt es gar keine Berührungspunkte.“
„Die neuen Väter übernehmen ‚Verantwortung‘ und kennen sich mit Computern aus. Was machen die neuen Bettler?“
„Weiß nicht. Geld verdienen? Kenn‘ keine.“
„Gemeinsam ist ihnen immerhin, daß sie nur in Mitte vorkommen.“
„Wissen wir doch gar nicht.“
„Doch, ich war gerade in der Schweiz. Da gibt es das nicht. Es gibt nur normale mittelalte Väter, und gar keine Bettler.“
„Scheiß Mitte. Ich bin nicht mehr lange da.“
Wir sprachen über ‚Verantwortung übernehmen‘, womit Kinderzeugen gemeint war, und über ‚mit Computer auskennen‘, womit überhaupt nichts gemeint sein konnte. Genauso gut könnte man damit angeben, sich morgens gut die Zähne putzen zu können.
„Wenn sie bloß nicht diesen stierigen Blick hätten!“
„Es gibt aber auch andere. Zum Beispiel den Typ ‚falschverstandener Biller‘. Das sind Leute, die denken, sie könnten, durch bestimmte Äußerlichkeiten so wirken wie Maxim Biller. Das Ergebnis ist aber immer das Gegenteil.“
„Genau! Glatze allein und Biller-Style-Brille reichen natürlich nicht.“
„Überhaupt nicht!“
„Das kannst Du laut sagen, Cornelius Reiber.“
„Ein bißchen was in der Birne sollte schon sein.“
„Wenigstens ein Gedicht von Paul Celan.“
„Mindestens.“

(Morgen mehr!)

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https://blogs.taz.de/die_haesslichen_maenner_von_mitte/

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