Von Thomas Mauch
Ein Büro in Stuttgart. Vom Fenster aus sieht man gegenüber den Tagblatt-Turm, schickes Beispiel des neuen Bauens, zeitungsgeschichtlich von Bedeutung und eines der Wahrzeichen der Stadt. In einer hübschen Symbolik könnte man von einer neuen Ballung der Medienmacht sprechen, hier in der Mitte von Stuttgart. Wenn nicht die Stuttgarter Zeitung längst schon aus ihrem Turm im Herzen der Stadt raus auf die grüne Wiese an den Rand gezogen wäre. Ende der Siebziger Jahre war das.
Das Büro auf der anderen Straßenseite ist frisch bezogen. Auch Josef-Otto Freudenreich (60), bis Ende 2009 Chefreporter der Stuttgarter Zeitung, hat hier seinen Schreibtisch. Mit fünf Journalistenkollegen arbeitet er an einem neuen Zeitungsprojekt. „Kontext“ wird es heißen. Eine Wochenzeitung. Im Internet und als Beilage in der taz.
„Das ist keine Kampfansage an die Stuttgarter Blätter“, meint Freudenreich, sondern eine neue Initiative für einen Qualitätsjournalismus soll es sein. Was aber auch heißt, dass man doch einen Qualitätsverlust sieht bei den etablierten Stuttgarter Medien. Und eine wachsende Entfremdung zwischen denen und den Menschen.
Es ist ja einiges passiert in den vergangenen Monaten in Stuttgart, von dem man auch im Rest der Republik etwas mitbekommen hat. Stichwort Wutbürger. Und natürlich Stuttgart 21. Gerade im Zusammenhang mit dem heftig umstrittenen Großprojekt fühlten sich viele Leser von ihren Zeitungen in der Stadt arg im Stich gelassen. Ein Katalysator auch für „Kontext“. Geplant bereits vor den ersten großen Protesten gegen den Bahnhofsneubau, „hat Stuttgart 21 das Projekt doch beschleunigt“.
Das „Wächteramt“ der Medien will man einnehmen bei „Kontext“, mit einem „unabhängigen, kritischen Journalismus“. Aufklärung. Also die klassischen journalistischen Tugenden. Und anständig recherchiertes Investigatives und Kritisches darf man wohl erwarten bei einem Team von Journalisten – neben Freudenreich noch Meinrad Heck, Rainer Nübel, Susanne Stiefel, Martin Reinkowski und Sandro Mattioli -, das auf eine beeindruckende Dichte an Preisträgern des Wächter- und Theodor-Wolff-Preises, Deutschlands renommierteste Journalistenpreise, in den eigenen Reihen blicken darf und Bücher wie „Wir können alles. Filz, Korruption & Kumpanei im Musterländle“ und „Die Taschenspieler. Verraten und verkauft in Deutschland“ veröffentlicht hat.
Was die Unabhängigkeit betrifft: Dabei helfen den „Kontext“-Machern honorige Stuttgarter Bürger mit einem Verein: „Kontext: Verein für ganzheitlichen Journalismus“. Gründungsmitglieder waren unter anderem Edzard Reuter, ehemaliger Vorsitzender von Daimler-Benz, der auch literarisch versierte Koch Vincent Klink und der Schauspieler Walter Sittler, ein prominentes Gesicht der Stuttgart-21-Gegner. Mit dem in den Verein eingebrachten Geld ist die Finanzierung von „Kontext“ auf ein Jahr gesichert.
Die Leser aber zahlen nichts. „Kontext“ wird es als Angebot im Internet geben, kostenfrei, wie es die gängige Konvention auch für journalistische Angebote im Netz ist, wo man sich die Kosten für Druck und Vertrieb sparen kann – selbst wenn bei den Machern ganz old-school das Herz an Print hängt. Mit schwäbischer Dickschädeligkeit will man sich gegen die sonstigen Gepflogenheiten im Netz stemmen. Keine Liveticker soll es geben, keine täglichen Aktualisierungen, kein Ringen um schnelle Klicks. Sondern tatsächlich eine Wochenzeitung, nur jeden Mittwoch neu. Auch ein Versuch, das Medium zu entschleunigen. Fast schon ein Gegenmodell zum Netz im Netz. „Man kann auch mit ausgeruhten Texten im Internet seine Kundschaft finden“, gibt sich Josef-Otto Freudenreich gelassen.
Am 6. April geht „Kontext“ mit seiner ersten Ausgabe online. Und auf dem klassischen Papier gibt es das Produkt dann sogar dazu, zu Teilen wenigstens. Hier in der taz. In der Westausgabe wird eine Auswahl der Kontext-Texte als Beilage zur sonntaz erscheinen.
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Josef-Otto Freudenreich diskutiert auch am 9. April beim Medienkongress der taz in Berlin über den „Machtkampf gegen die Medien„.