von 14.06.2011

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Die Seminare des Tages waren also Vorab-Geschehen. Anscheinend um sich kennenzulernen. Man klebt sich ein Schild auf die Kleidung und schreibt seinen Vornamen drauf. Manche auch, von wo sie kommen. Frankfurt, Heidelberg, London. Einer schreibt „kein Ort“. So fängt wohl Utopie an.

Am Abend spricht Oskar Lafontaine. Draußen im Hof. So groß ist der Andrang. 500 Leute in etwa, alles voll. Ist es nun Ironie oder doch Dialektik, dass ausgerechnet Lafontaine die Eröffnungsrede hält, hier, auf einem von Trotzkisten organisierten Kongress, deren Modell es ja gerade ist, in die Apparate reinzugehen, um sie von innen zu ändern? Oder gilt das hier alles nicht, weil er 2005 “die historische Stunde nutzte”, um eine neue linke Partei zu gründen, auf der offenkundig die Kongress-Hoffnungen liegen?

Im Publikum spürbare Vorfreude. Sie kennen ihren Oskar. Jemand, der eine Dreiviertelstunde lang frei sprechen kann, ohne einmal „äh“ zu sagen. Eloquent, scharf, witzig. Zwischendurch immer wieder Applaus. Hinterher noch mehr. Und was sagt Lafontaine? Die Energieversorgung und die Banken sollen öffentlich-rechtlich werden, Generalstreik soll als mögliches Mittel ins Programm, denn selbst nach der bestbesuchten Demo frage man sich doch, was soll das, wenn man hinterher nach Hause geht und nichts geschieht. Und das sage er bitteschön als Gewerkschaftsmitglied. Demokratie von unten, Sozialismus von unten, das wollen wir! Applaus, Applaus, Applaus.

Die Linke brauche eine eigene Sprache, so verdreht seien alle Begriffe. Applaus. Ansonsten viel Polemik gegen alle Seiten, vor allem gegen die Grünen. Sie seien gar nicht so umweltschützerisch, wie sie behaupten. Sie wollten riesige Solaranlagen in der Sahara, dann den Strom durchs Mittelmeer nach Europa, dazu Offshore-Parks in der Nordsee, dabei gehe es nur dezentral. Der Green New Deal nur Käse. Wo ist denn die Arbeit?

Laut Marx sei Arbeit Stoffwechsel mit der Natur, also sei die Linke die wahre Umweltpartei. Applaus. Aber von der Anti-Atom-Bewegung könne man lernen, da sehe man, wie es geht. Applaus. Lafontaine ist nicht der Einzige auf dem Kongress, der auf die Anti-Atom-Bewegung verweist. Aber was ist damit gemeint? Was kann man lernen? Wo ist die Strategie? Und wo wären die Bündnisse, die man braucht, damit Generalstreik nicht bloß ein Wort ist? In der Diskussion melden sich durchweg Linken-Vertreter. Es ist also doch eine Parteiveranstaltung. Man stärkt sich gegenseitig, richtet sich auf.

Und der Himmel ist immer noch blau. Das Springer-Hochhaus sagt “hör zu”. Und dann die vielen Paare auf der Oranienstrasse, Arm in Arm, Hand in Hand. Sie führen sich gegenseitig. Mit einem kleinen Ruck an der Schulter steuern sie einander durch die Menge der Passanten.

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