vonlottmann 20.02.2009

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Heute vor ziemlich genau einem Jahr erschien in der taz Printausgabe ein Bericht über das baldige Ende des ‚Linksrucks‘ und der Wiederkehr der Realität – nämlich in Form einer Wirtschaftskrise. Die damalige Einschätzung wirkt im nachhinein so prophetisch, daß man sie getrost noch einmal lesen kann:
´LINKSRUCK´ – NUR EINE SPIELEREI?
Wenn die Landtagswahlen inklusive dem angenehm hysterischen Wahlkampf (so sollen Wahlkämpfe sein, dafür sind sie da) vorbei sind und das Bollwerk Koch & Hessen-CDU geschleift ist, also jetzt am Sonntag Abend, wird man das heimliche Unwort des Jahres 2007 zum letztenmal hören: der ´Linksruck´ war da. Und von da an wird man statt dem L-Wort, Linksruck, nur noch das R-Wort hören: Rezession. Man wird aufwachen, sich die Augen reiben und nicht glauben, dass unsere Gesellschaft sich solche Luxusthemen, ja Zerstreutheiten einmal leisten konnte. Eine Spitzenkandidatin mit dem Kinderbuchnamen Ypsilanti. Eine Frühsiebziger-Jahre-Type wie Kurt Beck als politischer Nachfolger von Bebel, Brandt, Schmidt und Wehner. Eine SPD, die sich von ein paar Hundertschaften grauhaariger K-Gruppler und pensionierter Lehrer nach `links´ rücken läßt. Eine CDU, die das auch noch mitmacht, als Koalitionspartner.
Wie war sie möglich, ausgerechnet 2007, die Wiederkehr der linken Folklore? Naja, weil wir „Aufschwung“ hatten. Reflexhaft wähnten sich manche wieder in der guten alten Zeit der diversen Wirtschaftswunder, als es allen gut ging, alle Arbeit hatten, das Geld auf der Straße lag und, reziprok zu all dem Glück, die Welt als kapitalistischer Moloch beschrieben wurde, mit Unternehmer-Schweinen, explodierenden Gewinnen, zynisch hohen Bezügen der Manager, Ausbeutung, Elend, Bösartigkeit. Je besser es den Deutschen geht, das war ja immer schon so, umso härter prügeln sie auf ihre Wirtschaftsführer ein. Und wählen, die geballte Faust in der Hosentasche, links.
Vor einem winzig kleinen Nokia-Werk, in dem Arbeit der anspruchlosesten Art verrichtet wird, eine Arbeit, die man nun wirklich besser ungelernte Inder oder hungrige Rumänen machen läßt, demonstrieren tagelang 15.000 Bochumer und zertrampeln ihre Nokia-Handys, in bester linker Tradition: schon 1850 schlugen Arbeiter auf moderne Webstühle ein, die für sie den inhumanen Fortschritt symbolisierten. Karl Marx erklärte ihnen später die Globalisierung. So eine kühle Analyse könnten auch die Hitzköpfe in Bochum heute gut gebrauchen. Aber Marx doesn´t live here anymore. Kurt Beck is here, stattdessen, der Problembär. Da lachen ja die Hühner. Nein, nein, so hatte es einfach nicht weitergehen können. Ein Segen, daß endlich die Börse crashte. Bitte, liebe Welt, wieder Themen, die die Intelligenz nicht so beleidigen. Wie es nämlich der ganze Klima-Quatsch getan hatte, oder die Wir-sterben-aus-Debatten. Eine ganze Jugend war dabei, ihre gesamte kritische Energie für SCHLECHTERES WETTER zu vergeuden. Die Aussicht, 2057 oder 2067 könnte ein Teil der Küste von Westerland weggespült werden, oder es könnte Weinanbau im Ruhrgebiet geben… sowas und ähnliches war ja nun wirklich Thema. Unfaßbar. Das haben die Leute ernst genommen. Dass die Welt binnen einer Dekade völlig umgestampft wurde, etwa in Shanghai, wo kein Stein auf dem anderen geblieben ist, fiel keinem auf. Aber eine minimale Veränderung im Wetter in fünfzig Jahren, zumal eine zum Guten, blockierte die Gehirne. Und als Krönung dann der ´Linksruck´. Bleiben wir dabei, es soll heute unser Thema sein.
Eigentlich müßte man den Linksruck und Kochs Debakel noch unterscheiden. Die Geburtsstunde des ersteren war paradoxerweise die Abwahl Schröders vor zwei Jahren. Denn dass Schröder nur so KNAPP verloren hatte, hielten alle zu recht für einen Sieg. Nach sieben Jahren rot-grüner Hängepartie, davon die letzten drei eine Dauerwirtschaftskrise, und dann trotzdem nur ein paar Promille weniger als die Merkel: stark. Seitdem spricht man von der ´strukturellen linken Mehrheit´, die es gebe, allen Umfragen zum Trotz. Denn die sahen die SPD regelmäßig bei 30 Prozent und weit darunter. Und so falsch war das auch nicht. Unerklärlicherweise honorierten die Leute den Aufschwung, der nun einsetzte, nicht. Auch nicht das Meistern des als unlösbar geltenden Jahrhundertproblems Arbeitslosigkeit, das die fünf Vorgänger Merkels nie bessern, immer nur verschlechtern konnten. Auch nicht Merkels Auftreten im Ausland, ja nicht einmal ihre überzeugende Arbeit beim Lieblingsprojekt der Deutschen, dem Klima. Grüne und Lafontaine bekamen weiter 20 Prozent (warum eigentlich?), zusammen mit den gefühlt 30 Prozent der SPD war das die Mehrheit. Kann man den Journalisten verdenken, dass sie angesichts dieses idiotischen Wählerverhaltens nun vom Linksruck sprachen? Ein Wort mußte her, als Ersatz für eine Erklärung, die es nicht geben kann.
Wirklich nicht? Vielleicht waren Schröder, wie auch Merkel, immer noch zu vornehm für eine proletenhaft gewordene Welt. Kann man sich Schröder in einer der gängigen Nachmittags-Talkshows vorstellen? Eigentlich genauso wenig wie Helmut Schmidt. Und die Merkelin, bei Johannes B. Kerner? Auch nicht. Der Gerd spielte den Kumpel nur, war aber eigentlich ein feiner Kerl und weitblickender Staatsmann. Angela ist sogar so anständig wie jene Mädchen, die so um 1957 auszusterben begannen. Kurt Beck dagegen kann man sich in allen RTL-Formaten vorstellen, 24 Stunden am Tag, ob Frauentausch, Dschungelcamp, Mario Barth oder Casting Shows aller Art. Er ist Unterschicht und will es bleiben. Das ist noch besser als Sarkozy, der von unten kommt, sich aber mit 52 das Super Model und die Rolex gönnt. Damit könnte er bei uns keinen Linksruck auslösen. Beck kann.
Doch nun zu Koch´s Desaster. Der Mann lag konstant zehn Prozent vor der Konkurrenz. Und um ganz sicher zu gehen, zettelte er noch die bewährte Hetzkampagne an gegen jugendliche männliche ausländische Kriminelle. Er hat sich dabei erstmal gar nichts Böses gedacht, eher so: wenn eine deutsche Frau in Wiesbaden abends mit der Straßenbahn nach Hause fährt und eine Gruppe angetrunkener ausländischer jugendlicher Gewalttäter steigt mit ein, wird sie mit Grund Angst haben. Und so weiter. Das Thema ist ja durch, nur soviel: Die Medien reagierten anders als erwartet. Es kam sofort die Nazi-Keule. Als wenn das eine mit dem anderen etwas zu tun hätte. Als wenn die junge Frau der Wiesbadener Vorstadt auch vor Stosstrupps der NPD Angst haben müßte. Und es funktionierte! In nie gekannter propagandistischer Schärfe wurde Kochs Sicherheits-Thema von allen Medien unisono als Hetze eingeordnet und schließlich von den Wählern so gesehen. Wenn das doch dem Schäuble einmal so passierte! Das würde das Land voranbringen.
Nun gut. Koch war der Hetzer, und die Linke wieder im Rennen. Mit Linksruck hat das nichts zu tun, sondern mit Kochs Blödheit. Wie konnte er unsere Medien so falsch einschätzen! Die waren doch gewarnt. Bei seiner Kampagne vor neun Jahren hatte er den Zeitgeist überrumpelt, das konnte nicht nochmal glücken. Nein, Linksruck ist eher, was in Niedersachsen geschieht. Denn da ist einer an der Macht, der den Linksruck der CDU verkörpert. Der eine junge blonde Freundin hat, der seine Frisur modernisiert, der einen Satz neuer Kinder plant in einer neuen deutschen Kleinfamilie, der sich verantwortungsbewußt über neue Rußfilter für sein Auto informiert, der in der Bild Zeitung schreiben läßt: ´CDU-Wulff (48) jubelt: „Ja, wir lieben uns!“´
Wenn DER gewinnt, haben wir den Linksruck. Also echt jetzt.
JOACHIM LOTTMANN

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/die_schoene_bini/

aktuell auf taz.de

kommentare