Das letzte Kälberpflegerinnen-Denkmal in Sachsen-Anhalt (vorm Eingang einer ehemaligen Kolchose)
Gerade las Peter-Paul Zahl (PPZ) in Westberlin mehrmals aus seinen gesammelten Werken vor. Der 1944 geborene Anarchist („Wut ist der Schlüssel“) verbrachte „9 fette Jahre“ in Feldberg, wo Hans Fallada nach 1945 Bürgermeister war, dann „11 magere Jahre“ im Rheinland, anschließend ebenso viele „fette Jahre in Westberlin“. Dort gab er als Drucker die Zeitung „Fizz“ heraus – benannt nach dem Geräusch, dass die abbrennende Zündschnur eines Terroristen macht. Darauf folgten „10 miese Jahre im Knast“ (er hatte als RAF-Sympathisant auf der Flucht einen Polizisten angeschossen). Während der Haft verfaßte er u.a. den Schelmenroman „Die Glücklichen“.
Seit 1985 lebt PPZ in Jamaika – nunmehr „25 fette Jahre“. Nach seiner Einbürgerung wollte man ihn dort zum „Friedensrichter“ ernennen. Er lehnte ab – wegen mangelnder Verwurzelung, kämpfte dafür jedoch juristisch erfolgreich gegen seine automatisch erfolgte Ausbürgerung aus Deutschland. Seitdem hat er seine Staatsangehörigkeit verdoppelt – ebenso auch seine literarische Produktion: Demnächst erscheint sein 7. auf Jamaika spielender Krimi im Rotbuch-Verlag. Viele seiner satirisch-politischen Schriften veröffentlichte er im Anarcho-Verlag „Karin Kramer“.
Auf Jamaika operierte man ihm kürzlich seinen Darmkrebs weg, in Berlin ging er jetzt zur Nachuntersuchung. Es geht ihm wieder gut. Er höhnt munter über „müde gewordene Revoluzzer“. Sein geistiger Genosse mit ebenfalls gründlicher Knasterfahrung, Fritz Teufel aus der Westberliner „Kommune 1“, ist sogar mürbe geworden: Er liegt schwerkrank im Hospital. Der wie dieser zur anarchoterroristischen „Bewegung 2. Juni“ zählende Michael „Bommi“ Baumann befürchtet bereits das Schlimmste. Er selbst geht demnächst aufgekratzt auf Lesetournee mit seinem neuen Buch „Rausch und Terror. Ein politischer Erlebnisbericht“.
Sein einstiger Mitkämpfer, der Ex-Knacki Bodo Saggel, fiel dagegen bereits 2003 tot vom Barhocker. Er wiederveröffentlichte zuletzt sein Pamphlet „Der Antijurist“. Die „Kommune 1“-Mitgründerin und Ärztin Dorothea Ridder erlitt 1997 einen so schweren Schlaganfall, das die ehemalige „Schwarze Botin“-Herausgeberin Gabriele Goettle zur „Rekonstruktion“ ihrer seitdem „beschädigten Erinnerung“ Dorotheas Lebensgeschichte veröffentlichte.
Der ebenfalls zur militanten, aber undogmatischen Fraktion des SDS einst gehörende Behindertenpädagoge Rüdiger Stuckart starb 2004 an Krebs.( Im Internet findet man mehrere ausführliche Nachrufe über ihn.)… Und der Satanist und Galerist Jes Petersen, einer der letzten Freunde von Franz Jung, starb 2006 – an den restaurativen Zeitläuften. Das könnte man von fast all den hier Erwähnten sagen. Und ebenso von den vielen Genossen im Osten, deren Todesanzeigen oder Nachrufe man täglich im N.D. oder in der JW liest. Neulich traf ich die SDS-Genossin Gisela Richter auf einer Beerdigung (ich weiß schon nicht mehr, auf welcher), sie meinte: „Ich komm bald gar nicht mehr runter vom Friedhof.“
Den Kulturforscher Joachim Schivelbusch inspirierte die Selbstaufgabe der DDR vor einigen Jahren zu einer Kulturgeschichte der Niederlage. Er thematisierte darin u.a. den „amerikanischen Süden“, dessen Niederlage im Bürgerkrieg 1861 bis 1865 und die anschließende Wiedervereinigung zwischen dem Süden und dem Norden die deutsche „Wende“ 1989/90 vorwegnahm.
Auch dort wurden zunächst die ökonomischen Grundlagen zerstört, woraufhin das Land von unternehmungslustigen Yankees geradezu überfallen wurde, die es einem „reconstruction“ und „reeducation“-Program unterwarfen. Zunächst dominierten die (ritterlichen) „Joint-Ventures“, dann ging es nur noch um Abwicklung und strengstes Wirtschafts-Regiment. Derweil versank das Land völlig in Armut. Während die Meinungsführer von einem „New South“ sprachen und behaupteten, es gehe nun aufwärts, waren die Reisejournalisten entsetzt über „die Ruinenlandschaft der Städte und Plantagen“. Und es wurde immer schlimmer – ökonomisch und kulturell: bis heute. Auch die Hoffnung auf frische, arbeitswillige Einwanderer zerschlug sich schnell. Nur die „Eskapismusindustrie“ (à la MDR) blühte. All das führte dazu, daß man die Vergangenheit im Süden nostalgisch verklärte. Etwa so wie ein Mitarbeiter des Deutschen Historischen Museums in Ostberlin rückblickend meinte, „gegenüber dem neuen Direktor Stölzl war unser Chef doch der reinste Menschenfreund“. Bereits in „Onkel Toms Hütte“ war der gute willensschwache alte Plantagenbesitzer aus dem Süden dem zugewanderten sklavenschindenden Yankee-Bösewicht entgegengesetzt worden. Bald erkannten immer mehr Intellektuelle im Norden (Westen), daß die Niederlage des Südens (Ostens) auch ihre eigene war. Viele starben weg oder verfielen dem Suff, sie fühlten sich laut Henry Adams „wie die letzten Indianer und Büffel“.
In Polen hat man aus den Ländereien der dort komplett aufgelösten Kolchosen z.T. Spekulations-Bauland gemacht.
P.S.: PPZ-Lesungsveranstalter Christoph Ludsoweit hat drei Korrekturen zum obigen Text geschickt – per Post:
1. Peter-Paul Zahl war 21 Jahre in Westberlin
2. Er war definitiv kein „RAF-Sympathisant“.
3. Sollte es zum Grund seiner Inhaftierung heißen: „Er war in eine Schießerei mit der Polizei verwickelt…
Dies in Absprache mit ihm und mit der bitte um Überarbeitung.