vonBenjamin Kiersch 22.06.2009

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Pünktlich zum 21. Juni beschloss die Regierung unter Evo Morales vorgestern, ebendiesen Tag in Bolivien ab 2010 zum offiziellen Feiertag zu erklären. Vor 500 Jahren verboten die spanischen Besetzer den Aymara,  das Fest der Rückkehr der Sonne (Willakatuti) zu feiern, und oktroyierten den Bewohnern des Hochlands den gregorianischen Kalender auf, nach dem das Jahr am 1. Januar beginnt – das darf man sich so vorstellen, als würde die Regierung in Berlin erklären, in Deutschland sei Silvester ab sofort am 30. Juni abzuhalten.

Seit einiger Zeit wird Willakakuti, das Neujahrsfest der Aymará, das sich heute zum 5517sten Mal jährt, mit rituellen Zeremonien wieder begangen. Die wichtigste Feier findet in Tihuanaco statt: Tausende Menschen versammeln sich jedes Jahr in der eisigen Nacht in der antike Tempelstadt der Aymará auf knapp 4000 Meter Höhe, erwarten fröstelnd den Aufgang der Sonne, deren erste Strahlen genau in die obere Ecke der Puerta del Sol fallen, und strecken ihr die klammen Hände entgegen. Wer die Energie gespürt hat, mit der die intensive Sonne des Andenhochlands den ausgekühlten Körper innerhalb von wenigen Minuten erwärmt, bekommt eine Ahnung davon, warum dieser Moment den Aymara heilig ist.

Evo Morales, selbst Aymara, zählt seit seiner Wahl zum Präsidenten zu den regelmäßigen Besuchern der Zeremonie in Tihuanaco, zu der in diesem Jahr 30 000 Pilger und Schaulustige erwartet werden.

In Bolivien ist das Feiertagsdekret umstritten: Während Indígena-Organisationen und Bauerngewerkschaften die Entscheidung der Regierung begrüßen, kritisiert die Opposition das Dekret. Der Senator Róger Pinto polemisierte in bester neokolonialistischer Diktion, „Wir glauben an Gott und sind mit diesen Exzessen und Vergötterungen nicht einverstanden.“ Aber auch von seiten einiger indígena-Vertreter gibt es Kritik, Evo Morales favorisiere mit dem Dekret die Aymara gegenüber anderen indígenas in Bolivien.

Für Kulturminister Pablo Groux ist das Dekret Ausdruck für die Emanzipation Boliviens von der Kolonialzeit, sowie für das Engagement der Morales-Regierung zur Umsetzung der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der Indigenen Völker.  Ab sofort werde es in Bolivien zwei Neujahrstage geben: den ersten Januar, gemäß dem gregorianischen Kalender, und den 21. Juni, gemäß der andinen Weltsicht.

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