vonDetlef Guertler 22.04.2009

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Seit mehr als 60 Jahren gibt es den Begriff der Sozialen Marktwirtschaft: 1947 von Alfred Müller-Armack geprägt, 1949 erstmal in ein politisches Programm aufgenommen (von der CDU), und in Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit zur tragenden Säule erst west- und dann gesamtdeutscher Identität geworden. Aber es gibt diesen Begriff nur als Praxis, nicht als Theorie, und schon gar nicht als Ideologie: Die Lehre der Sozialen Marktwirtschaft kommt ohne Formeln und Diagramme aus, braucht hingegen Gesetze und Institutionen; die Anhänger der Sozialen Marktwirtschaft haben keinen Namen, und wenn sie sich unter einem Banner versammeln wollen, so schauen sie ins Leere.

So viel Gestaltungswille in den Ordnungsrahmen der Wirtschaft investiert wurde, so wenig in den theoretischen Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft. Der Spiegel konstatierte das bereits im November 1961:

„Der ständige Zuwachs von Wohlstand enthob die CDU/CSU der Aufgabe, für die Verteilung des Sozialprodukts auf die Schichten der Gesellschaft eine ideologisch präzis gefaßte Formel zu entwickeln. An deren Stelle rückte die Mischmasch-Ideologie der Sozialen Marktwirtschaft. Hinter dem Begriff verbirgt sich ein Sammelsurium liberalistischer Deklarationen, vermengt mit einem kräftigen Schuß Versorgungsstaat. In der Marktwirtschaft, wie sie sich heute darstellt, hat die Kletterrente ebenso Platz wie die Preisbindung der zweiten Hand, die Agrarsubvention ebenso wie die steuerliche Bestrafung der mitarbeitenden Ehefrau und die Prämie für Zweitkinder.“

Das war in den vergangenen Jahrzehnten lästig: Die Ökonomen taten weltweit so, als gäbe es nur zwei große volkswirtschaftliche Denkschulen, den Keynesianismus und den Monetarismus, sogar im Stammland Deutschland kam die Soziale Marktwirtschaft an den Universitäten kaum vor. Das hinderte Deutschland zwar nicht daran, sich in der hierdurch definierten Wirtschaftsordnung auskömmlich zu bewegen, aber es behinderte massiv die mögliche Verbreitung dieses Konzepts. Hätte es eine offensiv argumentierte Ideologie der Sozialen Marktwirtschaft gegeben, hätte sie vermutlich in den Neunziger Jahren einen Siegeszug durch ganz Osteuropa angetreten, was den Staaten, den Menschen, und am Ende auch den österreichischen Banken wesentlich besser bekommen wäre als jener rabaukige Kapitalismus, den sie sich in den USA abgeschaut und von krausen Ökonomen gelernt haben.

In den vergangenen Monaten wurde jedoch die Lästigkeitsschwelle überschritten. Zum einen, weil in der 2. Weltwirtschaftskrise die bisher vorherrschenden ökonomischen Systeme allesamt in Legitimationsschwierigkeiten kommen und eher hilflos agieren – wie es leider bei ihnen Brauch ist in Zeiten extremer wirtschaftlicher Umbrüche. Was derzeit an Feuerwehrmaßnahmen praktiziert wird, beruft sich zwar auf John Maynard Keynes, tut dem alten Herrn damit aber ein wenig Gewalt an: Die FTD spöttelt bereits über die „Ganzneukeynesianer“.

Zum zweiten, weil erstmals für das System der Sozialen Marktwirtschaft Weltgeltung beansprucht wird. Und zwar von Angela Merkel:

„Der Staat ist der Hüter der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung. Der Wettbewerb braucht Augenmaß und soziale Verantwortung. Das sind die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Sie gelten bei uns, aber das reicht nicht. Diese Prinzipien müssen weltweit beachtet werden. Erst das wird die Welt aus dieser Krise führen. Die Welt ist dabei, diese Lektion zu lernen. Und das ist die Chance, die in dieser Krise steckt, die Chance für internationale Regeln, die sich an den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft orientieren. Ich werde nicht locker lassen, bis wir solche Regeln erreicht haben.“

Und wenn das ernst gemeint ist (und Angela Merkel macht keine Späße), dann wird man ein Wort dafür brauchen. Als Soziale Marktwirtschaft läuft das nicht um die Welt, eben weil das Banner fehlt, eben weil man sich begrifflich damit identifizieren, eben weil man sich von vornherein als Mischmasch-Ideologie zu erkennen gibt. Um im Wettstreit der Wirtschaftssysteme global mithalten zu können, muss das Kind seinen leutheusser-schnarrenbergerischen Doppelnamen ablegen und einen neuen, ganzheitlichen Namen finden.

Ich habe diesen Namen noch nicht, tut mir leid. Obwohl ich seit vielen Jahren das Lied der deutschen Vorbildlichkeit singe (PDF), und seit nicht ganz so vielen Jahren mich an dieser Stelle um den Fortschritt des deutschen Wortschatzes bemühe, ist auch mir diese Leerstelle bislang entgangen. Ich werde unten zwei Vorschläge machen, bitte aber um rege Mitarbeit – ob hier, in anderen Medien oder in den Berliner Spin-Doktoraten. Ich bin sicher, die Mühe lohnt sich: Wenn wir es schaffen, die Soziale Marktwirtschaft auf einen Begriff zu bringen, können wir der ganzen Welt viel Leid und Geld ersparen.

Erster Vorschlag: Ordodoxie. Ordo heißt Ordnung, die deutsche Ordnungspolitik ist das politische Gegenstück zur ökonomischen Praxis der Sozialen Marktwirtschaft, und in Angela Merkels Definition der Sozialen Marktwirtschaft steht die wirtschaftliche und soziale Ordnung an wichtiger Position. Ordodoxie hieße übersetzt Ordnungsgläubigkeit, das versteht die Welt, das nimmt die Welt den Deutschen ab, das entspricht dem Auftreten der Merkels und Steinbrücks auf internationalen Konferenzen. Nachteil: Der Begriff klingt eher negativ und ein wenig dickschädelig, könnte geradezu von den Gegnern der Sozialen Marktwirtschaft verwendet werden. Es kann zwar auch hilfreich sein, vom Gegner auf den Begriff gebracht zu werden, aber der Weg zur Massenbewegung ist damit verbaut. Was allerdings für deutsche Begriffe, an denen die Welt genesen soll, gar keine schlechte Lösung ist.

Zweiter Vorschlag: Ordonomie. Nomos heißt Gesetz. Wenn ich autonom bin, bestimme ich über mich selbst, in der Ordonomie bestimmt eben das Gesetz. Als politische Philosophie wäre das ziemlich doppelt gemoppelt, da nennt sich das Rechtsstaatlichkeit. In der ökonomischen Sphäre hingegen ist der ordonomische Ansatz keine Selbstverständlichkeit, er steht im Widerspruch zum Liberalismus des freien Spiels der Kräfte, in dem allein Angebot und Nachfrage alles regeln. Ordonomie könnte sogar ein schöner Name für eine ökonomische Fachrichtung sein – wie wäre es, wenn das Außenministerium oder eine der üblich verdächtigen Stiftungen weltweit Lehrstühle für Ordonomie finanzieren würden?

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