Von Martin Kaul und Sebastian Heiser
Download: Abstract „Gesellschaftsrendite der Kernenergie in Deutschland“ (PDF, 100 KB)
135.000 Euro wollte das Deutsche Atomforum bezahlen für eine Studie von Joachim Schwalbach, Management-Professor an der Humboldt-Universität Berlin. Doch die Studie wurde nie zu Ende geführt und nie veröffentlicht. Warum nicht? Weil schon die Zwischenergebnisse dem Auftraggeber zu kritisch waren, behauptete der Professor vor ein paar Wochen im Gespräch mit uns. Doch von der Gegenseite hieß es hinter vorgehaltener Hand: Die Zwischenergebnisse seien so unkritisch und rosarot gewesen, dass eine Veröffentlichung der Studie peinlich geworden wäre.
Inzwischen liegt uns das Abstract der Studie vor, auf deren Basis der Auftrag abgebrochen wurde. In dem Abstract heißt es, die sogenannte Gesellschaftsrendite der Kernenergie solle anhand von vier Aspekten berechnet werden: Versorgungssicherheit, CO2-Einsparung, gesellschaftliches Engagement der Kraftwerksbetreiber sowie wirtschaftlicher Nutzen, etwa durch Arbeitsplätze, Steuern und Investitionen.
Zum ersten Punkt, der Gesellschaftsrendite durch die Versorgungssicherheit, ist bereits die Berechnung skizziert, laut deren Ergebnis die Versorgungssicherheit im Jahr 2020 je nach Szenario und Größe der Versorgungslücke bis zu 2,4 Milliarden Euro bringt. Bei den anderen Punkten fehlen vergleichbare Ausführungen, wie die Ergebnisse berechnet werden sollen. Dennoch werden unter der Überschrift „Ergebnisse“ bereits „Schlüsselerkenntnisse/zentrale Thesen“ vorweggenommen. Das Abstract kündigt unter anderem folgende Ergebnisse der Studie an:
– Die Gesellschaftsrendite der Kernenergie in Deutschland ist so hoch, dass es zu einer Verlängerung der Restlaufzeiten der Kernkraftwerke keine volkswirtschaftlich zu rechtfertigende Alternative gibt.
– Die Ergebnisse der Studie lassen in ihrer Deutlichkeit keinen Zweifel daran: Unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit kann in Deutschland in absehbarer Zeit auf die Kernenergie nicht verzichtet werden, wenn hohe volkswirtschaftliche Kosten vermieden werden sollen. Die Energieunternehmen können ihrer gesellschaftlichen Verantwortung – sowohl gegenüber dem einzelnen Bürger als auch der Volkswirtschaft insgesamt- nur dann nachkommen, wenn sie ihren Energiemix unter Einschluss der Kernenergie weiterentwickeln.
– Auch daran lässt die Studie keinen Zweifel: Die Bundesrepublik kann ihre Klimaschutzziele ohne enorme volkswirtschaftliche Kosten bis 2020 nur dann erreichen, wenn die Energieunternehmen ihren Energiemix unter Einschluss der Kernenergie weiterentwickeln.
– Die Kosten, die durch einen Ausstieg aus der Kernenergie wie 2000 beschlossen unter dem Aspekt des CO2-Ausstosses der deutschen Gesellschaft aufgebürdet werden (u.a. Emissionshandel), belasten die deutsche Volkswirtschaft insbesondere durch höhere Strompreise stark.
– Die Kernenergiewirtschaft ist als Innovations- und Bildungstreiber von großer Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft. Ein Ende der Kernenergie in Deutschland würde nicht nur den Verlust von 200.000 bis 300.000 Arbeitsplätzen, davon überdurchschnittlich viele hochqualifizierte, mit sich bringen, sondern auch die Aufgabe von Knowhow und Bildungskapital bedeuten. Die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft wären beträchtlich, denn das über Jahre gewonnene energiewirtschaftliche Wissen mit den damit verbundenen hochwertigen Arbeitsplätzen würde in andere Länder abfließen, und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Energiewirtschaft würde Schaden nehmen. Die Kernenergiewirtschaft könnte dasselbe verhängnisvolle Schicksal erleiden wie bspw. seinerzeit die deutsche Pharmaindustrie.
– Regionen, in denen sich Kernkraftwerke befinden, sind aufgrund dieser Kraftwerke tendenziell Wachstumsregionen. Regionen, die „ihr“ Kernkraftwerk verlieren, sind vom wirtschaftlichen Abstieg bedroht. Die Kosten, die der Gesellschaft durch diesen Verlust aufgebürdet werden, sind enorm.
In dem Gespräch mit uns vor ein paar Wochen sagte Professor Schwalbach, er habe die Studie nicht veröffentlicht, da sie längst nicht fertiggestellt wurde. Er hätte es unverantwortlich gefunden, eine unfertige Studie zu veröffentlichen. Es stellt sich dann jedoch die Frage, wie er bereits zu solch klaren Ergebnissen kommen konnte, wenn die Studie noch nicht fertig war.
Jetzt, wo uns das Abstract der Studie vorliegt, haben wir Joachim Schwalbach noch einmal um eine Stellungnahme gebeten. Er hatte ja bei dem Gespräch mit uns vor ein paar Wochen gesagt, der Auftrag sei ihm entzogen worden, weil seine Zwischenergebnisse zu kritisch seien. Wir fragten ihn, wo genau wir denn diese kritischen Stellen finden könnten. Eine Antwort erhielten wir nicht.
Im Gespräch mit dem NDR-Medienmagazin Zapp sagt Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe: „Wenn das veröffentlicht worden wäre, ich bedauere sehr, dass es nicht veröffentlich wurde, dann wäre dieser Schuss nach hinten los gegangen, und das hat die Atomwirtschaft erkannt. Das war so banal und so durchschaubar, dass das furchtbar verrissen worden wäre.“