Der Text ist fertig, über den ‚ROMY‘ Award, die große großherzige Veranstaltung der gern- und meistgelesenen österreichischen Qualitätszeitung DER KURIER. Da blieb kein Auge trocken, bei dieser rauschenden Ballnacht… Trotzdem kann er, der Text, hier nicht abgedruckt werden, da er einer größeren literarischen Arbeit über die Stadt Wien und ihrer Bevölkerung vorbehalten ist. Sodaß ich nur sagen möchte, daß ich mit dem dann prämierten ROMY Preisträger und Theater-Hoffnungsträger Philipp Hochmair (Foto, bei der Preisverleihung in der Hofburg) Bruderschaft trinken durfte, nämlich während der After-Party im Cafe Bendl („sag Lottmann zu mir“), und ich mit Magister Meinhard Rauchensteiner dann aber bei der After-After-Party im Club ‚KIOSK‘ (Schwarzweiß-Foto) per Sie blieb. Einen ROMY gewonnen hatte übrigens auch David Schalko, dessen Roman ‚Weisse Nacht‘ für mich der beste seit Maxim Billers ‚Esra‘ ist. Ich lese diese Geschichte Tag für Tag mit wachsender Begeisterung. Für mich ist das die wahre und aktuelle Qualität Österreichs: durch den Zeitgeist rauschen mit 180 km/h, durch die Ideologien und Medienhypes, mit Lust und Sex, statt mit pikierter Miene und Hand an der Hosennaht…
Im Anschluß noch, als Ersatz für die vorenthaltene ROMY Award Story, die ein bißchen vergleichbare Geschichte vom letzten Jahr. Der Award hieß damals Cinema for Peace Award, das Event fand im lustlosen Berlin statt…
Im Cafe Bendl nachts um halb eins, noch etwas schüchtern, gegenüber dem liebenswerten Philipp Hochmair: “Sag’ Lottmann zu mir.” (Foto)
“Als ich zurückfuhr, spät um halb zwei, hatte ich zwei Galgenvögel im
Wartburg, die Crack geraucht hatten. Erst überredeten sie mich, noch ins
‘Kitkat’ zu fahren, einem Sado-Maso-Club am Ende der Stadt. Das wirre,
aggressive Geschnatter des einen, und vor allem sein häßliches,
stoßweises Lachen setzte mir so zu, daß ich anhielt und die beiden
Verbrecher aus dem Auto zerrte. Sie ließen es geschehen, waren
überrascht. Die Ampel schlug um auf Rot, ich trat das Gas durch, der
Blechhaufen schoß nach vorn. Hinter mir war ein Polizeiauto, das mich
sofort an den Rand drängte und mir den Führerschein abnahm.
So endete der Abend. Er begann mit dem Brüllen der Fotografen beim
Eintreffen der ‘Prominenten’. Für mich war das alles neu, denn eine
Charity Gala zu besuchen paßte zu meiner linken Sozialisation so wenig
wie Swinger Fuck und Houellebecq-Lesen zum bayerischen
Ministerpräsidenten. Dachte ich. Aber längst haben sich alle Fronten
verdreht. Das Klischee sei trotzdem nochmal skizziert: der Feind, das war
für mich, als ich 17 war, Ute Ohoven, die ‘Queen of Charity’. Das war für
mich Amerika, dieses Land, das den Planeten ruinierte und von einer
Schicht skrupelloser Fettsäcke regiert wurde, die sich auf Wohltätigkeits-
Galas selbst feierten, mitsamt ihren alten, faltigen, schrecklichen
Ehefrauen in Abendkleidern. Ich war definitiv Europäer und setzte auf das
Potential des Geistes, der zum Widerstand, zur Tat drängte. Nicht die
Almosen der Reichen, die sich als Gutmenschen inszenierten, könne die
Welt retten. Dachte ich.
Der Cinema for Peace Award versammelte nun nicht nur Reiche und Alte
samt Gattinnen. Alt waren sie zwar, und reich auch, und ohne Gattin kam
niemand. Aber das alles sagte nichts. Wie werden solche Worte dürr,
wenn Bob Geldorf vor einem steht und sagt:
“Where is Stefan?”
Seine Haare sind silbern und fein geschnitten, die Haut wirkt gesund und
von südafrikanischer Sonne gebräunt, und der teure dunkle Abendanzug
glitzert geheimnisvoll.
“Stefan who?”
Er fixiert mich. Bin ich blöd? Stefan Aust natürlich. Bevor ich antworten
kann, kommt dieser Mensch von den ‘Skorpions’ dazwischen und textet
ihn zu. Dann geht Geldorf weg, und ich stehe mit dem Geschmacks-Satan
alleine da. Ich kenne Leute, die hätten sich vor zehn, zwanzig Jahren eher
die Hand abgehackt, als ein Skorpions-Konzert zu besuchen. Und ich häte
sie verstanden und im Krankenhaus besucht. Nun erzählt mir der Mann
(Krokoleder-Jackett, gelbe Haare, Snoopy-Rennfahrerbrille) über ihr
Konzert bei Gorbatschow im Kreml.
“Gorbatschow sagte uns damals, der Rock hat den Kommunismus
aufgeweicht und so weiter, und so ist das auch heute, also wenn steter
Tropfen den Stein höhlt…”
Er meint wohl, wenn jeder jeden Tag ein kleines bißchen mehr Gutes tut,
indem er spendet, ließe sich die Zerstörung und Ausbeutung der Erde
rückgängig machen. Zum Glück kommt Helmuth Karasek vorbei, einer der
zehn Gerechten in dieser Ansammlung. Ich mache einen Satz auf ihn zu.
“Herr Karasek, wie kommen denn SIE hierher?”
“Wieso, ist doch eine gute Sache?”
“Letzte Woche noch diese schöne Sendung mit Reich-Ranicki im
Literarischen Quartett über Heinrich Heine, und jetzt erwische ich Sie hier
neben der Busenwitwe Tatjana Gsell und BILD-Luder Jenny Elvers, und
auf der Bühne singt Berufs-Pornograph Rolf Eden ‘Imagine’ von John
Lennon!”
“Na, wenn’s für einen guten Zweck ist?”
“Sie halten ‘Charity’ also für eine sinnvolle Idee…”
Ich erzählte von dem Spekulanten George Soros, der ganze
Volkswirtschaften ruinierte, und dennoch als Gutmensch und Wohltäter
durch die Medien spazierte, da er ab und zu ein Waisenhaus finanzierte.
Karasek wurde verlegen:
“Jetzt haben Sie mich doch in eine ziemliche Zwickmühle gebracht.”
“Sehen Sie! Und die 200 Milliarden Dollar für zusätzliche Kampfjets, die
niemand braucht im Zeitalter von Al Kaida, die sind – ”
“Moment! Das ist ein gutes Beispiel. Kein einziger Kampfjet weniger würde
gebaut, wenn die Rüstungsindustrie KEINE Dollar auf
Wohltätigkeitsveranstaltungen spendete.”
Ich sagte, da gebe es sehr wohl einen Zusammenhang. Seit
Jahrhunderten sei der kritische Geist die einzige Waffe gegen
Machtmißbrauch und Kriegstreiberei. Spätestens seit dem Tsunami-
Spendenwahnsinn sei das kritische und kreative Potential der Menschheit
aber in der trüben Suppe des Gutmenschentums versunken. Die Folgen
seien verheerend, vor allem für Künstler, die diese Bezeichnung noch
verdienten…
Wir diskutierten lebhaft. Schließlich sah Karasek sich um, nickte mir
beschämt zu. Minuten später war er gegangen.
Die Tafel war vom Feinsten. Soviel Prunk und fünf-Sterne-Küche war
selbst für eine europäische Hauptstadt außergewöhnlich. Unter 14
haushohen Kronleuchtern mit je 100 Kerzen verspeisten die Parvenues
und ‘Neuen Bürgerlichen’ des Landes einen Großteil der Spendengelder,
die doch angeblich Millionen Kinder vor dem Hungertod retten sollten. Es waren gar nicht einmal alte Leute, die hier den feinen Herr mit Begleitung
gaben, gar nicht diese Grosz-Karikaturen und Klischee-Bonzen alter Elite-
Herrlichkeit, sondern eine Art Pop-sozialisierter Mittelbau. Leute, die ‘Rock’
oder auch ‘Rock-Kultur’ im Kopf hatten und sich für jung hielten, für
unspießig, für ‘locker’. Und natürlich für revolutionär, weil sie das Gutsein
zur “größten Bürgerrechtsbewegung aller Zeiten” gemacht hatten, wie ein
Filmchen zwischen den Performances behauptete. Sie glaubten allen
Ernstes, Bob Geldorf sei ein Popstar.
Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich spaßeshalber die zur Zeit besten 20
Popgruppen auflistete und mir überlegte, ob auch nur ein einziger Musiker
davon hier auftauchen könne. Pete Doherty und Baby Shambles? Maximo
Park? Kaiser Thief? The Strokes? Arctic Monkees? Block Party, Razorlight,
Al Green? Niemand! Selbst von den deutschen Stars mied jeder, der noch
nicht völlig out war, den Benefiz-Schwindel. Tokio Hotel neben Marie Luise
Marjahn beim candle light dinner – niemals! Auch nicht Harald Schmidt im
intimen Plausch mit Bärbel Schäfer. DIE moderierte nämlich den Abend.
Und die angekündigten Superstars, die all die betuchten Spießer anlocken
mußten – kamen natürlich nicht. Wie immer. Richard Gere – kam nicht.
George Clooney – kam nicht. Das alte Spiel. Wer fiel darauf nur noch rein?
Und dann die immer und ewig gleiche peinliche Oscar-Verleihung-
Imitation, mit George-Lucas-Fanfaren und Star-Wars-Gedröhn. Mit
englischen Ansagen vom Tonband. Mit zu Tränen gerührten Preisträgern,
die ihren Managern, Produzenten, dem Team, den Eltern und so weiter
danken. Und deren Stimme dann plötzlich fest und männlich wird, wenn
es ums Thema ‘Gutes tun’ geht: mit Tremolo-Stimme und von sich selbst
überwältigt, dabei dunkel ahnungsvoll wie Joacqin Phoenix in ‘Walk the
Line’ spricht Preisträger Richard Curtis Worte wie crying children… social
responsibility… deeply thankful… great honour… do something for
others… et cetera. Wer ist dieser Mann? Ein Verwandter von Tony Curtis?
Wofür wird er geehrt? Egal.
Eine Tibeterin im Himalaya-Trachtenkleid singt Folklore, wahrscheinlich
irgend ein Friedenslied aus dem alten Tibet. Dagegen wäre nichts zu
sagen, wenn auch mal Hansi Hinterseer im Gegenzug auf der
Veranstaltung in Los Angeles deutsches Liedgut für den Frieden
schmachten dürfte, in Sepplhosen wie alle Deutschen. Da wäre das
Ausland doch sicher auch gerührt.
Ich renne wieder in den umtriebigen Bob Geldorf hinein, der mich sogar
wiedererkennt und wenig freundlich ansieht, fragend. Was soll ich sagen?
“Don’t know where ‘Stefan’ is tonight!” sage ich schließlich.
“Tell him: Cinema for Peace is ‘Oscar with brain’.”
“Oh! How nice, I’ll do so. Something else… for him?”
Er guckt eine Sekunde sehr nachdrücklich und geht dann an mir vorbei,
einfach weg. Ein wichtiger Popstar, der macht das so. Ich verstehe das.
Würde ich auch so machen, wenn ich einen Hit in 20 Jahren geschafft
hätte.
Und das alles im schönsten Gebäude Berlins, dem prachtvoll weil römisch
anmutenden Konzerthaus am Gendarmenmarkt, klassizistisch, gigantisch,
schön, zeitlos alt. Furtwängler und Toscanini haben hier gespielt, und alle anderen Genies erst recht. Alles ist hell, quadratisch, im Ebenmaß, von
einer Schönheit, die auf Vernunft fußt, rational, anständig, im Preußen der
Aufklärung errichtet. Nun sitzen hier laut offizieller Gäseliste Dr. Regina
Burda, der Frisör Udo Walz, der unvermeidliche Moritz Bleibtreu, Wim
Wenders, Prinzessin Maria Theresia von Thurn und Taxis und der
Regierende Partymeister von Berlin Klaus Wowereit. DER ist nun als
einziger wirklich locker. Wowi ist Pop. Er wirft sich weg vor Lachen,
besonders bei Frauen, und wenn er geht, schäkert und schlenkert er wie
Harald Juhnke selig, nach beiden Seiten grüßend, oft eingerahmt von
Männern, die seine Nähe suchen. Er trägt auch keinen Smoking und keine
Fliege (wie vorgeschrieben), sondern den bekannten Politiker-Anzug aus
dem Rathaus. Wenn die ‘Stars’ ihr Bühnenprogramm machen, mit Rühr-
Ansagen, Gutmensch-Reden, Filmchen, Pianogeklimper und einer
Versteigerung, liest er völlig ungerührt in mitgebrachten Akten, wie im
Plenum während einer Rede der gegnerischen Partei. Am schlimmsten ist
der Pianist, ein Chinese, der in die Tasten schlägt wie ein Rummelplatz-
Animateur. Zwischendurch soll es sogar Schumann gewesen sein, zarte
deutsche Töne, die vom Geklirr des Bestecks der hemmunglos Hungrigen
verschluckt wurden. Anschließend klatschen und johlen sie wie Berserker,
werfen Messer und Gabel weg und schlagen die groben breiten Hände
aufeinander, daß der Lärm wehtut.
Es ist noch immer nicht vorbei, um 23 Uhr. Im Gegenteil. Die After-Show-
Party beginnt. Jeder Zweite juckt sich nun an der Nase, die Toiletten sind
überfüllt, die Augen sind starr, aufgerissen, euphorisch, und doch
abgeschnitten von jedem echten Gefühl. Gruselig, mit einem Wort. Die
Leute fühlen sich großartig. Jede Art von schlechtem Gewissen hat
aufgehört zu existieren. Auch jedes Schamgefühl. Alles, was immer
peinlich an ihnen war, was sie zu kleinen Menschen gemacht hatte. All
ihre Laster und schlechten Gefühle, alles wird zu einem durchgehenden
weißen Streifen, den sie sich durch die Nase ziehen. Lambada-
Stimmungsmusik schallt durch die Säle. Frauen tanzen ‘sexy’ zu
Schmierenhits wie ‘It’s raining men’ oder Michael Jacksons ‘Thriller’, es
sieht aus wie verunglückter Bauchtanz, und die Männer, wie alle Männer
in Anzügen, gefallen sich in Abarten von Sirtaki-Bewegungen. Die
Gesichter sind aufgerissen und häßlich, die Zunge oft rausgestreckt, und ab und zu erkennt man einen ECHTEN Menschen, und das ist immer eine Angestellte. Man denkt: Richtig, so sehen Menschen aus, die NICHT böse sind. Anti-Gutmenschen im Grunde.
Wie der Abend ausging, erzähte ich ja schon.