vonsaveourseeds 07.10.2009

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Ein Gastkommentar von Hannes Lorenzen, Brüssel
„Als der Mensch entdeckte, dass die Kuh Milch gibt, wonach suchte er eigentlich?“
Mit dieser Frage wirbt eine Partnerbörse im Internet.  Wenn sich Menschen auf diese Weise finden können, lohnt es sich vielleicht auch der Frage nachzugehen, was die Kuh mit dem Markt und der Politik verbindet.

Europas Milchbauern wollen, dass die EU-Kommission und ihre Regierungen die Milcherzeugung drosseln. Das ist eine ungewöhnliche Forderung. In Wirtschaftskrisen wird in der Regel mehr Wachstum empfohlen. Die Bauern aber leiden an Milchüberschüssen. Seit Wochen haben sie viele Millionen Liter Milch direkt an Verbraucher verschenkt oder unter Protest auf ihren Feldern versprüht, statt sie bei ihren Molkereien abzuliefern. Sie wollen ihre Milch nicht mehr verkaufen, weil der Erlös nicht einmal ihre Kosten deckt.

„ Mit dem europaweiten Milchlieferstreik wollen wir  die Politik zur Vernunft zu bringen und den Markt entlasten“,  sagt Romuald Schaber, der Vorsitzende des European Milk Board. „Die EU-Kommission muss die Milchquoten kürzen statt sie zu erhöhen, sonst geht die Mehrheit unserer Milcherzeuger kaputt.“

Seit vielen Monaten gibt es nicht nur handfesten Zoff zwischen den Milchbauern, den Molkereien, dem Handel und der EU-Kommission. Über den richtigen Weg aus der Milchkrise sind sich auch der Bund deutscher Milcherzeuger und der Bauernverband uneinig.  Der Bauernverband fordert wie gewöhnlich mehr Subventionen von der EU, um die Überschüsse auf den Weltmarkt zu exportieren. Die Milcherzeuger dagegen wollen, dass die Kommission sie dabei unterstützt, sich gegen den Preisdruck, der von Molkereien und Supermärkten auf sie ausgeübt wird, zur Wehr zu setzen. Vergangene Woche hat sich sogar die deutsche Kanzlerin  mit einem „Milchgipfel“ in die Krise eingeschaltet. Aber ob sie die Kuh vom Eis bringt, darf bezweifelt werden. Die Dreiecksbeziehung zwischen Kuh, Markt und Politik hat nämlich einen Haken: sie hat nie wirklich funktioniert.

Wie aus Milch weißer Rohstoff wurde

Zur Erinnerung: Als der Mensch entdeckte, dass die Kuh Milch gibt, entstand eine Verbindung, die auf Gegenseitigkeit beruhte. Die Kuh verwandelte Gras, das für den Menschen unverdaulich ist, in Milch. Als Gegenleistung schützte der Mensch die Kuh vor wilden Tieren. Sie wurden Partner. Seitdem hat sich einiges geändert.

Für die international aufgestellte Milchindustrie spielt es heute keine Rolle mehr, auf welcher Grundlage die weiße Flüssigkeit entstanden ist. Die Kuh soll regelmäßig  billigen Rohstoff liefern, der sich zu Milcherzeugnissen aller Art verarbeiten lässt. Die meisten Kühe leben deshalb nicht mehr dort, wo Gras wächst, sondern wo konzentriertes Kraftfutter am schnellsten und billigsten hinkommt.

In Europa ist der Rohstoff Milch derzeit besonders billig zu haben, weil die Gemeinsame Agrarpolitik der EU seit vielen Jahren dafür sorgt, dass im Verhältnis zu dem, was Europas Verbraucher an Milchprodukten konsumieren können, immer zu viel Milch erzeugt wird. Das liegt einerseits an 50 Millionen Tonnen Futtermitteln, wie Soja aus Brasilien und Mais aus den USA, die ohne Handelsbeschränkungen in die EU importiert werden. Andererseits werden die Bauern durch gezielte Fördermaßnahmen dazu genötigt, immer mehr Milch aus jeder Kuh herauszuholen. Das Melken erledigen zunehmend Roboter, die Fütterung wird von Computern gesteuert. Die  Milchleistung der Kühe hat sich in den vergangenen 20 Jahren von rund 5000 Litern pro Jahr auf 12 000 Liter mehr als verdoppelt.

Das Leben der Kühe hat sich dadurch genau so beschleunigt wie das unsere. Von den 88 Millionen Rindern, die es in der Europäischen Union gibt, sind 65 % Milchkühe. Mehr als 60 % von ihnen enden vorzeitig als Rindfleisch auf dem Teller, wenn sie „ausgemolken“ sind. Nach drei Kälbern, oft bereits im Alter von sechs Jahren, sind sie zu alt oder zu müde, um weiter Milch zu geben. Noch vor 25 Jahren brachte eine Kuh problemlos sechs Kälber zur Welt und lebte zwölf Jahre. Die Erneuerungsrate der Milchviehherden beschleunigt sich in der EU ebenso rasch wie man ein gebrauchtes Auto durch ein neues ersetzt, – mit oder ohne Abwrackprämie.

Der Milchbauer wird Molkereiangestellter

Die „Umstrukturierung des Milchsektors“, den die Agrarkommissarin Fischer-Boel, seit Jahren propagiert, hat von daher nichts mit Krisenbewältigung zu tun. Sie will weitere Rationalisierungsmaßnahmen und Exporte fördern, das heißt mehr Milch soll von weniger Kühen und weniger Bauern kommen. Ihre Rechnung scheint aufzugehen. Allein in Deutschland, dem führenden Milcherzeuger in Europa, ist die Zahl der Milcherzeuger in den letzten 10 Jahren um 35 % (von 150 000 auf 97 000 Betriebe) zurückgegangen.

Ironischerweise sind aber diejenigen Milcherzeuger, die sich auf die politisch geförderten Rationalisierungsmassnahmen eingelassen und am höchsten verschuldet haben, durch die aktuelle Milchkrise am härtesten getroffen.  Sie können bei den niedrigen Milchpreisen den Forderungen der Banken oft nicht nachkommen. In vielen Ländern der EU wie in Belgien und Holland zeichnet sich deshalb ein Trend ab, der in anderen Bereichen der Landwirtschaft schon weit fortgeschritten ist: die so genannte „vertikale Integration“. Die Milch verarbeitende Industrie wittert ihre Chance und bietet nun an, den Konkurs dieser „Zukunftsbetriebe“ zu verhindern und sich bei den bedrängten Bauern einzukaufen. Sie werden dann Angestellte der Milchkonzerne. Futterbeschaffung, Milcherzeugung und Preisverhandlungen sind dann in einer Hand.

Die Kuh im Ozean des Welthandels

Benachteiligte Regionen wie der Schwarzwald oder das Allgäu, in denen die Kühe noch nach dem alten Partnerschaftsmodell aus Gras Milch machen, sind von diesem Trend zwar nicht direkt betroffen, werden aber auf Dauer als Milchlieferanten für die internationale Milchindustrie uninteressant. Sie konzentriert sich auf die Standorte, wo sie auch das Futter anlanden können: in der französischen Bretagne, den Niederlanden und der norddeutschen Tiefebene. Und obwohl nur 8 % der weltweit erzeugten Milch überhaupt auf dem Weltmarkt gehandelt werden, reicht die auf den Export ausgerichtete Überschusserzeugung aus, um die Milchpreise auch innerhalb der EU in der Tendenz weiter nach unten zu drücken. Auch die jüngsten Reformen der Gemeinsamen Agrarpolitik sind dieser Logik des internationalen Handels gefolgt, immer mit Blick auf die Erschließung weiterer Märkte außerhalb der Europäischen Union.

So erklärte Agrarkommissarin Fischer-Boel im Jahr 2007, dass die Märkte in China und ganz Asien sich sehr rasch entwickeln würden und dass die Europäische Union sich beeilen müsse, auf diesen Märkten wettbewerbsfähig zu werden. Aus dem Milchboom in China wurde vorerst nichts. Auch andernorts ging in der Folge der Wirtschaftskrise der Absatz zurück. Die politisch heraufbeschworenen Überschüsse aber waren schon da und finden keinen Absatz.

Die Milch an der Boerse

Neben der Anhebung der Milchquoten hat auch die Öffnung der Agrarmärkte die Milchbetriebe  extremen Schwankungen und Abstürzen der Preise ausgesetzt. Im Herbst 2008 sank innerhalb weniger Wochen infolge der Finanzkrise nicht nur der Bruttoölpreis um die Hälfte. Gleichzeitig brachen auch die Preise für alle Agrarerzeugnisse zusammen. Für Rohmilch ist der Preis auf den historischen Tiefstand von 20 cent pro Liter gefallen.

Wer glaubt, billige Milch sei gut für die Armen der Welt, irrt. Internationale Milchkonzerne wie zum Beispiel der Milchgigant PARMALAT kaufen weltweit kleine Molkereien auf, um sie schnellstmöglich zu schließen und die Verarbeitung an wenigen zentralen Orten zu konzentrieren. Dadurch wurden Millionen Kleinbauern ruiniert, und die lokale Versorgung mit Frischmilchprodukten zerstört. Durch die Verarbeitung zu Milchpulver und anderen lange haltbaren Produkten wird der Rohstoff Milch auch  international handels- und spekulationsfähig. PARMALAT ging mit Milchpulver an die Boerse, verlor Millionen, machte mehrfach Pleite und war wenig später wieder im Geschäft.

Das Wall Street Journal erklärte wer in der Krise Geschäfte macht: “ Weil die Endverbraucher von Lebensmitteln keine Verbindung mehr  zur Landwirtschaft haben und nicht wissen, dass die Rohstoffpreise sinken, genehmigen sich die Handelsriesen Milliarden zusätzliche Gewinne“. Sie profitieren dreifach: Sie bezahlen beim Preissturz unmittelbar an die Bauern Niedrigstpreise, halten im Handel aufgrund ihrer Marktmacht aber die Preise für den Endverbraucher auf höchstem Niveau. Die zusätzlichen Gewinne benutzen sie, um geschwächte Wettbewerber aufzukaufen.

Die Wiederentdeckung einer Partnerschaft

Die ungewöhnliche Forderung der europäischen Milchbauern nach Drosselung der  Milchproduktion in Europa ist von daher auch ein Weg, sich gegen die Übernahme durch die weißen Giganten zu wehren.  Mit dem Slogan „Die faire Milch!“, der vor Ort viele Qualitätsmerkmale wie biologisch, regional, ohne Gentechnik und traditionelle Verarbeitung ausdrücken kann, wollen sie sich ihre Lebensmittelmärkte zurückzuholen. Sie fordern von der europäischen Agrarpolitik nicht mehr als das Recht, sich in Erzeugerorganisationen zusammenzuschließen, um bei Preisverhandlungen mit Großmolkereien wie Danone und Nestlé und Discountern wie Aldi und Lidl dem Preisdruck Paroli bieten zu können.  Die EU fördert bereits Erzeugerorganisationen von Obst, Wein, und Gemüse. Warum also nicht auch Milch. Das Urteil des Bundeskartellamts, das den Milchbauern kürzlich verbot, zum Lieferstreik aufzurufen, weil dies gegen das Wettbewerbsrecht verstoße, zeigt wie blank die Nerven liegen.

Die Bewegung hin zu einer neuen Partnerschaft zwischen Milcherzeugern und Verbrauchern, die vor allem vielen bäuerlichen Milchviehhaltern in den traditionellen Grünlandregionen Chancen eröffnet, ist nicht nur ein Hoffnungsschimmer für die vielen Familien, die in diesen Monaten verzweifelt auf Taten in ihren Ländern und in Brüssel warten. Sie ist hoffentlich auch der Anstoß für eine ernsthafte Debatte über die Zukunft unserer Ernährung, der Lebensmittelmärkte und der europäischen Agrarpolitik in ihrer Gesamtheit. In den vergangenen Jahrzehnten war das Motto der Agrarpolitik: Produktivität steigern und Märkte erobern. Das hat die Kuh von der Wiese geholt und das Milchpulver an die Börse gebracht. Wenn die Milchlieferstreiks dazu beitrügen, dass immer mehr Menschen nach der „Fairen Milch“ suchen, weil sie die Vorteile der Partnerschaft mit der Kuh und den Milchbauern verstanden haben,  dann könnte die Dreierbeziehung zwischen der Milch, dem Markt und der Politik doch noch aus der Krise kommen.

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