vonWolfgang Koch 10.06.2011

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Die österreichische Tageszeitung KURIER hat einen neuen Herausgeber, und der setzt zu einem Befreiungsschlag von der doppelten Meinungsführerschaft aus ORF und NEUER KRONENZEITUNG im Land an. Helmut Brandstätter positioniert sein Blatt seit Monaten als »Qualitätszeitung« am Markt.

Da genau das bereits ein halbes Dutzend Konkurrenten tut, ist Vorsicht geboten. Bietet denn der KURIER auf irgendeiner Seite Qualität der Information, ist in seine Textspalten eine neue Schärfe der Analyse eingezogen oder gar Geistesgegenwart?

Unsere Nachforschungen ergeben gerade das Gegenteil: auf den Politikseiten Tendenzjournalismus gegen die FPÖ, pedantische Wichttuereien und autoritätssüchtige Steuerhinterziehungsschnüffeleien; der Rest TV-konforme Unterhaltung, also dümmlicher Exhibitionismus und die Humorverkrampfungen sogenannter Kabarettisten, wie wir sie bereits von den Wiener Off-Bühnen kennen.

Gewiss, neben unseren Bankraub-Blättern (HEUTE, ÖSTERREICH) nimmt sich der KURIER immer noch wie eine Informationsplattform aus. Doch je genauer man hinschaut, desto niederschmetternder das Ergebnis.

Gestern zum Beispiel erfuhren wir unter der weltbewegenden Headline Mega-Stau zu Pfingsten auf dem Weg in den Süden folgendes Problem: »Am kommenden Wochenende gilt es für die Autofahrer besonders viele Hürden zu überwinden … Damit die Reise nicht zum Hürdenlauf gerät, raten die Autofahrerklubs …« – Was also nun? Stehen die metaphorischen Hürden jetzt schon auf den Autobahnen oder werden sie erst von Herrn Brandstätter persönlich aufgestellt?

In derselben Ausgabe (9. Juni) mussten ein paar Lohnschreiberlinge das im Prater neu eröffnete Wachsfigurenkabinett Madame Tussauds in den Himmel loben. Die Autorin Luise Hahn ist offenbar der Meinung, unser aller Sigmund Freud hätte seine Hausgäste und nicht seine Patienten seelenklempnerisch behandelt: »Beim Vater der Psychoanalyse Sigmund Freud«, vermeldet der KURIER, »liegt ein Besucher auf der Couch«.

Ein Besucher, bitte! Die Mutter Freuds vielleicht, oder die unverheiratete Schwester. – Keine Ahnung, welche Berater auf der Coach des KURIER-Herausgebers Platz nehmen. Aber es sind jedenfalls die Falschen.

Am 22. Mai verkündete Brandstätter triumphierend, keine Kontaktanzeigen für sexuelle Dienstleistungen mehr im KURIER abzudrucken (»Wir sind ein Familienblatt«). Gut, darin steckt die richtige Einsicht, dass jede Annonce auch eine Empfehlung des Blattes an die Leserschaft ist. Freilich, wie tat der Blattmacher diese seine neue Linie der Öffentlichkeit kund? Indem er die Sexarbeiterinnen demonstrativ noch mit Verachtung bestrafte und ihnen ein »Latrinen«-Geschäft hinterher rief. Also auch dort, wo man sich zu säubern vorgibt, ist man noch immer dreckig genug.

Eine Qualitätszeitung kann das nicht sein. Wenn sie selber sich als solche versteht, wenn ihre Chefetage sie so bezeichnet, dann liegt der Qualitätsbegriff dieser Zeitung abseits vom übrigen Europa. So zu schreiben, so über Außenseitergruppen zu reden, wäre keine der großen liberalen Zeitungen in Europa fähig, nicht der Corriere, nicht Le Monde, nicht The Independence, nicht el Païs, nicht L’Express.

Ein Qualitätsblatt versteht sich der starken Worte zu entraten, wo der Leserschaft schon die leise Andeutung verständlich ist. Alle paar Tage stößt Brandstätter ein Stoßgebet gegen »Boulevardzeitungen« aus – dabei hat auch sein KURIER das Vertriebsrad noch nicht neu erfunden und wird an jeder Straßenecke feilgeboten.

Natürlich arbeiten in der Lindengasse auch exzellente Journalisten; die Innenpolitikerin Daniela Kittner, der Literaturredakteur Peter Pisa, um zwei zu nennen. Viele der Top-Journalisten Österreichs kamen aus der KURIER-Redaktion – doch sie sind ihr meist frühzeitig wieder abhanden gekommen.

Um nur drei Namen zu nennen: der katholische Publizist Heinz Nußbaumer, der stark literarisch geprägte Architekturkritiker Jan Tabor und der immer noch aufgeweckteste Kolumnist des Landes, Hans Rauscher, der heute sein Brot bei einer sozialdemokratischen Tageszeitung verdient.

Auf den Kulturseiten des KURIER wirkt weithin die berüchtigste Wiener Cliquenherrschaft, die dem Publikum jedes Interesse an Kunst und Literatur sanft austreibt. Als unlängst der wunderbare Songwriter Ernst Molden ein neues Album herausbrachte, da widmete der Ressortchef dem Werk gleich eine ganze Seite. Das wäre in einem Qualitätsblatt nur dann legitim, wenn Molden nicht auch noch als Kolumnist desselben Zeitung wirkte.

Hat man denn schon vergessen, dass Karl Kraus gegen diese Verhaberung in der Wiener Kulturszene als erstes zu Feld zog? Solche Gefälligkeiten unter Schreibkollegen verhindern nicht nur das Heraufkommen von Talenten, sie verseuchen in Wien seit Jahr und Tag den allgemeinen Geschmack.

Zum Glück für die LeserInnen und zum Faulbett der heimischen Journalistik gehört Österreich zum weit größeren deutschen Sprachraum und hat mit der Frankfurter Allgemeiner Zeitung, der Süddeutscher Zeitung und der Neuer Züricher Zeitung drei approbierte Qualitätsblätter als Abhilfe zu bieten.

© Wolfgang Koch 2011

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